Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Neue Erkenntnisse zur Behandlung mit Sauerstoff in der Intensivmedizin
Das Fachjournal «New England Journal of Medicine» (NEJM) publizierte jüngst die grossangelegte multinationale Studie «Handling Oxygenation Targets in the Intensive Care Unit» (HOT-ICU).
Unter der Leitung des Universitätsspitals Aalborg wurde die Überlebensrate von kritisch kranken Patientinnen und Patienten mit akuter Einschränkung der Lungenfunktion (Hypoxämie) untersucht.
Es wurde eine Gruppe mit niedrigerem und eine mit höherem Sauerstoffzielwert verglichen.
Entgegen der ursprünglichen Annahme war die Sterberate nach 90 Tagen in beiden Gruppen vergleichbar.
Das Inselspital, Universitätsspital Bern leistete zu dieser Studie einen wichtigen Beitrag.
- Kritisch kranke Patientinnen und Patienten mit Funktionsstörungen der Lunge werden auf Intensivstationen häufig mit Sauerstoff behandelt.
Sauerstoff, eines der ältesten und meist gebrauchten Medikamente, wird hierbei oft mittels maschineller Beatmung zugeführt, und ein bestimmter Sauerstoffpartialdruck (Sauerstoffzielwert) im Blut wird angestrebt.
Weltweit werden auf Intensivstationen jedoch unterschiedliche Strategien mit entweder höherem oder niedrigerem Sauerstoffpartialdruck eingesetzt.
In der intensivmedizinischen Praxis und in der
wissenschaftlichen Literatur blieb der jeweilige Nutzen bzw. das Risiko
entsprechender Strategien unklar.
Überraschende Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie HOT-ICU zeigen keinen Unterschied in der
90-Tage-Sterblichkeit, wenn schwerkranke Patientinnen und Patienten in
der Gruppe mit höherem (n = 1447,90 mmHg arteriellem
Sauerstoffpartialdruck) und niedrigerem (n = 1441,60 mmHg arteriellem
Sauerstoffpartialdruck) Zielwert miteinander verglichen werden.
Ein tieferer Sauerstoffzielwert verringert somit die Sterblichkeit nach 90 Tagen nicht.
Ebenso wurde für die Kriterien «Anteil Tage ohne
lebenserhaltende Massnahmen» und «Anteil Tage ohne Hospitalisierung»
kein signifikanter Unterschied festgestellt.
Grossangelegte multinationale Studie
Die pragmatische Studie HOT-ICU wurde von einem Wissenschaftsteam unter
der Leitung des Universitätsspitals Aalborg an 35 intensivmedizinischen
Zentren in Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Norwegen,
Grossbritannien, Island und der Schweiz (Universitätsspitäler Basel und
Bern), durchgeführt. Sie schloss 2928 erwachsene, schwerkranke
Patientinnen und Patienten mit einem Sauerstoffbedarf von mindestens 10
Litern pro Minute oder einem eingeatmeten Sauerstoffanteil von 50% ein.
Die Zuteilung zu den beiden Behandlungsgruppen (90 mmHg oder 60 mmHg
arterieller Sauerstoffpartialdruck) erfolgte zufällig. Der primäre
Endpunkt der Studie war die Sterblichkeitsrate nach 90 Tagen. Die Anzahl
der Tage ohne (notwendige) lebenserhaltende Massnahmen, die Anzahl der
Tage ohne Hospitalisierung und das Verhältnis der Patienten mit Schock,
Herzinfarkt, Schlaganfall und Magen-Darm-Durchblutungsstörungen wurden
ebenfalls dokumentiert.
Ausblick
Nachdem in den vergangenen Jahren intensive Diskussionen zur Strategie
der anzustrebenden Sauerstoffzielwerte bei kritisch kranken Patientinnen
und Patienten geführt wurden und sich Argumente für und wider beide
Vorgehensweisen finden liessen, scheinen die aktuellen Studienergebnisse
eine «konservative» Sauerstoffgabe mit niedrigerem Sauerstoffzielwert
bei erwachsenen, kritisch kranken Patienten zu unterstützen.
Prof. Dr. med. Joerg C. Schefold, Chefarzt der Universitätsklinik für
Intensivmedizin am Inselspital, Universitätsspital Bern und Mitglied des
Wissenschaftsteams erläutert: «Die Studienergebnisse zu dieser
alltäglichen intensivmedizinischen Frage sind wichtig, da sie zu einem
besseren Verständnis der Auswirkungen entsprechender Strategien
beitragen. Sie zeigen, dass die ‹konservative› Strategie nicht mit einer
niedrigeren Sterblichkeitsrate assoziiert ist.
Wir erwarten, dass unsere Daten die internationalen Empfehlungen bezüglich anzustrebender Sauerstoffzielwerte bei erwachsenen, kritisch kranken Patienten mit Notwendigkeit der Sauerstoffzufuhr beeinflussen.»
Prof. Dr. med. Joerg C. Schefold, Chefarzt der Universitätsklinik für Intensivmedizin, Inselspital, Universitätsspital Bern
3010 Bern
Schweiz
Bern
Marcel Wyler
Telefon: 0041 31 632 3720
E-Mail-Adresse: marcel.wyler@insel.ch
Originalpublikation:
DOI: 10.1056/NEJMoa2032510, Publication in NEJM “Lower or Higher Oxygenation Targets for Acute Hypoxemic Respiratory Failure”
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