Medizin am Abend Berlin Fazit: Ein Pilzmedikament hilft der Niere auf die Sprünge
Bei Fluconazol, einem längst zugelassenen Medikament gegen
Pilzbefall, hat ein MDC-Forschungsteam überraschende neue Eigenschaften
entdeckt.
Die Substanz hilft, Wasser aus dem Urin zu ziehen.
Das wiesen
die Forschenden in Nagern nach.
- Patientinnen und Patienten mit seltenen
genetischen Krankheiten, bei denen der Wassertransport der Niere
beeinträchtigt ist, könnte das Pilzmittel einmal helfen.
Der Weg zu
einer Therapie ist trotzdem nicht ganz einfach.
In den Nierenzellen der Ratte wandert das grün markierte Aquaporin
AQP2 teilweise zur Zelloberfläche, sobald sie durch das Medikament
Forskolin stimuliert wurden. Zellkerne erscheinen rot. AG Klussmann, MDC
-
Bis zu 20 Liter Harn rauschen bei den Erkrankten täglich in die
Toilette, und ebenso viel müssen sie auch trinken.
Das schränkt das
Leben von Patientinnen und Patienten mit
Wasserharnruhr (Diabetes
insipidus) stark ein.
- Bei ihnen entzieht die Niere dem Harn nicht
genügend Wasser.
Dies kann genetische Ursachen haben, aber zum Beispiel
auch durch Medikamente ausgelöst werden.
Diesen Menschen könnte zukünftig ein Pilzmedikament mit dem Namen
Fluconazol helfen. Das haben die Forschungsteams um Dr. Enno Klußmann
und Professor Kai Schmidt-Ott am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare
Medizin (MDC) in Berlin herausgefunden. In ihrer neuen Arbeit im
Fachblatt Journal of the American Society of Nephrology erklären sie,
wie das Medikament in der Niere wirkt.
Sie zeigen aber auch, weshalb es
nicht für alle an Diabetes insipidus Erkrankten geeignet ist.
Durch Fluconazol gelangt mehr Wasser zurück in den Körper
Das Arzneimittel aktiviert winzige
Wasserkanäle (Aquaporine) in den
Zellen der Niere, die in kleinen Vorratsbläschen gespeichert werden.
Einmal aktiviert bilden sie Poren in der Zelloberfläche, durch die
Wassermoleküle fließen können.
Die Niere transportiert so Wasser aus dem
Harn zurück in den Körper.
Normalerweise wird dieser Prozess durch das
Hormon Vasopressin exakt
gesteuert.
„Wenn das Hormon fehlt oder an der Zelle nicht wirken kann,
kann dies zu massiven Verlusten an freiem Wasser über den Urin führen“,
sagt Dr. Christian Hinze aus dem Team des Nierenspezialisten Schmidt-Ott
am MDC. „Fluconazol schafft das auch ohne Hormon, zu einem gewissen
Grad.“
Etwa 30 Prozent der normalen Wasserrückgewinnung kann Fluconazol bei
Mäusen wiederherstellen. Dies wiesen Hinze und seine Kollegin Dr. Tanja
Vukićević an Tieren nach, bei denen die Vasopressin-Wirkung durch einen
anderen Wirkstoff außer Kraft gesetzt wurde.
Keine Therapie für alle Erkrankten
Durch diese Versuche können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
besser einschätzen, ob die Substanz überhaupt das Zeug zu einem neuen
Therapeutikum für den Menschen hat.
„Fluconazol nützt nur etwas, wenn in
der Nierenzelle noch die Maschinerie für die Aquaporine intakt ist“,
sagt Klußmann. Patientinnen und Patienten, deren Aquaporin-Gen mutiert
ist, könnte eine zukünftige Therapie mit Fluconazol zum Beispiel nicht
helfen.
Hoffnung gibt es jedoch für die Betroffenen, deren Körper erblich
bedingt zu wenig Vasopressin produziert, oder deren Nierenzellen durch
eine Mutation gegenüber dem Hormon unempfindlich sind.
- Zudem scheidet
etwa die Hälfte der Personen, die Lithium als Medikament nehmen müssen,
zu viel Wasser aus.
Auch ihre Nieren reagieren nicht mehr ausreichend
auf das Hormon und könnten im Prinzip von Fluconazol profitieren.
Wirkung in den Zellen der Sammelrohre der Niere
„Jeder Mensch erzeugt
in seinen Nieren täglich ganze 180 Liter
Primärharn“, sagt Hinze. „Am Ende dürfen aber
nur wenige Liter pro Tag
als Urin entstehen.“ Dafür ziehen die winzigen Röhrchen, die den Harn
ins
Nierenbecken leiten, je nach Bedarf mehr oder weniger Wasser aus der
Flüssigkeit.
- Entscheidend für die hormonell gesteuerte Feinabstimmung
dieses Prozesses sind die letzten Abschnitte dieser Leitungsbahnen, die
Sammelrohre.
An dieser Stelle greift das wiederentdeckte Arzneimittel ein.
Die
MDC-Forscherin Tanja Vukićević kultivierte die Zellen des Sammelrohrs
von Ratten in der Petrischale und analysierte die Wirkung im Detail.
In
ihren Versuchen beobachtete sie, wie
die Aquaporin-Moleküle unter dem
Einfluss des Medikaments an die Oberfläche der Zelle wandern. Ein
befreundetes Team von der Christian-Albrechts-Universität Kiel
präparierte die winzigen Sammelrohre aus Mäusenieren und wies dort
direkt nach, dass Fluconazol den Wassertransport verbessert.
Die nächsten Schritte führen in die Klinik
Bereits 2013 hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Klußmann
in einem großen Screening-Test entdeckt, dass Fluconazol die
Lokalisation der Aquaporine beeinflusst.
Als nächsten Schritt planen die Forscherinnen und Forscher eine Studie
an einigen wenigen Personen.
Erst dann könne sich zeigen, ob das
Medikament auch beim Menschen den erhofften Effekt hat.
„
Es bleibt
natürlich abzuwarten, ob eine solche Therapie wirksam und gleichzeitig
verträglich wäre“, sagt Klußmann, der zusammen mit seinen Kolleginnen
und Kollegen die klinische Studie plant.
„Auch wenn es nur wenigen
Menschen hilft, wäre es die Mühe wert gewesen.“
Medizin am Abend Berlin DirektKontakt
www.medizin-am-abend.blogspot.com
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idw - Informationsdienst Wissenschaft e. V.
PD Dr. Enno Klußmann
Leiter der Arbeitsgruppe „Ankerproteine und Signaltransduktion“
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
enno.klussmann@mdc-berlin.de
+49 30 9406-2596
Professor Dr. Kai Schmidt-Ott
Leiter der Arbeitsgruppe „Molekulare und translationale Nierenforschung“
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
kai.schmidt-ott@mdc-berlin.de
+49 30 9406 2512
Jutta Kramm
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
Robert-Rössle-Str. 10
13125 Berlin
Deutschland
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Telefon: 030-9406-2140
E-Mail-Adresse:
jutta.kramm@mdc-berlin.de
Originalpublikation:
Tanja Vukicevic, Christian
Hinze, et al. (2018): „Fluconazole Increases Osmotic Water Transport in
Renal Collecting Duct through Effects on Aquaporin-2 Trafficking.“ J Am
Soc Nephrol 30.
https://doi.org/10.1681/ASN.2018060668
Editorial von Joseph G. Verbalis: „An Antifungal for Antidiuresis?“ J Am Soc Nephrol 30
https://doi.org/10.1681/ASN.2019030285