Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Feinstaub ist gefährlicher als gedacht
Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI haben erstmals die fotochemischen Vorgänge im Innern kleinster Partikel in der Luft beobachtet.
Dabei entdeckten sie, dass sich in diesen Aerosolen unter alltäglichen Bedingungen zusätzliche Sauerstoffradikale bilden, die der menschlichen Gesundheit schaden können.
Über ihre Ergebnisse berichten sie heute im Fachjournal Nature Communications.
Peter Aaron Alpert analysiert die Vorgänge in feinsten Partikeln in der Luft. Bereits in der Atmosphäre bilden sich darin gesundheitsschädliche Substanzen, nicht erst im menschlichen Körper. Markus Fischer Paul Scherrer Institut
Dass Feinstaub die Gesundheit gefährden kann, ist bekannt.
- Die Partikel mit einem maximalen Durchmesser von 10 Mikrometern können tief ins Lungengewebe vordringen und sich dort festsetzen.
Sie enthalten
reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS), auch "Sauerstoffradikale"
genannt, die die Zellen der Lunge schädigen können. Je mehr Partikel in
der Luft schweben, desto höher das Risiko. Die Partikel gelangen zwar
auch aus natürlichen Quellen wie Wäldern oder Vulkanen in die Luft. Doch
menschliche Aktivitäten, beispielsweise in Fabriken und Verkehr,
vervielfachen die Menge, sodass bedenkliche Konzentrationen erreicht
werden. Das Potenzial des Feinstaubs, Sauerstoffradikale in die Lunge zu
bringen oder dort zu erzeugen, ist für verschiedene Quellen bereits
untersucht worden. Die PSI-Forschenden haben dazu nun wichtige neue
Erkenntnisse gewonnen.
Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass einige ROS im Körper des
Menschen entstehen, wenn der Feinstaub sich in der
Oberflächenflüssigkeit der Atemwege auflöst. Feinstaub enthält in der
Regel chemische Bestandteile, etwa Metalle wie Kupfer und Eisen sowie
bestimmte organische Verbindungen. Diese tauschen mit anderen Molekülen
Sauerstoffatome aus und es entstehen sehr reaktionsfreudige Verbindungen
wie Wasserstoffperoxid (H2O2), Hydroxyl (HO) oder Hydroperoxyl (HO2),
die sogenannten oxidativen Stress verursachen.
- So greifen sie zum
Beispiel die ungesättigten Fettsäuren im Körper an, die dann nicht mehr
als Bausteine der Zellen dienen können.
- Auf solche Vorgänge führen Mediziner Lungenentzündungen, Asthma und diverse andere Atemwegserkrankungen zurück.
- Selbst Krebs könnte ausgelöst werden, da
die ROS auch die Erbsubstanz DNA schädigen können.
Neue Erkenntnisse dank einmaliger Gerätekombination
Seit einiger Zeit ist bekannt, dass gewisse ROS-Spezies auch bereits im
Feinstaub der Atmosphäre vorliegen und als sogenannte exogene ROS über
die Atemluft in unseren Körper gelangen, ohne dass sie sich dort erst
bilden müssen. Wie sich nun herausstellt, hat man dabei noch nicht genau
genug hingesehen: «Bisherige Studien haben mit Massenspektometern
analysiert, woraus Feinstaub besteht», erklärt Peter Aaron Alpert,
Erstautor der neuen PSI-Studie. «Dabei erhält man aber keine
Informationen über die Struktur der einzelnen Partikel und darüber, was
in ihrem Inneren vorgeht.»
Alpert dagegen nutzte die Möglichkeiten des PSI für einen präziseren
Blick: «Mit dem brillanten Röntgenlicht der Synchrotron Lichtquelle
Schweiz SLS konnten wir solche Partikel nicht nur einzeln mit einer
Auflösung von unter einem Mikrometer betrachten, sondern sogar in sie
hineinschauen, während Reaktionen darin ablaufen.» Dazu verwendete er
auch eine neuartige, am PSI entwickelte Zelle, in der sich
verschiedenste atmosphärische Umweltbedingungen simulieren lassen. Sie
kann Temperatur, Feuchte sowie Gasexposition genau regulieren und eine
UV-LED-Lichtquelle ahmt die Sonneneinstrahlung nach. «Diese Kombination –
hochauflösendes Röntgenmikroskop und Zelle – gibt es nur einmal auf der
Welt», sagt Alpert. Die Studie sei deshalb nur am PSI möglich gewesen.
Eng zusammengearbeitet hat er dafür mit dem Leiter der Gruppe
Oberflächenchemie am PSI, Markus Ammann. Unterstützt haben ihn ausserdem
Forschende um die Atmosphärenchemiker Ulrich Krieger und Thomas Peter
an der ETH Zürich, wo zusätzliche Experimente mit in der Schwebe
gehaltenen Partikeln gemacht wurden, sowie Experten um Hartmut Hermann
vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig.
Wie sich gefährliche Verbindungen bilden
Die Forschenden untersuchten Partikel mit organischen Bestandteilen und
Eisen. Das Eisen stammt aus natürlichen Quellen wie Wüstenstaub oder
Vulkanasche, ist aber auch in Emissionen von Industrie und Verkehr
enthalten. Die organischen Bestandteile resultieren ebenfalls aus
natürlichen und menschgemachten Quellen. In der Atmosphäre verbinden
sich diese Bestandteile zu Eisenkomplexen, die dann unter
Sonneneinstrahlung zu sogenannten Radikalen reagieren. Diese wiederum
binden allen verfügbaren Sauerstoff und produzieren so die ROS.
Normalerweise würde ein grösserer Teil dieser ROS in der Wärme der Sonne
aus den Partikeln in die Luft diffundieren und keine Gefahr mehr
bedeuten, wenn wir die Partikel einatmen, die dann weniger ROS
enthalten.
Stimmen die Bedingungen, reichern sich die Radikale jedoch im Inneren der Partikel an und verbrauchen dort binnen Sekunden den gesamten verfügbaren Sauerstoff.
Und das liegt an der sogenannten Viskosität:
Feinstaub kann fest wie Stein oder flüssig wie Wasser sein – aber je nach Temperatur und Feuchte auch zähflüssig wie Sirup, Kaugummi oder Schweizer Kräuterzucker.
«Dieser Zustand des Partikels, so haben
wir festgestellt, sorgt dafür, dass die ROS im Partikel
gefangenbleiben», sagt Alpert. Und von aussen gelangt auch kein
zusätzlicher Sauerstoff hinein.
Besonders erschreckend ist, dass sich durch das Zusammenspiel von Eisen
und organischen Verbindungen die höchsten Konzentrationen der ROS bei
alltäglichen Wetterbedingungen bilden:
- bei mittlerer Luftfeuchte von 50 Prozent und Temperaturen um die 20 Grad, wie sie etwa in Räumen herrschen.
«Früher dachte man, dass ROS in der Luft – wenn überhaupt – nur dann entstehen, wenn die Feinstaubteilchen vergleichsweise seltene Verbindungen wie Chinone enthalten», sagt Alpert.
Das sind oxidierte Phenole, die etwa in Farbstoffen von Pflanzen und Pilzen vorkommen.
Seit Kurzem ist klar, dass viele weitere ROS-Quellen im Feinstaub vorhanden sind. «Wie wir nun feststellten, können diese bekannten ROS-Quellen unter völlig alltäglichen Bedingungen deutlich verstärkt werden.»
Etwa
jedes zwanzigste Partikel ist organisch und enthält Eisen.
Doch damit nicht genug: «Wir gehen davon aus, dass die gleichen
fotochemischen Reaktionen auch in anderen Feinstaubpartikeln ablaufen»,
sagt Forschungsgruppenleiter Markus Ammann. «Wir vermuten sogar, dass
nahezu alle Schwebeteilchen in der Luft auf diese Weise zusätzliche
Radikale ausbilden», ergänzt Alpert. «Wenn sich dies in weiteren Studien
bestätigt, müssen wir dringend unsere Modelle und Grenzwerte bezüglich
der Luftqualität anpassen.
Womöglich haben wir hier einen zusätzlichen Faktor dafür gefunden, dass so viele Menschen scheinbar ohne konkreten Anlass an Atemwegserkrankungen oder Krebs erkranken.»
Markus Ammann an einer der Apparaturen, mit deren Hilfe die Feinstaubuntersuchugen durchgeführt wurden. Markus Fischer Paul Scherrer Institut
Immerhin haben die ROS – zumal in Zeiten der COVID-19-Pandemie – auch
ihr Gutes, wie die Studie ebenfalls nahelegt:
Sie greifen auch Bakterien, Viren und andere Pathogene an, die auf den Aerosolen sitzen, und machen diese unschädlich.
Dieser Zusammenhang könnte erklären, warum
das Sars-CoV-2-Virus in der Luft bei Raumtemperatur und mittlerer
Feuchte am kürzesten überlebt.
Jan Berndorff -
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und
komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und
internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene
Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt
sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein
zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer
Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt
beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste
Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF
400 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und
die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und
WSL.
Prof. Dr. Markus Ammann
Leiter der Forschungsgruppe Oberflächenchemie
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 40 49, E-Mail: markus.ammann@psi.ch [Deutsch, Englisch]
Dr. Peter Aaron Alpert
Forschungsgruppe Oberflächenchemie
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 39 34, E-Mail: peter.alpert@psi.ch [Englisch]
Dr. Mirjam van Daalen Paul Scherrer Institut (PSI)
5232 Villigen PSI
Schweiz
Aargau
Mirjam van Daalen
Telefon: +41 56 310 56 74
E-Mail-Adresse: mirjam.vandaalen@psi.ch
Originalpublikation:
Photolytic Radical Persistence due to Anoxia in Viscous Aerosol Particles
Peter A. Alpert, Jing Dou, Pablo Corral Arroyo, Frederic Schneider,
Jacinta Xto, Beiping Luo, Thomas Peter, Thomas Huthwelker, Camelia N.
Borca, Katja D. Henzler, Thomas Schaefer, Hartmut Herrmann, Jörg Raabe,
Benjamin Watts, Ulrich K. Krieger, Markus Ammann
Nature Communications, 19.03.2021
DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-021-21913-x
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