Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Neue vielversprechende Antikörper gegen SARS-CoV-2
Ein internationales Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn hat neuartige Antikörper-Fragmente gegen das SARS-Coronavirus-2 gefunden und weiterentwickelt.
Diese „Nanobodies“ sind viel kleiner als klassische Antikörper.
Sie dringen daher besser ins Gewebe ein und lassen sich leichter in größeren Mengen herstellen.
Die Wissenschaftler am Universitätsklinikum Bonn haben die Nanobodies zudem zu potenziell besonders wirksamen Molekülen kombiniert, die gleichzeitig verschiedene Angriffspunkte des Virus attackieren.
Der Ansatz könnte verhindern, dass sich der Erreger durch Mutationen dem Wirkstoff entzieht.
Die Studie ist im Fachjournal Science erschienen.
Mit Zellkultur im Labor: Dr. Paul-Albert König (links) von der Core
Facility Nanobodies und Dr. Florian I. Schmidt vom Institut für
Angeborene Immunität der Universität Bonn. Volker Lannert © Volker Lannert/Uni Bonn
Antikörper sind eine wichtige Waffe des Immunsystems zur Abwehr von Infektionen.
- Sie heften sich an Oberflächen-Strukturen eines Bakteriums oder Virus und verhindern so seine Vermehrung.
Eine Strategie im Kampf gegen Krankheiten ist es daher, in großen Mengen wirksame Antikörper herzustellen und den Erkrankten zu spritzen.
Der scheidende US-Präsident Donald Trump verdankt dieser Methode möglicherweise seine schnelle Genesung.
Die Antikörper, mit denen er behandelt wurde, haben allerdings eine komplexe Struktur, gelangen nicht sehr tief ins Gewebe und können möglicherweise ungewollte Komplikationen hervorrufen.
Antikörper zu produzieren, ist zudem schwierig und zeitaufwändig.
Für den
breitflächigen Einsatz taugen sie deshalb wohl nicht.
Massenproduktion in Hefen oder Bakterien
„Wir setzen dagegen auf eine andere Gruppe von Molekülen, die
Nanobodies“, erklärt Dr. Florian Schmidt, der am Institut für Angeborene
Immunität der Universität Bonn eine Emmy-Noether-Gruppe zu diesem
vielversprechenden neuen Forschungsgebiet leitet. „Dabei handelt es sich
um Antikörper-Fragmente, die so simpel aufgebaut sind, dass man sie von
Bakterien oder Hefen produzieren lassen kann, was mit geringeren Kosten
verbunden ist.“
Allerdings bildet das Immunsystem fast unendlich viele verschiedene
Antikörper, und sie alle erkennen unterschiedliche Zielstrukturen.
- Nur ganz wenige von ihnen sind also zum Beispiel dazu in der Lage, das SARS-Coronavirus-2 außer Gefecht zu setzen.
Diese Antikörper zu finden, ähnelt der Suche nach einem einzelnen Sandkorn an Deutschlands Ostsee-Küste. „Wir haben dazu zunächst ein Oberflächenprotein des Coronavirus in ein Alpaka und ein Lama injiziert“, erläutert Schmidt. „Ihr Immunsystem produziert dann vor allem solche Antikörper, die sich gegen dieses Virus richten.
Lamas und Alpakas bieten zudem den Vorteil,
dass sie neben komplexen normalen Antikörpern auch eine einfachere
Variante herstellen, die als Basis für Nanobodies dienen kann.“
Einige Wochen danach entnahmen die Wissenschaftler den Tieren eine
Blutprobe.
Daraus gewannen sie die genetische Information aller Antikörper, die diese gerade produzierten.
Diese „Bibliothek“ enthielt immer noch Millionen verschiedene Baupläne.
Mit einem aufwändigen Verfahren sortierten sie diejenigen davon heraus, die eine wichtige Struktur auf der Oberfläche des Corona-Virus erkennen, das Spike-Protein.
„Insgesamt erhielten wir so Dutzende Nanobodies, die wir dann weiter untersuchten“, erklärt Dr. Paul-Albert König, Leiter der Core Facility Nanobodies an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn und Erstautor der Studie.
Zellkulturgefäße mit angefärbten Zellen, in denen sich Virusreplikationen durch die vom Virus verursachten Löcher im Zellrasen (Plaques) quantifizieren lassen. Volker Lannert © Volker Lannert/Uni Bonn
Vier von mehreren Millionen
Vier Moleküle erwiesen sich in Zellkulturen tatsächlich als effektiv
gegen den Erreger.
„Durch Röntgenstruktur- und
Elektronenmikroskopie-Analysen konnten wir zudem zeigen, auf welche
Weise sie mit dem Spike-Protein des Virus interagieren“, erklärt König.
Diese Arbeiten erfolgten in den Arbeitsgruppen um Martin Hällberg
(Karolinska Institutet, Schweden) und Nicholas Wu sowie Ian Wilson
(Scripps Research Institute, USA). Das Spike-Protein ist entscheidend
für die Infektion: Es wirkt wie eine Art Klettband, mit dem sich der
Erreger an die angegriffene Zelle heftet. Danach ändert das Klettband
aber seine Struktur: Es wirft den Bestandteil ab, der für die Anheftung
wichtig ist, und sorgt dafür, dass die Hülle des Virus mit der Zelle
fusioniert. „Auch die Nanobodies scheinen diese Strukturänderung
auszulösen, bevor das Virus auf seine Zielzelle trifft – ein
unerwarteter und neuartiger Wirkmechanismus“, sagt König. „Die Änderung
ist vermutlich irreversibel; das Virus kann also nicht mehr an seine
Zielzellen binden und sie infizieren.“
Darüber hinaus nutzen die Wissenschaftler einen weiteren großen Vorteil
von Nanobodies gegenüber Antikörpern: Durch ihren einfachen Aufbau
lassen sie sich leicht zu Molekülen kombinieren, die mehrere hundert Mal
effektiver sein können. „Wir haben zwei Nanobodies fusioniert, die sich
gegen unterschiedliche Teile des Spike-Proteins richten“, erklärt
König. „Diese Variante war in Zellkulturen hochwirksam. Zudem konnten
wir nachweisen, dass so die Wahrscheinlichkeit drastisch sinkt, dass das
Virus durch eine Mutation resistent gegen den Wirkstoff wird.“
Mittelfristig könnten sich die Moleküle zu einer neuen
vielversprechenden Therapieoption entwickeln, sind die Forscher
überzeugt.
Das Unternehmen Dioscure Therapeutics, eine Ausgründung der Universität
Bonn, soll die Nanobodies in klinischen Studien testen. Der Erfolg des
Projektes basiere vor allem auf der exzellenten Zusammenarbeit der
beteiligten Arbeitsgruppen an der Universität sowie mit den nationalen
und internationalen Kooperationspartnern, betont Florian Schmidt, der
auch Mitglied im Exzellenzcluster Immunosensation2 der Universität Bonn
ist.
Förderung:
An der Studie waren Institutionen aus Deutschland, Schweden und den USA
beteiligt. Finanziell unterstützt wurde sie in Deutschland durch die
Medizinische Fakultät der Universität Bonn, die Deutsche
Forschungsgemeinschaft, den Klaus Tschira Boost Funds, das
Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Baden-Württemberg
Stiftung und die MWK Baden-Württemberg. In den USA förderten die Bill
and Melinda Gates Foundation, das U.S. Department of Energy, das
National Institutes of Health (NIH), das National Institute of General
Medical Sciences (NIGMS) sowie das National Cancer Institute (NCI) das
Projekt, in Schweden das Swedish Research Council sowie die Knut and
Alice Wallenberg Foundation.
Die Gründer des Unternehmens Dioscure wurden vom Transfercenter enaCom
der Universität Bonn unterstützt, das mit seinen Angeboten die
Vermittlung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft fördert. Die PROvendis
GmbH verhandelt als IP-Dienstleister der Universität Bonn den
Verwertungsvertrag zwischen Hochschule und Gründung.
Dr. Florian I. Schmidt
Institut für Angeborene Immunität
Universitätsklinikum Bonn, Universität Bonn
E-Mail: fschmidt@uni-bonn.de
Tel. Büro: +49-228/287-51124
Tel. Labor: +49-228/287-54708
mobil: +49-176/70021810
Dr. Paul-Albert König
Core Facility Nanobodies
Universitätsklinikum Bonn, Universität Bonn
E-Mail: pakoenig@uni-bonn.de
Tel. : +49-228/287-54760
mobil: +49-176/35387544
Poppelsdorfer Allee 49
53115 Bonn
Deutschland
Nordrhein-Westfalen
Svenja Ronge Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Telefon: +49 251 83-22115
E-Mail-Adresse: sronge@uni-bonn.de
Originalpublikation:
Paul-Albert König, Hrishikesh Das, Hejun Liu, Beate M. Kümmerer, Florian N. Gohr, Lea-Marie Jenster, Yonas M. Tesfamariam, Lisa D.J. Schiffelers, Miki Uchima, Jennifer D. Wuerth, Karl Gatterdam, Natalia Ruetalo, Maria H. Christensen, Caroline I. Fandrey, Sabine Normann, Steffen Pritzl, Jan M. P. Tödtmann, Leo Hanke, Jannik Boos, Meng Yuan, Xueyong Zhu, Jonathan Leo Schmid-Burgk, Hiroki Kato, Michael Schindler, Ian A. Wilson, Matthias Geyer, Kerstin U. Ludwig, B. Martin Hällberg, Nicholas C. Wu und Florian I. Schmidt: Structure-guided multivalent nanobodies block SARS-CoV-2 infection and suppress mutational escape. Science; DOI: 10.1126/science.abe6230
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
https://science.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/science.abe6230 Original publication in Science
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