Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Grosser Schritt in Richtung Präzisionsmedizin für Dialysepatienten
Eine häufige Genvariante für das Protein Aquaporin-1 verringert die Anzahl Wasserkanäle in den Zellmembranen.
- Dies reduziert den Wassertransport und erhöht bei Patienten, die wegen Nierenversagen mit Bauchfelldialyse behandelt werden, das Sterberisiko.
Darum sollten bei Betroffenen mit dieser Genvariante spezifische osmotische Lösungen eingesetzt werden, wie ein von der Universität Zürich geleitetes, internationales Forschungsteam zeigt.
Die Peritoneal- oder Bauchfelldialyse können Betroffene daheim mit
minimaler medizinischer und technischer Unterstützung durchführen. Hugues Depasse Hugues Depasse
- Täglich reinigen die menschlichen Nieren etwa 1'500 Liter Blut, indem sie etwa ein bis zwei Liter Urin produzieren.
- Der Körper entledigt sich so von überschüssigem Wasser, giftigen Abfallprodukten des Stoffwechsels oder von Medikamenten und hält das Gleichgewicht von Wasser und Mineralien im Gewebe aufrecht.
Weltweit sind bis zu 10 Prozent der Menschen von Nierenversagen betroffen – Tendenz steigend.
Während sie auf eine Nierentransplantation warten, müssen Patientinnen und Patienten mit chronischem Nierenversagen regelmässig mit einer Dialyse behandelt werden, die den Körper von Flüssigkeit und schädlichen Substanzen reinigt.
Immer beliebter wird die Bauchfelldialyse, auch
Peritonealdialyse genannt, da sie zu Hause mit einem Minimum an
medizinischer und technischer Unterstützung durchgeführt werden kann.
Häufige Variante des Wassertransporter-Gens erhöht das Sterberisiko
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität
Zürich (UZH) hat nun eine verbreitete Variante des AQP1-Gens
identifiziert, das die Bauanleitung für den Wasserkanal Aquaporin-1
enthält.
Dieses Protein beeinflusst die Wirksamkeit der Dialyse und das Überleben der Betroffenen erheblich.
«Die Identifizierung dieser häufig vorkommenden Genvariante ist ein grosser Schritt in Richtung Präzisionsmedizin in der Dialysebehandlung.
Sie verändert die
Aquaporin-1-Produktion und ist mit einem höheren Risiko für Tod und
Therapieversagen verbunden», sagt der Studienverantwortliche Olivier
Devuyst vom Physiologischen Institut der UZH. «Die Genvariante
beeinflusst das Behandlungsergebnis und die Wahl der Therapiemodalitäten
bei Nierenversagen», fügt er hinzu.
- Die Effizienz der Dialyse hängt davon ab, wie gut sie überschüssiges Wasser entfernt, den normalen Flüssigkeitsstatus des Körpers wiederherstellt und Abfallstoffe ausscheidet.
Bei der Peritonealdialyse wird eine osmotische Lösung in die Bauchfellhöhle gefüllt, die das Wasser vorrangig durch die Aquaporin-1-Kanäle – gewissermassen das körpereigene Abwassersystem – abführt.
In früheren Studien konnte die Gruppe von Oliver Devuyst zeigen, dass Aquaporin-1 reichlich in den Zellen vorhanden ist, die die Kapillaren des Bauchfells auskleiden.
Dort sind die Proteine für den schnellen osmotischen Wassertransport durch die Zellmembranen und für knapp die Hälfte des Wasserentzugs während der Dialyse, Ultrafiltration genannt, zuständig.
Patientinnen und Patienten mit chronischem Nierenversagen benötigen
regelmässig eine Bauchfelldialyse, die den Körper von Flüssigkeit und
schädlichen Substanzen reinigt. Hugues Depasse
Genvariante verringert osmotischen Wassertransport und Ultrafiltration
Um zu testen, welche Auswirkungen Genvarianten für Aquaporin-1 auf die
Ultrafiltration und das Ergebnis der Dialyse haben, untersuchten die
Forscher 1'851 Patienten unterschiedlicher ethnischer Herkunft über
mehrere Jahre. Mit Hilfe verschiedener Techniken, die von Humangenetik
über Mausmodelle und Computer-Modellierung bis hin zu zellulären Studien
reichen, konnte das Team zeigen, dass bei Patientinnen und Patienten
mit einer häufigen Variante des Aquaporin-1-Gens geringere Mengen dieses
Proteins in ihren Geweben vorhanden sind. Daher ist die Fähigkeit
reduziert, Wasser durch die Zellmembranen zu transportieren. Devuyst
ergänzt: «Unsere Forschung zeigt, dass relativ häufige genetische
Varianten – etwa 30 Prozent der Bevölkerung besitzen die AQP1-Variante –
grundlegende Prozesse beeinträchtigen können, die aber nur unter
besonderen Umständen wie hier der Dialysebehandlung zutage treten.»
Gendefekt durch Anpassung des Dialysemittels überwinden
Bei Patienten, die die Peritonealdialyse daheim machen und diese
Aquaporin-1-Variante tragen, wird das überschüssige Wasser durch die
Behandlung nicht vollständig entfernt, da die Zellen über weniger
Wasserkanäle verfügen.
Dies führt zu Wasseransammlungen und einem erhöhten Sterberisiko aufgrund verschiedener Komplikationen.
Das Risiko
zu sterben oder auf eine Hämodialyse im Spital umgestellt werden zu
müssen, ist bei Bauchfelldialyse-Patienten mit dieser Genvariante rund
70 Prozent höher als bei Patientinnen, die das defekte Gen nicht tragen.
Das aus Forscherinnen und Medizinern aus sechs verschiedenen Ländern
zusammensetzte Team hat jedoch eine Möglichkeit gefunden, das Problem zu
umgehen.
«Der Gendefekt kann überwunden werden, wenn anstelle von Glukose spezifische osmotische Lösungen verwendet werden, die unabhängig von Aquaporinen Wasser anziehen – sogenannte kolloidale osmotische Mittel», sagt Olivier Devuyst.
Prof. Dr. med. Olivier Devuyst
Physiologisches Institut
Universität Zürich
Tel. +41 44 635 50 82
E-Mail: olivier.devuyst@uzh.ch
Kurt Bodenmüller Universität Zürich
Telefon: +41446344439
Fax: +41446342346
E-Mail-Adresse: kurt.bodenmueller@kommunikation.uzh.ch
Originalpublikation:
Johann Morelle, Céline Marechal, Zanzhe Yu et. al. AQP1 Promoter Variant, Water Transport and Outcome in Peritoneal Dialysis. New England Journal of Medicine. October 20, 2021. DOI: 10.1056/NEJMoa2034279
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