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Geschlechtsunterschiede beim akuten Nierenversagen

Hormonabhängiger weiblicher Schutz der Nieren funktioniert über ein vielschichtiges Abwehrsystem gegen Ferroptose / Aktuelle Arbeit im renommierten Journal Nature veröffentlicht / Dimension der neuen Erkenntnisse weitreichend

Akutes Nierenversagen ist eine klinische Herausforderung, da das Ereignis häufig auftritt und es keine zielgerichtete Therapie gibt. 

Dass Frauen weniger anfällig für akutes Nierenversagen sind als Männer, ist keine neue Erkenntnis. 

Bereits seit 1940 gibt es diese Beobachtung, belegt auch durch epidemiologische Studien. 

Was diesem Phänomen zugrunde liegt, ist jedoch bis heute ein Rätsel. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Heidelberg, an der Medizinischen Fakultät Mannheim, sind der Lösung dieses Rätsels auf der Spur. 

In einer aktuell im renommierten Fachjournal Nature veröffentlichten Arbeit liefern sie eine überzeugende Erklärung für dieses Phänomen.

Die Forscher rücken das weibliche Sexualhormon Östrogen sowie den Vorgang der Ferroptose, eine von Eisen abhängige Form des regulierten Zelltods, in den Fokus. 

Sie fanden heraus, dass Östrogene die Ferroptose blockieren. 

Dies steht im Einklang mit der Beobachtung, dass der Schutz der Nieren von Frauen mit der Menopause, wenn die Produktion der Geschlechtshormone abnimmt, verlorengeht.

Interessant ist dabei, dass Östrogen, und insbesondere dessen hydroxylierte Derivate wie 2-Hydroxyestradiol, Schlüsselmediatoren eines vielschichtigen weiblichen Schutzes sind: 

Das Hormon entfaltet seine Funktion als Ferroptose-Abwehrsystem in verschiedener Art und Weise, über genomische und nicht-genomische Mechanismen.

Es zeigte sich, dass das natürliche Hormon wie ein körpereigenes Medikament gegen Ferroptose wirkt. 

Zusätzlich initiiert Östrogen über den Östrogen-Rezeptor im Zellkern verschiedene biologische Systeme, die als Abwehrmechanismen gegen Ferroptose zu werten sind. So reguliert der Rezeptor beispielsweise die Produktion von Hydropersulfiden, die als Radikalfänger die Ferroptose in Schach halten. Darüber hinaus wirkt Östrogen-Rezeptorstimulation auch der Veränderung bestimmter Fette in der Zellmembran entgegen, sogenannte Etherlipide, und hemmt auch auf diese Weise Ferroptose.

Diese Beobachtungen bieten interessante Ansatzpunkte für die Therapie von Nierenerkrankungen. Aber nicht nur! Die Ferroptose hat für eine Vielzahl von Krankheitsprozessen eine Bedeutung. „Unsere Erkenntnisse können auch weit über die Niere hinaus Auswirkungen haben, sogar auf die Krebsforschung. Sie rücken die Ferroptose in den Blick der Geschlechtsunterschiede von Mann und Frau auch in Bezug auf Herzerkrankungen und Schlaganfall, vor denen Frauen im Vergleich zu Männern eher geschützt sind, bis hin zur bekanntlich höheren Lebenserwartung von Frauen“, erläutert Professor Dr. Andreas Linkermann, Direktor der V. Medizinischen Klinik an der Universitätsmedizin Mannheim und Letztautor der Nature-Publikation.

Die Dimension, die die vorliegende Arbeit auch für andere Erkrankungen, und ebenso in anderem Kontext haben kann, lässt sich also noch kaum ermessen. Auch ethische Fragestellungen können davon betroffen sein, etwa in der Transplantationsmedizin, wo sich die Frage stellen könnte, ob Organe weiblicher Spenderinnen – vor der Menopause – „wertvoller“ sind als die von männlichen Spendern, weil sie gegenüber dem chirurgischen Prozess der Organübertragung weniger anfällig sind. „Um die Bedeutung der Ferroptose eröffnet sich tatsächlich ein ganz neues Forschungsfeld“, folgert Andreas Linkermann daraus.

News and Views
Wie weitreichend die Erkenntnisse der Mannheimer, an der Universität Heidelberg forschenden Nephrologen sein können, hat auch der weltweit anerkannte Experte auf diesem Gebiet, Tom Vanden Berghe, erkannt. In seinen „News and Views“, veröffentlicht in derselben Ausgabe von Nature unter dem Titel “Oestrogen defends against kidney damage caused by iron-dependent cell death”, zieht er den folgenden Schluss:
“Die Arbeit stellt einen Meilenstein in unserem Verständnis der Geschlechtsunterschiede beim akuten Nierenversagen dar und erweitert die physiologische Relevanz der Ferroptose über Krebs und Neurodegeneration hinaus. 

Wichtig ist, dass diese Ergebnisse dazu beitragen können, die erhöhte Anfälligkeit für eine akute Nierenschädigung bei Frauen nach der Menopause zu erklären und eine rationale Grundlage für die Erforschung östrogener Metaboliten oder Ferroptosehemmer als Therapeutika zu schaffen. 

Da die Ferroptose als zentraler Mechanismus von Gewebeverletzungen an Bedeutung gewinnt, unterstreicht diese Studie die Bedeutung des Geschlechts als biologische Variable bei ihrer Regulierung.“

Förderung
Die Arbeiten wurden sowohl von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) als auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

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Univ.-Prof. Dr. med. Andreas Linkermann, FASN
Direktor V. Medizinische Klinik - Nephrologie/Hypertensiologie/Transplantationsmedizin
Endokrinologie/Diabetologie/Lipidologie/Rheumatologie/Pneumologie
Facharzt für Innere Medizin, Nephrologe, Transplantationsmediziner
Medizinische Fakultät Mannheim der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsklinikum Mannheim GmbH
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3, 68167 Mannheim
Telefon 0621/383-5172
Andreas.linkermann@medma.uni-heidelberg.de

Originalpublikation:
Tonnus, W., Maremonti, F., Gavali, S. et al.
Multiple oestradiol functions inhibit ferroptosis and acute kidney injury.
DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-025-09389-x
News and Views: Oestrogen defends against kidney damage caused by iron-dependent cell death
DOI: https://doi.org/10.1038/d41586-025-02422-z
Nature (2025)

Die Todesursache

Umweltfaktoren wie Feinstaub, Lärm, Hitze und Umweltgifte können das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die weltweit häufigste Todesursache, deutlich erhöhen. 

Das berichtet ein internationales Forschungsteam in einer in der Zeitschrift Cardiovascular Research veröffentlichten Übersichtsarbeit. Besonders groß sind die schädigenden Auswirkungen laut den Erkenntnissen der Wissenschaftler:innen, wenn mehrere Umweltbelastungen gleichzeitig bestehen. Nach Ansicht der Expert:innen sollten daher die Gesamtheit der verschiedenen Umweltfaktoren und ihre vielfältigen Wechselwirkungen – das sog. Multimodale Exposom – eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen einnehmen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, auch kardiovaskuläre Erkrankungen genannt, umfassen eine Vielzahl von Krankheiten, die das Herz und die Blutgefäße betreffen. Dazu gehören beispielsweise Herzinfarkt, Schlaganfall, Koronare Herzkrankheit (KHK), Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen. Die Erkrankungen stellen weltweit die führende Todesursache dar. In Deutschland sind sie nach Angaben des Robert Koch-Instituts für etwa 40 Prozent aller Sterbefälle verantwortlich. Dementsprechend groß ist der Bedarf an wirkungsvollen Strategien zur Vorbeugung der Krankheiten und damit auch an Kenntnissen zu den Risikofaktoren. Gut bekannt ist, dass Übergewicht, Diabetes, Rauchen, Bewegungsmangel sowie eine ungesunde Ernährung entscheidend zur Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen.

Umweltstressoren beeinträchtigen die Herz-Kreislauf-Gesundheit
Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universitätsmedizin Mainz warnt jetzt in einer Übersichtsarbeit vor einer weiteren, in aktuellen Präventionsstrategien bisher wenig berücksichtigten Gruppe von Risikofaktoren: Die Expert:innen berichten im renommierten Fachjournal Cardiovascular Research, dass Lärm, Feinstaub, Hitzewellen und chemische Belastungen von Boden und Wasser eine gefährliche Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System entfalten können.

Die wichtigsten in der aktuellen Publikation dargestellten Erkenntnisse zu den Auswirkungen von verschiedenen Umweltbelastungen auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit sind:
• Dauerhafter Verkehrslärm aktiviert Stresshormone, stört den Schlaf und verursacht Bluthochdruck sowie Gefäßentzündungen.

• Insbesondere ultrafeine Staubpartikel (PM2,5, UFP) gelangen über die Lunge in den Blutkreislauf und fördern oxidativen Stress, Endothelschäden und Arteriosklerose.

• Immer häufigere Hitzewellen belasten besonders ältere und herzkranke Menschen. In Städten kommt es durch versiegelte Flächen und fehlendes Grün verstärkt zu „Hitzeinseln“, die das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle erhöhen.

• Rückstände von Pestiziden, Schwermetallen und PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen), die sich kaum oder gar nicht abbauen, im Boden und im Wasser gelangen über Nahrung und Trinkwasser in den Körper. Erste Studien zeigen, dass diese Schadstoffe Entzündungen verstärken, die Gefäßfunktion beeinträchtigen und langfristig das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen können.

Multimodales Exposom verstärkt Belastungen
Besonders bedenklich ist laut den Erkenntnissen der Wissenschaftler:innen eine Kombination von mehreren Umweltbelastungen: Das sogenannte Multimodale Exposom kann die schädigenden Auswirkungen der einzelnen Umweltstressoren deutlich vergrößern. „Lärm verstärkt die Wirkung von Luftschadstoffen und Hitze wirkt wie ein Katalysator für vaskuläre Schäden durch Toxine“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel, Seniorprofessor am Zentrum für Kardiologie – Kardiologie I der Universitätsmedizin Mainz und einer der Autoren der Übersichtsarbeit. „Die biologischen Schnittmengen reichen von oxidativem Stress über die Aktivierung des entzündungsfördernden Enzyms NOX-2 bis zur Endotheldysfunktion – allesamt frühe Wegbereiter für den Herzinfarkt und den Schlaganfall“, ergänzt Professor Münzel.

Das Exposom-Konzept bietet einen ganzheitlichen Ansatz, der die komplexen Wechselwirkungen zwischen Umweltbelastungen und biologischen Reaktionen im Laufe des Lebens einer Person berücksichtigt, um sie in die Bewertung des Herz-Kreislauf-Risikos einzubeziehen und geeignete Präventionsstrategien zu entwickeln. Strengere Umwelt- und Lärmschutzgesetze, eine nachhaltige Stadtplanung und grüne Infrastruktur können helfen, die Belastungen durch Umweltstressoren zu reduzieren, betonen die Wissenschaftler:innen in der Übersichtsarbeit.

Das internationale Forschungsteam umfasst neben den Autoren aus Mainz (Thomas Münzel, Andreas Daiber, Marin Kuntic) führende Umweltmediziner:innen und Kardiolog:innen u. a. aus Kopenhagen / Dänemark (Mette Sørensen), München (Alexandra Schneider), Barcelona / Spanien (Mark Nieuwenhujisen), Edinburgh / Großbritannien (Mark Miller) und Boston / USA (Philip Landrigan).

Originalpublikation:
Münzel T, Kuntic M, Lelieveld J, Daiber A et al. A comprehensive review/expert statement on environmental risk factors of cardiovascular disease. Cardiovascular Research 2025.

DOI: https://doi.org/10.1093/cvr/cvaf119

Link zur Originalpublikation: https://academic.oup.com/cardiovascres/advance-article/doi/10.1093/cvr/cvaf119/8...

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Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel
Zentrum für Kardiologie – Kardiologie I
Universitätsmedizin Mainz
Telefon 0174 2189542
E-Mail tmuenzel@uni-mainz.de

Veronika Wagner M. A.
Universitätsmedizin Mainz
Telefon 06131 17-8391

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich rund 403.000 Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.700 Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie rund 590 Fachkräfte in den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 9.000 Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter https://www.unimedizin-mainz.de.

Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel
Zentrum für Kardiologie – Kardiologie I
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Telefon 0174 2189542
E-Mail tmuenzel@uni-mainz.de

Originalpublikation:
Münzel T, Kuntic M, Lelieveld J, Daiber A et al. A comprehensive review/expert statement on environmental risk factors of cardiovascular disease. Cardiovascular Research 2025.

DOI: https://doi.org/10.1093/cvr/cvaf119

Link zur Originalpublikation: https://academic.oup.com/cardiovascres/advance-article/doi/10.1093/cvr/cvaf119/8...

Zusammenhang zwischen chronisch entzündlichen Erkrankungen und dem Entstehen von Tumoren im Verdauungstrakt

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg liefern in einer umfassenden Studie belastbare Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen chronisch entzündlichen Erkrankungen und dem Entstehen von Tumoren im Verdauungstrakt. 

Die Ergebnisse wurden jüngst in der Fachzeitschrift eClinicalMedicine veröffentlicht, die zur Lancet-Gruppe gehört.

Mit Daten von über 1,5 Millionen Patientinnen und Patienten aus 47 Studien untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen vier, meist im Kindes- oder jüngeren Erwachsenenalter erworbenen, Autoimmunerkrankungen und Krebserkrankungen des Magen-Darm-Trakts sowie der Leber und der Bauchspeicheldrüse.

 „Wir haben sehr robuste und verzerrungsminimierte Ergebnisse erhalten“, sagt Dr. Dennis Freuer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Epidemiologie und Leiter der Studie.

Die Studie zeigt, dass Zöliakie, systemischer Lupus erythematodes und Typ-1-Diabetes das Risiko für mehrere Krebsarten des Verdauungstrakts erhöhen. 

Dazu zählen Magen- und Darmkrebs. Insbesondere steigt das Risiko für Dünndarmkrebs bei bestehender Zöliakie um den Faktor 4,2.

Multiple Sklerose hingegen ist mit einem geringeren Risiko für bestimmte Krebsarten, wie Bauchspeicheldrüsen-, Speiseröhren- und Enddarmkrebs, assoziiert.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Patientinnen und Patienten mit Autoimmunerkrankungen gezielt zu überwachen und personalisierte Krebsvorsorgeprogramme zu entwickeln“, erklärt Julia Reizner, die Erstautorin der Arbeit. Prof. Christa Meisinger, Ärztin und Epidemiologin des Forschungsteams, betont die Rolle chronischer Entzündungen als möglicher Treiber für die Entwicklung von Krebs und fordert weitere Forschung zu den zugrunde liegenden Mechanismen, einschließlich der Auswirkungen von Immuntherapien. Die Studie liefere somit wichtige Impulse für die klinische Praxis und die Entwicklung von Vorsorgestrategien.

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Prof. Dr. med. Christine Meisinger, MPH
Stellvertretende Lehrstuhlleitung Epidemiologie
Telefon: +49 821 598 - 6476
christine.meisinger@med.uni-augsburg.de

Dr. rer. biol. hum. Dennis Freuer, M.Sc.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Epidemiologie
Telefon: +49 821 598 - 6474
dennis.freuer@med.uni-augsburg.de

Originalpublikation:
"Evaluating the risk of digestive system cancer in autoimmune disease patients: a systematic review and meta-analysis focusing on bias assessment". Julia Reizner, Simone Fischer, Jakob Linseisen, Christa Meisinger, Dennis Freuer. eClinicalMedicine Volume 87, September 2025.

https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2025.103410

Multiple Sklerose (MS)

Interferon oder Glatirameracetat?

 Beide Medikamente gelten als gleichwertig hilfreich gegen Multiple Sklerose (MS). 

Eine internationale Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Nicholas Schwab vom Institut für Translationale Neurologie der Universität Münster fand nun heraus, dass der Behandlungserfolg von individuellen genetischen Biomarkern abhängt. 

Damit lässt sich vor der Therapie bestimmen, welches Präparat die bessere Wahl ist. 

Die Ergebnisse der multizentrischen Analyse mit mehr als 3.000 an MS Erkrankten wurden nun in der Fachzeitschrift „eBioMedicine“ publiziert.

Behandlung mit Interferon oder mit Glatirameracetat? 

Diese Frage stellt sich bei vielen Patientinnen und Patienten, die erstmals die Diagnose Multiple Sklerose (MS) erhalten. Bisher konnte man für die Entscheidung quasi eine Münze werfen: Beide Präparate gelten als etablierte Basistherapien, haben vergleichsweise geringe Nebenwirkungen und können in der Schwangerschaft sowie Stillzeit zum Einsatz kommen. Und schließlich: Beide helfen - wie alle immunmodulatorischen Therapien - nicht allen Menschen gleich gut. Dank einer Studie unter Leitung der Universität Münster gibt es nun aber einen eindeutigen Maßstab für die Medikamentenwahl.

Die internationale Arbeitsgruppe hat einen genetischen Biomarker identifiziert, der vorhersagt, ob MS-Patientinnen und -Patienten besonders gut auf eine Behandlung mit Glatirameracetat (GA) ansprechen. Menschen mit dem Gewebetyp HLA-A*03:01 profitieren demnach signifikant stärker von GA als von Interferon-beta (IFN). Die Ergebnisse der multizentrischen Analyse mit mehr als 3.000 an MS Erkrankten wurden nun in der Fachzeitschrift „eBioMedicine“ publiziert.

„Unsere Studie zeigt zum ersten Mal, dass ein genetischer Marker mit dem Behandlungserfolg eines MS-Medikaments verknüpft ist“, erklärt Studienleiter Prof. Nicholas Schwab von der Universität Münster. „Damit lässt sich vor Therapiebeginn vorhersagen, ob Glatirameracetat oder Interferon die wahrscheinlich bessere Wahl ist.“ Bei etwa einem von drei MS-Betroffenen fällt die Entscheidung auf GA, bei den anderen beiden Fällen wirkt vermutlich Interferon-beta besser. „Das ist ein entscheidender Fortschritt für die personalisierte MS-Behandlung“, freut sich Prof. Heinz Wiendl, Sprecher des Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS), der die Studie mit konzipiert hat.

Klinischer Nutzen in fünf unabhängigen Kohorten belegt

GA führt bei Patientinnen und Patienten zu spezifischen T-Zell-Antworten, die sich das Team genauer anschaute. Die Forschenden analysierten die T-Zell-Rezeptor-Sequenzen (TZR) im Blut von 3.021 MS-Patientinnen und MS-Patienten, deren Proben ihnen aus mehreren voneinander unabhängigen internationalen Kohorten zur Verfügung gestellt wurden. Dabei fielen T-Zell-Klone auf, die sich nach GA-Therapie nur bei den Patienten fanden, die zudem Träger bestimmter HLA-Moleküle sind, und zwar von HLA-A*03:01 oder HLA-DRB1*15:01. Liegt eines dieser beiden HLA-Moleküle vor, reagiert also das Immunsystem auf die Therapie mit GA. Praktisch profitieren Patientinnen und Patienten jedoch nur in einem der beiden Fälle: Denn ausschließlich Betroffene mit der Genvariante HLA-A*03:01 haben nachweislich einen klinischen Behandlungsvorteil, ihnen geht es also dank GA-Therapie besser.

Um sicherzugehen, dass die Ergebnisse auch in der klinischen Anwendung relevant sind, untersuchte das Team fünf große Kohorten und Studienpopulationen aus den USA, Frankreich und Deutschland, darunter die NationMS-Kohorte des deutschen KKNMS. In sämtlichen Analysen zeigten Trägerinnen und Träger der Genvariante HLA-A*03:01 unter Therapie mit GA signifikant weniger Krankheitssymptome als bei Behandlung mit IFN. Statistisch betrifft das etwa 30 bis 35 Prozent der europäischen MS-Patientinnen und MS-Patienten, denn sie tragen das HLA-A*03:01-Allel.

Personalisierte Therapieentscheidung durch einfache genetische Testung möglich

Das Besondere an der Entdeckung: Das neue Forschungsergebnis kann schon kurzfristig in der Therapieberatung angewendet werden – denn ein HLA-Test, wie er zum Beispiel für Transplantationen oder Arzneimittelsicherheit bereits etabliert ist, findet die fragliche Genvariante.
Der Erkenntnisgewinn der Studie reicht aber noch weiter: Diese liefert nicht nur einen klinisch relevanten Biomarker, sondern auch neue Hinweise auf den Wirkmechanismus von GA: Die beobachteten öffentlichen T-Zell-Antworten deuten darauf hin, dass GA nicht alle seine Eiweißbestandteile benötigt, um zu wirken. Vielmehr spielen wenige Fragmente der GA-Mischung eine dominante Rolle, vielleicht ist sogar nur ein Einzelnes relevant. Dies könnte künftig zur gezielten Weiterentwicklung des Medikaments führen.
Die Studie entstand in Kooperation mit internationalen Partnern, insbesondere mit der US-Firma Adaptive Biotechnologies, die die Sequenzierungen durchgeführt und unterstützt hat. Zudem erhielt das Forschungsteam Fördergelder unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, den National Institutes of Health (USA), der National Multiple Sclerosis Society und der Valhalla Foundation.

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Prof. Dr. Nicholas Schwab
Institut für Translationale Neurologie
Universität Münster
E-Mail: nicholas.schwab@ukmuenster.de
Telefon: +49 251 8335414

Originalpublikation:
Zhang BC, Schneider-Hohendorf T, Elyanow R, Pignolet B, Falk S, Wünsch C, Deffner M, Yusko E, May D, Mattox D, Dawin E, Gerdes LA, Bucciarelli F, Revie L, Antony G, Jarius S, Seidel C, Senel M, Bittner S, Luessi F, Havla J, Knop M, Friese MA, Rothacher S, Salmen A, Hayashi F, Henry R, Caillier S, Santaniello A; University of California San Francisco MS-EPIC Team; German Competence Network Multiple Sclerosis (KKNMS); Seipelt M, Heesen C, Nischwitz S, Bayas A, Tumani H, Then Bergh F, Meyer Zu Hörste G, Kümpfel T, Gross CC, Wildemann B, Kerschensteiner M, Gold R, Meuth SG, Zipp F, Cree BAC, Oksenberg J, Wilson MR, Hauser SL, Zamvil SS, Klotz L, Liblau R, Robins H, Sabatino JJ Jr, Wiendl H, Schwab N. HLA-A∗03:01 as predictive genetic biomarker for glatiramer acetate treatment response in multiple sclerosis: a retrospective cohort analysis. EBioMedicine. 2025 Jul 31;118:105873. https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2025.105873

Diese Gehirnprozesse und das Erinnerungsvermõgen

Ein Forschungs-Team des Universitätsklinikums Bonn (UKB), der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Freiburg hat neue Erkenntnisse über die Gehirnprozesse gewonnen, die sich beim Speichern und Abrufen neuer Gedächtnisinhalte abspielen. 

Die Studie basiert auf der Messung einzelner Nervenzellen bei von Epilepsie betroffenen Personen und zeigt, wie diese einem inneren Rhythmus folgen. Die Arbeit ist jetzt in dem Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht.

„Ähnlich wie die Mitglieder in einem Orchester, die sich an einem gemeinsamen Takt orientieren, ist die Aktivität der Nervenzellen offenbar mit elektrischen Schwingungen – ein- bis zehnmal pro Sekunde – im Gehirn verknüpft. Dabei feuern die Zellen bevorzugt zu bestimmten Zeitpunkten innerhalb dieser Hirnwellen, ein Phänomen namens Theta-Phasenbindung“, sagt Erstautor und Postdoktorand der Universität Bonn Dr. Tim Guth, der kürzlich vom Universitätsklinikum Freiburg zur Arbeitsgruppe „Kognitive und Translationale Neurowissenschaften“ am UKB gewechselt ist.

Das Forschungsteam um Tim Guth und Lukas Kunz fand heraus, dass das Zusammenspiel von Nervenzellen und Hirnwellen sowohl beim Merken als auch beim Erinnern neuer Informationen aktiv ist – und zwar im medialen Schläfenlappen, einem zentralen Bereich für das menschliche Gedächtnis. In der durchgeführten Studie zum räumlichen Gedächtnis war die Stärke der Theta-Phasenbindung der Nervenzellen während der Gedächtnisbildung jedoch unabhängig davon, ob sich die Testpersonen später korrekt an die Gedächtnisinhalte erinnern konnten oder nicht.

 „Dies legt nahe, dass die Theta-Phasenbindung zwar ein generelles Phänomen des menschlichen Gedächtnissystems ist, jedoch nicht allein über das erfolgreiche Erinnern entscheidet“, sagt Korrespondenzautor Prof. Dr. Lukas Kunz, Leiter der Arbeitsgruppe „Kognitive und Translationale Neurowissenschaften“ an der Klinik für Epileptologie am UKB und Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn.

Interaktion von Nervenzellen und elektrischen Signalen

Während die meisten Nervenzellen immer um den gleichen Schwingungszeitpunkt feuerten, wechselten manche Nervenzellen spannenderweise ihren bevorzugten Taktzeitpunkt zwischen Lernen und Erinnern.

 „Dies unterstützt die Theorie, dass unser Gehirn Lern- und Abrufprozesse innerhalb einer Hirnwelle voneinander trennen kann, ähnlich wie Mitglieder eines Orchesters, die zu verschiedenen Taktzeitpunkten eines Musikstücks einsetzen“, sagt Guth.

 Die Studie liefert neue Hinweise darauf, wie Nervenzellen und elektrische Signale im Gehirn zusammenwirken, während sich neue Erinnerungen formen. Prof. Kunz zieht folgendes Fazit: „Ein besseres Verständnis dieser Prozesse könnte langfristig dabei helfen, Gedächtnisstörungen besser zu verstehen und gezielter zu behandeln.“

Das Forschungsteam konnte das Zusammenspiel von Nervenzellen und Hirnwellen während des Gedächtnisprozesses im Rahmen der Studie beobachten, indem es eine Besonderheit der Therapie von Epilepsie nutzte. Menschen mit besonders schwer behandelbarer Epilepsie werden zur Diagnostik Elektroden im Gehirn implantiert. Damit soll der Ursprung der epileptischen Anfälle genau bestimmt werden, um bessere chirurgische Ergebnisse zu erzielen. Unter Verwendung dieser implantierten Elektroden kann aber auch die menschliche Gehirnaktivität von einzelnen Zellen aufgezeichnet werden. Die Forschenden nutzten Messungen, die am Universitätsklinikum Freiburg durchgeführt wurden, und danken allen Betroffenen, die an dieser Studie teilgenommen haben.

Beteiligte Institutionen und Förderung:
Neben dem Universitätsklinikum Bonn (UKB), der Universität Bonn und dem Universitätsklinikum Freiburg war die Columbia University (New York, USA) beteiligt. Die Forschungsarbeiten wurden durch das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR), die US-amerikanische Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH), die US-amerikanische National Science Foundation (NSF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie durch das Rückkehrprogramm des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.

MaAB - Medizin am Abend Berlin Fortbildungen VOR ORT


Dr. Tim Guth
Postdoktorand der Universität Bonn
Arbeitsgruppe „Kognitive und Translationale Neurowissenschaften“
Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn
E-Mail: Tim.Guth@ukbonn.de

Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Lukas Kunz
Arbeitsgruppenleiter „Kognitive und Translationale Neurowissenschaften“
Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn (UKB)
TRA „Life & Health“, Universität Bonn
E-Mail: Lukas.kunz@ukbonn.de

Originalpublikation:
Guth et al.: Theta-phase locking of single neurons during human spatial memory; Nature Communications; DOI: 10.1038/s41467-025-62553-9

Der Floh, Die Füchse und Fuchsbauten, Die Haustiere

In Berlin wurden in letzter Zeit mehrere Fälle von Flohbefall gemeldet, bei denen ein Zusammenhang mit Fuchsbauen vermutet wird. Einige Floharten können sowohl Wildtiere wie Füchse als auch Menschen befallen. In Gebieten, in denen Füchse ihre Baue anlegen, kann es zu einer Übertragung auf den Menschen kommen. In Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt und dem Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut (SDEI) wurde am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) eine Taskforce eingerichtet, um die Verbreitung der Flöhe von Wildtieren auf Menschen besser zu verstehen und Strategien zur Eindämmung zu entwickeln


Die Taskforce besteht aus Biolog:innen, Wildtierärzt:innen und Berater:innen des Leibniz-IZW und arbeitet eng mit der Berliner Senatsverwaltung zusammen. Sie erstellt Infoblätter und steht zuständigen Stellen und Privatpersonen beratend zur Seite. Ziel ist es, Informationslücken zu schließen und eine Strategie zur Eindämmung der Flohfälle zu entwickeln, die im Einklang mit Tier- und Artenschutz steht. Ein Informationsblatt für Berliner Bürgerinnen und Bürger kann hier heruntergeladen werden:

https://hidrive.ionos.com/share/xrryxnwg-j

Die Taskforce steht für Presseanfragen zur Verfügung und kann unter anderem zu folgenden Fragen und Themen Auskunft geben:

Was ist bisher zu den Fällen von Flohbefall in Berlin bekannt?

Es sind bislang mindestens sieben Fälle von starkem Flohbefall in der Umgebung von Fuchsbauen in verschiedenen Berliner Bezirken bekannt geworden. Diese Fälle konzentrieren sich bislang auf den Westen und Südwesten der Stadt sowie auf Berlin-Mitte, es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Problem auch in anderen Stadtteilen besteht. Bei einem Teil der Fälle wies das SDEI die Flohart Pulex irritans nach, die als „Menschenfloh“ bekannt ist, aber auch Wild- und Haustiere befallen kann. Das Leibniz-IZW erarbeitet gemeinsam mit der Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt Strategien zur Eindämmung.

Welche Rolle spielen Füchse bei der Übertragung von Flöhen?

Flöhe haben bevorzugte Wirte, befallen aber bei Gelegenheit auch andere Tierarten. Es ist bekannt, dass der sogenannte „Menschenfloh“ Pulex irritans auch Hauskatzen, Hunde oder Füchse befallen und auf diesen Wirten überleben kann. In Berlin leben viele Füchse nahe am Menschen, z.B. neben Schulhöfen oder in Parks und Gärten, was den Übersprung der Flöhe vereinfacht. Die Anwesenheit von Wildtieren wie dem Fuchs kann die Ausbreitung der Flöhe zwar befördern, gleichzeitig kann der Befall durch eine tiermedizinische Behandlung der Füchse mit Anti-Flohmitteln eingedämmt werden. Deren gezielter Einsatz wird am Leibniz-IZW anhand konkreter Anwendungsfälle fachgerecht erprobt.

Wie kann die Flohbehandlung von Wildtieren wie Füchsen erfolgen?

Grundsätzlich gibt es zwei Wege der Verabreichung von Anti-Flohmitteln, entweder per Injektion oder über Futterköder. Da es praktisch kaum möglich ist, Wildtiere stressfrei einzufangen und zu behandeln, empfiehlt sich der Einsatz spezieller Futterköder. Nach Verzehr ist der Fuchs je nach Präparat mehrere Monate lang geschützt, da alle Flöhe, die ihn stechen, binnen kurzer Zeit sterben. Damit ist nicht nur dem Tier selbst geholfen, sondern auch die Flohausbreitung unterbrochen. Der gezielte Einsatz dieser Köder bei Füchsen wird derzeit am Leibniz-IZW wissenschaftlich begleitet.

Was bringt eine Vergrämung oder ein Abschuss von Füchsen?

Kurz gesagt: kaum Nutzen oder möglicherweise negative Effekte. Wird ein Fuchs vergrämt, besteht das Risiko, dass er vorhandene Flöhe in ein neues Gebiet mitnimmt, was die weitere Ausbreitung der Flöhe begünstigt und zur Vergrößerung des Problems beiträgt. Die am ursprünglichen Standort zurückbleibenden Flöhe hingegen suchen sich neue Wirte, etwa andere Wildtiere, Haustiere oder Menschen, was die lokale Befallsrate sogar noch erhöhen kann. Zudem können die Flöhe an diesem Ort nicht mehr durch eine Anti-Flohbehandlung des befallenen Fuchses bekämpft werden. Gleiches gilt für das Abschießen des Fuchses, welches sich ebenfalls kontraproduktiv auswirken kann, da auch diese Füchse nicht mehr bei der Flohbekämpfung unterstützen können, ihre freigewordenen Reviere aber von neuen, möglicherweise befallenen Füchsen wiederbesiedelt werden.

Was können betroffene Berlinerinnen und Berliner tun?

Betroffene können ihren Fall von Montag bis Freitag zwischen 10 und 12 Uhr über das Beratungstelefon unter 030/5168686 melden. Außerhalb der telefonischen Sprechzeiten können Anliegen auch per E-Mail an fuchs-floh@izw-berlin.de gemeldet werden. Für jeden gemeldeten Fall werden genaue Angaben dazu benötigt, wann und wo der Flohbefall festgestellt wurde und ob ein Zusammenhang mit einem Fuchsbau vermutet wird. Da noch zu wenig über die verschiedenen Arten von Flöhen, deren Verbreitung in Berlin sowie mögliche Übertragungs-Zusammenhänge mit Fuchsbauten und regionalen Häufungsschwerpunkten bekannt ist, ist es eine große Hilfe, wenn bei Flohbefall einige Exemplare zur Bestimmung an das SDEI eingeschickt werden. Eine Anleitung und die Adresse dafür findet sich auf dem Infoflyer: https://hidrive.ionos.com/share/xrryxnwg-j

Was müssen Berlinerinnen und Berliner mit Haustieren beachten?

Hunde und Katzen sind ebenfalls typische Wirte von Flöhen und damit typische Nebenwirte von Menschenflöhen. Sie sollten auf jeden Fall regelmäßig mit zugelassenen Präparaten gegen Flöhe behandelt werden. Tritt dennoch ein Befall auf, zum Beispiel im eigenen Garten oder in der näheren Umgebung, empfiehlt es sich, den Freigang der Haustiere zeitweise einzuschränken.

Wie arrangieren sich Füchse in einer Großstadt wie Berlin?

Füchse übernehmen wichtige ökologische Aufgaben und haben sich hervorragend an das urbane Leben angepasst. Stadtfüchse nutzen Rückzugsräume wie Bahndämme, Hecken, Kleingärten oder Brachen. Ihre Streifgebiete sind kleiner als im ländlichen Raum, da Nahrung im Überfluss vorhanden ist. Meist sind sie dämmerungs- oder nachtaktiv, um den Kontakt mit Menschen zu vermeiden. Die Anwesenheit von Füchsen zeigt, dass eine Stadt noch funktionsfähige ökologische Nischen bieten kann. Füchse jagen Mäuse, Ratten und Kaninchen, die sich in Städten leicht vermehren. Auch Aas (z.B. durch überfahrende Tiere) und Nahrungsreste werden von ihnen verwertet, was zur Sauberkeit im Stadtgebiet beiträgt. Sie tragen so zur natürlichen biologischen Schädlingsregulierung bei.

Wie können wir uns den Lebensraum Stadt mit Füchsen auf gesunde Art teilen?

Füchse können wie alle Wildtiere Parasiten wie Flöhe, Milben oder Bandwürmer übertragen. Derzeit gibt es keinen Nachweis des Fuchsbandwurms in Berlin. Dennoch ist es wichtig, Haustiere regelmäßig zu entwurmen und auf Parasiten zu kontrollieren. Direkten Kontakt mit Fuchsbauen oder Kot von Wildtieren sollten Menschen und Haustiere generell vermeiden. Offene Nahrungsquellen locken Wildtiere wie Füchse an, dadurch verlieren sie ihre natürliche Scheu und halten sich häufiger in Wohngebieten auf. Essensreste und Biomüll sollten daher stets sicher verwahrt werden, beispielsweise in geschlossenen Mülleimern oder gesicherten Komposthaufen. Das Füttern von Wildtieren gewöhnt diese an die Nähe zum Menschen und sollte daher grundsätzlich unterbleiben! Es erhöht das Konfliktrisiko und fördert schlussendlich das Risiko für die Übertragung von Krankheitserregern oder Parasiten.
Von März bis Juni bekommen Füchse Nachwuchs und ziehen ihn auf. Fuchsbaue, die Wurf- und Aufzuchtstätten für den Fuchsnachwuchs, sind in dieser Zeit rechtlich besonders geschützt. Um eine Ansiedlung von Füchsen in direkter Menschennähe zu vermeiden, können zur Vorbeugung potenzielle Bauplätze wie Hohlräume unter Schuppen oder Terrassen bereits vor der Reproduktionszeit baulich gesichert werden. In Gebieten, in denen Füchse regelmäßig gesichtet werden und Fuchsbaue bekannt sind, kann eine Absperrung der Fläche rund um den Bau dabei helfen, eine potenzielle Übertragung von Flöhen auf Menschen zu vermeiden.
Nicht zuletzt ist es im Rahmen der Stadtentwicklung wichtig, für ein gutes Zusammenleben von Menschen und Wildtieren wie dem Fuchs naturnahe Rückzugsräume zu erhalten, zum Beispiel Brachen, Hecken oder Böschungen.

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Silke Voigt-Heucke
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Koordinatorin der Taskforce Fuchs & Floh im Leibniz-IZW
Telefon: +49(0)30 5168449 oder +49(0)1511 2805901
E-Mail: voigt-heucke@izw-berlin.de

Tuberculose Nachweis Test


In vielen Teilen Europas ist Tuberkulose selten, doch für Menschen mit geschwächtem Immunsystem - etwa nach Organtransplantation oder bei einer HIV-Infektion - kann diese bakterielle Infektion nach wie vor sehr gefährlich sein. Standard zur Diagnose ist oft der „QuantiFERON-TB-Gold-Plus“-Test, der bei immungeschwächten Patienten allein jedoch nur geringe Aussagekraft hat. Das zeigte nun eine im Fachjournal The Lancet Regional Health – Europe veröffentlichte Studie aus elf Ländern, die von Martina Sester, Professorin für Immunologie an der Universität des Saarlandes und Christoph Lange, Medizinischer Direktor am Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum geleitet wurde.

Die „Schwindsucht“, wie die Tuberkulose im Volksmund genannt wurde, war lange Zeit eine der tödlichsten Krankheiten. Erst nach der Entdeckung seines Erregers, des Mycobacterium tuberculosis, durch Robert Koch 1882, konnte man die Erkrankung durch neue Antibiotika wirksam bekämpfen. In der westlichen Welt ist Tuberkulose heute kein großes Problem mehr, obwohl weltweit geschätzt 25 Prozent aller Menschen den Erreger in sich tragen. In den meisten Fällen bleibt er aber inaktiv, und entwickelt sich in seltenen Fällen dennoch eine aktive Tuberkulose, kann diese meist wirksam medikamentös bekämpft werden.

Problematisch hingegen kann eine Tuberkulose für immungeschwächte Menschen, zum Beispiel nach einer Organtransplantation oder bei HIV-Infizierten, werden. „Bei immungeschwächten Patienten kann sich das Bakterium sehr viel besser vermehren“, gibt Martina Sester zu bedenken. Für Menschen mit geschwächtem Immunsystem ist es daher besonders wichtig zu wissen, ob bei ihnen möglicherweise eine aktive Tuberkulose droht. Die Professorin für Immunologie hat daher gemeinsam mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen bei Menschen aus elf europäischen Ländern untersucht, wie aussagekräftig der heutige „Goldstandard“ der Tuberkulose-Tests speziell bei der Gruppe von Immungeschwächten ist.

Der „QuantiFERON-TB-Gold-Plus“-Test, kurz QFT+, ist heutzutage häufig das Mittel der Wahl, wenn Mediziner feststellen möchten, ob jemand den Erreger in sich trägt oder gar eine aktive Tuberkulose hat. „Dieser Test ist ein indirekter Test, das heißt, er misst, ob es im Körper bereits eine Immunantwort auf den Erreger gegeben hat oder nicht“, erklärt Martina Sester das Wirkprinzip. 

Er weist also nicht den Erreger selbst nach, sondern die Reaktion des Immunsystems auf diesen. 

Ist das Immunsystem nun geschwächt, sei es gezielt, um die Abstoßung eines Spenderorgans zu verhindern, oder durch einen das Immunsystem schwächenden Erreger wie HIV, fällt auch die Immunantwort auf den Tuberkulose-Erreger schwächer aus.

 „Der QFT+-Test kann dann also häufiger falsch negativ ausfallen“, schlussfolgert Martina Sester.

In ihrer groß angelegten Studie haben sie und ihre Kolleginnen und Kollegen von 2015 bis 2019 bei über 2600 Patientinnen und Patienten untersucht, wie aussagekräftig der QFT+-Test zum Nachweis einer Infektion mit Mykobakterien und einer Tuberkuloseerkrankung ist. Zudem wurde durch Nachbeobachtung verfolgt, wie gut der Test zur Beurteilung des Risikos, eine Tuberkulose zu entwickeln, geeignet ist. 1788 Menschen stammten dabei aus einer von fünf Gruppen, deren Immunsystem geschwächt war: Menschen mit Organtransplantation, mit Stammzelltransplantation, mit rheumatoider Arthritis, chronischer Niereninsuffizienz oder einer HIV-Infektion. 861 weitere, immungesunde Personen dienten als Kontrollgruppe. Die Patienten wurden an 21 medizinischen Zentren in elf europäischen Ländern behandelt. „Damit ist diese Studie die größte multizentrische Studie dieser Art, die bisher durchgeführt wurde“, so Martina Sester.

„Es hat sich gezeigt, dass der QFT+-Test nicht aussagekräftig genug ist, um ihn für die Diagnose der aktiven Erkrankung alleine einzusetzen. Außerdem ist die Vorhersagekraft des Tests für eine zukünftige Erkrankung sehr gering“, erklärt Martina Sester. Denn auch nach zwei Jahren gab es weder bei den positiv noch bei den negativ getesteten Personen eine aktive Tuberkulose-Erkrankung – selbst dann nicht, wenn der QFT+-Test positiv war und keine vorbeugende Therapie erfolgte. „Lediglich einige HIV-positive Personen entwickelten in Einzelfällen aktive Tuberkulose“, nennt Martina Sester die einzige Ausnahme von dieser Beobachtung.

„Für die Diagnose der Tuberkulose gibt es bessere Tests, als den QFT+-Test. Dieser erfüllt nicht die Anforderungen, welche die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an einen Tuberkulosetest stellt“, so das Fazit von Christoph Lange. „Der QFT+-Test reicht auch nicht aus, um das individuelle Risiko einer Tuberkulose in Niedriginzidenz-Ländern zuverlässig vorherzusagen. Künftig sollten zusätzliche Risikofaktoren – wie HIV-Status, Immunlage und Herkunft – stärker in die Entscheidung für eine präventive Behandlung einfließen.“

Die Studie ist im Rahmen des Forschungsnetzwerks zur Tuberkuloseforschung TBnet entstanden. Dabei handelt es sich um ein europaweites Netzwerk von Ärztinnen und Ärzten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, dass sich der klinischen Forschung, Ausbildung und Vernetzung im Bereich Tuberkulose widmet. Gegründet 2006, umfasst TBnet mehr als 500 Mitglieder aus über 70 Ländern. Ziel ist die Verbesserung von Diagnostik, Therapie und Prävention der Tuberkulose, insbesondere bei multiresistenten Formen. TBnet organisiert multizentrische Studien, entwickelt konsensbasierte Leitlinien und fördert Nachwuchskräfte durch Kurse, Akademien und Stipendien. TBnet arbeitet eng mit europäischen und internationalen Partnern wie der WHO und dem DZIF zusammen. Neben wissenschaftlicher Arbeit legt TBnet großen Wert auf Wissenstransfer und regelmäßigen Austausch – etwa bei jährlichen Symposien oder Webinaren. Durch Forschung, Ausbildung und Vernetzung trägt TBnet wesentlich zur besseren Versorgung und Bekämpfung von Tuberkulose in Europa und darüber hinaus bei.
https://www.tbnet.eu/

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Martina Sester
Universität des Saarlandes
Tel.: (06841) 1623557
E-Mail: martina.sester@uks.eu

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Lange
Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum
E-Mail: clange@fz-borstel.de

Originalpublikation:
Sester, M., Altet-Gomez, N., Andersen, Å.B., Arias-Guillén, M., Avsar, K., Bakken Kran, A.-M., Bothamley, G., Nordholm Breschel, A.C., Brown, J., Chesov, D., Ciobanu, N., Cirillo, D.M., Crudu, V., de Souza Galvao, M., Dilektasli, A.G., Dominguez, J., Duarte, R., Dyrhol-Riise, A.M., Goletti, D., Hoffmann, H., Ibraim, E., Kalsdorf, B., Krawczyk, M., Kunst, H., Lange, B., Lipman, M., Matteelli, A., Milkiewicz, P., Neyer, D., Nitschke, M., Oral, H.B., Palacios-Gutiérrez, J.J., Petruccioli, E., Raszeja-Wyszomirska, J., Ravn, P., Rupp, J., Spohn, H.-E., Toader, C., Villar-Hernandez, R., Wagner, D., van Leth, F., Martinez, L., Pedersen, O.S., and Lange, C. Diagnostic accuracy and predictive value of the QuantiFERON-TB gold plus assay for tuberculosis in immunocompromised individuals: a prospective TBnet study. The Lancet Regional Health - Europe 2025; 57:101416.
DOI: https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2025.101416

Herzinfarkt Therapie mit Patch

Ein neuartiges, gewebeverstärktes Patch könnte defekte Stellen im Herzen nicht nur wie bis anhin verschliessen, sondern heilen. Ein interdisziplinäres Team unter Leitung der ETH Zürich hat das Pflaster erfolgreich in Tieren implantiert.

Nach einem Herzinfarkt ist der Blutfluss zum Herzen unterbrochen, und der dadurch verursachte Sauerstoffmangel kann Schäden am Herzmuskel auslösen. 

In schweren Fällen kann dies zu einem Riss in der Herzwand führen, was einen sofortigen chirurgischen Eingriff erfordert. Heute werden solche Herzdefekte mit Pflastern aus Rinderherzbeuteln geschlossen, weil sie stabil, durchlässig und leicht zu implantieren sind.

Nun hat ein interdisziplinäres Forschungsteam der ETH Zürich und des Universitätsspitals Zürich unter Leitung von Professor Robert Katzschmann und Professor Omer Dzemali ein neuartiges, dreidimensionales Herzpflaster entwickelt. Dieses haben sie soeben im Fachmagazin Advanced Materials vorgestellt.

Nicht nur verschliessen, sondern heilen

Die derzeit verwendeten Rinderperikardpatches, kurz BPPs, haben erhebliche Nachteile: 

Sie sind biologisch inaktiv. Das heisst, sie bleiben als Fremdkörper im Herzen und können nicht abgebaut werden. 

Ausserdem können sie unerwünschte Reaktionen wie Verkalkung, Thrombosen oder Entzündungen hervorrufen. «Bisherige Herzpflaster integrieren sich nicht in das Gewebe und bleiben dauerhaft im Körper. Mit unserem Patch wollten wir dieses Problem lösen und ein Pflaster schaffen, das sich in das bestehende Herzgewebe integriert», erklärt Lewis Jones, Erstautor der Studie.

Der sogenannte ‘RCPatch’ (Reinforced Cardiac Patch) könnte langfristig eine Alternative zu herkömmlichen Patches aus Rinderperikard werden: «Unser Ziel war es, ein Pflaster zu entwickeln, das einen Defekt nicht nur verschliesst, sondern dazu beiträgt, diesen ganz zu beheben», erklärt Katzschmann.

Ein Patch, drei Komponenten

Der neuartige RCPatch hat erhebliche Vorteile gegenüber dem Rinderperikard, da er aus drei Teilen besteht: einem feinmaschigen Netz, das den Schaden abdichtet, einem 3D-gedruckten Gerüst für Stabilität und einem Hydrogel, das mit Herzmuskelzellen besiedelt ist. Das Stützgerüst kann man sich als eine verwinkelte Gitterstruktur vorstellen, die aus abbaubaren Polymeren besteht. Die Forschenden können diese im 3D-Drucker produzieren. «Das Gerüst ist stabil genug und bietet uns gleichzeitig die Möglichkeit, es mit einem Hydrogel mit lebenden Zellen zu füllen», erklärt Jones.

Um die Gitterstruktur im Herzen gut anbringen zu können, haben die ETH-Forschenden diese mit einem dünnen Netz kombiniert. Auch dieses Netz haben Katzschmann und sein Team mit dem gleichen Hydrogel angereichert. Dadurch kann sich der RCPatch vollständig in das umliegende Gewebe integrieren und mit den Herzmuskelzellen verwachsen. «Der grosse Vorteil besteht darin, dass sich das Stützgerüst vollständig auflöst, nachdem die Zellen sich mit dem Gewebe verbunden haben. Es bleibt also kein Fremdkörper mehr übrig», erläutert Jones.

Erste Tests am Herzen

Ein erster Tierversuch zeigte, dass sich das Pflaster gut implantieren lässt, und dem hohen Druck im Herzen standhält. Den Forschenden ist es dabei gelungen, Blutungen zu verhindern und die Herzfunktion wiederherzustellen. In präklinischen Tests an Schweinemodellen konnte der RCPatch einen künstlich erzeugten Defekt in der linken Herzkammer erfolgreich verschliessen. 

«Wir konnten zeigen, dass sich der Patch gut entwickelt und die Struktur selbst unter echtem Blutdruck standhält», so Katzschmann.

Damit schafft die Forschungsgruppe eine vielversprechende Grundlage, um ein implantierbares, mechanisch verstärktes und gewebebasiertes Herzpflaster für Menschen zu entwickeln. Langfristig soll der RCPatch bei Myokardschäden eingesetzt werden, mit dem Ziel, den Defekt nicht nur zu reparieren, sondern das Gewebe zu regenerieren und damit das Herz zu heilen. In den nächsten Schritten wollen die Forschenden das Material weiterentwickeln und seine Stabilität in länger dauernden Tierstudien untersuchen.

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Lewis Jones, ETH Zürich, ljones@ethz.ch

Originalpublikation:
Lewis S. Jones et al. Volumetric 3D Printing and Melt-Electrowriting to Fabricate Implantable Reinforced Cardiac Tissue Patches, Advanced Materials. DOI: 10.1002/adma.202504765

Erschoepfung

Ergebnis der reCOVer-Studie: Medikament BC007 lindert Erschöpfung

Ein interdisziplinäres Forschungsteam um Funktionsoberärztin PD Dr. Dr. Bettina Hohberger von der Augenklinik (Direktor: Prof. Dr. Friedrich E. Kruse) des Uniklinikums Erlangen fand im Rahmen der klinischen randomisierten Medikamentenstudie „reCOVer“ heraus: 

Das Medikament Rovunaptabin, besser bekannt als BC007, kann bei bestimmten Long-COVID-Betroffenen die mit der Krankheit verbundene belastende Erschöpfung (Fatigue) deutlich lindern und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern. 

Die Ergebnisse wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „eClinicalMedicine“, herausgegeben von „The Lancet“, veröffentlicht.

Die reCOVer-Studie untersuchte ab Herbst 2023 insgesamt 30 Patientinnen und Patienten mit Long COVID, auch Post-COVID-Syndrom genannt, die auch Monate nach einer Coronainfektion noch unter typischen Langzeitfolgen litten – vor allem unter starker körperlicher und geistiger Erschöpfung. Gemeinsam war ihnen, dass sie bestimmte Autoantikörper im Blut aufwiesen, die dazu in der Lage sein können, Körperzellen fehlzusteuern.

Gezielte Behandlung gegen Autoantikörper::

Im Rahmen der reCOVer-Studie erhielten die Teilnehmenden zuerst entweder das Medikament BC007 oder ein Placebo. Nach einigen Wochen wurde die Therapie gewechselt, sodass jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer die Möglichkeit bekam, BC007 zu erhalten. Das Medikament neutralisiert jene funktionellen Autoantikörper, die sich gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR-fAAbs) richten und die im Verdacht stehen, die Beschwerden bei Long COVID mitzuverursachen.

Studienleiterin Dr. Hohberger sagt: „Die Ergebnisse sind vielversprechend: Wir haben gesehen, dass die speziellen Autoantikörper nach der BC007-Therapie verschwanden. Die Erschöpfungssymptome nahmen nicht nur statistisch, sondern für die Patientinnen und Patienten auch spürbar ab. Die Lebensqualität verbesserte sich messbar.“ BC007 wurde insgesamt von allen Probandinnen und Probanden gut vertragen. „Unsere Studie liefert erste Hinweise auf eine ursächliche Therapie für eine bestimmte Gruppe von Long-COVID-Patientinnen und -Patienten“, so Bettina Hohberger weiter. „Das macht Hoffnung – für Betroffene, deren Alltag bislang massiv eingeschränkt ist und für die es bisher keine gezielte ursächliche Behandlung gab. Eine individuelle Diagnostik ist künftig entscheidend, um geeignete Zielgruppen für die Therapie präzise zu identifizieren.“

Die reCOVer-Studie wurde vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. An dem Forschungsprojekt waren ebenfalls Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ärztinnen und Ärzte der Medizinischen Klinik 1 – Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie (Direktor: Prof. Dr. Markus F. Neurath), der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie (Direktor: Prof. Dr. med. univ. Georg Schett), des Virologischen Instituts – Klinische und Molekulare Virologie (Direktor: Prof. Dr. Klaus Überla), der Medizinischen Klinik 2 – Kardiologie und Angiologie (Direktor: Prof. Dr. Stephan Achenbach) und des Center for Clinical Studies (Leiterin: Dr. Stefanie Maas) des Uniklinikums Erlangen beteiligt.

Direkt zur Originalstudie: https://www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(25)00290-1/fullt...

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PD Dr. Dr. Bettina Hohberger
Augenklinik des Uniklinikums Erlangen
Tel.: 09131/85-33001
recover.au@uk-erlangen.de


PD Dr. Dr. Bettina Hohberger
Augenklinik des Uniklinikums Erlangen
Tel.: 09131/85-33001
recover.au@uk-erlangen.de

Originalpublikation:
https://www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(25)00290-1/fullt...

Die Einsamkeit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat erstmals einen Bericht über Einsamkeit und ihre Folgen herausgegeben. Demnach birgt der tief empfundene, unfreiwillige Kontaktmangel unter anderem erhebliche Risiken für die Gesundheit. „Das Thema Einsamkeit und seine Folgen wird in Deutschland über die Generationen hinweg noch unterschätzt“, ist Dr. Alexia Zurkuhlen, Vorstandsvorsitzende des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), sicher. Sie fordert, das mögliche Vorliegen von Einsamkeit bei der Prävention stärker zu berücksichtigen.

Laut WHO ist Einsamkeit für nahezu 880 000 Todesfälle pro Jahr weltweit verantwortlich. „Das Thema Einsamkeit und seine Folgen wird in Deutschland über die Generationen hinweg noch unterschätzt“, ist Dr. Alexia Zurkuhlen, Vorstandsvorsitzende des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), sicher. Während und nach Corona seien junge Leute und ältere Menschen - letztere insbesondere in Pflegeeinrichtungen - in den Fokus gekommen. Der aktuelle Deutsche Alterssurvey zeige aber, so Zurkuhlen, dass sich Menschen in der Lebensmitte einsamer fühlen als Menschen im Rentenalter.

„Dieses Ergebnis mag erst einmal überraschen“, sagte Zurkuhlen. „Es muss uns aber alarmieren. Wir sollten frühzeitig gegensteuern“, forderte sie mit Blick auf die Folgen, die Einsamkeit unter anderem für die Gesundheit haben kann. „Wir müssen mit dem Thema viel offensiver umgehen und Einsamkeit auch in der Prävention stärker mitdenken“, forderte die KDA-Vorständin. Hier sollten Kontaktstellen wie Praxen, Apotheken, Gesundheits- und Sozialämter, lokale Beratungsstellen sowie Vereine eingebunden werden. „Ein guter Ansatz bietet sich etwa, wenn jemand Freude am ehrenamtlichen Engagement hat“, so Zurkuhlen. Manchmal müsse man auf Möglichkeiten hingewiesen werden, konkrete Zugangsmöglichkeiten sollten aufgezeigt werden.

Viele Menschen im mittleren Alter fühlen sich einsam

Etwa jede elfte befragte Person ab 43 Jahren fühlte sich „sehr einsam“. Dabei fühlen sich die ab 76-Jährigen durchschnittlich weniger einsam als die Gruppe der 43- bis 55-Jährigen. Neben Alter und Geschlecht spielt der sozio-ökonomische Status – abgebildet über Einkommen und Erwerbsstatus - eine wichtige Rolle. Das ist das Ergebnis einer Auswertung des Deutschen Alterssurveys, die das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zum Thema Einsamkeit vorgenommen hat.

Der Druck, unter dem die „Sandwich-Generation“ zwischen Kindererziehung, familiären Verpflichtungen, beruflichem Anspruch, Engagement und in nicht wenigen Fällen der Pflege eines Angehörigen oder Freundes stehe, könne leicht zu einem Gefühl von „einsamem Funktionieren“ führen, gab Zurkuhlen zu bedenken. Das gelte ganz besonders für alleinerziehende Elternteile und Personen, die neben dem Beruf eine private Pflegeverantwortung haben. Auch die WHO-Studie nennt diese Gruppen ausdrücklich. „Hier liefern unsere Projekte unmissverständlich die Erkenntnis, dass die Betreuung eines An- oder Zugehörigen zwar oft selbstverständlich ist, aber tatsächlich auch sehr einsam machen kann, unabhängig vom eigenen Alter“, bestätigte die KDA-Vorständin.

Einsamkeitsfallen aufbrechen

Wichtig ist Zurkuhlen, klarzustellen, dass Einsamkeit nicht Alleinsein meint. Einsamkeit beschreibe vielmehr ein individuelles Empfinden und Erleben. Während das Alleinsein durchaus als Pause vom Alltagstrubel propagiert werde, unterliege Einsamkeit „weitgehend einem gesellschaftlichen Tabu“, so Zurkuhlen. „Dies müssen wir aufbrechen und offensiv sowie präventiv Einsamkeitsfallen angehen“, forderte Zurkuhlen. Das subjektive Erleben von Einsamkeit sei eine „existenzielle und schmerzvolle Erfahrung“ mit vielfältigen Auswirkungen auf Psyche und Körper, aber auch auf das Verhalten im sozialen Umfeld.

Die Wissenschaftler der WHO haben für den Einsamkeits-Report weltweit Studien ausgewertet. Allein zu sein, ist demnach mit einem etwa 30 Prozent erhöhtem Risiko für einen vorzeitigen Tod verbunden, wobei allerdings die Daten vor allem aus wohlhabenden Staaten stammen. Ebenfalls um bis zu 30 Prozent steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Gefahr eines kognitiven Abbaus im Alter sei bei den Betroffenen um etwa 15 Prozent erhöht - bei der Alzheimererkrankung kann die Wahrscheinlichkeit sogar um bis zu 70 Prozent ansteigen. Auch ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und psychischen Leiden wie Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen und Suizidalität wird gesehen.

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Dr. Alexia Zurkuhlen, Vorstandsvorsitzende des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA): info@kda.de

Bakterienbefall bei Menschen mit Leberzirrhose

Forschungsverbund INDIVO sucht Wege zur genaueren Diagnose und gezielter Behandlung von Bakterienbefall bei Menschen mit Leberzirrhose.

Leberzirrhose ist die vierthäufigste Todesursache in Europa, Tendenz steigend. Dabei wird das Lebergewebe zerstört und durch funktionsloses Bindegewebe ersetzt. Durch den Umbau verhärtet die Leber, vernarbt und kann ihre Aufgabe als zentrales Stoffwechsel- und Entgiftungsorgan nicht mehr wahrnehmen. Ein ganz besonderes Problem sind Infektionen. Betroffene mit Leberzirrhose leiden an einer komplexen Störung des Immunsystems, die sogenannte Zirrhose-assoziierte Immundysfunktion (cirrhosis-associated immune dysfunction, CAID). Aufgrund von CAID haben sie ein etwa siebenfach höheres Risiko, an bakteriellen Infektionen zu erkranken und zu versterben. Zwar helfen Antibiotika, doch ihr Einsatz wird zunehmend schwierig, da immer mehr multiresistente Keime im Umlauf sind. Für eine gezielte Antibiotika-Gabe ist es wichtig zu wissen, welches Bakterium konkret für die jeweilige Infektion verantwortlich ist. Doch die herkömmlichen Methoden für einen Erregernachweis sind zeitaufwändig und häufig nicht sensitiv genug, weshalb nicht selten Breitband-Antibiotika verwendet werden, welche die Ausbreitung von Resistenzen weiter fördern.

Ein Forschungsteam um Professor Dr. Benjamin Maasoumy, Leitender Oberarzt an der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), sucht nun mit KI-basierten Analysemethoden neue Wege für eine genauere Diagnose und eine personalisierte Behandlung, die exakt auf das individuelle Infektionsrisiko des Patienten und den Schweregrad der Infektion zugeschnitten ist. Das Projekt „INDIVO“ wird im Rahmen des Förderprogramms zum Ausbau der personalisierten Medizin vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung über fünf Jahre mit rund drei Millionen Euro unterstützt.

Darmbakterien häufigste Infektionsquelle

Die genauen Mechanismen der CAID sind zwar noch nicht vollständig geklärt. Verschiedene Faktoren spielen jedoch offenbar eine Schlüsselrolle, etwa Bluthochdruck in der Pfortader – der Vene, die sauerstoffarmes und nährstoffreiches Blut in die Leber transportiert. Auch Entzündungsreaktionen aufgrund der verstärkten Infektionen und eine ungünstige Veränderung der Darmflora sorgen dafür, dass Bakterien aus dem Darmmikrobiom durch die Darmwand in das Blut einwandern können und den Krankheitsverlauf verschlechtern. „Die Darmbakterien gelten als häufigste Infektionsquelle und verursachen vor allem Harnwegsinfekte und Bauchfellentzündungen“, sagt Professor Maasoumy, der auch im Exzellenzcluster RESIST zu Leberinfektionen forscht. „Vor allem letztere sind problematisch, können weitere Komplikationen wie Verwirrtheit und Koma befördern und sind verantwortlich, dass bis zu 30 Prozent der Patientinnen und Patienten innerhalb des ersten Monats sterben. Eine rechtzeitige Diagnose und die sofortige Einleitung einer angemessenen Antibiotikabehandlung sind daher von entscheidender Bedeutung". Und die Uhr tickt, denn mit jeder Stunde Verzögerung bei der Einleitung einer wirksamen Antibiotikabehandlung steigt die Sterblichkeit um drei Prozent.

Stellschrauben feiner einstellen

„Das Dilemma ist, dass Breitbandantibiotika häufig eingesetzt werden, weil wir bei Patientinnen und Patienten mit schweren Verläufen keine zweite Chance haben, die Infektion in den Griff zu bekommen“, stellt der Leberforscher fest. „Gleichzeitig werden so etwa 80 Prozent der Betroffenen überbehandelt.“ Professor Maasoumy und sein Team wollen nun die Stellschrauben für Diagnose und Behandlung feiner einstellen. Sie wollen das Immunsystem der Leberzirrhose-Betroffenen und ihren allgemeinen Gesundheitszustand individuell und die Infektionserreger identifizieren und direkt bekämpfen. Außerdem wollen sie feststellen, welche Patientinnen und Patienten für eine Prophylaxe-Behandlung etwa mit Fluorchinolonen in Frage kommen. Dieses Antibiotikum senkt nachweislich das Risiko für eine Bauchfellentzündung und kann das Gesamtüberleben verbessern. „Die ursprünglich vorgeschlagenen Kriterien für die Auswahl von Patienten für eine Primärprophylaxe sind jedoch nach wie vor umstritten und scheinen nicht ausreichend zielgerecht zu sein“, stellt der Hepatologe fest.

Prognose der Leberzirrhose verbessern

Die Forschenden wollen nun das Darmmikrobiom der Betroffenen bestimmen, das Immunsystem in den Blick nehmen, Blutuntersuchungen vornehmen und alle Daten mit Hilfe KI-basierter Methoden analysieren und auswerten. „Ziel ist es, die Infektionen in den Griff zu bekommen, damit die Leber Ruhe hat, sich wieder zu erholen“, betont Professor Maasoumy. Denn die Leber ist das einzige Organ in unserem Körper, das sich selbst regenerieren und nachwachsen kann. Und das funktioniert sogar, wenn das Gewebe nachhaltig geschädigt ist. „Früher galt, dass eine Leberzirrhose das irreversible Endstadium chronischer Lebererkrankungen ist“, stellt der Hepatologe fest. „Heute wissen wir, dass eine wirksame Therapie der Grunderkrankung die Prognose einer Leberzirrhose deutlich verbessert.“ Dieser Ansatz, so ist Professor Maasoumy sicher, hilft selbst schwerstkranken Patientinnen und Patienten, die ein neues Organ benötigen. „Wenn wir ihnen zusätzliche Infektionen und Entzündungen ersparen können, vermeiden wir auch unerwünschte Komplikationen und vor allem das Versterben auf der Warteliste für eine Transplantation.“

Das Projekt INDIVO (Individualisierte Prävention und Behandlung von Infektionen bei Patienten mit Leberzirrhose) unter der Leitung der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie steht in Zusammenhang mit dem MHH-Forschungsschwerpunkt „Infektion und Immunität“. Es erfolgt in Kooperation mit dem MHH-Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene sowie mit dem Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und der Technischen Universität Braunschweig.

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Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Benjamin Maasoumy, 

maasoumy.benjamin@mh-hannover.de.

Asthma Bronchiale

Medikamente gegen Asthma bronchiale verlieren häufig im Laufe der Zeit ihre Wirkung. 

Und sie verhindern nicht, dass sich das Bronchiengewebe verdickt.

Gegen dieses gefürchtete sogenannte Remodeling haben Forschende der Ruhr-Universität Bochum, der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn einen Pflanzenwirkstoff erfolgreich getestet. Der Wirkstoff aus der Korallenbeere Ardisia Crenata hemmt ein bestimmtes Protein und sorgt so dafür, dass sich weniger Kollagen im Bronchialgewebe ansammelt. Zudem wird auch weniger Schleim produziert und abgesondert. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift „Molecular Therapy“ vom 23. Juli 2025.

Menschen mit Asthma bronchiale leiden anfallsweise an Atemnot, die durch eine Verengung der Atemwege hervorgerufen wird. „Meistens werden antientzündliche Medikamente verabreicht, wobei aber nicht ganz klar ist, wie Entzündung und Verengung zusammenhängen“, sagt Prof. Dr. Daniela Wenzel, Leiterin der Abteilung für Systemphysiologie an der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. „Häufig wirken diese Medikamente irgendwann nicht mehr.“ Hinzu kommt, dass sich bei Asthmapatient*innen das Bronchialgewebe häufig durch die Ansammlung von Kollagen verdickt. Auch bilden sich vermehrt Becherzellen, die Schleim produzieren und die Atmung zusätzlich erschweren. Gegen diese Veränderungen existiert noch kein Medikament.

Das Protein direkt angehen

Der Wirkstoff aus Ardisia Crenata verhinderte das Remodeling der Bronchien in der Studie. Er bindet an ein bestimmtes Protein – das Gq-Protein – und hemmt es damit direkt. „Andere Medikamente zielen vielfach auf Rezeptoren für das Gq-Protein, von denen es aber jede Menge verschiedene gibt“, erklärt Jennifer Dietrich, Erstautorin der Studie. „Daher haben wir entschieden, den Weg von der anderen Seite her zu beschreiten und das Protein direkt anzugehen.“

In einem Mausmodell für chronisches Asthma bronchiale testeten die Forschenden den Wirkstoff über fünf Wochen, wobei er in flüssiger Form direkt in die Lunge verabreicht wurde. „Wir konnten sehen, dass das Remodeling abnahm, sich weniger Kollagen ablagerte und weniger schleimproduzierende Becherzellen in der Epithelschicht des Bronchialgewebes auffindbar waren“, berichtet Jennifer Dietrich. Tests an menschlichen Kollagen-produzierenden Zellen ergaben, dass sie unter dem Einfluss des Wirkstoffs langsamer wuchsen, sogar bei einer Stimulation durch Asthma-assoziierte Wachstumsfaktoren. Versuche mit menschlichen Schleim-produzierenden Lungenzellen ergaben, dass der Wirkstoff die Schleimsekretion und die Schleimproduktion reduziert. Diese Ergebnisse bestätigten sich in Experimenten an Lungenschnitten von Menschen, die an Asthma verstorben waren.

Ein aussichtsreicher Kandidat für die künftige Behandlung

„Aus früheren Studien wissen wir, dass der Wirkstoff auch das extreme Zusammenziehen der Bronchien verhindert“, sagt Daniela Wenzel. 

„Er ist also ein sehr aussichtsreicher Kandidat für die zukünftige Asthma-Therapie.“ Bindet der Wirkstoff einmal an das Gq-Protein, bleibt er mehrere Tage dort aktiv – wesentlich länger als andere experimentell getestete Wirkstoffe.

Kooperationspartner

An der Studie waren neben den Teams der Ruhr-Universität Bochum, der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn Forschende der Rutgers University, USA, beteiligt.

Förderung

Die Arbeiten wurden unterstützt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (FOR 2372, Projektnr. 273251628, WE4461/2-1 und 2, FL-276/8-1 und 2).

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Prof. Dr. Daniela Wenzel
Institut für Physiologie
Abteilung für Systemphysiologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel. +49 234 32 29100
E-Mail: daniela.wenzel@ruhr-uni-bochum.de

Prof. Dr. Bernd K. Fleischmann
Institut für Physiologie I
Universitätsklinikum Bonn
Medizinische Fakultät
Universität Bonn
Tel.: +49 228 6885 200
E-Mail: bernd.fleischmann@uni-bonn.de

Originalpublikation:
Jennifer M. Dietrich, Michaela Matthey, Annika Simon, Alexander Seidinger, Cynthia Koziol-White, Reynold A. Panettieri Jr., Bernd K. Fleischmann, Daniela Wenzel: Pharmacological Gq Targeting Prevents Asthmatic Airway Remodeling, in: Molecular Therapy, 2025, DOI: 10.1016/j.ymthe.2025.07.032, 

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40708198/

Der Geruchssinn

Wie wir riechen, ist nicht nur Geschmackssache – sondern auch eine Frage der Gene. 

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Wissenschaftlern der Universität Leipzig hat die bislang größte genetische Studie zum menschlichen Geruchssinn durchgeführt. 

Dabei haben die Forschenden des Instituts für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) sieben neue genetische Regionen gefunden, die mit der Fähigkeit, Gerüche zu erkennen, zusammenhängen. Die Ergebnisse könnten langfristig helfen, Geruchsstörungen besser zu verstehen und Krankheiten früher zu erkennen. Die wissenschaftliche Publikation ist jetzt im Journal „Nature Communications“ veröffentlicht worden.

Der Geruchssinn ist der bisher am wenigsten erforschte unserer Sinne – obwohl Geruchsstörungen die Lebensqualität stark beeinträchtigen und Hinweise auf Erkrankungen geben können. In der aktuellen Studie wurden die genetischen Grundlagen des Geruchssinns bei über 21.000 Menschen europäischer Herkunft analysiert. Ein besonderes Augenmerk lag auf möglichen Unterschieden zwischen Frauen und Männern. Dafür wurden sogenannte genomweite Assoziationsanalysen genutzt, bei denen das Erbgut vieler Menschen miteinander verglichen wird.

MaAB -CAVE:

Verbindung des Geruchssinns zu Alzheimer und Hormonen

„Wir haben zehn genetische Regionen gefunden, die mit der Fähigkeit, bestimmte Gerüche zu erkennen, zusammenhängen – sieben davon wurden erstmals entdeckt. Drei dieser Regionen zeigen zudem geschlechtsspezifische Effekte, sie wirken also bei Männern und Frauen unterschiedlich“, sagt Prof. Dr. Markus Scholz, Leiter der Studie vom Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie der Universität Leipzig. Die Ergebnisse helfen zu verstehen, warum Frauen zum Beispiel während ihres Zyklus oder in der Schwangerschaft Gerüche anders wahrnehmen. Sie könnten auch dazu beitragen, medizinische Diagnosen besser an das Geschlecht anzupassen.

Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie: 

„Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Risiko für die Alzheimer-Krankheit und der Fähigkeit, Gerüche zu erkennen. 

Das verstärkt Hinweise darauf, dass der Geruchssinn, Geschlechtshormone und neurodegenerative Erkrankungen verknüpft sind“, sagt Franz Förster, Erstautor der Studie und Nachwuchswissenschaftler an der Medizinischen Fakultät. 

Die genetischen Einflüsse waren in der aktuellen Analyse jeweils auf einzelne Gerüche beschränkt – es gab keinen „Universal-Genort“, der die Wahrnehmung mehrerer Gerüche beeinflusst.

Alltagsgerüche mit Riechstiften erkennen

In der Leipziger LIFE-Adult-Studie und weiteren Partnerstudien mussten die Teilnehmer:innen zwölf verschiedene Alltagsgerüche erkennen, die mit speziellen Riechstiften präsentiert wurden. Die Antworten wurden mit den genetischen Daten abgeglichen und in einer großen Metaanalyse federführend vom IMISE ausgewertet.

Aktuell läuft in der deutschlandweiten NAKO-Studie, an der auch die Universität Leipzig beteiligt ist, eine noch größere Untersuchung, an der rund 200.000 Menschen teilnehmen. Die Forschenden des IMISE erwarten, dadurch die genetischen und geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Riechen bald noch genauer untersuchen zu können.

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Prof. Dr. Markus Scholz
Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE)
Universität Leipzig
Telefon: +49 341 97-16100
E-Mail:

markus.scholz@imise.uni-leipzig.de

Originalpublikation:
Originaltitel der Publikation in Nature Communications: "Genome-wide association meta analysis of human olfactory identification discovers sex-specific and sex-differential genetic variants" https://doi.org/10.1038/s41467-025-61330-y

Weitere Informationen finden Sie unter
Informationen zur NAKO-Studie

Entzündungswerte

Menschen mit Diabetes leiden überdurchschnittlich häufig an Depressionen – mit teils erheblichen Folgen für die Lebensqualität und für Krankheitsverläufe. Forschende des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ), des Forschungsinstituts an der Diabetes Akademie Mergentheim (FIDAM) und des Deutschen Zentrums für Diabetes Forschung (DZD) konnten nun zeigen, dass Biomarker für chronische Entzündungswerte den Therapieerfolg von depressiven Symptomen beeinflussen – jedoch bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes auf sehr unterschiedliche Weise. Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die Therapie von Depressionen bei Menschen mit Diabetes zukünftig individuell anzupassen.

Entzündungsmarker und Depressionsverlauf wurden über ein Jahr untersucht::

Entzündliche Prozesse könnten hierbei eine Schlüsselrolle spielen, denn chronische Entzündungsreaktionen im Körper gelten heute als gemeinsamer biologischer Hintergrundmechanismus sowohl für Diabetes als auch für Depressionen. Bisherige Studien zeigten: Wenn sich Entzündungsmarker im Blut verändern, kann dies mit einer Besserung oder Verschlechterung unterschiedlichster depressiver Symptome einhergehen. „Faktoren zu identifizieren, die mit dem Therapieerfolg bei Depressionen zusammenhängen, ist wichtig, um die richtigen Therapien für Menschen mit Diabetes auszuwählen“, erklärt Prof. Christian Herder, Erstautor der Studie und Leiter der Arbeitsgruppe Inflammation am DDZ.

Während frühere Studien oft den Fokus auf einzelne Entzündungsmarker legten, nutzte diese, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Analyse, ein breites Panel an Markern im Blut und differenzierte zwischen verschiedenen Depressionssymptomen. Die Analyse basiert auf Daten von 521 Menschen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes aus drei verschiedenen Interventionsstudien am FIDAM, welche die Wirkung einer Verhaltenstherapie auf Menschen mit Typ-1- und Typ-2- Diabetes und Depressionssymptomen untersuchten. Mithilfe eines Fragebogens zur Erfassung depressiver Symptome (Center for Epidemiologic Studies Depression Scale/CES-D) und der Messung von 76 Entzündungsmarkern im Blut untersuchte das Forschungsteam, ob es Zusammenhänge zwischen Entzündungsniveau und Veränderung der Depressionsschwere innerhalb eines Jahres gab.

Gegensätzliche Effekte je nach Diabetes-Typ

Die Ergebnisse zeigen ein überraschendes Muster: Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und höheren Entzündungsmarkern verbesserten sich die depressiven Symptome durch die Verhaltenstherapie signifikant – insbesondere bei kognitiv-affektiven Beschwerden und Anhedonie (Freudlosigkeit). Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes und höheren Entzündungswerten erzielte die Verhaltenstherapie nur eine geringere Verbesserung – vor allem bei somatischen Symptomen wie Erschöpfung, Schlafstörungen oder Appetitlosigkeit.

Warum sich die Zusammenhänge zwischen Entzündungsmarkern und depressiven Symptomen bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes so deutlich unterscheiden, ist noch nicht abschließend geklärt. 

Möglicherweise spielen die jeweils unterschiedlichen Formen der Immunaktivierung eine Rolle – also Autoimmunprozesse bei Typ-1-Diabetes und metabolisch bedingte Entzündungen bei Typ-2-Diabetes. „Um die zugrundeliegenden Mechanismen und die Rolle psychotherapeutischer und entzündungshemmender Behandlungsansätze besser zu verstehen, sind weitere Studien notwendig“, betont Prof. Michael Roden, wissenschaftlicher Geschäftsführer und Sprecher des Vorstands des DDZ sowie Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Bedeutung für die Zukunft: Präzisionsmedizin für Psyche und Stoffwechsel

Die Erkenntnisse könnten die zukünftige Therapieauswahl beeinflussen: „Menschen mit Typ-2-Diabetes und hohem Entzündungsniveau sprechen womöglich besonders gut auf eine Veränderung depressiver Kognitionen durch eine kognitive Verhaltenstherapie an. Menschen mit Typ-1-Diabetes und hohen Entzündungswerten könnten hingegen eher von medikamentösen, anti-entzündlichen Therapien profitieren“, erklärt Prof. Norbert Hermanns vom FIDAM.

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Prof. Christian Herder
Leiter der Arbeitsgruppe Inflammation
Institut für Klinische Diabetologie
Deutsches Diabetes-Zentrum (DDZ)

Originalpublikation:
Titel: Biomarkers of inflammation and improvement in depressive symptoms in type 1 and type 2 diabetes: differential associations with depressive symptom clusters
Autoren: Herder, C., Zhu, A., Schmitt, A. et al.
Doi: https://doi.org/10.1007/s00125-025-06472-w

Behandlung von Nackenschmerzen

Bewegung und entsprechende Patientenedukation sind die wichtigsten Ansätze zur erfolgreichen Behandlung von Nackenschmerzen – diese und weitere Botschaften hat die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in der neuen S3-Leitlinie zu Nackenschmerzen zusammengefasst.

Nackenschmerzen gehören zu den häufigsten Beratungsanlässen in der hausärztlichen Praxis. 

Für den unteren Rücken liegt eine Nationale Versorgungsleitlinie vor, für den oberen Rücken gibt es seit rund 20 Jahren eine DEGAM-Leitlinie für die hausärztliche Praxis. Vor einigen Tagen wurde ein Update und Upgrade als S3-Leitlinie „Nicht-spezifische Nackenschmerzen im hausärztlichen Setting“ veröffentlicht. Update und Upgrade wurden vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert.

Nackenschmerzen haben in der Regel keine gefährliche Ursache. „Trotzdem gilt es auch hier, genau hinzuschauen, um die (wenigen) abwendbar gefährlichen Verläufe herauszufiltern. Insofern ist die Behandlung dieser Schmerzen ein Paradebeispiel für die Arbeitsweise in der Allgemeinmedizin, deren Ziel es ist, das richtige Maß zu treffen – also das Richtige zu tun und das Überflüssige oder gar Schädliche zu unterlassen“, erklärt Prof. Martin Scherer, Präsident der DEGAM, der vor rund 20 Jahren die erste Version der Leitlinie zu Nackenschmerzen im hausärztlichen Setting erarbeitet hat.

In der Leitlinie wird die aktuelle Evidenz zusammengefasst: Am wirksamsten ist Bewegung. Überschätzt werden hingegen die Effekte von Analgetika, passiven Therapien (Massage, Akupunktur, physikalische Methoden, Taping etc.) sowie die Rolle von bildgebenden Verfahren. Damit übernimmt die neue Version der Leitlinie zentrale Therapieempfehlungen aus der Vorgängerversion. Wichtige Änderungen gibt es bei den Empfehlungen zur Patientenedukation: In der Leitlinie wird aufgezeigt, dass eine gelingende Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten gute Ergebnisse in der Therapie bringt.

„Die Leitlinie zeigt uns ganz deutlich, dass Bewegung bei Nackenschmerzen das Maß aller Dinge ist. Um Patientinnen und Patienten dazu zu motivieren, braucht es ein gutes, wertschätzendes Gespräch“, kommentiert Prof. Thomas Kötter, federführender Autor der Leitlinie für die DEGAM. Dass ein stärkerer Fokus auf der Kommunikation liegt, ist berechtigt. Denn die Wirksamkeit von Bewegung bei Nackenschmerzen ist noch nicht überall angekommen. „Viele Patientinnen und Patienten fürchten, dass Bewegung schaden könnte. Eine gute Kommunikation bedeutet, diese Ängste ernst zu nehmen. Es ist wichtig, über individuelle Krankheitsvorstellungen, Sorgen und Erwartungen offen zu sprechen und verschiedene Ansätze vorzustellen, um Bewegung zu ermöglichen“, so Thomas Kötter weiter. Hier sei es wichtig, auf entsprechende Schmerzmittel hinzuweisen. Auch Wärmeanwendungen sind als Mittel zum Zweck sinnvoll und tragen dazu bei, eine Schonhaltung zu vermeiden, die die Schmerzen in der Regel verstärken würde.

Hier kommen Sie zur S3-Leitlinie Nicht-spezifische Nackenschmerzen der DEGAM: 

https://www.degam.de/leitlinie-s3-053-007

Natascha Hövener
DEGAM
Telefon: 030 – 20 966 98 16
E-Mail: hoevener@degam.de

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Schumannstraße 9, 10117 Berlin
Präsident: Prof. Dr. med. Martin Scherer (Hamburg)
http://www.degam.de

Über die DEGAM

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) ist eine wissenschaftliche Fachgesellschaft. Ihre zentrale Aufgabe ist es, die Allgemeinmedizin als anerkannte wissenschaftliche Disziplin zu fördern und sie als Rückgrat der Patientenversorgung weiterzuentwickeln. Die DEGAM ist Ansprechpartnerin bei allen Fragen zur wissenschaftlichen Entwicklung der Allgemeinmedizin an den Hochschulen, zur Fort- und Weiterbildung sowie zum Qualitätsmanagement. Sie erarbeitet eigene wissenschaftlich fundierte Leitlinien für die hausärztliche Praxis und beteiligt sich auch an interdisziplinären Leitlinien anderer Fachgesellschaften. Die Aktivitäten der Nachwuchsförderung werden überwiegend von der Deutschen Stiftung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DESAM) realisiert.

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Prof. Dr. med. Martin Scherer, Präsident der DEGAM
E-Mail: m.scherer@uke.de

Prof. Dr. med. Thomas Kötter, Autor der Leitlinie
E-Mail: thomas.koetter@uni-luebeck.den


Weitere Informationen finden Sie unter


DEGAM-Leitlinie Nicht-spezifische Nackenschmerzen

Unser Kinderwunsch kontra Geburtenrate

Die Geburtenrate in Deutschland ist zwischen 2021 und 2024 deutlich von 1,58 auf 1,35 Kinder pro Frau gesunken. 

Dahingegen blieb die – darüber liegende - Anzahl der gewünschten Kinder im gleichen Zeitraum stabil.

Dies zeigt eine aktuelle Auswertung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), die auf Basis des familiendemografischen Panels FReDA beruht. 

Frauen wünschen sich demnach im Schnitt 1,76, Männer 1,74 Kinder – und damit deutlich mehr als aktuell geboren werden. 

Die Forschenden sehen darin einen Hinweis, dass geplante Geburten zunächst aufgeschoben werden.

Fertility Gap“ vergrößert sich

„Die durchschnittliche Anzahl der Kinder, die junge Erwachsene bekommen möchten, ist in den letzten Jahren konstant geblieben und liegt deutlich über der aktuellen Geburtenrate“, erklärt die Bevölkerungsforscherin Dr. Carmen Friedrich vom BiB. Dadurch hat sich der sogenannte „Fertility Gap“ – also die Lücke zwischen gewünschter Kinderzahl und Geburtenrate – zuletzt kräftig erhöht, bei Frauen verdoppelte er sich auf 0,41. Gleichzeitig ist neben der Geburtenrate auch die konkrete Intention, in naher Zukunft ein Kind zu bekommen, spürbar zurückgegangen. Zwischen 2021 und 2024 sank der Anteil der 30- bis 39-Jährigen, die in den nächsten drei Jahren ein (weiteres) Kind planen bei Frauen von 28 % auf 24 %, bei Männern von 28 % auf 25 %. „Kinder zu bekommen bleibt ein zentrales Lebensziel für die meisten jungen Menschen. Der derzeitige Geburtenrückgang zeigt also keinen Rückgang der Familienorientierung, sondern weist vielmehr auf ein Aufschieben von Geburten hin“, schlussfolgert Friedrich. Mit der aktuellen Geburtenrate liegt Deutschland im Mittelfeld der europäischen Staaten. In anderen Industrienationen, wie beispielsweise Südkorea, liegt die Geburtenrate deutlich unter dem deutschen Wert.

Multiple Krisen als eine Ursache des Geburtenaufschubs

Einen zentralen Erklärungsfaktor vermuten die Autoren der Studie in einer subjektiv empfundenen Unsicherheit bei jungen Erwachsenen, die sich aus der Kombination von internationalen Krisen (Pandemie, Ukraine-Krieg, Klimawandel) und ungewissen wirtschaftlichen und persönlichen Rahmenbedingungen ergibt. „Unsicherheit wirkt sich negativ auf die Familienplanung aus. Verlässliche Kindertagesbetreuung, bezahlbarer Wohnraum und politische Handlungsfähigkeit sind essenziell, um jungen Menschen Sicherheit zu geben“, meint Mitautor Prof. Martin Bujard vom BiB. „Dies kann dazu beitragen, dass vorhandene Kinderwünsche häufiger umgesetzt und nicht dauerhaft aufgeschoben werden.“

Über FReDA
Die Analyse beruht auf Daten des familiendemografischen Panels FReDA. Befragt wurden repräsentativ ausgewählte Menschen im Alter von 18 bis 52 Jahren, die in Deutschland wohnen. Zweimal im Jahr erhebt die Studie Daten zu partnerschaftlichen und familiären Lebenssituationen in Deutschland. Durch FReDA werden der Forschung repräsentative, belastbare und qualitativ hochwertige Daten zur Verfügung gestellt und somit aktuelle Analysen zu Familie und Bevölkerung im jungen und mittleren Erwachsenenalter ermöglicht. Mehr Informationen unter www.freda-panel.de.

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Prof. Dr. Martin Bujard 

martin.bujard@bib.bund.de

Dr. Carmen Friedrich 

carmen.friedrich@bib.bund.de

Originalpublikation:
Friedrich, Carmen und Bujard, Martin: Stabile Kinderwünsche trotz Geburtenrückgang.
Werden Geburten wegen der Krisen aufgeschoben? In: BiB.Aktuell 6/2025


http://https:www.bib.bund.de/Publikation/2025/BiB-Aktuell-2025-6

Falsche Verordnungen

Bei konservativ zu behandelnden Verletzungen und Brüchen an der Wirbelsäule gibt es bislang wenig Evidenz für Hilfsmittel wie Bandagen und Orthesen. Warum trotzdem ein sehr großes Potenzial in ihnen liegt und was dabei differenziert zu betrachten ist, darüber referiert Prof. Dr. med. Bernd Greitemann, Orthopäde und Sportmediziner (Bad Rothenfelde) auf dem 16. Zeulenrodaer Kongress für Orthopädie und Sportorthopädie (ZKOS).

Eine Hauptgruppe Betroffener, denen bestimmte Orthesen gut helfen, sind Menschen ab 60/65 Jahren mit Osteoporose-Brüchen (Sinterungsfrakturen). „Zwar heilt der Bruch durch die Orthese nicht schneller, aber den Patienten wird besser der Schmerz genommen“, so Prof. Greitemann.

Durch eine spezielle Drei-Punkt-Abstützung erfolgt eine Haltungsaufrichtung und damit eine Entlastung der Strukturen. Die Betroffenen können sich besser bewegen und fallen durch das aufrechte Gehen nicht in fehlerhafte Haltungs-Muster. Alle zwei Wochen sollte hierbei der Heilungsfortschritt vom Arzt kontrolliert werden. Wird es schlimmer, muss doch noch eine Stabilisierungs-OP erfolgen. Wenn nicht, können die Patienten meist nach drei Monaten die Orthese wieder zur Seite legen.

Eine weitere Gruppe, denen Bandagen und Orthesen helfen, sind ältere Menschen, die beim Laufen nach vorn fallen. Sie neigen häufiger zu Stürzen, was wiederum Frakturen mit sich bringt. Auch hier kann häufig mit aufrichtenden Orthesen konservativ sehr gut behandelt werden.

Eine dritte Gruppe sind Menschen aus allen Altersgruppen, die sich mit chronischen Rückenschmerzen in der unteren Lendenwirbelsäule plagen. Dass es hier für die Hilfsmittel keine ausreichende Evidenz gibt, liegt daran, dass sich immer noch zu wenige Mediziner mit Orthesen auskennen und deren biomechanische Wirkprinzipien nicht kennen.

So gibt es häufig falsche Verordnungen, zum Beispiel einfach Rückengürtel, wo eigentlich entlordosierende Orthesen benötigt würden. Oder auch Orthesen, wo die Stützpelotten an völlig falschen Punkten sitzen.
Greitemann betont, wie wichtig die Genauigkeit der Verordnung bei dem großen Portfolio an modernen Bandagen und Orthesen ist. Seit Fazit: das große Potenzial dieser Hilfsmittel ist lange nicht ausgeschöpft. Die konservative Ausbildung der Orthopäden muss dringend intensiviert werden.

Je nach Ursache die spezielle Orthese

Ob Orthesen oder Bandagen, rein flexible, mit Rückenpelotte oder Seitenstützen. Grundsätzlich gilt: je mehr die Ursache im Muskel zu finden ist, desto weicher und flexibler muss die Unterstützung sein. Im Gegensatz zu knöchernen Ursachen, wo Festigkeit gefragt ist. Laien, die sich selbst für ihren Sport oder für den Alltag eine Bandage oder Orthese anschaffen wollen, rät er, dies nicht sofort und ohne Beratung im Internet zu tun. Man braucht einen guten Orthopäden, der nach dem Wirkprinzip des Heilmittels und nach dem Ziel, welches erreicht werden soll, gefragt werden muss. Das Gleiche gilt für Sanitätshäuser, deren Mitarbeiter exakt die spezielle Wirkung erklären können müssen.

Weitere Informationen finden Sie unter
https://www.zkos.de/

Der Keuchhusten

Stiftung Kindergesundheit: Die starke Zunahme von Infektionen bedroht vor allem Babys und ihre Familienangehörigen

So hoch waren die Zahlen seit zehn Jahren noch nie: Mit 25 271 Fällen wurden im letzten Jahr mehr als doppelt so viele Keuchhusten-Erkrankungen in Deutschland gemeldet wie im Jahr 2014. Am häufigsten betroffen waren Säuglinge in Alter von unter einem Jahr. Dabei haben gerade Babys und Kleinkinder das bei Weitem größte Risiko eines schweren oder sogar tödlichen Verlaufs der Krankheit, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in ihrer aktuellen Stellungnahme.

In den Jahren zuvor waren aufgrund der Infektionsschutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie auch die Infektionszahlen an Keuchhusten (medizinisch: Pertussis) stark rückläufig. Aktuell ist jedoch erneut eine massive Zunahme zu verzeichnen: Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts Berlin wurde 2024 die bisher höchste jährliche Fallzahl seit Einführung der bundesweiten Meldepflicht für Keuchhusten gemeldet. In jenem Jahr starben sechs Menschen an der Krankheit.

Auch Erwachsene werden angesteckt

Zwar gilt Keuchhusten als eine typische Kinderkrankheit, doch seit einigen Jahren verlagert sie sich immer mehr ins Jugendlichen- und Erwachsenenalter. Etwa 60 Prozent der Keuchhustenfälle treten heute bei Erwachsenen auf. So lag das Durchschnittsalter im Jahr 1995 noch bei 15,1 Jahren und stieg bis zum Jahr 2008 schon auf 41,7 Jahre an.

Nach Hochrechnungen müssen in Deutschland mindestens 1.100 Erwachsene pro Jahr wegen Keuchhusten stationär behandelt werden.

So können auch Mütter und Väter, ja sogar Großeltern mit ihren Keimen ihre Kinder oder Enkel anstecken und in höchste Lebensgefahr bringen. Nahezu jeder Kontakt zu einer erkrankten Person führt zu einer Ansteckung.

Bei Erwachsenen zeigt sich Keuchhusten oft mit dem alleinigen Symptom „lang anhaltender Husten“ und dauert im Mittel 48 Tage, als Maximum aber auch mal 72 Wochen! (RKI 2009: Epidemiologische Bulletin Nr. 31). Ein hoher Anteil der Pertussis-Erkrankungen indes verläuft eher milde und wird deshalb nicht erkannt.

Die Bakterien der Krankheit verbreiten sich beim Husten, Niesen oder Sprechen über winzige Tröpfchen aus Mund und Nase und können bis zu einen Meter in der Luft weiterverbreitet und schließlich eingeatmet werden.

Babys haben oft noch keinen „Nestschutz“

Von einer „harmlosen“ Kinderkrankheit kann dabei nicht die Rede sein, betont die Stiftung Kindergesundheit: Etwa jedes zweite keuchhustenkranke Kind muß in einem Krankenhaus stationär behandelt und überwacht werden.

Das Besondere ist bei dieser hoch ansteckenden Infektionskrankheit laut Stiftung Kindergesundheit: Neugeborene Kinder sind nicht durch den so genannten Nestschutz, also durch die Antikörper ihrer Mütter vor Keuchhusten geschützt. Junge Babys sind deshalb besonders gefährdet, sich bei ihren erkrankten Geschwistern oder bei anderen Personen anzustecken.

Der Husten fängt ganz harmlos an

Die Symptome des Keuchhustens setzen häufig in der Nacht ein und sind zunächst ganz harmlos: Ein bis zwei Wochen nach der Ansteckung beginnt die Krankheit mit einem zunächst ganz normal klingenden Husten, der sich allerdings mit den üblichen Hustenmitteln nicht bessern lässt. Allmählich wird der Husten immer stärker und heftiger und nimmt dann anfallähnliche Formen an.

Nach diesem Stadium kommt es dann zu den eigentlichen Keuchhustenanfällen: Ganze Serien kurzer, harter Hustenstöße folgen hintereinander, dabei entsteht zunehmend Atemnot. Das Kind läuft rot, manchmal auch blau an und zieht die Luft mühsam, von einem lauten, krähenden „Hi“ begleitet, durch die verkrampfte Stimmritze ein. Meist folgt gleich der nächste Anfall. Die Anfälle werden oft erst durch Erbrechen beendet.

Die krampfartigen Hustenstöße können sehr quälend sein und treten bei vielen Kindern häufiger nachts als tagsüber auf. Sie führen oft zum Herauswürgen von zähem, glasigem Schleim und zum anschließenden Erbrechen.

Heimtückisch und extrem langwierig

Die Krankheit ist ein tückisches, extrem langwieriges Leiden: Ihr Rückbildungsstadium setzt erst nach drei bis sechs Wochen ein. Bei manchem Kind kann in diesem Stadium jeder unbedeutende Reiz schon zu einem neuen Hustenanfall führen, viele Kinder entwickeln sogar einen regelrechten „Keuchhusten-Tic“.

Das Problem dabei: Die an Keuchhusten erkrankten Jugendlichen und Erwachsenen sind sich meist nicht bewusst, dass ihr hartnäckiger, trockener Husten ein ansteckender Keuchhusten sein könnte. Bei ihnen fehlen nämlich häufig die typischen Pertussis-Symptome wie die Attacken eines bellenden Hustens oder das laute, krächzend-juchzende „Einziehen“ beim Atmen, das zu neuen Hustenstößen führen kann.

Eltern sollten wissen: Keuchhusten lässt sich durch Impfungen verhindern, betont die Stiftung Kindergesundheit. Die ständige Impfkommission STIKO beim Robert-Koch-Institut empfiehlt eine Grundimmunisierung gegen Pertussis im Alter von zwei, vier und elf Monaten.

Schwangere sollten unabhängig von ihrem Impfstatus im dritten Trimenon der Schwangerschaft geimpft werden, um ihr Kind frühzeitig vor Keuchhusten zu schützen. Für enge Kontaktpersonen von Babys - also für Eltern, Großeltern und für das medizinische Personal - wird eine Auffrischimpfung alle zehn Jahre empfohlen.

Frühgeburt und Sprachentwicklung

Die frühe Sprachentwicklung spielt eine zentrale Rolle für spätere kommunikative, soziale und schulische Fähigkeiten. Eine aktuelle Meta-Analyse der Universität Zürich zeigt, dass die Sprachfähigkeiten von Frühgeborenen in den ersten 18 Monaten im Durchschnitt geringer ausfallen als die von termingeborenen Kindern.

Weltweit kommt etwa jedes zehnte Kind vor der 37.::

Schwangerschaftswoche zur Welt.

Das gilt als Frühgeburt. Diese Kinder sind bei der Geburt biologisch noch unreif und haben ein erhöhtes Risiko für Entwicklungsverzögerungen in verschiedenen Bereichen. Studien zeigen beispielsweise, dass frühgeborene Kinder im Kindergarten- und Schulalter bei Sprachtests im Durchschnitt niedrigere Werte erzielen als termingeborene Kinder. Tritt das schon im Säuglings- und Kleinkindalter auf?

Unterschiede im Sprachverständnis und Sprechen
Forschende der Universität Zürich sind dieser Frage nachgegangen und haben untersucht, ob sich Sprachunterschiede bereits in den ersten 18 Lebensmonaten nachweisen lassen. Für ihre Meta-Analyse werteten sie 21 Studien aus neun Ländern mit insgesamt über 1 800 Kindern aus. Dabei stellten sie fest, dass frühgeborene Kinder im Alter von drei bis 18 Monaten im Sprachverständnis und im sprachlichen Ausdruck durchschnittlich niedrigere Werte erzielten.

Vor allem bei sehr frühen Frühgeburten
«Die Ergebnisse sollten jedoch mit Vorsicht interpretiert werden», sagt Erstautorin Miriam Löffler. 

«Denn die in der Studie untersuchten Frühgeborenen kamen im Schnitt in der 30. Schwangerschaftswoche zur Welt.» 

Tatsächlich werden rund 75 Prozent aller Frühgeborenen erst zwischen der 34. und 37. Woche geboren – also etwas später. 

Die Meta-Analyse der Forschenden zeigte: 

Je früher die Geburt und je geringer das Geburtsgewicht, desto weniger gut schnitten die Kinder im Sprachverständnis ab. 

«In einer repräsentativeren Stichprobe wären die Unterschiede möglicherweise weniger stark ausgeprägt», so die Entwicklungspsychologin.

Frühe Sprachentwicklung erfassen und fördern::


Die Meta-Analyse unterstreicht, wie wichtig es ist, mögliche sprachliche Entwicklungsverzögerungen bereits in den ersten Lebensmonaten zu erkennen. Auch wenn sich viele Auffälligkeiten mit der Zeit abschwächen, können sie auf spätere Entwicklungsrisiken hinweisen. Deshalb sollte die frühe Sprachentwicklung im Rahmen der regulären Vorsorgeuntersuchungen – insbesondere bei Frühgeborenen – gezielt erfasst und bei Bedarf durch rechtzeitige Förderangebote unterstützt werden. «Auch Eltern können viel zur Sprachentwicklung ihres Kindes beitragen», betont Löffler. «Indem sie von Anfang an oft mit ihrem Kind sprechen, auf seine Laute reagieren oder gemeinsam Bücher anschauen, fördern sie wichtige Grundlagen. Bei Unsicherheiten ist es sinnvoll, frühzeitig Kinderärzt:innen oder Fachstellen zur Sprachförderung einzubeziehen.»

Literatur
Loeffler, M. T., Daikeler, J., Wagner, L., Natalucci, G., & Daum, M. M. (2025). Early expressive and receptive language development in preterm vs full-term children: A meta-analysis. Pediatrics, 156(2). 23 July 2025. DOI: https://publications.aap.org/pediatrics/article/doi/10.1542/peds.2024-070477/202...

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Miriam Löffler
Universität Zürich
Psychologisches Institut
Entwicklungspsychologie: Säuglings- und Kindesalter
E-Mail: miriam.loeffler@jacobscenter.uzh.ch

Originalpublikation:
Loeffler, M. T., Daikeler, J., Wagner, L., Natalucci, G., & Daum, M. M. (2025). Early expressive and receptive language development in preterm vs full-term children: A meta-analysis. Pediatrics, 156(2). 23 July 2025. DOI: https://publications.aap.org/pediatrics/article/doi/10.1542/peds.2024-070477/202...

Schwerhoerigkeit

Neue Leitlinie zur Zytomegalievirus-In

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Meilenstein zur Prävention frühkindlicher Schwerhörigkeit


Frühkindliche Schwerhörigkeit bleibt für viele betroffene Familien eine lebenslange Herausforderung. Dabei kann eine der häufigsten Ursachen – die konnatale Zytomegalievirus-Infektion (cCMV) – in vielen Fällen heute nicht nur frühzeitig erkannt, sondern auch behandelt werden. Erstmals zeigt eine neue medizinische Leitlinie, die maßgeblich an der Universität Regensburg (UR) mitentwickelt wurde, nun auf, wie die Infektion verhindert oder therapiert werden kann.

„Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel: Zum ersten Mal gibt es klare Empfehlungen, wie man eine der häufigsten infektiösen Ursachen frühkindlicher Schwerhörigkeit gezielt angehen kann“, betont Prof. Dr. Peter Kummer, Phoniater und Pädaudiologe der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde der Universitätsklinik Regensburg (UKR) sowie langjähriges Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP e.V.). Für seine Fachgesellschaft war er federführend an der Leitlinienerstellung beteiligt.

Die von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) im April 2025 veröffentlichte S2k-Leitlinie „Prävention, Diagnostik und Therapie der CMV-Infektion bei Schwangeren und der konnatalen CMV-Infektion bei Neugeborenen und Kindern“ bietet erstmals einen interdisziplinär abgestimmten, evidenzbasierten Handlungsrahmen für ein bislang unterschätztes gesundheitliches Risiko. Die Empfehlungen richten sich an Fachkräfte aus den Bereichen Gynäkologie, Pädiatrie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Phoniatrie und Labormedizin – mit dem Ziel, betroffene Kinder frühzeitiger zu erkennen und gezielter zu versorgen.

Das Zytomegalievirus (CMV) gehört zur Familie der Herpesviren und ist in der Bevölkerung weit verbreitet – rund 50 % der Erwachsenen in Deutschland tragen es in sich. Während eine Infektion für gesunde Menschen meist harmlos verläuft, birgt sie für das ungeborene Kind oft gravierende Risiken: Infiziert sich eine Frau während der Schwangerschaft oder reaktiviert sich eine frühere Infektion, kann das Virus über die Plazenta übertragen werden. Die mögliche Folge: eine konnatale CMV-Infektion (cCMV), die zu neurologischen Schäden, schweren Entwicklungsstörungen oder – oft zunächst unbemerkt – zu Hörstörungen führen kann.

Etwa 0,2 bis 0,6 % aller Neugeborenen in Deutschland sind schätzungsweise betroffen, 1.500 bis 4.500 Fälle pro Jahr. Die neue Leitlinie bündelt aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und formuliert praxisorientierte Empfehlungen – von Hygienemaßnahmen über die Labordiagnostik bis zur antiviralen Therapie. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das Neugeborenen-Hörscreening, das in Bayern erstmals in Regensburg pilotiert wurde. Auffällige Hörtests sollen künftig Anlass für eine gezielte CMV-Testung geben.

„Wenn wir CMV-Infektionen in den ersten Lebenstagen erkennen, können wir sie gezielt behandeln und Folgeschäden verhindern. Die antivirale Therapie – meist mit Valganciclovir – zeigt in bis zu 50 % der Fälle einen deutlichen Nutzen,“ so Peter Kummer. Die Leitlinie betont zudem die Bedeutung frühzeitiger Aufklärung für Schwangere. Bereits einfache Hygienemaßnahmen, wie das Vermeiden von Speichelkontakt mit Kleinkindern, können das Infektionsrisiko deutlich senken. Auch ein CMV-Screening zu Beginn der Schwangerschaft ist empfohlen – insbesondere für besonders gefährdete Gruppen.

„Die neue Leitlinie ist ein Meilenstein – aber ihr Nutzen hängt davon ab, dass sie auch flächendeckend umgesetzt wird,“ erklärt Prof. Kummer. „Dazu brauchen wir gezielte Fortbildungen, interdisziplinäre Netzwerke und ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung frühkindlicher Prävention.“

MaAB - Medizin am Abend Berlin Fortbildungen VIR ORT
Prof. Dr. Peter Kummer
Leiter Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie
Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Universitätsklinikum Regensburg
Regensburg
Tel.: +49 (0)941 / 944-9471
E-Mail: peter.kummer@ukr.de
www.ukr.de/hno

Originalpublikation:
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/093-003