Medizin am Abend Berlin - MaAB- Fazit: Zellbiologie: Wie zelluläre Kraftwerke unter Stress Hilfe anfordern
Die Kraftwerke höherer Zellen, die Mitochondrien, waren ursprünglich eigenständige Lebewesen.
Wie sehr sich ihr Stoffwechsel im Laufe der Evolution mit dem ihrer Wirtszellen verschränkt hat, haben Wissenschaftler:innen der Goethe-Universität Frankfurt am Beispiel einer Stressreaktion von Mitochondrien untersucht.
Sie fanden heraus, dass die Mitochondrien zwei unterschiedliche biochemische Signale senden.
- Diese werden in der Zelle miteinander verarbeitet und starten ein Unterstützungsprogramm, um das zelluläre Gleichgewicht (Homöostase) wiederherzustellen.
Die Arbeiten wurden unter anderem im Rahmen der Clusterinitiative ENABLE (fortgeführt als EMTHERA) der Goethe-Universität gemacht.
Dr. Christian Münch, Institut für Biochemie II, Goethe-Universität Frankfurt Uwe Dettmar Goethe-Universität Frankfurt
Als das Leben sich auf unserer Erde in Form verschiedenster einzelliger Lebewesen verbreitete, gelang einem dieser Einzeller irgendwann vor 3,5 bis einer Milliarde Jahren ein evolutionärer Coup:
MaAB-CAVE: Statt Bakterien zu fressen und zu verdauen, kapselte es seine Beute ein und nutzte sie als Energielieferant.
Im Gegenzug bot es als Wirtszelle Schutz und Nahrung.
Dieser sogenannten Endosymbionten-Theorie zufolge war jener Einzeller die Urmutter aller höheren Zellen, aus denen sich alle Tiere, Pilze und Pflanzen entwickelten.
Im Laufe der Jahrmilliarden wurde das eingeschlossene
Bakterium zum Kraftwerk der Zelle, dem Mitochondrium, das ihr die
zelluläre Energieeinheit ATP liefert. Es verlor einen Großteil seiner
Erbsubstanz DNA und tauschte kleinere DNA-Abschnitte mit der Mutterzelle
aus. Nach wie vor teilen sich Mitochondrien jedoch unabhängig von der
Zelle und besitzen eine Reihe eigener Gene.
Wie eng Zelle und Mitochondrium heute in menschlichen Zellen
zusammenarbeiten, untersucht ein Wissenschaftsteam um Dr. Christian
Münch von der Goethe-Universität. Die Forscher:innen haben jetzt
entdeckt, auf welche Weise das Mitochondrium Unterstützung durch die
Zelle anfordert, wenn es unter Stress gerät.
- Auslöser für solchen Stress können zum Beispiel Infektionen, Entzündungsvorgänge oder genetische Störungen sein, aber auch Nährstoffmangel oder Zellgifte.
- Eine bestimmte Form des mitochondrialen Stresses wird durch falsch gefaltete Proteine hervorgerufen, die nicht rasch abgebaut werden und sich im Mitochondrium ansammeln.
Die Folgen für das Mitochondrium wie für die Zelle sind dramatisch:
Fehlgefaltete Proteine können zum Beispiel die Energieproduktion stören oder zur Bildung größerer Mengen sogenannter reaktiver Sauerstoffverbindungen führen, die die Mitochondrien-DNA angreifen und weitere Fehlfaltungen von Proteinen zur Folge haben.
- Auch können fehlerhaft gefaltete Proteine die Mitochondrien-Membranen destabilisieren, sodass Signalstoffe aus dem Mitochondrium freigesetzt werden, die das Selbstzerstörungsprogramm „Apoptose“ der Zelle anschalten.
Medizin am Abend Berlin ZusatzFach Link: Laboruntersuchungen
Daher reagiert das Mitochondrium auf den Stress, indem es vermehrt
Protein-Faltungshelfer (Gouvernanten-Proteine) herstellt, um die
Fehlfaltungen zu verringern, sowie Protein-Schreddereinheiten, die die
fehlgefalteten Proteine abbauen. Wie Zellen dieses Schutzprogramm
starten, war bisher unbekannt.
Die Forschenden der Goethe-Universität lösten in den Mitochondrien
kultivierter menschlicher Zellen den Fehlfaltungsstress künstlich aus
und analysierten die Folgen. „Die Schwierigkeit in der Aufklärung
solcher Signalprozesse besteht darin,“ erläutert der Biochemiker Münch,
„dass unglaublich viele gleichzeitig und mit hoher Geschwindigkeit in
der Zelle ablaufen.“ Das Wissenschaftsteam nutzte daher Methoden
(Transkriptom-Analysen), mit denen sich im Zeitverlauf messen lässt, wie
stark Gene abgelesen werden. Außerdem beobachteten die Forscher:innen
unter anderem, welche Proteine zu welchem Zeitpunkt aneinander binden,
in welchen Zeiträumen sich die Konzentrationen innerzellulärer Stoffe
ändern und welche Auswirkungen das gezielte Ausschalten einzelner
Proteine hat.
Das Ergebnis: Bei Protein-Fehlfaltungsstress senden Mitochondrien zwei
chemische Signale an die Zelle: Sie setzen reaktive
Sauerstoffverbindungen frei und blockieren den Import von
Protein-Vorstufen, die in der Zelle hergestellt und erst im Inneren des
Mitochondriums in ihre funktionale Form gebracht werden. Dadurch
reichern sich diese – ungefalteten – Vorstufen in der Zelle an. Die
reaktiven Sauerstoffverbindungen führen unter anderem zu chemischen
Veränderungen an einem Protein namens DNAJA1. DNAJA1 unterstützt in der
Zelle normalerweise einen bestimmten Faltungshelfer
(Gouvernantenprotein, englisch: chaperone), der die neu entstehenden
Proteine der Zelle in die richtige Form bringt.
Als Folge der chemischen Veränderung drängt sich DNAJA1 nunmehr
verstärkt dem Faltungshelfer HSP70 als Assistenz auf. HSP70 kümmert sich
daraufhin besonders um die fehlgefalteten Protein-Vorstufen, die sich
wegen des Importstopps rund um das Mitochondrium ansammeln.
Durch verringert HSP70 seine Interaktion mit seinem regulären Partner HSF1.
Der wiederum wird nun freigesetzt, kann ins Innere des Zellkerns wandern
und dort das Anti-Stressprogramm für das Mitochondrium starten.
Der Biochemiker Münch erklärt:
„Es war sehr spannend herauszufinden, wie die beiden Stress-Signale des Mitochondriums in der Zelle zu einem Signal zusammengeführt werden, das dann das Antwortprogramm der Zelle auf den mitochondrialen Stress startet.
Außerdem greifen bei diesem komplexen Prozess, der wesentlich durch winzige lokale Konzentrationsänderungen getrieben wird, die Stress-Signalwege der Zelle und des Mitochondriums sehr elegant ineinander wie ein perfektes Uhrwerk.“
Dr. Christian Münch
Leiter Emmy Noether-Gruppe – Protein-Qualitätskontrolle und Quantitative Proteomics
Institut für Biochemie II
Fachbereich Medizin
Goethe Universität Frankfurt
Tel.: +49 (0)69 6301-3715
Web: https://pqc.biochem2.de
Theodor-W.-Adorno-Platz 1
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Postfach 11 19 31
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Dr. Dirk Frank
Telefon: 069-79813753
E-Mail-Adresse: frank@pvw.uni-frankfurt.de
Originalpublikation:
F.X. Reymond Sutandy, Ines Gößner, Georg Tascher, Christian Münch: A cytosolic surveillance mechanism activates the mitochondrial UPR. Nature (2023) https://doi.org/10.1038/s41586-023-06142-0
https://www.emthera.de/ Das Clusterprojekt EMTHERA (Emerging Therapies) sucht nach neuen Ansätzen zur Erforschung von Infektions- und Entzündungskrankheiten sowie Störungen des Immunsystems und zur Entwicklung neuartiger Therapien. EMTHERA ist eine Initiative der Rhein-Main-Universitäten (RMU).
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