Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Wie Herpesviren aufwachen
Schlafende Herpesviren induzieren ihre Reaktivierung über einen bisher unbekannten, mikroRNA-vermittelten zellulären Mechanismus.
Das zeigt ein Würzburger Forschungsteam im Journal „Nature“.
Fragmentierung von Mitochondrien (grün): Die für den Zerfall verantwortlichen Drp-1-Proteine sind mit Antikörpern markiert und in Magenta gefärbt. Lehrstuhl für Virologie Universität Würzburg
Acht verschiedene Herpesviren sind bisher beim Menschen bekannt.
Sie alle richten sich nach der akuten Infektion dauerhaft im Körper ein.
- Aus dieser Ruhephase können sie unter bestimmten Umständen aufwachen, sich vermehren und wieder andere Zellen befallen.
- Diese Reaktivierung ist häufig mit Symptomen verbunden, etwa mit juckenden Lippenbläschen oder der Gürtelrose.
Die meisten Herpesviren haben im Lauf der Evolution gelernt, kleine
RNA-Moleküle, sogenannte Mikro-RNAs, einzusetzen, um ihre Wirtszellen zu
ihrem Vorteil umzuprogrammieren.
Ein Forschungsteam um Bhupesh Prusty
und Lars Dölken von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg
konnte nun erstmals zeigen, dass eine virale MikroRNA als
Masterregulator fungiert, um die Reaktivierung des Virus zu induzieren.
Im Journal "Nature" stellen die Forscher den bislang unbekannten
zellulären Mechanismus vor, mit dem sich das humane Herpesvirus 6
(HHV-6) aus dem Schlaf holt.
Probleme nach der Reaktivierung des Virus
Mit HHV-6 sind mehr als 90 Prozent aller Menschen infiziert, ohne etwas davon zu merken. Probleme bereitet das Virus vermutlich erst dann, wenn es wiederholt aufwacht.
- HHV-6 steht im Verdacht, nach seiner Reaktivierung die Herzfunktion zu beeinträchtigen, die Abstoßung transplantierter Organe zu verursachen und Krankheiten wie Multiple Sklerose oder das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) auszulösen.
- Zudem sprechen jüngste Studien dafür, dass dieses Herpesvirus an der Entstehung der Schizophrenie, der Bipolaren Störung und weiterer Krankheiten des Nervensystems beteiligt sein könnte.
„Wie Herpesviren aus dem Ruhezustand reaktivieren, ist die zentrale
Frage bei der Forschung an Herpesviren“, sagt JMU-Virologe Lars Dölken.
„Wenn wir dies verstehen, wissen wir, wie wir therapeutisch eingreifen
können.“ Ein bislang unbekannter Schlüssel dazu ist eine virale
Mikro-RNA mit der Bezeichnung miR-aU14. Sie ist der zentrale Schalter,
der die Reaktivierung von HHV-6 in Gang setzt.
Was die Mikro-RNA in der Zelle bewirkt
Die regulatorische miR-aU14 stammt vom Virus selbst. Sobald sie
exprimiert wird, greift sie in den Stoffwechsel der menschlichen
Mikro-RNAs ein. Dabei stört sie selektiv die Reifung gleich mehrerer
Mikro-RNAs aus der miR-30-Familie. In der Folge werden diese wichtigen
zellulären Mikro-RNAs nicht mehr gebildet, und das wiederum beeinflusst
einen zellulären Signalweg, die sogenannte miR-30 / p53 / Drp1 Achse.
Über diesen Weg induziert die virale miR-aU14 die Zerstückelung der
Mitochondrien.
Diese Zellstrukturen sind von zentraler Bedeutung für die
Energieproduktion, aber auch für Signalübertragungen bei der Abwehr von
Viren.
Die virale miR-aU14 stört so die Produktion von Typ-I-Interferonen – das
sind Botenstoffe, mit dem die Zelle dem Immunsystem die Anwesenheit von
Viren meldet.
- Weil die Interferone fehlen, kann das Herpesvirus unbehelligt vom Ruhe- in den Aktivitätszustand wechseln.
Interessanterweise konnte die Würzburger Forschungsgruppe auch zeigen,
dass die virale Mikro-RNA nicht nur für die Virusvermehrung essentiell
ist, sondern direkt die Reaktivierung des Virus aus dem Ruhezustand
auslöst.
Wie die Forschung weitergeht
Das Forschungsteam möchte jetzt den genauen Mechanismus verstehen, über
den die virale Mikro-RNA die Reaktivierung des Virus in Gang bringt.
Zudem gibt es erste Hinweise darauf, dass auch andere Herpesviren über den gleichen Mechanismus reaktiviert werden können.
Das könnte therapeutische Optionen aufzeigen, um eine Reaktivierung der Viren entweder zu verhindern oder gezielt auszulösen, um dann die reaktivierenden Zellen auszuschalten.
Ein weiteres Ziel ist es, die
molekularen Folgen der mitochondrialen Fragmentierung im Detail zu
verstehen.
Erstmals zeigt diese Arbeit aus der JMU, dass eine Mikro-RNA den
Reifungsprozess anderer Mikro-RNAs direkt regulieren kann. Auch dies
eröffnet neue therapeutische Möglichkeiten: So können künstliche kleine
RNAs entworfen werden, um gezielt einzelne Mitglieder von
Mikro-RNA-Familien auszuschalten. Derart subtile Eingriffe waren bislang
nicht möglich.
Kooperationspartner und Förderer
An dieser Thematik forschen mehrere Gruppen der JMU interdisziplinär
zusammen. Sie stammen vom Institut für Virologie und Immunbiologie, von
den Biozentrums-Lehrstühlen für Biochemie, für Biotechnologie und
Biophysik sowie für Mikrobiologie, vom Rudolf-Virchow-Zentrum und vom
Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung. Beteiligt waren
außerdem Forschende von der Freien Universität Berlin und der
Universität Regensburg.
Gefördert wurden die Forschungsarbeiten vom Helmholtz Institut für
RNA-basierte Infektionsforschung, von der Initiative Solve ME/CFS (USA),
der HHV-6 Foundation (USA), der Amar Foundation (USA) und vom
Europäischen Forschungsrat im Rahmen eines ERC Grants.
Robert Emmerich Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Sanderring 2
97070 Würzburg
Deutschland
Bayern
Prof. Dr. Lars Dölken, Lehrstuhl für Virologie, Universität Würzburg, T +49 931 31-89781, lars.doelken@uni-wuerzburg.de
Dr. Bhupesh Prusty, Lehrstuhl für Virologie, Universität Würzburg, T +49
931 31-88067, bhupesh.prusty@biozentrum.uni-wuerzburg.de
Originalpublikation:
Selective inhibition of miRNA processing by a herpesvirus-encoded miRNA, Hennig et al., Nature, 4. Mai 2022, DOI: 10.1038/s41586-022-04667-4
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