Medizin am Abend Fazit: Hoffnung auf Therapie gegen schwere Augenkrankheit
Mehr als 100 Jahre nach ihrer Entdeckung wächst die Hoffnung auf
eine Therapie gegen die so genannte Stargardt-Erkrankung – die häufigste
Form der erblichen Makuladegeneration. In diese Richtung weisen die
Ergebnisse von Augenärzten der Universität Bonn in Zusammenarbeit mit
Kollegen der Universitäten Oxford und Columbia (New York). Die Resultate
werden nun in der renommierten Fachzeitschrift „Proceedings of the
National Academy of Sciences of the United States of America" (PNAS)
vorgestellt.
Zentrale Netzhaut eines Jugendlichen mit Stargardt-Erkrankung: Die
hellen Flecken sind Anhäufungen von Lipofuszin. Im zentralen
Gesichtsfeld ist die Sehfähigkeit bereits eingeschränkt.
Bei der Stargardt-Erkrankung gehen die lichtempfindlichen Zellen der
Netzhaut im Innern des Auges zu Grunde. Oft verschlechtert sich bei den
Betroffenen das Sehvermögen schon in der Jugend so dramatisch, dass sie
nicht mehr lesen können.
Die Sehzellen im Auge enthalten das
lichtempfindliche
Pigment Rhodopsin, das bei Lichteinfall in das Auge
zerfällt. Dabei können Abfallprodukte entstehen, die im Wesentlichen aus
Vitamin-A-Verbindungen bestehen.
Vitamin A, das unter anderem in
tierischer Leber oder auch in Gemüse wie etwa Karotten enthalten ist,
ist ein zentraler Bestandteil von Rhodopsin.
Normalerweise werden diese Vitamin-A-Verbindungen durch ein
Transport-Molekül aus den Sehzellen entfernt und wiederverwendet.
Dabei
ist Eile geboten:
Die Verbindungen haben die Tendenz, sich zu
Zweiergruppen (sogenannten bis-Retinoiden) zusammenzuschließen. In
dieser Form werden sie vom Körper nicht mehr normal abgebaut,
sondern
bilden das toxische Abfallprodukt Lipofuszin – ein Stoff, der auch beim
normalen Altern zunehmend anfällt. Wenn sich aber Lipofuszin verfrüht
und in hohen Mengen in der Netzhaut ansammelt, werden die
Lichtsinneszellen geschädigt und sterben schließlich ab.
Genau das passiert bei der Stargardt-Erkrankung: Bei ihr ist das
Transporter-Molekül aufgrund einer genetischen Veränderung defekt.
Es
sammeln sich daher mehr bis-Retinoide an. Dadurch lagert sich permanent
Lipofuszin in der Netzhaut ab – ein Prozess, der oft schon in jungen
Jahren zu schweren Augenschäden führt.
Nach Schätzungen ist rund eine
von 10.000 Personen betroffen. Eine Therapie gegen die Erbkrankheit gibt
es bislang nicht.
Hoffnungsträger: Modifiziertes Vitamin A
Die Ergebnisse des internationalen Forscherteams machen nun aber
Hoffnung. Die Ärzte und Wissenschaftler untersuchten Mäuse mit einer
Mutation in demselben Gen, das auch bei Patienten mit der
Stargardt-Erkrankung verändert ist. Sie verabreichten einigen Tieren
modifiziertes Vitamin A. Darin wurden bestimmte Wasserstoff-Atome durch
Deuterium ersetzt. Deuterium ist ein Wasserstoff-Isotop: Es hat
dieselben chemischen Eigenschaften wie normaler Wasserstoff, ist aber
etwas schwerer.
Dieser Unterschied hat einen positiven Nebeneffekt:
Das modifizierte
Vitamin A und seine Verbindungen sind längst nicht so kontaktfreudig wie
normalerweise und bilden kaum bis-Retinoide. „Wir konnten zeigen, dass
sich bei der behandelten Mäusegruppe weniger Lipofuszin anhäufte“,
erklärt Prof. Dr. Dr. Peter Charbel Issa. „Die Netzhautveränderungen der
Mäuse, die sehr denen bei menschlichen Stargardt-Patienten ähneln,
konnten so stark vermindert werden.“ Der Augenarzt und Stargardt-Experte
ist inzwischen von der Universität Oxford an die
Universitäts-Augenklinik in Bonn gewechselt; er hat hier eine
Stiftungsprofessur der Patienten-Selbsthilfegruppe Pro Retina inne. Auch
sein Kollege Prof. Robert MacLaren von der Universität Oxford sieht in
seiner Klinik regelmäßig junge Patienten mit Stargardt-Erkrankung. „Das
Ergebnis, dass ein einfacher Nahrungsmittelzusatz ihnen möglicherweise
helfen kann, ist sehr vielversprechend“, sagt er. Negative Effekte des
schweren Vitamins konnten die Forscher in den behandelten Tieren nicht
beobachten.
Therapieoption auch für die AMD?
Das an der Columbia Universität in New York von Prof. Ilyas Washington
entwickelte deuterierte Vitamin A wird bereits klinisch bei Patienten
mit Stargardt-Erkrankung getestet. Die Ergebnisse könnten auch für eine
andere Patientengruppe relevant werden: Auch bei altersabhängiger
Makuladegeneration (AMD) – der häufigsten Erblindungsursache in
Deutschland und anderen westlichen Ländern – sammelt sich Lipofuszin in
der Netzhaut an. Modifiziertes Vitamin A könnte für sie ebenfalls neue
Hoffnung bedeuten. Prof. Charbel Issa mahnt jedoch zur Geduld: „Noch
steht der Beweis aus, dass deuteriertes Vitamin A Menschen mit
degenerativen Netzhaut-Erkrankungen helfen kann.“
Publikation: Peter Charbel Issa, Alun R. Barnard, Philipp Herrmann,
Ilyas Washington, Robert E. MacLaren: Rescue of the Stargardt phenotype
in Abca4 knockout mice through inhibition of vitamin A dimerization
Prof. Dr. Dr. Peter Charbel Issa von der Universitäts-Augenklinik
Bonn untersucht seit vielen Jahren die erbliche Stargardt-Erkrankung. © Foto: Johann Saba/UKB
Medizin am Abend DirektKontakt:
Prof. Dr. Dr. Peter Charbel Issa
Pro Retina-Stiftungsprofessor für
degenerative Netzhauterkrankungen
Universitäts-Augenklinik Bonn
Telefon: 0228 / 287-15505
E-Mail: peter.issa@ukb.uni-bonn.de
Johannes Seiler
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Beteiligte:
http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1506960112 Veröffentlichung im Internet