Medizin am Abend Berlin -MaAB-Fazit: Sterbehilfe: Befragung beleuchtet Haltung und Praxis bei medizinischem Personal in Deutschland
Rund 5.000 Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende antworten auf sehr genau differenzierte Fragen
Prof. Dr. Karl H. Beine UW/H
Erstmals haben insgesamt rund 5.000 Ärztinnen und Ärzte bzw. Pflegerinnen und Pfleger zu differenzierten Fragen zum Thema Sterbehilfe Stellung genommen:
Die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte und ein Drittel der Pflegenden berichten von Fällen der:
- passiven bzw. indirekten Sterbehilfe;
aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid kommen dagegen nur sehr selten vor.
Das sind die Hauptaussagen einer Studie von Prof.
Dr. Karl H. Beine, emeritierter Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie der
Universität Witten/Herdecke. Die Studie ist aktuell in der Deutschen
Medizinischen Wochenschrift erschienen DOI: 10.1055/a-1235-6550
„Zwischen den Themenfeldern Sterbehilfe, assistierter Suizid, Tötung auf
Verlangen und Patiententötungen kommt es immer wieder zu
Abgrenzungsproblemen.
- Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2020 geurteilt, dass Menschen, die frei entscheiden können, für ihren Suizid auch die Hilfe von Dritten in Anspruch nehmen dürfen.
Für Ärztinnen und
Ärzte und Pflegende in den Kliniken sind Grenzsituationen häufig und
belastend, und um die ging es in der Studie“, schildert Prof. Beine das
Design der Studie. Er hat in seiner Befragung genau unterschieden
zwischen passiver Sterbehilfe, indirekter Sterbehilfe, assistiertem
Suizid und aktiver Sterbehilfe. (sehe dazu den Kasten unten)
„In den Benelux-Staaten ist auch aktive Sterbehilfe erlaubt, in
Deutschland nicht, und die Mehrheit der Ärzteschaft lehnt es auch ab“,
erläutert Beine die vorherrschende Meinung.
In seiner Umfrage spiegelt sich das bei den Ärztinnen und Ärzten auch genau so wider, lediglich die Pflegenden äußerten teilweise Zustimmung, wenn auch eine aktive Sterbehilfe von Ärztinnen und Ärzten durchgeführt würde.
- Über die Hälfte der Pflegenden berichteten zudem, dass sie in mindestens einem konkreten Fall der Auffassung gewesen seien, dass aktive Sterbehilfe „um jemanden von seinem Leid zu erlösen“ sinnvoll gewesen wäre. Nur ein Viertel der Ärztinnen und Ärzte kam zu dieser Haltung.
Über die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte sowie mehr als ein Drittel der
Pflegenden berichteten für die 24 Monate vor der Befragung von passiver
oder indirekter Sterbehilfe, die unbeabsichtigt das Leben verkürzt hat.
Diese Art der Sterbehilfe macht über 90 Prozent der berichteten Fälle
aus.
Aktive Sterbehilfe hatten der Studie zufolge 84 Ärztinnen und Ärzte in
den letzten zwei Jahren ausgeführt und 65 Pflegende. Im Mittel gaben
beide Gruppen zwei Fälle von aktiver Sterbehilfe in den zurückliegenden
zwei Jahren an.
„Besonders vor dem Hintergrund unterschiedlicher Regelungen der
Sterbehilfe in Nachbarländern und der kontroversen Diskussionen
hierzulande sollte mehr gesichertes Wissen über die Praxis der
Sterbehilfe in deutschen Kliniken generiert werden. Die jetzige Studie
liefert dazu empirische Befunde.“
Definitionen der sog. Sterbehilfe
„Passive Sterbehilfe“ bezeichnet das Zurückhalten/den Entzug einer
lebenserhaltenden oder –verlängernden Behandlung (z. B. künstliche
Beatmung, Ernährung oder (weitere) Gabe eines Medikaments) nach
entsprechender Einwilligung des/der Patienten/-in, dessen/deren
erfolgter Tod nicht gewollt, sondern eine unbeabsichtigte oder in Kauf
genommene Folge darstellt.
„Indirekte Sterbehilfe“ bezeichnet die Gabe eines Medikaments (z. B.
Opioide, Benzodiazepine, Barbiturate) zur Schmerzlinderung nach
entsprechender Einwilligung des/der Patienten/-in, dessen/deren
erfolgter Tod nicht gewollt, sondern eine unbeabsichtigte oder in Kauf
genommene Folge darstellt.
„Assistierter Suizid“, häufig wird „ärztlich“ vorangestellt, bezeichnet
die Aushändigung eines Medikaments an eine/n Patienten/-in zur
selbstständigen Beendigung seines/ihres Lebens.
„Aktive Sterbehilfe“ bezeichnet aktive Handlungen (Behandlungen,
Interventionen etc.), die eine aktive Beendigung des Lebens eines/-r
Patienten/-in beabsichtigen bzw. zum Ziel haben.
Zudem wird hier unterschieden zwischen:
• „Tötung auf Verlangen“2 nach diesbezüglicher expliziter
Willensäußerung des/der Patienten/-in wird häufig juristisch synonym
verwendet.
• „Tötung ohne explizite Willensäußerung“ 2 wird üblicherweise nicht der
aktiven Sterbehilfe zugeordnet, ist in einigen Fällen jedoch schwer
abgrenzbar.
Über uns:
Die Universität Witten/Herdecke (UW/H) nimmt seit ihrer Gründung 1982
eine Vorreiterrolle in der deutschen Bildungslandschaft ein: Als
Modelluniversität mit rund 2.700 Studierenden in den Bereichen
Gesundheit, Wirtschaft und Kultur steht die UW/H für eine Reform der
klassischen Alma Mater. Wissensvermittlung geht an der UW/H immer Hand
in Hand mit Werteorientierung und Persönlichkeitsentwicklung.
Prof. Dr. Karl H. Beine
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