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Muskuloskelettalen Krankheiten:

Medizin am Abend Berlin Fazit:  Fortschritte in der Therapie muskuloskelettaler Erkrankungen

„In einer Gesellschaft des immer längeren Lebens, des Übergewichts und der ausgeprägten Bewegungsarmut müssen wir mit immer mehr Patienten mit Krankheiten an Muskeln, Knochen und Gelenken rechnen. 

Neben Leid für die Patienten bringen diese Erkrankungen auch erhebliche volkswirtschaftliche Konsequenzen mit sich, da sie zu Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung führen. Erfreulicherweise werden aber immer bessere Behandlungsmöglichkeiten entwickelt.“ Das erklärte Prof. Dr. Gerd-Rüdiger Burmester, Berlin, beim Symposium „Therapie muskuloskelettaler Erkrankungen“ in Berlin, das er am 27. und 28.11.2015 zusammen mit Prof. Dr. Stefan Endres, München, leitete. 
 
Veranstalter war die Paul-Martini-Stiftung (PMS) in Verbindung mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

In Deutschland sind rund 30 Millionen Menschen – europaweit 120 Millionen – von Krankheiten des Muskel- und Skelettsystems betroffen.

Zu diesen gehören entzündliche Erkrankungen (wie rheumatoide Arthritis, ankylosierende Spondylitis oder Myositiden) degenerative Krankheiten (wie etwa Arthrose, Osteoporose oder Sarkopenie), aber auch chronische Schmerzsyndrome wie Rückenschmerzen und Fibromyalgien.

Die muskuloskelettalen Krankheiten haben Rang 1 bei der Analyse der Krankheitslasten („burden of disease“) in entwickelten Ländern. 

Gerade deshalb, so Stefan Endres, München, könne mit besseren Therapiemöglichkeiten ein großer Beitrag zur Bewältigung dieser Folge der demographischen Entwicklung geleistet werden. Die vielfältigen Forschungsarbeiten, die auf dem Symposium zur Sprache kommen, stärkten die Hoffnung, dass das gelingt.

Auffällig ist bei einigen Krankheiten die ungleiche Häufigkeitsverteilung bei den Geschlechtern, wie Anja Strangfeld, Berlin, ausführte:

  • An rheumatoider Arthritis erkranken Frauen etwa dreimal häufiger als Männer.  
  • Dafür kommt es bei Männern doppelt so häufig wie bei Frauen zur ankylosierenden Spondylitis (Morbus Bechterew). 

  • Bei der juvenilen idiopathischen Arthritis – der häufigsten rheumatischen Erkrankung von Minderjährigen – findet sich je nach Subtyp eine andere Geschlechterverteilung. 
  • Osteoporose wiederum tritt ab dem 50. Lebensjahr deutlich häufiger bei Frauen als bei Männern auf. Die Ursachen sind noch weitgehend ungeklärt.

Rheumatische Erkrankungen

Für Patienten mit entzündlich-rheumatischen Beschwerden konnten die Behandlungsmöglichkeiten in den letzten 20 Jahren enorm verbessert werden. Dazu haben neben den klassischen chemisch-synthetischen Medikamenten vor allem Biologika beigetragen: eine Gruppe meist Antikörper-basierter Wirkstoffe, die in verschiedene Immunprozesse eingreifen. In der Behandlung der rheumatoiden Arthritis sollten die Biologika dennoch auch nach der neuesten S1 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie weiterhin erst zum Einsatz kommen, wenn konventionelle Therapien nicht genügen. Wie Ulf Müller-Ladner, Gießen, erläuterte, könnte die Kostenintensität der Biologika-Verordnung in den nächsten Jahren durch den Markteintritt von Biosimilars sinken.

Auch die Therapie der axialen Spondyloarthritis habe wesentlich von der Entwicklung der Biologika, zunächst vor allem der TNF-alpha-Inhibitoren, profitiert, so Jürgen Braun, Herne. Erst seit wenigen Tagen hat zudem der gegen Interleukin-17A gerichtete monoklonale Antikörper Secukinumab eine EU-Zulassung für die Behandlung von axialer Spondyloarthritis und Psoriasisarthritis erhalten. Die Erstzulassung hatte das Medikament bereits vor einigen Monaten für schwerere Verlaufsformen der Schuppenflechte erhalten.

Trotz vielfältiger Therapiealternativen kann noch nicht allen Patienten mit entzündlich-rheumatischen Krankheiten wirksam geholfen werden.
Für diese Patienten werden unter anderem neue monoklonale Antikörper und Immunkonstrukte in verschiedenen Formaten entwickelt und Kinasehemmer aus der Krebstherapie geprüft.  

Auch in anderer Hinsicht könnte die Onkologie künftig die Therapie der Autoimmunkrankheiten befördern, da sie im Rahmen der Immunonkologie ähnliche Effektorzellen und Steuerkreise betrachtet, allerdings aus anderem Blickwinkel, wie Martin Gramatzki, Kiel, darstellte.

Gabriela Riemekasten, Lübeck, berichtete von erfolgreichen Versuchen, Entzündungsprozesse durch Stärkung regulatorischer T-Zellen mit Interleukin-2 zu dämpfen. Ihre Arbeitsgruppe hat dazu nun eine Phase I/II-Pilotstudie mit Patienten initiiert, die an systemischem Lupus erythematodes leiden.

Weitere Ansatzpunkte für künftige Therapien stellen microRNAs in Fibroblasten am Entzündungsort dar, wie Steffen Gay, Zürich, erläuterte. Denn einige von ihnen stellen proinflammatorische Regulatoren dar. Geplant ist, sie mit komplementären RNA-Analoga, sogenannten antago-miRs, spezifisch zu neutralisieren.

Um entzündlich-rheumatische Krankheiten wirklich ausheilen zu können, ist es laut Andreas Radbruch, Berlin, nötig, das pathogene immunologische Gedächtnis des Körpers zu löschen. An diesem Phänomen dürften langlebige Gedächtnis-Plasmazellen beteiligt sein, die die Entzündung durch dauerhafte Ausschüttung von Autoantikörpern aufrecht¬erhalten.

Auch Gedächtnis-B- und -T-Lymphozyten könnten in ähnlicher Weise beitragen. Eine selektive Dezimierung von Gedächtniszellen vom B-, T- oder Plasmazelltyp ist möglich und zeigt auch für die Dauer der Anwendung Wirkung, führt aber nicht zu dauerhafter Therapiefreiheit.

Nötig wäre es wohl, sämtliche pathogenen Gedächtniszellen zu zerstören – idealerweise allerdings unter Schonung der physiologischen Gedächtniszellen. Tatsächlich gebe es erste Ansätze für einen so selektiven Eingriff in das Immungedächtnis.

Osteoarthrose

Wesentlich häufiger als alle entzündlichen Erkrankungen ist die Osteoarthrose der Gelenke: Sie betrifft mehr als die Hälfte aller 65-Jährigen.

  • Behandelbar ist sie heute im Wesentlichen nur symptomatisch oder durch operativen Austausch des betroffenen Gelenks durch eine Endoprothese.
Gesucht werden kausale Therapien, etwa Medikamente, die die arthrotischen Degenerationsprozesse aufhalten können. Doch wächst das Verständnis für die zellulären und molekularen Vorgänge bei Arthrose, so Thomas Pap, Münster.

So kommt es in den Chondrozyten der Gelenkknorpel zur Reaktivierung embryonaler Differenzierungsmuster.

Möglicherweise spielt auch eine Rolle, dass im Knorpel gebundene lösliche Chemokine unter Belastung oder mit dem Alter verloren gehen. Hier könnten Ansatzpunkte für neue Therapien liegen. Ihre Entwicklung steht allerdings vor der besonderen Herausforderung, dass das wichtigste Symptom – der Arthroseschmerz – nur schlecht mit dem Grad der Knorpeldegeneration assoziiert ist.

Ein Ansatz, der bereits klinisch erprobt wird, ist die Injektion des gentechnisch hergestellten Wachstumsfaktors rhFGF18. Wie Kurt Marhardt vom Unternehmen Merck, Darmstadt, berichtete, fördert er die Proliferation von Chondrozyten und mittelbar die Bildung von mehr Knorpelmatrix. Ob das der Arthrose in klinisch relevanter Weise entgegen wirken kann, soll eine laufende Phase II-Studie zeigen.

Osteoporose

Bei Osteoporose ist die Balance zwischen Knochenabbau und -neuaufbau gekippt: Das führt zu verringerter Knochenmasse und einer defizitären Mikroarchitektur.

  • Dagegen sind eine Reihe von Medikamenten verfügbar, die teils den Abbau verlangsamen, teils den Aufbau anregen; mit keinem davon gelingt allerdings eine volle Wiederherstellung belastbarer Knochen. 

Wie Lorenz C. Hofbauer, Dresden, berichtete, ließen sich aber in der Steuerung der Knochenhomöostase weitere Ansatzpunkte für Medikamente finden, die noch wirksamer sein könnten. Inhibitoren der Protease Cathepsin K beispielsweise greifen wirksam in den Knochenabbau ein; einer hat mittlerweile Phase III der klinischen Erprobung erreicht. In Phase II befinden sich Antikörper, die den Botenstoff Sclerostin abfangen (der auf gedrosselte Knochenaufbau hinwirkt); im Tiermodell waren sie zur Steigerung der Knochenbildung imstande.

Krankheiten der Muskulatur

  • Während die Krankheiten der Knochen und Gelenke hohe Aufmerksamkeit erfahren, werden die Krankheiten der Muskulatur weit weniger beachtet. Dabei führen auch sie zu viel individuellem Leid und einer hohen Belastung für das Gesundheitswesen.

Das gilt beispielsweise für die idiopathischen Myositiden. Diese durch Autoimmunprozesse hervorgerufenen Muskelentzündungen lassen sich Heinz Wiendl, Münster, zufolge in der Mehrzahl der Fälle mit konventioneller Immunsuppressiver Therapie kontrollieren. In Einzelfällen werden Biologika eingesetzt, am meisten Erfahrung besteht momentan mit Rituximab.

Schwieriger ist die Therapiesituation bei Muskeldystrophien einer klinisch und genetisch heterogenen Gruppe von Erbkrankheiten, die Maggie C. Walter, München, vorstellte. Die Krankheiten führen zu fortschreitendem Verlust von Muskelfunktion. Eine Reihe von Therapien in der Entwicklung zielen darauf ab, zugrunde liegende Defekte im Dystrophin-Gen zu überwinden: durch zellbasierte Therapieansätze, virusbasierte Gentherapie oder Medikamente, die die Translation des betroffenen Gens beeinflussen (Exon Skipping oder Stop-Codon Readthrough). Andere bezwecken, durch Eingriff in Stoffwechselwege das Muskelwachstum anzuregen und Entzündung sowie Fibrose im Muskel zu reduzieren.

Von wachsender Bedeutung ist auch die Sarkopenie, die meist altersassoziierte Abnahme der Skelettmuskulatur, auf die Kristina Norman, Berlin, einging. Eine Sarkopenie kann jedoch auch im Rahmen von Erkrankungen oder bei Adipositas auftreten. 

Ihre Auswirkungen sind erhöhte Sturz- und Frakturgefahr, reduzierte Insulinsensitivität, verminderte Lebensqualität, verbunden mit einer erhöhten Belastung für das Gesundheitswesen. 

In der Erforschung der Sarkopenie sei noch viel Grundlagenarbeit zu leisten. So bemühe sich eine europäische und eine multinationale Arbeitsgruppe darum, die Diagnosekriterien zu überarbeiten, um die verschiedenen Sarkopeniephänotypen erfassen zu können. Als möglicherweise klinisch aussagefähigstes Maß für die Sarkopenie wird seit kurzem der Quotient von Muskelmasse und Body-Mass-Index verwendet.

Die Paul-Martini-Stiftung

Die gemeinnützige Paul-Martini-Stiftung, Berlin, fördert die Arzneimittelforschung so-wie die Forschung über Arzneimitteltherapie und intensiviert den wissenschaftlichen Dialog zwischen medizinischen Wissenschaftlern in Universitäten, Krankenhäusern, der forschenden Pharmaindustrie, anderen Forschungseinrichtungen und Vertretern der Gesundheitspolitik und der Behörden. Träger der Stiftung ist der vfa, Berlin, der als Verband derzeit 46 forschende Pharma-Unternehmen vertritt.

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