Medizin am Abend: Passkontrolle in der Zelle identifiziert Viren-Erbgut
Die Erbanlagen vieler Viren bestehen aus Ribonukleinsäure, abgekürzt
RNA. Auch unser Körper produziert RNA; diese ist der viralen RNA sehr
ähnlich. Dennoch kann unser Immunsystem virales Erbgut von körpereigener
RNA unterscheiden. Forscher des Universitätsklinikums Bonn haben nun
herausgefunden, wie das funktioniert. Ihre Studie wird im renommierten
Fachjournal „Immunity“ vorgestellt.
(v.l.n.r.) Prof. Gunther Hartmann, Ann Kristin Bruder, Dr. Martin Schlee
Foto: Meike Böschemeyer/Uni Bonn
Laut der aktuellen Studie trägt unsere eigene RNA an ihrem Kopfende
eine molekulare Markierung, die sie bei einer Art „Passkontrolle“ in der
Zelle vorzeigt. Dieser Mechanismus schützt uns vor Viren, verhindert
aber die Alarmierung des Immunsystems durch körpereigene RNA.
Allerdings
gibt es Viren, die die Kontrolle durch eine raffinierte Passfälschung
unterlaufen.
RNA-Viren, die Krankheiten wie Grippe, Gelbfieber oder Ebola
verursachen, sind keine selbständig lebensfähigen Organismen. Sie
brauchen für ihre Vermehrung lebende Körperzellen – ähnlich wie ein
Computervirus für seine Verbreitung die Hard- und Software des
infizierten Computers benötigt.
Denn RNA-Viren transportieren lediglich virale Erbinformationen (RNA) –
gewissermaßen ihre eigene Bauanleitung.
Bei einer Infektion schleusen
sie ihre RNA in die Körperzelle. Diese beginnt daraufhin,
Viren-Bestandteile zu bauen.
Erst mit Hilfe der infizierten Zelle kann
sich das Virus also vermehren.
Um Viren an ihrer Vermehrung zu hindern, muss der Körper daher virales
Erbgut erkennen. Diese Erkennung erfolgt in der infizierten Zelle im
sogenannten
Zytoplasma. Allerdings nutzen Zellen auch selbst RNA, etwa
als Bauanleitung für körpereigene Proteine. Virale RNA ist der
körpereigenen RNA sehr ähnlich.
Wie schafft das Immunsystem es also, die
wenigen Kopien viraler RNA im Meer körpereigener RNA zu identifizieren?
Molekulare Passkontrolle durch RIG-I
Die Erkennung viraler RNA im Zytoplasma erfolgt durch zwei sogenannte
RNA-Rezeptoren: RIG-I und MDA5. Während die Funktionsweise von MDA5 noch
unklar ist, ist man bei RIG-I einige Schritte weiter:
Wie bei einer
Passkontrolle am Flughafen das Gesicht kontrolliert wird, überprüft
RIG-I das Kopfende von RNAs. Denn dort sitzt eine Art Ausweis, an dem
RIG-I körpereigene RNA erkennen kann.
„Körpereigene RNA ist an ihrem Kopfende mit einer bestimmten chemischen
Struktur markiert, der
N1-2’O-Methyl-Gruppe“, sagt Professor Dr. Gunther
Hartmann.
„
Bei dem Erbgut von Viren fehlt diese Markierung“, erklärt
der Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Klinische
Pharmakologie und Sprecher des Exzellenzclusters ImmunoSensation weiter.
Die Bedeutung dieser Markierung war bisher rätselhaft. „
Wir konnten nun
zeigen, dass sie die korrekte Bindung von RNA an RIG-I verhindert“,
erläutert Dr. Martin Schlee, Forschungsgruppenleiter am Institut für
Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie. „Körpereigene RNA kann
RIG-I also nicht aktivieren – anders als Viren-RNA: Diese dockt an RIG-I
an und löst so eine Immunreaktion aus.“ Bei dieser Immunantwort werden
einerseits antivirale Mechanismen in der Zelle aktiviert. Zudem werden
Nachbarzellen alarmiert und Immunzellen rekrutiert, die schließlich wie
nach einer Impfung die Bildung eines Immungedächtnisses initiieren.
Doch wie verhindert die N1-2’O-Methyl-Gruppe die Bindung an RIG-I?
RIG-I
trägt eine Struktur, die beim Bindungsvorgang mit der Methylgruppe
kollidiert. „Diese Struktur ist in allen Wirbeltieren und sogar der
evolutionsbiologisch alten Seeanemone vorhanden“, sagt Schlee.
Vorsicht, Passfälscher
Manchen Viren gelingt es jedoch, diesen Immunmechanismus zu unterlaufen.
So fügt etwa das
Gelbfieber-Virus die N1-2’O-Methyl-Gruppe selbst in
seine RNA ein und mogelt sich so durch die Passkontrolle. Die Forscher
hoffen nun, diese Erkenntnis für die Entwicklung von neuen Medikamenten
nutzen zu können, die diesen Tarnmechanismus angreifen.
Der Forschungserfolg ist auch das Ergebnis einer umfassenden
Kooperation: Hartmann und Schlee arbeiteten unter anderem mit den
Instituten für Molekulare Medizin und Virologie in Bonn zusammen. Die
Beteiligten sind Mitglieder des DFG-geförderten Exzellenzclusters
Immunosensation und arbeiten auch im Deutschen Zentrum für
Infektionsforschung (DZIF) eng zusammen.
Publikation: A Conserved Histidine in the RNA Sensor RIG-I Controls Immune Tolerance to N1-2′O-Methylated Self RNA; Immunity,
http://dx.doi.org/10.1016/j.immuni.2015.06.015
Medizin am Abend DirektKontakt:
Dr. rer. nat. Martin Schlee
Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie
des Universitätsklinikums Bonn
Tel. 0228/28716080
E-Mail: Martin.Schlee@uni-bonn.de
Dr. Andreas Archut
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn