Medizin am Abend Abend Berlin - MaAB-Fazit: Wie SARS-CoV-2 auf den Magen-Darmtrakt schlägt: Remdesivir unterdrückt Coronavirus-Infektion im „Minidarm“
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COVID-19 ist keine reine Lungenkrankheit:
Rund die Hälfte der Patientinnen und Patienten leiden unter Durchfall und Übelkeit.
- Solche Symptome sind sogar mit einem schweren Krankheitsverlauf assoziiert, weshalb künftige Behandlungsstrategien auch im Magen-Darmtrakt wirken sollten.
Jetzt haben Ulmer Forschende aus Virologie und Gastroenterologie molekulare Vorgänge bei einer Coronavirus-Infektion im Darmmodell untersucht.
Mithilfe von "Minidärmen" aus Stammzellen haben sie zudem die antivirale Wirksamkeit von Remdesivir und anderen Medikamenten im Verdauungstrakt überprüft.
Ihre Studie ist in "Cellular and Molecular Gastroenterology and Hepatology" erschienen
An der Studie maßgeblich beteiligte Forschende aus Virologie und Gastroenterologie: 1. Reihe (v.l.): Dr. Sandra Heller, Jana Krüger, Carina Conzelmann; 2. Reihe: Rüdiger Groß, Dr. Janis Müller; 3. Reihe: Prof. Alexander Kleger, Prof. Jan Münch Foto: Eberhardt Universität Ulm
Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie galt COVID-19 als reine Atemwegserkrankung mit Symptomen von Husten bis zur Lungenentzündung.
Doch mittlerweile sind ganz andere Krankheitszeichen bekannt, darunter Übelkeit und Durchfall.
Solche Auswirkungen auf den Magen-Darmtrakt
weisen sogar auf einen schweren Verlauf hin. Molekulare Einblicke in den
Infektionsvorgang mit SARS-CoV-2 im Darmmodell gibt eine Studie, die
jetzt im Fachjournal „Cellular and Molecular Gastroenterology and
Hepatology“ erschienen ist. Anhand von „Minidärmen“ aus Stammzellen
haben die Autorinnen und Autoren der Ulmer Universitätsmedizin zudem das
antivirale Potenzial von Medikamenten wie Remdesivir im Verdauungstrakt
untersucht.
Bei der Erforschung von COVID-19 stand zunächst die Lunge im
Vordergrund, denn etwa 20 Prozent der Erkrankten entwickeln eine
schwere, womöglich tödliche Lungenentzündung. Allerdings vermehrt sich
das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) in vielen weiteren Organen. Etwa
die Hälfte der Patientinnen und Patienten zeigen zum Beispiel Symptome
des Magen-Darmtrakts wie Durchfall oder Übelkeit – darunter sind viele
schwer Erkrankte.
In diesem Zusammenhang fiel auf, dass die Viruslast im Stuhl von
Infizierten besonders hoch ist. Auch noch Tage nach einem negativen
Corona-Testergebnis mittels Nasen-Rachenabstrich ist der Erreger in
Stuhlproben nachweisbar. Daher sollten künftige Behandlungsstrategien
gegen SARS-CoV-2 auch im Magen-Darmtrakt wirksam sein.
Die molekularen Vorgänge bei einer Coronavirus-Infektion im Magen-Darmtrakt hat eine
Ulmer Forschergruppe um den Virologen Professor Jan Münch und den
Gastroenterologen Professor Alexander Kleger untersucht.
„Eine Infektion mit SARS-CoV-2 ist nur möglich, wenn der Rezeptor ACE2, an den das Virus andocken kann, sowie die Protease TMPRSS2 im Gewebe vorhanden sind.
In gesundem Darm haben wir diese Proteine durchgehend und besonders häufig im Zwölffingerdarm gefunden“, erklärt Professor Jan Münch vom Institut für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm.
Im nächsten Schritt wollten die Forschenden herausfinden, welche Zellen
des Verdauungstrakts genau mit SARS-CoV-2 infiziert werden können. Dafür
nutzten sie so genannte Organoide, die aus embryonalen Stammzellen
gezüchtet werden. „Diese ,Minidärme‘ aus dem Labor kommen dem
menschlichen Dünndarm sehr nahe und verfügen über große Mengen der
notwendigen Andockstellen“, ergänzt Dr. Sandra Heller, Biologin an der
Universitätsklinik für Innere Medizin I. Die Forschenden haben diese
Organoide dem neuartigen Coronavirus ausgesetzt und den
Infektionsvorgang mit verschiedenen molekularbiologischen Methoden
untersucht. „Tatsächlich sind die meisten Zelltypen, darunter auch
hormonbildende Enteroendokrine Zellen und für die Immunabwehr wichtige
Paneth-Zellen, mit SARS-CoV-2 infizierbar. Sie beginnen umgehend mit der
Replikation, also mit der Herstellung neuer, infektiöser Viren. Eine
Ausnahme bilden lediglich schleimproduzierende Becherzellen“, erklärt
Erstautorin Jana Krüger, die gemeinsam mit den Virologen Rüdiger Groß,
Dr. Janis Müller und Carina Conzelmann die wichtigsten Experimente der
Arbeit durchgeführt hat.
Doch wie lässt sich das Infektionsgeschehen im Verdauungstrakt stoppen?
Die Autorinnen und Autoren haben verschiedene Medikamente an den infizierten Darm-Organoiden getestet. Als antiviral wirksam erwies sich Remdesivir: Ursprünglich für die Ebola-Behandlung entwickelt, blockiert der Wirkstoff die RNA-Polymerase und somit die Vermehrung von SARS-CoV-2. Darüber hinaus konnte das Peptid EK1 die Coronavirus-Infektion im Minidarm unterdrücken. Hierbei handelt es sich um einen so genannten Fusionsinhibitor, der das Eindringen des Virus in die Zelle verhindert. „Interessanterweise fällt die antivirale Wirksamkeit von Remdesivir im Minidarm erheblich geringer aus als in einfachen Darmzell-Kulturen. Diese Beobachtung untermauert die Notwendigkeit, antivirale Substanzen gegen SARS-CoV-2 in ausreichend komplexen Systemen zu testen“, ergänzt Heisenberg-Professor Alexander Kleger, Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Ulm.
Mit dem neuartigen Coronavirus, SARS-CoV-2, infizierte Minidarm-Organoide (virales N-Protein rot, Epithelmarker E-cadherin grün, Zellkerne blau) Aufnahme: Innere Medizin I Universitätsklinikum Ulm
Die jetzt erschienene Studie liefert notwendige Details, um die
Magen-Darmsymptomatik und die hohe Viruslast im Stuhl von
COVID-19-Kranken zu erklären: Der Verdauungstrakt bietet SARS-CoV-2
ausreichend Andockstellen, um verschiedene Zelltypen zu infizieren, die
wiederum neue Coronaviren herstellen. Der daraus resultierende Verlust
spezialisierter Darmzellen kann zu Krankheitszeichen wie Durchfall und
Übelkeit führen. Weiterhin ist es den Forschenden gelungen, Medikamente
anhand von Darm-Organoiden zu testen: Über die Coronavirus-Forschung
hinaus belegen diese Untersuchungen den Mehrwert dieser Minidärme.
An der von den Professoren Alexander Kleger und Jan Münch sowie Dr.
Sandra Heller geleiteten Studie waren Forschende des Instituts für
Molekulare Virologie, des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene sowie
des Instituts für Pathologie und der Klinik für Innere Medizin I des
Universitätsklinikums Ulm beteiligt. Die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler wurden im Zuge des EU-Projekts Fight-nCoV (Horizon 2020)
sowie des Sonderforschungsbereichs 1279 (Nutzung des menschlichen
Peptidoms zur Entwicklung neuer antimikrobieller und anti-Krebs
Therapeutika) unterstützt. Dazu kommen Fördermittel des Ministeriums für
Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK).
Über Google: Medizin am Abend Berlin
Prof. Dr. Jan Münch: 0731/500-65154, jan.muench@uni-ulm.de
Prof. Dr. Alexander Kleger: 0731/500-44541 (Sekretariat), alexander.kleger@uniklinik-ulm.de
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Originalpublikation:
Krüger J, Groß R, Conzelmann C, Müller JA, Koepke L, Sparrer KMJ, Weil T, Schütz D, Seufferlein T, Barth TFE, Stenger S, Heller S, Münch J, Kleger A, Drug inhibition of SARSCoV-2 replication in human pluripotent stem cell-derived intestinal organoids, Cellular and Molecular Gastroenterology and Hepatology (2020), DOI: https://doi.org/10.1016/j.jcmgh.2020.11.003
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