Medizin am Abend Berlin Fazit: Neuer Wirkstoff blockiert Alzheimer-Enzym gezielt
Ein internationales Team unter der Leitung von Wissenschaftlern der
Universität Zürich hat erstmals einen Weg gefunden, ein für die
Alzheimer-Krankheit mitverantwortliches Enzym gezielt zu hemmen. Dabei
werden lediglich schädliche Prozesse blockiert, während wichtige andere
Funktionen erhalten bleiben. Dies eröffnet neue Möglichkeiten, um
Medikamente zu entwickeln, die keine schweren Nebenwirkungen
verursachen.
Seit Jahrzehnten wird weltweit intensiv an Medikamenten geforscht,
um Alzheimer-Patienten zu behandeln.
- Doch während in der Diagnostik
grosse Fortschritte zu verzeichnen sind – die Krankheit kann immer
früher und präzisier erkannt werden –, sind die Therapiemöglichkeiten
nach wie vor sehr beschränkt.
Zusammen mit Forschern in der Schweiz, in
Deutschland und in Indien hat das Team von Prof. Lawrence Rajendran des
Instituts für Regenerative Medizin der Universität Zürich nun eine
zielgerichtet wirkende Substanz entwickelt.
- Diese blockiert die
krankheitsverursachende Funktion eines Enzyms in den Zellen, ohne dessen
anderen, lebenswichtigen Funktionen zu unterbinden.
-
Charakteristisch für die Alzheimer-Krankheit sind Proteinablagerungen im
Gehirn von Betroffenen, die mitverantwortlich sind für das chronisch
fortschreitende Absterben der Hirnzellen.
- Diese Plaques können heute in
sehr frühen Stadien nachgewiesen werden, lange bevor sich erste Symptome
der Demenzkrankheit manifestieren. Die Proteinklumpen bestehen
hauptsächlich aus dem β-Amyloid-Peptid (Aβ). Dieses Proteinfragment
entsteht, wenn das Vorläufereiweiss Amyloid-Precursor-Protein (APP)
durch zwei Enzyme, die β-Sekretase und die γ-Sekretase, in drei Teile
gespalten wird, darunter auch das toxische Aβ.
Schädlichen Prozess blockieren, ohne nützliche Funktionen zu unterbinden
Wird die β-Sekretase oder die γ-Sekretase blockiert, wird auch kein
schädliches β-Amyloid-Peptid mehr gebildet.
Die biomedizinische
Forschung konzentriert sich daher seit vielen Jahren auf diese beiden
Enzyme als therapeutische Angriffspunkte. Bisherige Ergebnisse aus
klinischen Studien mit Substanzen,
die die γ-Sekretase blockieren, sind
jedoch ernüchternd.
Das Problem ist, dass das Enzym auch an anderen,
wichtigen Zellprozessen beteiligt ist.
Bei Patienten führte die
Enzymhemmung daher zu schweren Nebenwirkungen wie Magendarmblutungen
oder Hautkrebs.
-
Einige Jahre schon konzentrieren die Forscher ihre Anstrengungen daher
auch auf die β-Sekretase.
Eine Vielzahl von Wirkstoffen wurde
entwickelt, darunter einige sehr aussichtsreiche, die die Menge an Aβ in
Mausmodellen wirksam reduzierten. Doch hier stellt sich gemäss dem
Zellbiologen Law-rence Rajendran dieselbe Herausforderung: «
Die
aktuellen β-Sekretase-Inhibitoren blockieren nicht nur die
Enzymfunktion, die den Krankheitsverlauf von Alzheimer vorantreibt,
sondern auch physiologisch wichtige Zellprozesse. Die Substanzen, die
aktuell in klinischen Studien getestet werden, könnten daher ebenfalls
schwere Nebenwirkungen auslösen – und folglich scheitern.»
Vielversprechender Wirkstoff soll an Alzheimer-Patienten untersucht werden
Saoussen Ben Halima, Erstautorin der Publikation, und ihre
Forscherkollegen untersuchten daher genauer,
wie sich die β-Sekretase
selektiv hemmen lässt – sprich:
Die schädliche Eigenschaft blockieren,
ohne die nützlichen Funktionen zu tangieren. Mit einer Reihe von
Experimenten konnten die Wissenschaftler zeigen, dass das
Alzheimer-Protein APP von der β-Sekretase in speziellen, durch
Membranhüllen abgeteilten Bereichen in den Zellen gespalten wird, den
Endosomen.
Die anderen, lebenswichtigen Eiweisse werden hingegen in
anderen Zellbereichen verarbeitet. Diese räumliche
Trennung der
Proteinverarbeitung innerhalb der Zelle machten sich die Forscher
zunutze.
-
«Es gelang uns, eine Substanz zu entwickeln, die die β-Sekretase
ausschliesslich in den Endosomen bremst, wo das β-Amyloid-Peptid
entsteht.
Die spezifische Wirksamkeit unseres Inhibitors eröffnet einen
vielversprechenden Weg, um Alzheimer zukünftig wirksam zu behandeln,
ohne bei den Patienten schwere Nebenwirkungen zu verursachen», resümiert
Rajendran. Nächstes Ziel der Forscher ist es, ihren
Medikamentenkandidaten weiterzuentwickeln, um ihn zuerst an Mäusen und
schliesslich in klinischen Studien an Alzheimer-Patienten zu testen.
Literatur:
Saoussen Ben Halima, Sabyashachi Mishra, K. Muruga Poopathi Raja,
Michael Willem, Antonio Baici, Kai Simons, Oliver Brüstle, Philipp Koch,
Christian Haass, Amedeo Caflisch, and Lawrence Rajendran. Specific
Inhibition of β-Secretase Processing of the Alzheimer’s Disease Amyloid
Precursor Protein. Cell Reports. February 25, 2016. doi:
10.1016/j.celrep.2016.01.076
Alzheimer und Demenzerkrankungen in Zahlen
Etwa acht Prozent der über 65-Jährigen und mehr als 30 Prozent der
Menschen, die älter als 90 Jahre sind, leiden an Alzheimer oder einer
anderen Demenzerkrankung. Gemäss der Schweizerischen
Alzheimervereinigung leben hierzulande aktuell knapp 120 000 Menschen
mit einer Demenz und diese Zahl dürfte bis 2030 aufgrund der
demografischen Entwicklung auf 200 000 Betroffene ansteigen.
Schon
heute sind bei uns Demenzerkrankungen der häufigste Grund für die
Pflegebedürftigkeit im Alter und die dritthäufigste Todesursache nach
Herz-Kreislaufleiden und Krebs.
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Prof. Lawrence Rajendran
Institut für Regenerative Medizin
Psychiatrische Universitätsklinik
Universität Zürich
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E-Mail: rajendran@bli.uzh.ch
Kurt Bodenmüller
Universität Zürich