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Herzinsuffizienz

In ihrer Sonderausgabe zu Stoffwechselveränderungen bei Herzinsuffizienz veröffentlicht die kardiologische Fachzeitschrift „Nature Reviews Cardiology“ vier Artikel aus dem EU-geförderten Netzwerk COST Action EU-METAHEART sowie ein Editorial von Prof. Dr. Christoph Maack, dem Vorsitzenden des Konsortiums und Sprecher des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz (DZHI).


Zehn bis 20 Prozent der über 70-Jährigen in Europa leiden an Herzinsuffizienz, auch Herzschwäche genannt. 

Entweder pumpt ihr Herz nicht mehr stark genug oder es füllt sich nicht richtig. 

Bei einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF, Heart Failure with reduced Ejection Fraction) liegt in der Regel eine direkte Schädigung des Herzens vor, beispielsweise durch einen Herzinfarkt. 

Im Gegensatz dazu wird die Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion, kurz HFpEF (Heart Failure with preserved Ejection Fraction), häufig durch nicht herzspezifische Begleiterkrankungen wie Adipositas, Bluthochdruck und Niereninsuffizienz verursacht. 

Aber auch Diabetes ist ein wichtiger Risikofaktor. Umgekehrt kann Herzinsuffizienz Diabetes, Niereninsuffizienz und andere Erkrankungen begünstigen.

COST Action EU-METAHEART: EUropean network to tackle METAbolic alterations in HEART failure

Deshalb wird die Herzinsuffizienz inzwischen nicht mehr als isolierte Organerkrankung, sondern als Systemerkrankung des gesamten Körpers betrachtet. 

Das Herz steht in ständigem Austausch mit anderen Organen, beispielsweise über Hormone, Entzündungsprozesse und den Stoffwechsel. 

Der Stoffwechsel, auch Metabolismus genannt, umfasst insbesondere die Umwandlung von Nahrungsstoffen wie Zucker, Fetten und Aminosäuren in zelluläre Energie in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen. Genau diese metabolischen Veränderungen bei Herzschwäche stehen im Forschungsfokus des Europäischen Netzwerks EU-METAHEART (EUropean network to tackle METAbolic alterations in HEART failure). METAHEART ist eine sogenannte COST Action (CA22169), die am 18. Oktober 2023 in Brüssel ihren Kick-off hatte und vier Jahre lang gefördert wird. COST steht für „European Cooperation in Science and Technology“, und Action für das geförderte Forschungsnetzwerk, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als 40 Ländern und mit unterschiedlichen Karrierestufen zu einem gemeinsamen Thema zusammenarbeiten.

Sonderausgabe von Nature Reviews Cardiology zu Stoffwechselveränderungen bei Herzinsuffizienz

Einen Überblick über die vier Forschungsschwerpunkte von METAHEART (Zellstoffwechsel im Herzmuskel, Stoffwechselveränderungen auf die Blutgefäße, Immunmetabolismus, Mechano-Energetik bei Herzinsuffizienz) liefert die aktuelle Sonderausgabe der renommierten kardiologischen Fachzeitschrift „Nature Reviews Cardiology“ zum Thema Stoffwechselveränderungen bei Herzinsuffizienz. Sie erschien im Rahmen des Kongresses der Society for Heart and Vascular Metabolism, der vom 22. bis 25. Juni in Bordeaux stattfand. Das Editorial schrieb Prof. Dr. Christoph Maack, Initiator von EU-METAHEART und Sprecher des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI), an dem er die Translationale Forschung leitet. Neben Maack sind eine Reihe weiterer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Klinikerinnen und Kliniker aus der Universitätsmedizin Würzburg an dem Netzwerk beteiligt.

Mechano-Energetik: Wenn Pumpfunktion und Energieversorgung aus dem Gleichgewicht geraten

Maacks Forschungsschwerpunkt ist die Mechano-Energetik bei Herzinsuffizienz, die in der vierten Arbeitsgruppe von METAHEART abgebildet wird. Im gesunden Herzen ist die Energieversorgung eng an den ständig wechselnden Bedarf angepasst. Bei Herzinsuffizienz kommt es jedoch zu einem Missverhältnis zwischen Energieversorgung und -bedarf. „Während dies bei Herzschwäche mit reduzierter Pumpfunktion vor allem auf eine verringerte Energieversorgung aufgrund von Defekten der Mitochondrien zurückzuführen ist, wird bei Herzschwäche mit erhaltener Pumpfunktion das anfangs noch gut funktionierende Herz mechanisch überlastet, beispielsweise durch hohen Blutdruck oder Übergewicht. In beiden Krankheitsbildern kommt es durch dieses Missverhältnis zu oxidativem Stress, der das Herz wiederum langfristig schädigt“, erklärt Christoph Maack. Klassische Medikamente wie ACE-Hemmer, Betablocker oder sogenannte ARNI helfen vor allem bei eingeschränkter Pumpfunktion. 

MaAB-CAVE: 

Bei erhaltener Pumpfunktion wirken sie dagegen weniger gut. Maack ergänzt: „Diese Form der Herzschwäche ist derzeit eine unserer größten therapeutischen Herausforderungen.“

Therapieansätze, die schädlichen Sauerstoffstress in Herzmuskelzellen hemmen

Es gibt jedoch neue Therapieansätze, die gezielt am Stoffwechsel ansetzen und sich auch positiv auf Herzschwäche mit erhaltener Pumpfunktion auswirken. Dazu zählen beispielsweise SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Rezeptor-Agonisten, die ursprünglich für die Behandlung von Diabetes entwickelt wurden. Diese positiven Effekte hängen vermutlich mit einer besseren Energieverwertung im Körper und im Herzen zusammen. Auch bei der Mechano-Energetik spielen die Mitochondrien eine wichtige Rolle. Sind diese energetisch überlastet oder arbeiten im weiteren Verlauf nicht mehr richtig, entstehen vermehrt reaktive Sauerstoffspezies (ROS). Diese stören die elektrische Steuerung und das Zusammenziehen des Herzens, also die elektromechanische Kopplung. Zudem werden schädliche Signalwege aktiviert, die zu Umbauprozessen des Herzens führen und dessen Struktur und Funktion weiter verschlechtern. In Tierversuchen zeigen neue Therapieansätze, die oxidativen Stress in den Zellen hemmen, vielversprechende Ergebnisse. In der Praxis sind diese Therapien allerdings noch nicht angekommen.

„Trotz bedeutender Fortschritte in der Forschung übersteigt die Komplexität des Stoffwechsels und die wechselseitige Abhängigkeit regulatorischer Mechanismen häufig die Möglichkeiten einzelner Disziplinen und Institutionen. Daher sind Konsortien wie METAHEART so wichtig, in denen Forschungsinitiativen in ganz Europa vernetzt werden“, betont Christoph Maack.

Einfluss von Stoffwechselveränderungen auf Blutgefäße, Zellstoffwechsel im Herzmuskel und Immunmetabolismus

Die Arbeitsgruppe „Vaskuläre (Dys-)Funktion“, der auch einige Mitglieder der früheren COST Action EU-CARDIOPROTECTION (CA16225) angehören, analysiert den Einfluss von Stoffwechselveränderungen auf die Blutgefäße. Während es bei HFrEF aufgrund von Verengungen oder Verschlüssen oft in den großen Herzkranzgefäßen zu Durchblutungsstörungen kommt, ist bei HFpEF eher die Durchblutung in den kleinen Gefäßen des Herzmuskels gestört. In beiden Fällen bekommt der Herzmuskel zu wenig Blut und Sauerstoff und kann nicht mehr richtig arbeiten. Umgekehrt kann eine Herzschwäche die Durchblutung des Herzens verschlechtern – ein Teufelskreis.

Eine weitere Arbeitsgruppe untersucht, ob und wie Zwischenprodukte des Stoffwechsels die Herzmuskelzellen zusätzlich belastet. Metabolische Zwischenprodukte stehen im Verdacht, die Funktion wichtiger Eiweiße im Herzmuskel zu verändern und den Transport und Austausch von elektrisch geladenen Teilchen - sogenannten Ionen - wie zum Beispiel Kalzium, Natrium und Kalium in und aus den Herzmuskelzellen sowie die Energieübertragung zu stören. 

Dies erhöht den oxidativen Stress und schwächt das Herz langfristig. In der dritten Arbeitsgruppe, der Arbeitsgruppe „Immunmetabolismus“, steht das Zusammenspiel zwischen Stoffwechselveränderungen und Entzündungsprozessen im Vordergrund. Ist das Herz gestresst, reagiert das Immunsystem. Abwehrzellen wandern in den Herzmuskel ein und können, je nach Stoffwechsel, Entzündungen fördern oder hemmen. Diese Interaktionen zwischen Herz und Immunsystem werden auch im Sonderforschungsbereich SFB 1525 (Sprecher: Prof. Dr. Stefan Frantz) am Universitätsklinikum Würzburg intensiv erforscht.

Zukunftsfähigkeit des gesamteuropäischen Wissenschaftsraums stärken

Insgesamt sind Forscherinnen und Forscher aus 43 Ländern an METAHEART beteiligt, darunter 22 sogenannte ITCs. ITC steht für „Inclusiveness Target Countries“. Diese Länder gehören im Hinblick auf Forschung und Entwicklung zu den strukturschwächeren in Europa. Damit alle gleichermaßen vom wissenschaftlichen Austausch profitieren, müssen bei jeder COST Action mindestens 50 Prozent der beteiligten Länder ITCs sein. Ebenso ausgewogen sollte die Vertretung von Frauen und Männern in den Forschungsnetzwerken und Führungspositionen sein. Ein weiterer wichtiger Punkt der COST Actions ist die Förderung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, den sogenannten YRI, was für Young Researchers and Innovators steht. Damit soll der Wissenstransfer gesichert und die Zukunftsfähigkeit des gesamteuropäischen Wissenschaftsraums gestärkt werden.

Short-Term Scientific Missions (STSM)

Eine wichtige und beliebte Maßnahme der COST Actions sind die Kurzzeit-Forschungsaufenthalte, sogenannte Short-Term Scientific Missions (STSM). „Je nach wissenschaftlicher Fragestellung, Versuchsanordnung und Budget können unsere YRIs für einige Wochen ein wissenschaftliches Praktikum in einem anderen Labor absolvieren“, berichtet STSM-Koordinatorin Prof. Dr. Katrin Streckfuß-Bömeke. Die Professorin für Molekulare Pharmakologie am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist Expertin für Erkrankungen des Herzmuskels, sogenannte Kardiomyopathien (siehe PM). Durch die STSM findet laut Streckfuß-Bömeke ein großer wissenschaftlicher Austausch innerhalb Europas statt. Ziel ist, dass jede Mission zu einer nachhaltigen Zusammenarbeit zwischen zwei Arbeitsgruppen führt. Es müsse ja kein riesiges Projekt sein, aber eine gemeinsam erarbeitete Abbildung in einem Paper oder ein gemeinsames Review seien schon toll, vor allem, wenn es von YRIs aus einem Eingliederungszielland kommt.

Drei Tage Training School und zwei Tage Konferenz in Würzburg

Neben den STSM profitieren die jungen Forschenden auch von Konferenzen, Workshops und Trainings. So fand im September 2024 in Würzburg eine dreitägige Training School mit 24 jungen Talenten aus verschiedenen Ländern statt, an die sich eine zweitägige Konferenz anschloss. Die Teams von Christoph Maack und Katrin Streckfuß-Bömeke gaben den YRIs in den Laboren des DZHI Kurse zu den Methoden Ionoptix, Oroboros und Seahorse, die sowohl theoretische als auch praktische Inhalte umfassten. Dabei wurden sie von Vertretern der Gerätefirmen unterstützt, die eigens dafür angereist waren. Zusätzlich wurden Mentoring-Vorträge und -Gespräche für die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angeboten.

„In Europa gibt es viele exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Gebiet Metabolismus und Herzinsuffizienz. Aber die Fäden laufen oft in Würzburg zusammen. Die Kombination verschiedener Techniken auf dem Gebiet des Metabolismus ist hier einzigartig“, so Katrin Streckfuß-Bömeke, die bis 2021 in Göttingen geforscht hat. „Wir arbeiten mit Humangewebe, Mausgewebe und humanen Stammzellmodellen. Viele Länder haben nicht die Möglichkeit, all diese Modellsysteme und humanen Ressourcen zu nutzen.“

Die COST Action EU-METAHEART wird mit über 200.000 Euro pro Jahr für die genannten Netzwerkaktivitäten gefördert. Für ihr Engagement als Mitglieder des sogenannten Management Committee (MC) erhalten Streckfuß-Bömeke und Maack selbst keine direkten Fördergelder. Ihre Arbeit ist jedoch eine Investition in die Zukunft. So werden Kooperationspartner gefunden und neue Anträge für gemeinsame Projekte eingereicht. „Dieses Niveau, das in so kurzer Zeit erreicht wurde, und der Spirit, mit dem die Leute interagieren, habe ich so noch nie gesehen“, freut sich Katrin Streckfuß-Bömeke. Christoph Maack ergänzt: „Mit EU-METAHEART ist eine ganz neue Community entstanden. Man spürt förmlich, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Themen Metabolismus und Herzinsuffizienz brennen. Jetzt haben sie endlich eine Plattform, auf der sie gemeinsam viel bewegen können.“

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Prof. Dr. Christoph Maack

maack_c@ukw.de

Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41569-025-01181-8
https://www.nature.com/articles/s41569-025-01167-6
https://www.nature.com/articles/s41569-025-01165-8
https://www.nature.com/articles/s41569-025-01163-w
https://www.nature.com/articles/s41569-025-01166-7

Das Innenohr und der Hòrverlust

Forschende der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Göttinger Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging“ (MBExC) zeigen, wie die minimale Veränderung eines einzelnen Ionenkanals die Empfindlichkeit der Sinneszellen im Innenohr erhöht. Bereits leise Geräusche wie ein Flüstern werden besser wahrgenommen, verursachen aber eine anhaltende Überlastung, die langfristig den Verlust des Gehörs begünstigen kann. Diese Erkenntnisse vertiefen das Verständnis dafür, wie Schallinformationen im Ohr verarbeitet werden. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Science Advances“ erschienen.


Haarsinneszellen übernehmen im Innenohr die Umwandlung von Schall in elektrische Signale. Trifft ein Geräusch im Innenohr auf die Haarsinneszellen, geraten diese je nach Intensität des Schalls in Schwingung: leises Flüstern führt zu einer leichten Schwingung, je lauter der Ton, desto heftiger die Schwingungen. Durch diese Bewegung erfolgt eine Spannungsänderung in der Haarsinneszelle, die letztlich zur Öffnung von Kanälen in der Membran führt, durch die Kalzium in das Zellinnere strömt. Dieser Kalziumeinstrom führt zu der Freisetzung eines Botenstoffs an den Kontaktstellen zwischen Haarsinnes- und Hörnervenzellen, den sogenannten Synapsen, der die nachgeschalteten Hörnervenzellen aktiviert. Das elektrische Signal wird über die Hörbahn an das Gehirn weitergeleitet, wo der Schall als Ton oder Geräusch wahrgenommen wird.

Bei der Signalübertragung von Haarsinneszellen auf Hörnervenzellen spielen Kalziumkanäle des Typs CaV1.3 eine entscheidende Rolle. Sie reagieren sehr empfindlich auf Spannungs-änderungen in der Zelle, die sich durch das eintreffende Schallsignal ergeben. Der Funktionsverlust dieser Kanäle kann zu Beeinträchtigungen führen, die von Hörproblemen bis hin zur Taubheit reichen. Mögliche Ursachen für diesen Funktionsverlust können minimale Veränderungen im Erbgut sein, wodurch es zu einer fehlerhaften Bildung des Kanals kommt.

Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und Sprecher des Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC), hat nun den Einfluss eines genetisch veränderten CaV1.3-Kanals, kurz CaVAG, auf die Schallverarbeitung zwischen Haarsinneszellen und Hörnervenzellen im Tiermodell untersucht. Die CaVAG-Variante basiert auf einer winzigen Veränderung im Bauplan des Kalziumkanals, weist aber im Vergleich zu dem intakten Kanal eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Spannungsänderungen in der Haarsinneszelle auf. Das bedeutet, dass der CaVAG-Kalziumkanal eine niedrigere Aktivierungsschwelle hat und sich auf den gleichen Reiz viel eher öffnet als ein intakter Kanal. Die CaVAG-Variante des CaV1.3-Kanals ist auch bereits beim Menschen beschrieben und wird mit einem erhöhten Risiko für Autismus-Spektrums-Störungen bei Kindern in Zusammenhang gebracht.

Die Göttinger Forschenden und ihre Kooperationspartner*innen vom Shanghai Institute of Precision Medicine in China und von der Universität Innsbruck, Österreich, konnten erstmals zeigen, dass die erhöhte Empfindlichkeit der CaVAG-Kalziumkanäle in den Haarsinneszellen die Aktivierung der nachgeschalteten Hörnervenzellen direkt beeinflusst und deren Antwortverhalten auf Schallsignale steuert. Durch die höhere Empfindlichkeit der CaVAG-Kalziumkanäle gegenüber den Spannungsänderungen der Haarsinneszellen wird somit auch die Reizschwelle der Hörnervenzellen herabgesetzt, die die Geräuschinformation an das Gehirn weiterleiten. Dies beeinflusst auch die spontane Aktivität der Hörnervenzellen, die nun auch ganz ohne Schallreiz, bei völliger Stille, aktiver sind als normal.

„Die erhöhte Empfindlichkeit der CaVAG-Variante des Kalziumkanals hilft zwar kurzfristig, leise Töne besser wahrzunehmen, aber im Tiermodell zeigte sich, dass einige Kontaktstellen zwischen Haarsinnes- und Hörnervenzellen langfristig ihre Struktur verlieren – und zwar ganz ohne laute Musik oder sonstige Lärmeinwirkung. Allein der ‚normale’ Geräuschpegel im Tierhaus reicht dafür offenbar aus. Es sieht so aus, als würde der durch die genetische Veränderung verursachte überaktive Kalziumeinstrom das System überlasten“, sagt Prof. Moser, Letztautor der Studie. „Wir könnten hier auf molekularer Ebene eine neue Form der schleichenden Hörschädigung sehen – eine Art versteckten Hörverlust, den man mit normalen Hörtests aktuell gar nicht erfassen kann.“

Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.

Originalpublikation:
Karagulyan N, Thirumalai A, Michanski S, Qi Y, Fang Q, Wang H, Ortner NJ, Striessnig J, Strenzke N, Wichmann C, Hua Y, Moser T. Gating of hair cell Ca2+ channels governs the activity of cochlear neurons. Science Advances (2025). DOI: 10.1126/sciadv.adu7898

Was bedeutet das für den Menschen?

Über das Hörvermögen der Betroffenen, die den Kalziumkanal in der CaVAG-Variante tragen, weiß man kaum etwas, da die Schwere der Erkrankung eine Untersuchung nahezu unmöglich macht. Die neuen Erkenntnisse legen nahe, dass solche Menschen vermutlich besonders empfindlich hören und gleichzeitig sehr anfällig für Lärmschäden sind. Die Studie legt daher nahe, Betroffene audiologisch langfristig zu begleiten – und auch über einen vorbeugenden Gehörschutz bei alltäglichem Lärm nachzudenken.

Der Göttinger Exzellenzcluster MBExC

Der Göttinger Exzellenzcluster „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC) wird seit Januar 2019 im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert. Mit einem einzigartigen Forschungsansatz untersucht MBExC die krankheitsrelevanten Funktionseinheiten elektrisch aktiver Herz- und Nervenzellen, von der molekularen bis hin zur Organebene mithilfe von innovativen bildgebenden Verfahren, wie optischer Nanoskopie, Röntgenbildgebung und Elektronentomographie. Hierfür vereint MBExC zahlreiche universitäre und außeruniversitäre Göttingen Campus-Partner. Das übergeordnete Ziel: den Zusammenhang von Herz- und Hirnerkrankungen zu verstehen, Grundlagen- und klinische Forschung zu verknüpfen, und damit neue Therapie- und Diagnostikansätze mit gesellschaftlicher Tragweite zu entwickeln.

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Prof. Dr. Tobias Moser
Institut für Auditorische Neurowissenschaften
Exzellenzcluster Multiscale Bioimaging (MBExC)
Sonderforschungsbereich 1690
Telefon 0551 / 39-63071
tobias.moser@med.uni-goettingen.de
www.auditory-neuroscience.uni-goettingen.de

Originalpublikation:
Karagulyan N, Thirumalai A, Michanski S, Qi Y, Fang Q, Wang H, Ortner NJ, Striessnig J, Strenzke N, Wichmann C, Hua Y, Moser T. Gating of hair cell Ca2+ channels governs the activity of cochlear neurons. Science Advances (2025). DOI: 10.1126/sciadv.adu7898
Weitere Informationen finden Sie unter
- Institut für Auditorische Neurowissenschaften
- Exzellenzcluster „Multiscale Bioimaging“ (MBExC)

Die Ionenkanäle und das Herz

Der Ionenkanal PIEZO2 verarbeitet nicht nur Berührungsreize. Wie ein Team um Annette Hammes vom Max Delbrück Center in Nature Cardiovascular Research berichtet, ist er auch für das Wachstum der Herzkranzgefäße wichtig. Die Erkenntnisse könnten helfen, angeborene Herzleiden besser zu verstehen.

Unsere Haut spürt selbst einen leisen Lufthauch. Zu verdanken ist ihre Sensibilität speziellen Ionenkanälen, die in den Membranen ihrer Zellen liegen und dort auf feinste mechanische Reize reagieren. Dass einer dieser Kanäle, PIEZO2, zudem eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Herzkranzgefäße und des Herzens spielt, hat ein Team um Dr. Annette Hammes gezeigt. Die Forscherin leitet am Max Delbrück Center die Arbeitsgruppe „Molekulare Signalwege in der kortikalen Entwicklung“. Erschienen ist ihre Arbeit im Fachblatt „Nature Cardiovascular Research“.

Weitere Arbeitsgruppen des Max Delbrück Center waren an der Studie maßgeblich beteiligt, darunter die Teams der Professoren Gary Lewin, Holger Gerhardt und Norbert Hübner. „An unserem Zentrum bündeln wir unterschiedliche Fachkompetenzen, um zentrale biologische Prozesse zu verstehen“, sagt Hammes. Die Ergebnisse der jüngsten Kooperation tragen dazu bei, die Ursachen angeborener Herzerkrankungen herauszufinden – mit dem Ziel, sie künftig früher erkennen und behandeln zu können. „Zudem könnte PIEZO2 eine neue Zielstruktur für Therapien gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden“, erläutert Hammes.

Fehlerhafte Herzkranzgefäße

Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen konnte die Erstautorin der Studie, Dr. Mireia Pampols-Perez aus Hammes’ Team, an Mausmodellen zeigen, dass sich die Koronararterien ohne PIEZO2 nicht korrekt entwickeln: Fehlt der Ionenkanal, bleiben die feinen Gefäße zu eng oder verzweigen sich anders als gewöhnlich. Dadurch wird der Herzmuskel nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Ähnliche Fehlbildungen traten bei Mäusen mit einer überaktiven PIEZO2-Variante auf, die beim Menschen unter anderem eine seltene Erbkrankheit, das Marden-Walker-Syndrom, hervorruft. In beiden Fällen verdickte sich besonders in der linken Herzkammer das Herzmuskelgewebe – vermutlich infolge des gestörten Wachstums der Gefäße.

„Genomweite Assoziationsstudien deuten darauf hin, dass Mutationen im PIEZO2-Gen auch beim Menschen kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Bluthochdruck oder Aneurysmen verursachen können“, sagt Hammes. 

„Fehlfunktionen des Ionenkanals während der Embryonalentwicklung führen vermutlich zunächst zu kaum erkennbaren Gefäßveränderungen – die im Alter oder bei starker körperlicher Belastung aber schwere Herzprobleme auslösen können.“

Gewöhnlich ist PIEZO2 nur bei Embryonen in den Endothelzellen der Koronararterien, die die Innenseite der Gefäße auskleiden, aktiv. 

Spätestens nach der Geburt stellt der Kanal dort in der Regel seine Arbeit ein. „Es gibt aber Hinweise, dass er im erwachsenen Herzen unter bestimmten Bedingungen wieder exprimiert wird und dann möglicherweise die Regeneration von Gefäßen fördern kann“, berichtet Hammes. „Das ist natürlich ein sehr spannender Aspekt – zum Beispiel bei der koronaren Herzkrankheit oder nach einem Infarkt.“

Neue Optionen für Diagnostik und Prävention

Aktuell untersucht ihr Team daher gemeinsam mit Kolleg*innen des Helmholtz-Instituts für translationale AngioCardioScience (HI-TAC) in Heidelberg und Mannheim sowie der Technologie-Plattform „Pluripotente Stammzellen“ des Max Delbrück Center, inwieweit sich die an Mäusen gewonnenen Erkenntnisse über PIEZO2 auf den Menschen übertragen lassen. Dazu nutzen die Forschenden humane Endothelzellen, die sie aus pluripotenten Stammzellen gewinnen. „Mit diesen Modellen möchten wir herausfinden, wie sich die Expression und die Aktivität von PIEZO2 beim Menschen gezielt beeinflussen lassen“, sagt Hammes.

Der medizinische Nutzen ihrer Forschung ist vielfältig. „Die aktuelle Studie erweitert das Verständnis für angeborene Herzfehler und ergänzt die Liste von Genen, die sich für die Diagnostik und Prävention nutzen lassen“, erklärt Hammes. „Unsere Ergebnisse können so dazu beitragen, genetisch bedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen früher zu erkennen – und langfristig vielleicht sogar zu verhindern.“

Max Delbrück Center

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft legt mit seinen Entdeckungen von heute den Grundstein für die Medizin von morgen. An den Standorten in Berlin-Buch, Berlin-Mitte, Heidelberg und Mannheim arbeiten unsere Forschenden interdisziplinär zusammen, um die Komplexität unterschiedlicher Krankheiten auf Systemebene zu entschlüsseln – von Molekülen und Zellen über Organe bis hin zum gesamten Organismus. In wissenschaftlichen, klinischen und industriellen Partnerschaften sowie in globalen Netzwerken arbeiten wir gemeinsam daran, biologische Erkenntnisse in praxisnahe Anwendungen zu überführen – mit dem Ziel, Frühindikatoren für Krankheiten zu identifizieren, personalisierte Behandlungen zu entwickeln und letztlich Krankheiten vorzubeugen. Das Max Delbrück Center wurde 1992 gegründet und vereint heute eine vielfältige Belegschaft mit rund 1.800 Menschen aus mehr als 70 Ländern. Wir werden zu 90 Prozent durch den Bund und zu 10 Prozent durch das Land Berlin finanziert.

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Dr. Annette Hammes-Lewin
Leiterin der Arbeitsgruppe „Molekulare Signalwege in der kortikalen Entwicklung“
Max Delbrück Center
hammes@mdc-berlin.de

Originalpublikation:
Mireia Pampols-Perez, et al. (2025): „Mechanosensitive PIEZO2 channels shape coronary artery development“. Nature Cardiovascular Research, DOI: 10.1038/s44161-025-00677-3
Weitere Informationen finden Sie unter
- Studie
- AG Hammes
- AG Lewin
- AG Gerhardt
- AG Hübner

Fragen zu Long-COVID

Als Teil eines bundesweiten Netzwerks soll das Comprehensive Care Center zu besserer Diagnostik und Behandlung in Niedersachsen beitragen.

Viele Fragen zu Long-COVID sind noch ungeklärt. So ist beispielsweise die genaue Ursache der Erkrankung noch nicht vollständig erforscht. Das erschwert die Diagnose und auch die Behandlung der Betroffenen. Um die Versorgungssituation speziell von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, werden zurzeit in allen Bundesländern spezialisierte Einrichtungen, sogenannte Comprehensive Care Center (CCC) aufgebaut. Eines der insgesamt 20 CCC entsteht in der Kinderklinik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). „Die CCC sind interdisziplinär und multiprofessionell konzipiert. Gemeinsam mit wissenschaftlichen und klinischen Partnern bauen wir regionale Behandlungsstrukturen für das Land Niedersachsen auf“, erklärt Privatdozent (PD) Dr. Martin Wetzke. Er ist Oberarzt in der Abteilung für Pädiatrische Pneumologie und Allergologie und leitet das CCC der MHH.
Viel Erfahrung mit der Patientengruppe
Beim Aufbau des Versorgungszentrums an der MHH können Dr. Wetzke und sein Team auf wertvolle Erfahrungen zurückgreifen. In der Spätphase der COVID-19-Pandemie gab es dort eine Long-/Post-COVID-Ambulanz für Kinder und Jugendliche, in der insgesamt rund 200 Betroffene untersucht und behandelt wurden. Dazu gehörten nicht nur Patientinnen und Patienten mit Long-COVID, sondern auch mit Beschwerden nach einer COVID-Impfung oder mit myalgischer Enzephalomyelitis/ Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) unbekannter Ursache. ME/CFS beschreibt einen schweren Erschöpfungszustand, der nach verschiedenen Virusinfektionen auftauchen kann. „Eine COVID-Erkrankung kann die Ursache ein, muss es aber nicht. Eine Long-COVID-Diagnose ist oft eine Ausschluss-Diagnose“, sagt Dr. Wetzke. Dieser Umstand beschreibt eine Kernaufgabe des CCC: die Betroffenen mit ihren unterschiedlichen Beschwerden zu untersuchen und eine möglichst gesicherte Diagnose zu stellen. „Eine sichere Diagnose ist immer die Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie“, sagt Dr. Wetzke.
Zahlreiche Fachleute eingebunden
In einigen Wochen sollen die Strukturen des CCC stehen. Dann können die ersten Patientinnen und Patienten aufgenommen werden. Dabei ist auch daran gedacht, dass die Fachleute des CCC besonders schwer betroffene Kinder und Jugendliche zu Hause aufsuchen und den Familien Unterstützungsangebote im Alltag machen. Um möglichst viele Erkrankte niedrigschwellig betreuen zu können, kooperiert das CCC bei der Grundversorgung mit regionalen Spezialambulanzen und -stationen sowie mit geschulten Kinder- und Jugendärzten und Hausarztpraxen. Mit im Boot sind außerdem psychologische und psychiatrische, sozial- und palliativmedizinische Fachleute sowie Experten und Expertinnen der rehabilitativen Medizin.
Bundesweiter Verbund
So wie in Hannover entstehen an 19 weiteren Standorten in Deutschland Versorgungszentren, die alle dem sogenannten PEDNET-LC-Verbund angehören. Die Zentren bilden ein Netzwerk, um Wissen zu Häufigkeit, Diagnostik, Behandlung und Prognose von Long-COVID bei jungen Menschen zu gewinnen, zu bündeln und in die Versorgung der Patientinnen und Patienten einzubringen. „In Kooperation mit den anderen CCC werden wir standardisierte Versorgungsstrukturen und klinische Leitlinien für die Diagnostik und Therapie in Deutschland entwickeln“, erläutert Dr. Wetzke. Die Grundlage wird unter anderem ein bundesweites Patientenregister mit Daten zu Lebensqualität, Symptomen, Diagnosen und Gesundheitswerten sein. So soll die Versorgung von jungen Menschen mit Long-COVID und ähnlichen Erkrankungen in Deutschland nachhaltig verbessert werden. Das ist auch mit Blick auf Zukunft sinnvoll. „Mittlerweile zeichnet sich ab, dass COVID-19 wahrscheinlich zu einer Endemie wird. Das bedeutet, dass die Erkrankung regelmäßig auftritt und die Zahl der Infizierten – und damit auch der Long-COVID-Fälle – relativ konstant ist“, erklärt Dr. Wetzke.
Die Abkürzung PEDNET-LC steht für „Pädiatrisches Netzwerk für die Versorgung und Erforschung von postakuten Folgen von COVID-19, ähnlichen postakuten Infektions- und Impfsyndromen sowie ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen“. Die Projektleitung hat die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Technischen Universität München inne. Am PEDNET-LC-Verbund beteiligt sind insgesamt 38 Einrichtungen des Gesundheitswesens. Das Bundesministerium für Gesundheit fördert PEDNET-LC mit insgesamt rund 41 Millionen Euro. Davon entfällt gut eine Million Euro auf das CCC an der MHH.

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Weitere Informationen erhalten Sie bei PD Dr. Martin Wetzke, Telefon 0511 532-3204, [wetzke.martin@mh-hannover.de].

Verkalkung der Aortenklappe

Eine Verkalkung der Aortenklappe ist bislang nicht aufzuhalten. 

Wenn gar nichts mehr geht, muss die Klappe ausgetauscht werden. Um die Entstehung der häufigen Erkrankung besser zu verstehen, haben Forschende aus Bochum und Bonn defekte Klappen genau unter die Lupe genommen. Dabei konnten sie zum einen zeigen, dass Endothelzellen, die das Gewebe einkleiden, eine große Rolle spielen wie auch bei anderen Gefäßkrankheiten. Zum anderen konnten sie sehen, dass das Geschehen sehr unterschiedlich ist, je nachdem ob jemandes Aortenklappe aus drei Segeln besteht – wie meistens – oder nur aus zweien. Das Team berichtet im Journal of the American Heart Association vom 25. Juni 2025.


Viele Menschen büßen ab etwa 60 Jahren an körperlicher Leistungsfähigkeit ein, weil sie eine Aortenklappenstenose haben. 

Dabei verkalkt die Herzklappe, die sich zwischen der linken Herzkammer und der Aorta befindet. Dadurch kann sie sich nicht mehr so leicht öffnen, sodass sie den Auswurf des Bluts aus dem Herzen in den Körper behindert. „Diese Erkrankung kommt häufig vor; ihre Entstehung ist aber noch unzureichend verstanden“, erklärt Prof. Dr. Daniela Wenzel, Leiterin der Abteilung für Systemphysiologie der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. „Deswegen gibt es bislang auch keine Möglichkeit sie aufzuhalten. Erst wenn es gar nicht mehr anders geht, muss man die Herzklappe ersetzen.“

Sie und ihre Kolleg*innen, die dem Sonderforschungsbereich/Transregio 259 „Aortenerkrankungen“ angehören, wollen der Entstehung der Erkrankung auf den Grund gehen. Dabei schauen sie sich insbesondere das Endothel an: die einlagige Zellschicht, in die Aortenklappen eingehüllt sind. „Diese Zellen sorgen unter anderem dafür, dass keine Blutplättchen anhaften und Gerinnsel entstehen können“, so Daniela Wenzel. „Wir wissen, dass das Endothel auch bei Gefäßkrankheiten, etwa der Arterienverkalkung, eine bedeutende Rolle spielt.“

Besondere Stempeltechnik erlaubt die Untersuchung

Das Forschungsteam hat eine besondere Technik entwickelt, um die Endothelzellen für die Untersuchung zu isolieren. Sie legen dafür eine bei einer Operation entfernte, defekte menschliche Aortenklappe zwischen zwei Glasplättchen und pressen einen tiefgekühlten Stempel darauf. Die Endothelzellen frieren dadurch an den Glasplättchen fest – auf dem einen Plättchen die Zellen, die zum Herzen hin liegen, auf der anderen Seite diejenigen auf der Seite der Aorta. Nun können sich die Wissenschaftler*innen die dünne Zellschicht genau ansehen.

Durch Färbung der Zellen lässt sich ermitteln, wie dicht das Endothel ist. Je durchlässiger es für Proteine aus dem Blut ist, desto kränker ist das Endothel. Darüber hinaus untersuchten sie die von den Zellen produzierte RNA. Daran lässt sich erkennen, welche Gene aktuell abgelesen werden.

Verkalkung ist nur einseitig, wenn es drei Segel gibt

„Bei Menschen, deren Aortenklappe aus drei Segeln besteht – so ist es meistens – kann man mit bloßem Auge erkennen, dass die Verkalkung vor allem auf der Aortenseite der Klappe stattfindet, nicht so sehr auf der Herzseite“, beschreibt Adrian Brandtner, Doktorand und Erstautor der Studie. Die Färbeuntersuchung und die RNA-Sequenzierung zeigten: Auf der Aortenseite war das Endothel durchlässiger und es wurden mehr Gene exprimiert, die auf Verkalkungsprozesse hinweisen. Das Endothel ist also eindeutig an der Erkrankung beteiligt.

„Interessant war aber auch, dass das bei Menschen, deren Aortenklappe nur aus zwei Segeln besteht, ganz anders ist“, sagt der Forscher. Menschen mit dieser genetischen Veranlagung neigen dazu, früher im Leben eine Aortenklappenstenose zu erleiden. Bei ihnen ist das Endothel auf beiden Seiten der Klappe gleichermaßen geschädigt, also durchlässig und von Verkalkung betroffen. „Es handelt sich bei der Aortenklappenstenose bei Menschen mit zwei Segeln also offenbar um eine sehr andere Erkrankung als bei Menschen mit drei Segeln“, folgert Adrian Brandtner.

Die Forschenden hoffen, durch ihre Erkenntnisse zum tieferen Verständnis der Entstehung der Aortenklappenstenose beizutragen. „Es wäre schön, wenn es irgendwann möglich wäre, bei einer beginnenden Stenose medikamentös einzugreifen und den Fortgang der Erkrankung aufhalten zu können“, hofft Wenzel.

Kooperationspartner

Neben den Forschenden der Systemphysiologie der Ruhr-Universität Bochum und des Instituts für Physiologie I der Universität Bonn waren an der Studie Forschende der Klinik für Herzchirurgie des Universitätsklinikums Bonn beteiligt.

Förderung

Die Arbeiten wurden gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB/TR 259.

MaAB - Medizin am Abend Berlin Fortbildungen VOR ORT

Prof. Dr. Daniela Wenzel
Institut für Physiologie
Abteilung für Systemphysiologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel. +49 234 32 29100
E-Mail: daniela.wenzel@ruhr-uni-bochum.de

Prof. Dr. Bernd K. Fleischmann
Institut für Physiologie I
Universitätsklinikum Bonn
Medizinische Fakultät
Universität Bonn
Tel.: +49 228 6885 200
E-Mail: bernd.fleischmann@uni-bonn.de

Originalpublikation:
Adrian Brandtner, Alexander Brückner, Wilhelm Röll, Farhad Bakhtiary, Bernd K. Fleischmann, Daniela Wenzel: Valvular Endothelial Cell Heterogeneity Reflects Different Pathogenesis of Tricuspid and Bicuspid Aortic Valve Stenosis in Humans, in: Journal of the American Heart Association, 2025, DOI: 10.1161/JAHA.124.040556, https://www.ahajournals.org/doi/full/10.1161/JAHA.124.040556

Das Gefühl, an freien Tagen oder im Urlaub krank zu werden oder sich erschöpft zu fühlen.

Eine repräsentative Studie der IU Internationalen Hochschule befasst sich mit Symptomen, Ursachen und Belastungsfaktoren der Freizeitkrankheit


Rund 72 Prozent der Arbeitnehmer:innen in Deutschland kennen sogenannte Leisure Sickness (*), also das Gefühl, an freien Tagen oder im Urlaub krank zu werden oder sich erschöpft zu fühlen. Jede:r Fünfte (19,3 Prozent) erlebt dies zumindest immer oder häufig an freien Tagen oder im Urlaub. Das zeigt eine aktuelle, repräsentative Studie der IU Internationalen Hochschule (IU) mit dem Titel „Leisure Sickness: Erschöpft statt erholt“. Als immer oder häufig erlebte Symptome gaben die Befragten vor allem Müdigkeit bzw. Erschöpfung (36,1 Prozent), Schlafprobleme (27,6 Prozent), Reizbarkeit (18,9 Prozent), Kopfschmerzen (16,7 Prozent) sowie Erkältungssymptome (14,2 Prozent) an.

Obwohl 95,5 Prozent der Teilnehmer:innen der IU-Studie es als wichtig einschätzen, sich Zeit für Erholung und Freizeit zu nehmen, stimmen vier von zehn (40,1 Prozent) der Befragten der Aussage voll und ganz oder eher zu, dass ihr Privatleben nicht ausreichend Erholung bietet, um den Anforderungen im Beruf gerecht zu werden. Jüngere Arbeitnehmer:innen bis 25 Jahre stimmen dieser Aussage im Altersvergleich besonders häufig voll und ganz oder eher zu (50,5 Prozent), sprich: Sie finden seltener Erholung in ihrer freien Zeit als ältere Arbeitnehmer:innen.

Leisure Sickness kann laut der Expertin der Studie Stefanie André, Professorin für Gesundheitsmanagement an der IU Internationalen Hochschule und Expertin für Gesundheit am Arbeitsplatz, als Folge von Stress im Arbeitskontext (siehe auch Leisure-Sickness-Definition unten) entstehen und mehrere Ursachen haben. Arbeitnehmer:innen belastet laut IU-Studie vor allem Folgendes: hoher Arbeitsdruck (33,7 Prozent), mangelnde Unterstützung durch Vorgesetzte und Kolleg:innen (30,0 Prozent) sowie eine unklare Aufgabenverteilung (23,4 Prozent) und unklare Aufgabenstellungen (20,8 Prozent). Weitere Belastungsfaktoren sind: lange Arbeitsstunden (17,3 Prozent) und eine ungünstige Work-Life- Balance (21,9 Prozent).

IU Studie: Leisure Sickness - Erschöpft statt erholt

- Arbeitsdruck und ständige Erreichbarkeit beeinträchtigen Erholung
Knapp die Hälfte der befragten Arbeitnehmer:innen in Deutschland (46,4 Prozent) berichten von einem hohen Arbeitsdruck – mit dem sie aber meist zurechtkommen. Für 9,2 Prozent dagegen führt ihre sehr hohe Arbeitsbelastung zu Druck und Überforderung. Lediglich 39,9 Prozent geben an, dass ihre Arbeitsbelastung gut verteilt und handhabbar ist.

- Mehr als die Hälfte der Befragten (54,4 Prozent) geben an, dass Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten ihre Erholung beeinträchtigt. Rund ein Drittel (33,5 Prozent) fühlt sich zudem verpflichtet, auch in der Freizeit erreichbar zu sein – bei den unter 25-Jährigen sind es 42,6 Prozent.

- Trotz des empfundenen Stresses rufen knapp die Hälfte der Befragten (47,4 Prozent) auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten berufliche E-Mails oder Nachrichten ab – über ein Drittel (36,7 Prozent) tut dies sogar im Urlaub.

- Hinzu kommt: 80,6 Prozent der Befragten leisten regelmäßig Überstunden. Davon arbeiten 42,9 Prozent bis zu zwei Stunden zusätzlich pro Woche, 37,6 Prozent sogar drei Stunden oder mehr.

IU Studie: Leisure Sickness - Erschöpft statt erholt

„Die Ergebnisse zeigen, dass Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit, hohe Arbeitsbelastung und fehlende Erholung klare Risikofaktoren für Krankheitssymptome an freien Tagen sind. Besonders jüngere Arbeitnehmer:innen fühlen sich häufiger verpflichtet, außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein, was zu einer eingeschränkten Erholung führt“, erklärt Stefanie André.

Zeit für Erholung ist für viele Befragte sinnvoll und wichtig

38,4 Prozent der Arbeitnehmer:innen in Deutschland fällt es schwer, nach der Arbeit abzuschalten und sich auf die Freizeit zu konzentrieren. Gleichzeitig stimmen nahezu alle Befragten (95,6 Prozent) voll und ganz oder eher zu, dass es wichtig und sinnvoll ist, sich Zeit für Erholung und Freizeit zu nehmen. Auffällig dabei: Je älter die Befragten, desto häufiger stimmen sie dem voll und ganz oder eher zu.

Fast alle (94,1 Prozent) stimmen zudem der Aussage voll und ganz oder eher zu, dass die eigene Freizeit als wertvolle Möglichkeit gesehen wird, Energie zu tanken und sich zu regenerieren. Auch hier zeigt sich: Ältere Arbeitnehmer:innen stimmen dieser Aussage tendenziell häufiger voll und ganz oder eher zu als jüngere.

Couch-Potatoe-Dasein kontraproduktiv?

Die Hälfte der Befragten (49,8 Prozent) geben an, ihre Freizeit ausgewogen zu gestalten – mit Erholung, Hobbys und sozialen Aktivitäten. Fast ein Fünftel (17,0 Prozent) sagt, dass sie die freie Zeit überwiegend passiv verbringt, etwa mit Fernsehen oder Lesen, empfindet diese Zeit jedoch häufig nicht als erholsam oder bereichernd.

„Menschen, die ihre Freizeit ausgewogen gestalten und sinnvoll nutzen, erleben seltener Leisure Sickness. Wer dagegen nach einer stressigen Arbeitswoche nur auf passive Erholung wie Fernsehen setzt, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, an freien Tagen Symptome wie Erschöpfung oder Kopfschmerzen zu entwickeln. Unternehmen können hier unterstützen, indem sie zum Beispiel Bewegungspausen und bewusste Entspannungsphasen in den Arbeitsalltag integrieren“, sagt Stefanie André.

(*) Definition von Leisure Sickness

Leisure Sickness bezeichnet ein Phänomen, bei dem Menschen genau dann Krankheitssymptome wie Kopfschmerzen, Erschöpfung oder Erkältungssymptome entwickeln, wenn sie Freizeit haben – etwa am Wochenende oder im Urlaub. Die körperliche Ursache von Leisure Sickness wird im plötzlichen Abfall von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol vermutet. Leisure Sickness wird im Deutschen auch als Freizeitkrankheit (wörtliche Übersetzung) oder Wochenendkrankheit bezeichnet.


Über die Studie
Die Studie „Leisure Sickness: Erschöpft statt erholt“ der IU Internationalen Hochschule beleuchtet Symptome und Ursachen der Freizeitkrankheit, die Rolle von Erholung als Ausgleich zur Arbeit sowie mögliche Maßnahmen zur Prävention. Für die IU-Studie befragte die IU 2.004 Menschen in Deutschland zwischen 16 und 65 Jahren, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, repräsentativ nach Alter und Geschlecht. Die Befragung wurde im Zeitraum 24.01.2025 bis 06.02.2025 durchgeführt. Vollständige Studie unter: https://www.iu.de/forschung/studien/leisure-sickness/

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Stefanie André, Professorin für Gesundheitsmanagement an der IU Internationalen Hochschule und Expertin für Gesundheit am Arbeitsplatz: 

https://www.iu.de/hochschule/lehrende/andre-stefanie/

Originalpublikation:
https://www.iu.de/forschung/studien/leisure-sickness/

CAVE: Entzündungen durch Fruktosekonsum

Bereits kurzfristiger hoher Fruktosekonsum erhöht die Konzentration der Rezeptoren, an die bakterielle Giftstoffe binden können

Infektionskrankheiten durch Bakterien und Viren zählen trotz medizinischer Fortschritte weiterhin zu den weltweit häufigsten Todesursachen. 

Welche Rolle könnte Fruchtzucker bei solchen Erkrankungen spielen?

Eine Forschungsgruppe um Ina Bergheim vom Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien konnte nun erstmals nachweisen, dass Monozyten, wichtige Immunzellen des Blutes, nach Fruktosekonsum stärker auf bakterielle Giftstoffe reagieren – aber nicht im positiven Sinne.

Konkret erhöht sich die Konzentration von Rezeptoren für bestimmte bakterielle Giftstoffe, die Entzündungsanfälligkeit des Körpers steigt also. Die Studie ist aktuell im Fachmagazin Redox Biology erschienen.

In zwei unabhängigen randomisierten Studien mit gesunden Erwachsenen untersuchten die Forschenden, wie sich der Konsum von mit Fruktose gesüßten Getränken im Vergleich zu Getränken mit Glukose auf die Immunantwort auswirkt. 

Zusätzlich führten sie Experimente mit isolierten Monozyten und Zellkulturmodellen durch, um die molekularen Mechanismen zu untersuchen.

Mehr Rezeptoren für bakterielle Toxine werden produziert

Die Wissenschafter*innen konnten beobachten, dass die Aufnahme von Fruktose, im Gegensatz zur Aufnahme von Glukose, zu einer Erhöhung der Konzentration von Toll-like Rezeptor 2 in Monozyten führte.

Toll-like Rezeptor 2 reguliert unter anderem die Immunantwort. Die höhere Konzentration ging mit einer erhöhten Empfindlichkeit der Monozyten gegenüber Lipoteichonsäure, einem bakteriellen Toxin, einher. "Die Konzentration der Rezeptoren für solche Giftstoffe im Körper hat sich erhöht, die Entzündungsbereitschaft steigt also", erklärt die Studienleiterin Ina Bergheim von der Uni Wien. Konkret wurden entzündungsfördernde Botenstoffe wie Interleukin-6, Interleukin-1β und Tumornekrosefaktor-alpha verstärkt freigesetzt.

"Diese Erkenntnisse liefern einen wichtigen Beitrag zum Verständnis, wie einzelne Nahrungsbestandteile und insbesondere Fruktose das Immunsystem beeinflussen können", sagt Bergheim. 

"Sie deuten darauf hin, dass bereits kurzfristiger, hoher Fruktosekonsum bei gesunden Menschen das Immunsystem beeinflusst und die Entzündungsbereitschaft steigern kann."

Einfluss von Fruktose auf Stoffwechselerkrankungen

Zukünftige Untersuchungen sollen klären, welche langfristigen Auswirkungen ein chronisch erhöhter Fruktosekonsum auf das Immunsystem und die Infektanfälligkeit hat, insbesondere bei Risikogruppen mit zum Beispiel Typ II Diabetes mellitus oder mit einer Fettlebererkrankung, die mit metabolischer Dysfunktion assoziiert ist. 

"Zucker, vor allem die Fruktose in zuckerhaltigen Getränken und Süßigkeiten, steht seit längerer Zeit im Verdacht, das Risiko für die Entstehung von Stoffwechselerkrankungen zu erhöhen – das gilt es zu prüfen", so Bergheim.

MaAB - Medizin am Abend Berlin Fortbildungen VOR ORT


Univ.-Prof. Dipl. oec. troph. Dr. Ina Bergheim, Privatdoz.
Department für Ernährungswissenschaften, Universität Wien
1090 Wien, Josef-Holaubek-Platz 2
T +43-1-4277-54981
ina.bergheim@univie.ac.at
www.univie.ac.at

Originalpublikation:
Staltner R, Csarmann K, Geyer A, Nier A, Baumann A, Bergheim I. (2025). Fructose intake enhances lipoteichoic acid-mediated immune response in monocytes of healthy humans. In Redox Biology.
DOI: 10.1016/j.redox.2025.103729
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2213231725002423?via%3Dihub

Informations- und Aufklärungsmaterial für Kinder und Jugendliche mit chronischen Stoffwechselerkrankungen.

Gemeinsam mit der Charité-Universitätsmedizin Berlin entwickelt die SRH University im Projekt „Know & Grow“ Informations- und Aufklärungsmaterial für Kinder und Jugendliche mit chronischen Stoffwechselerkrankungen. Je nach Altersklasse reicht das Material vom Brettspiel bis zur Gesundheitsapp. Mit Unterstützung von BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“ wird das Projekt planmäßig bis September 2026 verlängert.


Von Phenylketonurie (PKU) über Galaktosämie bis hin zur Ahornsirup-Krankheit – angeborene Stoffwechselerkrankungen umfassen eine Vielzahl seltener oder extrem seltener Erkrankungen und zeichnen sich durch ein großes Spektrum in der klinischen Symptomatik sowie Krankheitsschwere aus. Unbehandelt können sie zu schweren Organ- und Hirnschäden, Entwicklungsstörungen, epileptischen Anfällen, Energiemangel oder sogar bis zum Tod führen. Ein Teil der behandelbaren genetisch vererbten Stoffwechselerkrankungen wird deshalb im Neugeborenenscreening erfasst.

Diese Erkrankungen erfordern eine sofortige und i.d.R. lebenslange Behandlung, z. B. in Form von diätetischer oder medikamentöser Therapie. Von den Eltern erfordert dies ab dem Säuglingsalter eine maximale Sorgfalt und Disziplin in der Einhaltung der Diätvorschriften, was zu einer hohen Kontrollfunktion in der Eltern-Kind-Beziehung führt.

Vom Brettspiel zur Gesundheitsapp

Aufgrund der Seltenheit chronischer Stoffwechselerkrankungen gibt es für die wenigsten von ihnen kindgerechtes Aufklärungsmaterial, das anschaulich die Erkrankung erklärt und die notwendigen therapeutischen Maßnahmen bildlich darstellt. Somit sind die Eltern im Familienalltag bislang auf sich und ihr eigenes Verständnis der Erkrankung gestellt. Genau hier setzt das gemeinsame Projekt „Know & Grow: Aufklärung – Selbstmanagement – Empowerment für Kinder und Jugendliche mit seltenen chronischen Stoffwechselerkrankungen“ der SRH University und der Charité-Universitätsmedizin Berlin an.

Die Bedürfnisse von Kleinkindern, Grundschulkindern und Jugendlichen unterscheiden sich immens. „Während die Aufklärung bei Kleinkindern eher einfach, narrativ und spielorientiert ausgerichtet sein muss, kann sie bei Grundschulkindern bereits komplexere Inhalte und therapeutische Handlungswege aufzeigen. Jugendliche dagegen wollen unter Einbindung der neuen technischen Möglichkeiten geführt und behandelt werden“, erklärt Prof. Lars Roth, Projektleiter und Professor für audiovisuelle Medien am Campus Berlin der SRH University.

Demnach wurden im bisherigen Projektverlauf Aufklärungsmaterialien für eine bestimmte Gruppe von Stoffwechselstörungen (Fettsäureoxidationsstörungen) für drei Altersklassen (0-5; 6-12 und 13-18 Jahre) entwickelt. Die jüngsten Kinder lernen ihre Krankheit mit dem Brettspiel „Alex‘ besondere Reise durch den Körper“ kennen, das neben Quizfragen auch Aktionskarten bereithält. Für die mittlere Altersklasse wurden ein spielerisches Informationsmagazin sowie ein Animationsfilm gestaltet, wohingegen Jugendliche und junge Erwachsene mit einer App adressiert werden sollen. Die App ermöglicht die individuelle Eingabe von einzunehmenden Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln sowie die Anlage der Kontaktdaten sämtlicher behandelnder Ärzt:innen. Daneben werden bspw. Einkaufstipps und Rezepte bereitgestellt.

Die erstellten Materialien werden bereits an der Ambulanz für Stoffwechselerkrankungen der Kinderklinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie, Nephrologie und Stoffwechselmedizin und des Sozialpädiatrischen Zentrums der Charité Berlin eingesetzt. Weiterhin wurden sie durch Fachvorträge an anderen Kliniken/Stoffwechselzentren im deutschsprachigen Raum verbreitet.

Medizin trifft Design

Neben der Weiterentwicklung der App, der Durchführung von Workshops und auch der Übersetzung der Projektergebnisse ins Englische sollen in der verlängerten Projektphase Materialien für weitere Stoffwechselkrankheiten erarbeitet werden. Am Anfang dieses Entwicklungsprozesses wird erneut ein Design-Thinking-Prozess stehen: In interdisziplinären Workshops treffen medizinisches Fachwissen und gestalterische Kreativität aufeinander. Gemeinsam werden reale Bedürfnisse junger Patient:innen analysiert, um daraus zielgruppengerechte Konzepte zu entwickeln.

Die besondere Stärke dieses Ansatzes liegt in der unmittelbaren Anwendung: Die entwickelten Ideen und Prototypen werden direkt in der klinischen Praxis der Charité getestet und weiterentwickelt. So entsteht ein kontinuierlicher Dialog zwischen Theorie und Praxis, der die Relevanz und Wirksamkeit der Materialien sichert. Prof. Lars Roth ergänzt: „Diese enge Zusammenarbeit zwischen Medizin, Gestaltung und klinischer Praxis setzt neue Maßstäbe in der patientenzentrierten Gesundheitskommunikation – und zeigt, wie durch kreative Methoden und interdisziplinären Austausch echte Mehrwerte für junge Patient:innen geschaffen werden können.“

Hintergrund

Bereits seit 2022 entwickelt das Projektteam – unterstützt von Milupa/Nutricia Metabolics und der Berliner Sparkassenstiftung Medizin – Informations- und Aufklärungsmaterial, das betroffenen Kindern dabei helfen soll, sich von Anfang an und über die Jahre hinweg immer wieder entsprechend ihrer Entwicklung altersgerecht mit der Stoffwechselerkrankung auseinanderzusetzen. Durch eine Spende von BILD hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“ wird das Projekt nun planmäßig bis September 2026 verlängert.

Weiterführende Informationen

SRH University

Die SRH University ist aus der Verschmelzung der fünf Präsenzhochschulen der SRH entstanden. Sie gehört zur SRH, einem der größten Anbieter für Bildung und Gesundheit in Deutschland. Mit über 50 Jahren Erfahrung in der Hochschulbildung strebt die SRH University an, Fachkräfte von morgen auszubilden und den Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung zu ermöglichen.

Derzeit studieren rund 10.000 Studierende an 18 bundesweiten Standorten der Hochschule, darunter Studierende aus über 120 Ländern. Damit leistet die SRH University einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Die SRH University legt großen Wert auf Offenheit, Vielfalt und zeitgemäße Bildungskonzepte, die Präsenz- und Online-Lehre miteinander kombinieren.

SRH | Gemeinsam für Bildung und Gesundheit

Als Stiftung mit führenden Angeboten in den Bereichen Bildung und Gesundheit begleiten wir Menschen auf ihren individuellen Lebenswegen. Unserer Leidenschaft fürs Leben folgend, helfen wir ihnen aktiv bei der Gestaltung ihrer Zukunft, hin zu einem selbstbestimmten Leben. Mit fast 17.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 1,25 Mio. Kunden erwirtschaften wir einen Umsatz von rund 1,4 Mrd. Euro (2023).

Die 1966 gegründete SRH ist heute eines der größten Bildungs- und Gesundheitsunternehmen Deutschlands mit bundesweit rund 80 Standorten. Hauptsitz der SRH ist Heidelberg.

MaAB - Medizin am Abend Berlin Fortbildungen VOR ORT

Prof. Lars Roth (Projektleitung)
lars.roth@srh.den


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Risiko für Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen

Um das Risiko für Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen zu senken, empfiehlt die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie DGPPN in einem neuen Positionspapier insbesondere den Ausbau der Versorgungsstrukturen, der Eingliederungshilfe und der Sozialpsychiatrischen Dienste. Es brauche keine neuen Regelungen, sondern die konsequente Nutzung bestehender rechtlicher Möglichkeiten.

„Die wirksamste Maßnahme der Gewaltprävention bei Menschen mit psychischen Erkrankungen ist eine fachgerechte psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung“, betont die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank. „Eine konsequente Therapie senkt nachweislich das Risiko für Gewalttaten. Zusätzlich sind Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration und Teilhabe essenziell; denn das Risiko, dass ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung gewalttätig wird, entsteht aus der Wechselwirkung von Erkrankung und weiteren Belastungs- und Risikofaktoren für Aggression und Gewalttätigkeit, wie dem Konsum von Drogen oder Alkohol, Gewalterfahrungen, sozialer Isolation, Armut und Wohnungslosigkeit.“

Um das Risiko für Gewalttaten zu senken, fordert die Fachgesellschaft in ihrem Positionspapier „Prävention von Gewalttaten“ deshalb dezidiert den Ausbau geeigneter Behandlungsstrukturen für Menschen mit schweren psychischen Störungen. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank erläutert: „Wir brauchen flächendeckend niedrigschwellige Behandlungsmöglichkeiten, die sich flexibel am Bedarf der Betroffenen orientieren. Gerade schwer erkrankte Personen werden durch die ambulante psychiatrische Regelversorgung wie auch durch Psychotherapien häufig nicht erreicht. Deshalb müssen Möglichkeiten geschaffen werden, die Betroffenen bedarfsadaptiert zu behandeln, gegebenenfalls auch aufsuchend in ihrem Wohnumfeld. Unterstützung muss dort angeboten werden, wo sie benötigt wird und die Menschen erreicht.“

Besonders wichtig ist es, jene Betroffenen gezielt zu unterstützen, die sich bereits in der Vergangenheit aggressiv oder gewaltbereit gezeigt haben und deshalb in einer psychiatrischen Klinik untergebracht waren. Die DGPPN empfiehlt, dieser Gruppe eine zusätzliche intensive Betreuung nach dem Vorbild der bayerischen Präventionsambulanzen zu ermöglichen und dabei einen besonderen Fokus auf die Früherkennung und Prävention drohender Gewalt zu legen.

Neuere komplexe Studien belegen für Menschen mit psychischen Erkrankungen ein statistisch erhöhtes Risiko, Gewalttaten zu begehen; eindeutig gesichert ist es für Schizophrenien und andere Psychosen, Substanzkonsumstörungen (Missbrauch/Abhängigkeit von Drogen und Alkohol) und schwere Persönlichkeitsstörungen. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank führt aus: „Zunächst muss betont werden: Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die an diesen Erkrankungen leiden, ist nicht gewalttätig. Aber das Risiko ist tatsächlich statistisch erhöht. Es steigt, wenn Drogen und Alkohol konsumiert werden und es sinkt, wenn die Erkrankung adäquat behandelt wird. Das heißt, wir können eingreifen: Das beste Mittel der Gewaltprävention ist die konsequente Therapie psychischer Erkrankungen.“

Eine besondere Herausforderung stellen daher jene Patientinnen und Patienten dar, die in der Vergangenheit durch Aggressivität und Gewaltbereitschaft aufgefallen sind, sich aber gegen eine Behandlung aussprechen. „Natürlich müssen vorrangig Maßnahmen eingesetzt werden, um die Betroffenen zu einer Behandlung zu motivieren“, macht die DGPPN-Präsidentin deutlich. „In einzelnen Fällen muss aber bei hohem Aggressionspotenzial auch darüber nachgedacht werden, wann die Voraussetzungen für eine unfreiwillige Behandlung vorliegen. Aktuell ist es so, dass eine Unterbringung wegen Selbst- oder Fremdgefährdung unmittelbar beendet wird, wenn die akute Symptomatik abgeklungen ist, auch wenn sich der Zustand noch nicht ausreichend stabilisiert hat. Damit ist mittel- und langfristig weder den Betroffenen noch der Gesellschaft geholfen.“ Die DGPPN empfiehlt deshalb, diese Praxis unbedingt zu überdenken.

Weitere Behandlungsanreize ließen sich dadurch setzen, dass man Unterbringungen unter Auflagen aussetzt. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank erläutert: „Die Aussetzung einer gerichtlich beschlossenen Unterbringung kann mit Auflagen verknüpft werden. Zum Beispiel kann festgelegt werden, dass der Patient verpflichtend eine medikamentöse Behandlung erhält und keine Drogen nimmt. Wird gegen die Auflagen verstoßen, kann geprüft werden, ob die Person zurück in die Klinik muss. Diese Möglichkeit wird aktuell sehr selten benutzt, dabei eignet sie sich gut, in ausgewählten Fällen nach einem Klinikaufenthalt die konsequente Therapie sicherzustellen.“

Die DGPPN-Präsidentin führt weiter aus: „Wir brauchen keine neuen gesetzlichen Regelungen oder Konstrukte – wir müssen die bestehenden Möglichkeiten besser anwenden. Register oder die Weitergabe von medizinischen Daten an Behörden mindern das Gewaltrisiko nicht. Im Gegenteil: Wenn die Furcht vor Stigmatisierung dazu führt, dass Betroffene nicht zum Arzt gehen oder sich erst spät behandeln lassen, erhöhen solche Maßnahmen das Risiko, dass eine Gewalttat begangen wird.“

Das Positionspapier „Prävention von Gewalttaten“ wurde von einer speziell eingerichteten Arbeitsgruppe der DGPPN unter Einbezug renommierter Expertinnen und Experten zum Thema verfasst. In dem Papier stellt die DGPPN wissenschaftliche Daten zum Risiko von Gewalttaten durch psychisch erkrankte Menschen zusammen und macht Empfehlungen zur Prävention. Mit dem Positionspapier soll eine fundierte, praxisorientierte und ethisch reflektierte Grundlage für Diskussionen um mögliche Maßnahmen geschaffen werden. Das DGPPN-Positionspapier wird von mehr als 20 weiteren Fach- und Klinikverbänden sowie Angehörigen- und Betroffenengruppen unterstützt.

Weitere Informationen finden Sie unter


Positionspaper: Prävention von Gewalttaten