Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Wann Schwangere besonders müde sind
Forschungsteam der FAU analysiert Big-Data-Datensatz über schwangerschaftsbedingte Symptome
- Ob Müdigkeit, Rückenschmerzen oder Schlafprobleme – während der Schwangerschaft treten Symptome auf, die fast allen Frauen zu schaffen machen.
Wann welche Beschwerden besonders häufig sind und wie sie verlaufen, hat ein interdisziplinäres Forschungsteam der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) untersucht.
Das
Team nutzte dafür einen anonymisierten Big-Data-Datensatz einer
Schwangerschafts-App.
- Jede Schwangerschaft ist einzigartig, doch fast alle Schwangeren haben mit ähnlichen schwangerschaftsbedingten Symptomen zu tun:
Sie sind müde,
haben Rückenschmerzen,
klagen über Verstopfung,
Schlafprobleme,
oder Atemnot.
„Diese Symptome sind schon lange bekannt.
Aber wann sie im Lauf der Schwangerschaft auftreten, wie sie genau verlaufen und sich gegenseitig beeinflussen, ist bislang nicht gut erforscht“, erklärt Prof. Dr. Björn Eskofier.
„Wir müssen das Auftreten dieser Symptome besser verstehen lernen, um Schwangerschaftsvorsorge, aber auch therapeutische Maßnahmen gezielter weiterentwickeln zu können.“
Der Inhaber des Lehrstuhls für Maschinelles Lernen und Datenanalytik der FAU koordiniert gemeinsam mit Prof. Dr. Matthias W. Beckmann (Klinikdirektor und Lehrstuhlinhaber des Lehrstuhls für Geburtshilfe und Frauenheilkunde) sowie Prof. Dr. Peter A. Fasching (Professur für Translationale Frauenheilkunde und Geburtshilfe) von der Frauenklinik des Uniklinikums Erlangen das interdisziplinäre Forschungsprojekt SMART Start.
Mit im Boot ist auch Prof. Dr. Oliver Schöffski vom Lehrstuhl für
Gesundheitsmanagement der FAU sowie Prof. Dr. Matthias Braun vom
Lehrstuhl für Systematische Theologie und Ethik der Universität Bonn.
Gemeinsam wollen die Wissenschaftler auf Grundlage einer breiten
Datenbasis Impulse zur Digitalisierung in der Schwangerschaftsvorsorge
in Deutschland geben.
- Müde im ersten Trimester
Im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojekts analysierte Michael
Nissen, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für
Maschinelles Lernen und Datenanalytik, einen Big-Data-Datensatz des
deutschen Schwangerschafts-App-Herstellers keleya.
Schwangere Frauen können in der keleya-App ihre individuellen Symptome auswählen.
Anschließend erhalten sie angepasste und individuell zusammengestellte
Informationen und Inhalte.
- „Am häufigsten sind Frauen während der Schwangerschaft von Müdigkeit betroffen.
Das gaben 92,9 Prozent der Nutzerinnen an. Es folgen Rückenschmerzen mit 92,6 Prozent, Kurzatmigkeit mit 81,0 Prozent und Schlafstörungen mit 79,4 Prozent “, fasst Nissen die Ergebnisse zusammen.
„Interessant ist, dass jedes einzelne Symptom ein eindeutiges Zeitmuster aufweist“, erklärt der Informatiker.
Müdigkeit erreicht demnach im ersten Trimester der Schwangerschaft ihren Höhepunkt, Kopfschmerzen treten vor allem um die 15. Schwangerschaftswoche auf, Durchfall tendenziell zu Beginn und am Ende der Schwangerschaft mit einem deutlichen Minimum um Schwangerschaftswoche 20.
- Und Schlafprobleme nehmen während der gesamten Schwangerschaft stetig zu.
Schlafprobleme können mit Schwangerschaftserkrankungen zusammenhängen
Einige der Symptome haben nicht nur einen Einfluss auf die
Lebensqualität.
Sie hängen auch mit unerwünschten Folgen für die Schwangerschaft zusammen.
So ist aus der Literatur bekannt, dass Schlafstörungen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Kaiserschnitte, Frühgeburtlichkeit und Schwangerschaftsdepressionen verknüpft sind.
Daher ist die Symptomforschung relevant.
Großer Datensatz für die Forschung verfügbar
Keleya stellte der FAU einen großen anonymisierten Datensatz von
Nutzerinnen der App für Forschungszwecke zur Verfügung und trägt so
unmittelbar zum Erkenntnisgewinn in der Wissenschaft bei – ein
gelungenes Beispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen
Industrie und Forschung. Insgesamt 183.732 Frauen haben mit dem
Symptomtracker der App ihre schwangerschaftsbezogenen Symptome erfasst.
Sie zeichneten mehr als 1,5 Millionen Symptome auf. Diesen riesigen
Datensatz werteten die Forscherinnen und Forscher aus und erstellten
Symptomverlaufskurven mit wöchentlichen Symptomberichten für 15
unterschiedliche schwangerschaftsbedingte Symptome. „Die Größe des
Datensatzes übersteigt vorherige Arbeiten um ein Vielfaches“, ergänzt
Nissen. Darüber hinaus entstammt der Datensatz der „echten Welt“
(real-world evidence). Das kann dazu beitragen, mögliche Verzerrungen
und Benachteiligung in der medizinischen Forschung zu verringern und ein
breites Bild außerhalb klassischer medizinischer Studien liefern.
Unterschiede im Nutzungsverhalten
Ein Problem von Gesundheits-Apps kann das Nutzungsverhalten sein.
Einige Nutzerinnen probieren die App nur ein einziges Mal aus.
„Wir konnten zeigen, dass sich diese Daten kaum von sehr aktiven Nutzerinnen unterscheiden“, erläutert Nissen.
Damit können auch die Daten von
Einmal-Nutzerinnen für Forschungszwecke verwendet werden.
Sekundärnutzung von Branchendaten
Insgesamt stellt die Arbeit mehrere bisher unbekannte oder umstrittene
Symptomverläufe klar und übertrifft vorherige Arbeiten im Umfang
deutlich. „Unsere Arbeit unterstreicht das Potenzial der Sekundärnutzung
von Branchendaten“, betont der Doktorand. „Die Zusammenarbeit zwischen
Wissenschaft und Industrie kann dazu beitragen, neue wissenschaftliche
Erkenntnisse zu gewinnen.“
Zur kompletten Studie in npj Digital Medicine:
https://www.nature.com/articles/s41746-023-00935-3
Michael Nissen
Lehrstuhl für Maschinelles Lernen und Datenanalytik
Tel.: 09131/85-20286
michael.nissen@fau.de
Blandina Mangelkramer Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Schlossplatz 4
91054 Erlangen
Deutschland
Bayern
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41746-023-00935-3
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