Medizin am Abend Berlin Fazit: „Zur Seismik des Schlafs“
Masterabsolventin plädiert für ein Umdenken beim Thema Schlaf
Morgenstund - Gold im Mund oder ungesund? Masterarbeit zeigt biologische, gesellschaftliche und kulturelle Faktoren auf.Die Masterabsolventin Stefani Wiatowski zeigte den Wert des Schlafes auf und stellte ihn grafisch dar.
Foto Stefani Wiatowski
Büroschlaf – auf der einen Seite kann er Grund einer fristlosen Kündigung sein, auf der anderen Seite und in anderen Ländern Zeichen einer südländischen Siesta-Kultur sowie in Asien ein würdigendes Merkmal für diejenigen, die ganz besonders viel leisten.
Die Absolventin der Fakultät Gestaltung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, Stefani Wiatowski, widmete sich dieser Thematik genauer und erstellte in Folge ihre Masterarbeit „Zur Seismik des Schlafs“. Auf 150 Seiten gibt die Wissenschaftlerin einen Überblick über den aktuellen Forschungs- und Gesellschaftsstand zum Thema Schlaf und Gesellschaft mit dem Ziel, eine neue Schlafkultur in Deutschland zu begründen, da aktuell eine Arbeitseinstellung dominiere, in der die „Betriebsamkeit“ höher beurteilt werde als die Ergebnisse und die Gesundheit.
Ziel sei es, so Wiatowski, eine positive Einstellungsänderung zum Schlaf herbeizuführen. Ihr als Designerin komme hierbei eine wortwörtlich gestaltende Rolle in diesem Prozess zu: Sie wolle Trends und Entwicklungen aktiv begegnen und diese mit Hilfe der Gestaltung in neue Bahnen lenken, zumindest einen Anstoß zur Veränderung leisten.
Der Schlaf werde durch eine Vielzahl an biologischen, gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren beeinflusst – Wiatowski ruft dazu auf, sich diese Faktoren bewusst zu machen und sie sich im Rahmen der gesellschaftlich gesetzten Möglichkeiten gezielt zu Nutze zu machen.
- Pünktlichkeit sowie die Fähigkeit, mit möglichst wenig Schlaf auszukommen und früh aufzustehen, werden aktuell als Zeichen von Effektivität, Einsatz, Leistung und Erfolg wahrgenommen.
- Der Schlaf hingegen als Störfaktor im Produktionsprozess, der mit Inaktivität und Unproduktivität verbunden werde.
Gekennzeichnet durch Schnelllebigkeit, steigenden Leistungsdruck und globale Mobilität über die verschiedenen Zeitzonen hinweg, löse diese Entwicklung die Struktur der Kernarbeitszeit auf und an Stelle fester Strukturen rückten Eigenschaften wie Spontanität und schnelle Reaktions- und Anpassungsfähigkeit auf kurzfristige Bedingungsveränderungen.
Derartige Veränderungen begünstigten Entwürfe neuer Arbeitszeitmodelle, die die Individualität von Schlaf- und Pausenbedürfnissen von Arbeitnehmern berücksichtigen.
So sei im Rahmen der Schlafforschung festgestellt worden, dass stundenlanges intensives Arbeiten auf Höchstleistungsniveau nicht realisierbar sei – Menschen benötigten in individuellen Abständen einen Wechsel von Spannung und Entspannung, Aktivität und Ruhe, Arbeit und Pause, um anhaltend gute Leistungen erzielen zu können.
Werde dieser Wechsel unterbrochen oder auf Dauer ignoriert, erzeuge dies chronischen körperlichen Stress, der wiederum zu Leistungseinbußen, nachlassender Konzentrationsfähigkeit und einer schlechteren Schlafqualität führe;
Burnouts, Depressionen und stressbedingte körperliche Erkrankungen nähmen zu.
Neben den genannten physischen wie psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen verursache die aktuelle Haltung gegenüber dem Schlaf in Kombination mit Arbeitszeiten und Arbeitsweisen bei vielen Menschen chronische Schlafdefizite, die auch wirtschaftlich hohe Kosten nach sich ziehen: für schläfrigkeitsbedingte Unfälle im Straßenverkehr in Deutschland jährlich ca. 4 Milliarden Euro, für Behandlungen der Ein- und Durchschlafstörungen 4,2 Milliarden Euro, für Kosten bei Produktionsausfällen durch Fehlzeiten und Fehler am Arbeitsplatz 18,34 Milliarden Euro.
Warum also sollte die Gesellschaft die vorhandene Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit verschwenden, wenn ein Großteil der Bevölkerung durch eine der „Always-On-Gesellschaft“ entsprechende flexible Anpassung von Arbeitszeiten und Arbeitsweisen, die auch individuelle biologisch vorgegebene Faktoren miteinbeziehen, effizienter und gesünder sein könnte? Zudem gewinne jeder Einzelne an Lebensqualität.
Die Ethnologin Ruth E. Mohrmann bezeichnete den Wandel der Schlafkultur als einen Seismographen kultureller und mentaler Veränderungen, so Wiatowski. Mit ihrer Masterarbeit wolle sie mit Bezug auf die Biowissenschaften sowie auf Basis des Wissens aus Schlafforschung und Schlafmedizin ein „künstliches Erdbeben“ in der aktuellen Schlafkultur auslösen. Der Fokus liege hierbei auf selbstherbeigeführten Schlafstörungen bzw. unentdeckten Schlafdefiziten, die durch eigenes Handeln in Folge von Aufklärungsarbeit und Einstellungsänderungen aufgehoben werden könnten.
Zu dieser Aufklärungsarbeit gehöre auch das Wissen um die Chronobiologie, die als Wissenschaft die Zusammenhänge zwischen der Zeit und dem Leben auf der Erde erforsche. Es gebe eine Unabhängigkeit innerer täglicher Rhythmen vom Tag-und-Nacht- bzw. Hell-Dunkel-Wechsel mit individuellen inneren Zeitsystemen und Schlafbedürfnissen, bei denen über zwanzig Gene beteiligt seien, sowie auch der allgemeine Gesundheitszustand, das Lebensalter und äußere Einflüsse eine entscheidende Rolle spielten.
- Die „innere Uhr“ müsse sich immer wieder neu auf die Außenwelt „einstellen“. Diese individuelle Veranlagung der Menschen sei verschiedenen „Chronotypen“ zuzuordnen.
Festzustellen sei, dass die Arbeitszeiten für einen Großteil der Bevölkerung chronobiologisch betrachtet zu früh starteten. Es käme zu einem „sozialen Jetlag“, bei dem die soziale Zeit, nach der die Menschen lebten, nicht der inneren Zeitmessung entspräche und im Gegensatz zu einem „normalen“ Jetlag keine Anpassung an die neuen Verhältnisse möglich sei, da keine Zeitzonen überschritten wurden.
- Ziel sei es, eine ausgeglichene Balance innerhalb der gesellschaftlichen, sozialen und biologischen Vorgaben zu finden, die jedem persönlich und infolgedessen auch der gesamten Gesellschaft zu Gute käme.
Der Schlaf sei eine der letzten privaten Bereiche, die es zu schützen und entsprechend seiner Bedeutung für die Gesundheit, die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden jedes Einzelnen in der Gesellschaft stark zu machen gelte. Es gäbe bereits einige Initiativen, die ein Umdenken beim Thema Schlaf beinhalten. Genannt werden beispielsweise die „Initiative neue Qualität der Arbeit“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales; der Wissenschaftsjournalist Peter Spork habe ein Buch vorgelegt mit dem Titel „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“. Wiatowski hoffe, auch mit ihrer Masterarbeit zum Umdenken beizutragen, die sie auf der „Bergwerk“-Ausstellung der Hochschule Würzburg-Schweinfurt der Öffentlichkeit vorstellte: 34 Kuben folgten hierbei den inhaltlichen Gegensatzpaaren Kontrolle & Kontrollverlust, Innen & Außen, Licht & Dunkel, Zeit & Relativität sowie Aktivität & Inaktivität, welche jeweils verschiedene Aspekte rund um das Thema beleuchteten. Zitate zum Schlaf, Grafiken, wissenschaftliche Daten und Fakten rundeten die Informationen gestalterisch ab.
34 Kuben gestalteten den Ausstellungsraum „Zur Seismik des Schlafs“. Foto Stefani Wiatowski
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