Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Wie wir unseren Weg durch Menschenmengen bahnen
Ein hirneigenes GPS hilft uns zu navigieren, indem es die Bewegungen der Mitmenschen in unserer Umgebung erfasst.
Rasterzellen helfen uns nicht nur, unsere eigenen Wege in einer komplexen Umwelt zu bahnen, sondern unterstützen uns auch bei der Analyse der Bewegungen anderer Personen, wie Wissenschafter*innen der Universität Wien nun erstmals zeigten.
Ihre neue Studie in Nature
Communications legt auch eine Erklärung für einen Mechanismus nahe, der
bei Demenzpatient*innen zu Orientierungslosigkeit führen könnte.
Egal ob man sich seinen Weg durch eine volle Fußgängerzone bahnt oder ob
man beim Fußball im Team Richtung Tor strebt, in beiden Situationen
kommt es darauf an, nicht nur die eigenen Bewegungen, sondern auch die
der anderen mitzudenken. Diese Navigations- und Orientierungsprozesse
werden von Gehirnzellen getragen, die unsere aktuelle Position, woher
wir kommen, wohin wir uns bewegen und in welche Richtung wir schauen
registrieren. Durch ihre gemeinsame Aktivität erschaffen sie eine
"Karte" unserer Umgebung. Ein besonderer Typ dieser Zellen sind die
sogenannten Rasterzellen ("grid cells") im entorhinalen Kortex, einer
kleinen Hirnregion im mittleren Schläfenlappen. Sie funktionieren wie
ein hirneigenes GPS, denn sie repräsentieren nicht nur unsere Position
im Raum, sondern können diese auch in Relation zu anderen Punkten im
Raum setzen.
Ob diese Rasterzellen auch daran beteiligt sind, die Bewegungen anderer
Individuen auf dieser Karte abzubilden, war die Frage, welcher sich die
Wissenschafter*innen um Isabella Wagner und Claus Lamm von der Fakultät
für Psychologie der Universität Wien widmeten. Dazu ließen die
Wissenschafter*innen Proband*innen in einer virtuellen Umgebung sowohl
selbst navigieren als auch die Bewegungen einer anderen Person
beobachten, während ihre Gehirnaktivität mittels funktioneller
Magnetresonanztomographie (fMRT) gemessen wurde.
Sie fanden heraus, dass die Gehirnaktivität, die während des Beobachtens
anderer aufgezeichnet wurde, mit der bereits bekannten Aktivität von
Rasterzellen vergleichbar war. Außerdem konnte das Team zeigen, dass
diese Aktivität in ein Netzwerk weiterer Hirnregionen eingebunden war,
die auch mit Navigationsprozessen in Zusammenhang gebracht werden.
Interessanterweise stellte sich aber heraus, dass dieses Netzwerk umso
weniger aktiv war, je besser ein*e Proband*in darin war, dem Pfad
anderer zu folgen. "Wir interpretieren das als größere Effizienz der
Rasterzellen, die es weniger notwendig machen, auf diese Hirnareale
zurückzugreifen," erklärt Wagner.
Die Ergebnisse der Studie deuten damit darauf hin, dass Rasterzellen zu
einem größeren Netzwerk an Hirnregionen gehören, das unter anderem
Navigationsprozesse koordiniert.
Dieses Netzwerk ist jedoch besonders von Alterungsprozessen und insbesondere von Demenz betroffen.
Wagner erläutert:
"Die Funktion von Rasterzellen nimmt mit dem Alter und bei Demenz ab.
Das führt dazu, dass sich Personen nicht mehr zurechtfinden und die Orientierung beeinträchtigt ist."
Die weitere Forschung der Gruppe widmet sich nun der Frage, ob Rasterzellen auch am Erkennen von Personen beteiligt sind – ein Aspekt der bei fortgeschrittener Demenzerkrankung häufig beeinträchtigt ist.
Prof. PhD Isabella Wagner
Institut für Psychologie der Kognition, Emotion und Methoden, Fakultät für Psychologie, Universität Wien
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Originalpublikation:
Publikation in Nature Communications:
Entorhinal grid-like codes and time-locked network dynamics track others navigating through space
Isabella C. Wagner, Luise P. Graichen, Boryana Todorova, Andre Lüttig, David B. Omer, Matthias Stangl, Claus Lamm
DOI 10.1038/s41467-023-35819-3