Medizin am Abend Berlin MaAB - Fazit: Feinstaub aus Flugzeugtriebwerken hat Auswirkungen auf die Atemwege
In einem bisher einzigartigen Experiment haben Forschende unter der
Leitung der Universität Bern die Wirkung von Abgaspartikeln aus
Flugzeugturbinen auf menschliche Lungenzellen untersucht.
Bei Partikeln,
die im Leerlauf ausgestossen werden, waren die Zellreaktionen am
stärksten.
Es zeigte sich auch, dass die zellschädigende Wirkung nur
bedingt vergleichbar ist mit der Wirkung von Partikeln aus Benzin- und
Dieselmotoren.
Turbine im Prüfstand (nicht in Betrieb). Universität Bern /SR Technics Switzerland AG
-
Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben weltweit jedes
Jahr sieben Millionen Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung.
Seit
rund 20 Jahren zeigen Studien, dass Partikel als Feinstaub in der Luft
zu Gesundheitsschäden führen.
Nebst den bereits untersuchten
Feinstaubquellen wie Heizungen, Industrie und Strassenverkehr gewinnen –
im Zuge der steigenden Nachfrage im Flugverkehr – auch Abgase aus
Flugzeugturbinen an Bedeutung.
Deshalb ist die wissenschaftlich
fundierte Erforschung des durch den Luftverkehr verursachten Feinstaubs
für die Weiterentwicklung der Umweltnormen in der Luftfahrt wichtig.
Die primären, also direkt von der Quelle ausgestossenen, festen Partikel
haben für Personen in unmittelbarer Umgebung einer Quelle die stärksten
Auswirkungen.
Die Toxizität von festen Partikeln aus Flugzeugturbinen
ist aber noch weitgehend unerforscht.
Nun hat ein multidisziplinäres
Team unter der Leitung der Lungenforscherin Marianne Geiser vom Institut
für Anatomie der Universität Bern zusammen mit Kolleginnen und Kollegen
von der Empa Dübendorf und der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)
gezeigt,
dass auch primäre Russpartikel aus der Kerosinverbrennung in
Flugzeugturbinen Lungenzellen direkt schädigen und Entzündungsreaktionen
auslösen können, falls die festen Partikel – wie im Experiment
simuliert – direkt in der Nähe des Triebwerks eingeatmet werden.
Raum mit Messgeräten und NACIVT (rechts, rot), der Kammer, in der die
Partikel kontrolliert auf die Lungenzellkulturen abgelagert werden und
die es ermöglicht, die Ablagerung online zu beobachten. Universität Bern /SR Technics Switzerland AG
- Die Forschenden zeigen erstmals, dass die schädigenden Wirkungen auch
vom Betriebszustand der Turbinen, der Zusammensetzung des Treibstoffs
und der Struktur der generierten Partikel abhängen.
Die Arbeit ist in
der Fachzeitschrift «Nature Communications Biology» erschienen.
Extrem kleine Partikel im Nanometerbereich
Partikel in Flugzeugturbinenemissionen sind in der Regel ultrafein, das
heisst kleiner als 100 Nanometer.
Im Vergleich dazu hat ein menschliches
Haar einen Durchmesser von rund 80'000 Nanometern.
Diese Nanopartikel
werden beim Einatmen – wie solche aus anderen Verbrennungsquellen – zu
einem grossen Teil in den Atemwegen abgelagert.
Bei gesunden Personen
sorgt normalerweise das gut ausgebildete Abwehrsystem in der Lunge
dafür, dass die abgelagerten Partikel möglichst rasch unwirksam gemacht
und aus der Lunge entfernt werden.
Können aber eingeatmete Partikel dieses Abwehrsystem aufgrund ihrer
Struktur oder physikalisch-chemischen Eigenschaften überwinden, besteht
die Gefahr, dass das Lungengewebe irreparabel geschädigt wird.
Dieser
Prozess, welcher den Forschenden aus früheren Experimenten mit
Partikelemissionen aus Benzin- und Dieselmotoren bekannt ist, wurde nun
auch für die Partikelemissionen aus Flugzeugtriebwerken nachgewiesen.
Einzigartiger interdisziplinärer Versuchsaufbau
In neuartigen, kombinierten Experimenten haben die Forschenden nun die
Giftigkeit von Partikeln aus den Abgasen eines CFM56-7B Turbofans, der
weltweit am häufigsten eingesetzten Flugzeugturbine, untersucht. So
wurde die Turbine im Prüfstand von SR Technics am Flughafen Zürich unter
Steigflug- und Leerlaufbedingungen betrieben.
Dabei konnte ein weltweit
standardisiertes Messverfahren genutzt werden, das für die
Umweltzulassung von Flugzeugtriebwerken verwendet wird. Untersucht wurde
auch die
Zusammensetzung des Treibstoffs:
die Turbine wurde mit
konventionellem Jet A-1 Kerosin oder Biotreibstoff betrieben.
- Dieser
besteht aus Kerosin mit 32% HEFA («hydrogenated esters and fatty acids»)
aus altem Frittieröl, tierischen Fetten, Algen und Pflanzenölen.
Eine speziell für
inhalationstoxikologische Untersuchungen von
Nanopartikeln entwickelte und an der FHNW gebaute
Aerosol-Depositionskammer ermöglichte es, die entstandenen
Feinstaubpartikel realitätsnah auf
Kulturen von Bronchialepithelzellen,
die die Innenseite der Bronchien auskleiden, abzulagern.
So konnte ein
Aerosol direkt auf menschliche Lungenzellen deponiert werden, was in
einem Versuch mit Probanden aus ethischen Gründen nicht möglich wäre.
Zudem wurden die Partikel physikalisch-chemisch und in Bezug auf ihre
Struktur analysiert, um mögliche Zusammenhänge mit der Wirkung der
Partikel zu untersuchen. «Es handelt sich um ein weltweit einzigartiges
Experiment, das Emissionsmesstechnik mit medizinischen Analysen unter
wirklichkeitsnahen Bedingungen kombiniert», sagt Benjamin Brem,
Flugzeugturbinen-Aerosolforscher an der Empa, jetzt am Paul Scherrer
Institut.
Toxizität hängt vom Betriebszustand der Turbinen und der Treibstoffart ab
Die Zellen wurden dem Aerosol während 60 Minuten ausgesetzt. In dieser
Zeit wurde eine Partikelmasse von 1.6 bis 6.7 Nanogramm (Milliardstel
Gramm) pro Quadratzentimeter Zelloberfläche im Turbinen-Leerlauf
deponiert, sowie 310 bis 430 Nanogramm im Steigflugbetrieb. Dies
entspricht einer Atemwegs-Tagesdosis von leicht verschmutzter,
ländlicher Luft mit 20 Mikrogramm (Millionstel Gramm) Partikeln pro
Kubikmeter Luft bis hin zu einer starken Luftverschmutzung in einer
Metropole (100-500 Mikrogramm Partikel pro Kubikmeter Luft).
-
Bei den Zellkulturen wurden eine erhöhte Schädigung der Zellmembranen
sowie oxidativer Stress nachgewiesen.
- Oxidativer Stress lässt Zellen
schneller altern und kann ein Auslöser sein für Krebs oder Erkrankungen
des Immunsystems.
Die Partikel erwiesen sich als unterschiedlich
schädlich, je nach Turbinenschubleistung und Treibstoffart:
Die höchsten
Werte wurden für konventionellen Treibstoff im Leerlauf und für den
Biotreibstoff bei Steigflugbetrieb gemessen.
Diese Ergebnisse waren
überraschend.
Insbesondere bei den Tests mit konventionellem Kerosin und
bei voller Triebwerkleistung – vergleichbar mit Start und Steigflug –
war die Reaktion der Zellen kleiner als erwartet.
«Diese Ergebnisse lassen sich teilweise mit den sehr kleinen Dimensionen
und der Struktur dieser Partikel erklären», sagt Anthi Liati, die bei
der Empa auf Nanostrukturen von Verbrennungsaerosolen spezialisiert ist.
Zudem reagierten die Zellen nach einer Exposition mit Biotreibstoff mit
dem vermehrten Ausschütten von Entzündungsmediatoren, die für unsere
Körperabwehr von zentraler Bedeutung sind.
«Diese Reaktionen reduzieren
die Fähigkeit der Atemwegszellen, auf einen nachfolgenden viralen oder
bakteriellen Angriff entsprechend zu reagieren», erklärt Marianne
Geiser.
Insgesamt hat sich laut den Forschenden gezeigt, dass die
zellschädigende Wirkung von Partikeln aus
Benzin-, Diesel- und
Kerosinverbrennung bei ähnlicher Dosis und ähnlicher Expositionsdauer
vergleichbar ist. Zudem wurde ein ähnliches Muster bei der Ausschüttung
von Entzündungsmediatoren nach Exposition mit Benzin- und
Kerosin-Partikeln gefunden.
«Die in unserer Studie verwendeten modernsten Messmethoden, der
interdisziplinäre Ansatz und die daraus gewonnenen Ergebnisse bilden
einen weiteren wichtigen Schritt für die Erforschung der Luftschadstoffe
und deren Auswirkungen auf die Gesundheit», sagt Geiser.
Aerosole: Distanz zur Quelle entscheidend
Aerosole sind feinste, in der Luft schwebende feste oder flüssige
Stoffe. Bei Verbrennungsprozessen ist die Zusammensetzung von
ultrafeinen Partikeln sehr variabel. Aerosole sind ferner nicht stabil,
sie verändern sich nach ihrer Entstehung.
Primäre, ultrafeine, feste
Partikel etwa haben eine hohe Diffusionsgeschwindigkeit. Diese führt
dazu, dass solche Partikel bei hoher Konzentration zusammenkleben oder
an andere Partikel anheften.
Die Wirkung primärer ultrafeiner Partikel ist demzufolge abhängig von
der Distanz zur Quelle, das heisst es ist ein Unterschied,
ob sich
Personen grundsätzlich sehr nahe bei den Quellen aufhalten (wie Personen
am Strassenrand) oder in grösserer Distanz (rollendes Flugzeug,
startendes Flugzeug). Wie gross die Wirkung in grösserer Distanz zu
einem Flugzeugtriebwerk noch ist, soll nun Gegenstand weiterer
Untersuchungen sein.
Bereits getroffene Umweltmassnahmen – ein spezielles Engagement der Schweiz
Seit dem schweizerischen «Aktionsplan Feinstaub» im Jahre 2006 hat sich
das Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL aufgrund des Vorsorgeprinzips in
der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO für die Einführung
einer Feinstaubzertifizierung von Flugzeugtriebwerken sowie auch für
Feinstaubemissionsgrenzwerte eingesetzt. Dazu hat das BAZL eigens eine
Messinfrastruktur aufgebaut und die Grundlage für die Forschungsarbeiten
bei SR Technics geschaffen. Seit 2012 fördert das BAZL durch die
«Spezialfinanzierung Luftverkehr» Spitzenforschung in diesem
Fachbereich, die das wissenschaftliche Verständnis für
Luftfahrt-Emissionen und Emissionsmesstechnik stark verbessert hat. Die
Arbeiten haben 2016 zum ersten globalen Feinstaubstandard für die
Messung von Partikelmasse und Partikelanzahl geführt.
Im Februar 2019 hat das Umweltkomitee der ICAO mit Vertretung aller
wichtigen Herstellerstaaten dem Vorschlag von Grenzwerten, die ab
1.1.2023 für neue Triebwerkstypen gelten sollen, zugestimmt. Dabei
trugen die Ergebnisse der vorliegenden Studie bereits dazu bei, diese
globalen Grenzwerte festzulegen. Die Luftfahrt ist der bisher einzige
Sektor, der globale Grenzwerte für ultrafeine Partikelemissionen
einführt.
Angaben zur Publikation:
Jonsdottir HR, Delaval M, Leni Z, Keller A, Brem BT, Siegerist F,
Schönenberger D, Durdina L, Elser M, Burtscher H, Liati A, Geiser M.:
Non-volatile particle emissions from aircraft turbine engines at
ground-idle induce oxidative stress in bronchial cells. Nature
Communications Biology. 2:90 (2019),
https://doi.org/10.1038/s42003-019-0332-7
Andere im Text erwähnte Publikationen:
Künzi L, Krapf M, Daher N, Dommen J, Jeannet N, Schneider S, Platt S,
Slowik JG, Baumlin N, Salathe M, Prévôt ASH, Kalberer M, Strähl C,
Dümbgen L, Sioutas C, Baltensperger U, Geiser M. Toxicity of aged
gasoline exhaust particles to normal and diseased airway epithelia.
Scientific Reports 5:11801 (2015),
https://doi.org/10.1038/srep11801.
Künzi L, Mertes P, Schneider S, Jeannet N, Menzi C, Dommen J,
Baltenperger U, Prévôt ASH, Salathe M, Kalberer M, Geiser M. Responses
of Lung Cells to Realistic Exposure of Primary and Aged Carbonaceous
Aerosols. Atmospheric Environment 68:143-150 (2013),
https://doi.org/10.1016/j.atmosenv.2012.11.055.
Medizin am Abend Berlin DirektKontakt
www.medizin-am-abend.blogspot.com
Über Google: Medizin am Abend Berlin
idw - Informationsdienst Wissenschaft e. V.
Prof. Dr. Marianne Geiser, Universität Bern, Institut für Anatomie
+41 31 631 84 75 / marianne.geiser@ana.unibe.ch
Dr. Anthi Liati, Empa, Abteilung Fahrzeugantriebssysteme, Gruppe Abgasnachbehandlung
+41 58 765 41 90 / anthi.liati@empa.ch
Dr. Benjamin Brem, ehemals Empa, jetzt Paul Scherrer Institut (PSI), Labor für Atmosphären-chemie
+41 56 310 2465 / benjamin.brem@psi.ch
Hochschulstrasse 6
3012 Bern
Schweiz
Bern
Nathalie Matter
Redaktorin Media/PR
Telefon: 0041-31-631 45 80
Fax: 0041-31-631 45 62
E-Mail-Adresse:
nathalie.matter@kommunikation.unibe.ch
Originalpublikation:
Jonsdottir HR, Delaval M, Leni
Z, Keller A, Brem BT, Siegerist F, Schönenberger D, Durdina L, Elser M,
Burtscher H, Liati A, Geiser M.: Non-volatile particle emissions from
aircraft turbine engines at ground-idle induce oxidative stress in
bronchial cells. Nature Communications Biology. 2:90 (2019),
https://doi.org/10.1038/s42003-019-0332-7