Medizin am Abend Fazit: Transkranielle Magnetstimulation bei ALS: Frühere Diagnose der Amyotrophen Lateralsklerose?
Die Diagnostik der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), einer
Erkrankung des motorischen Nervensystems, ist schwierig – vor allem in
der frühen Krankheitsphase. Eine australische Studie scheint nun
Hinweise darauf zu geben, dass die Transkranielle Magnetstimulation
(TMS) des motorischen Kortex die Diagnostik verbessern könnte. „Der
Ansatz ist vielversprechend, jetzt muss allerdings erst einmal in
weiteren Studien geprüft werden, ob er sich auch replizieren lässt“,
erklärt Prof. Albert C. Ludolph von der Deutschen Gesellschaft für
Neurologie, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Neurologie an den
Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm.
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) gehört zu den sogenannten
seltenen Krankheiten (Orphan Diseases). Pro Jahr erkranken etwa drei von
100.000 Personen.
Die unheilbare degenerative Erkrankung des
motorischen Nervensystems geht mit Muskelschwäche, Muskelschwund und
Spastik einher. Durch die Lähmung der Muskulatur kommt es unter anderem
zu schweren Gang-, Sprech- und Schluckstörungen.
ALS beginnt meistens
zwischen dem 60. und 75. Lebensjahr, selten sind jüngere Erwachsene
betroffen. Männer erkranken etwas öfter als Frauen (1,5:1). Die
Überlebenszeit beträgt im Mittel drei bis fünf Jahre.
Diagnose nach Ausschluss ALS-ähnlicher Erkrankungen
„Die Diagnose der Erkrankung ist gelegentlich eine Herausforderung, denn
einzelne ALS-Symptome treten auch bei anderen neurologischen
Erkrankungen auf. Es gibt keinen einzelnen Messwert, der eine ALS
beweist“, erklärt Professor Ludolph. Hilfsmittel bei der ALS-Diagnose
ist die klinisch-neurologische Untersuchung nach den international
standardisierten El-Escorial-Kriterien in der vor wenigen Jahren
revidierten Form (Awaji-Kriterien).
„Für den klinischen Gebrauch sind
diese Kriterien allerdings zu eng und stehen einer frühen Diagnose
entgegen“, betont Ludolph.
2015 wurden daher vereinfachte Kriterien
entwickelt, um eine frühere Diagnose zuzulassen.
Bei ALS kann sowohl das erste Motoneuron (engl. upper motoneuron, UMN),
das in der motorischen Hirnrinde die Willkürmotorik steuert, betroffen
sein, als auch das zweite Motoneuron (engl. lower motoneuron, LMN),
welches direkt den Skelettmuskel innerviert.
Nervenimpulse werden
dadurch nicht mehr vom Gehirn an die Muskulatur weitergeleitet.
„Dysfunktionen des zweiten Motoneurons sind recht leicht zu
diagnostizieren, beim ersten Motoneuron ist das schon schwieriger“, so
Ludolph.
TMS verbessert die diagnostische Genauigkeit
Da setzt nun die Arbeit von Dr. Parvathi Menon, Medicine Westmead
Clinical School der University of Sydney, und Kollegen an: Durch die
Transkranielle Magnetstimulation (TMS) kann der motorische Kortex
mithilfe starker Magnetfelder stimuliert werden. Dies führt zu
elektrischen Potentialen (motorisch evozierte Potentiale, MEP), die mit
Elektroden abgeleitet werden und einen Hinweis auf den Funktionszustand
des ersten und zweiten Motoneurons geben.
Zwischen 1. Januar 2010 und 1. März 2014 wurden für die Studie 333
Patienten aus drei neuromuskulären Zentren in Sydney, Australien,
untersucht (206 Männer, 127 Frauen, medianes Alter 57,6 Jahre), davon
entsprachen 281 (84%) den Einschlusskriterien. Das heißt, sie litten
nach den Awaji-Kriterien vermutlich an ALS oder zeigten ALS-ähnliche
Symptome.
Alle 281 Patienten durchliefen sowohl den Referenztest (Awaji-Kriterien)
als auch den verblindeten Index-Test (TMS). Die Studie ergab, dass die
Kombination von Awaji und TMS die diagnostische Genauigkeit scheinbar
deutlich verbessert: Durch die Kombination beider Tests gelang es, bei
209 Patienten definitiv oder mutmaßlich ALS zu identifizieren. Nach den
reinen Awaji-Kriterien wurde dagegen nur bei insgesamt 155 Patienten
(109 Patienten definitiv, 46 Patienten mutmaßlich) ALS identifiziert.
Die TMS unterschied ALS von non-ALS mit einer Sensitivität von 73,21%
(95% KI: 66,66-79,08) und einer Spezifität von 80,88% (95% KI:
69,53-89,40).
Vielversprechender Ansatz bedarf weiterer Prüfung
„Die TMS kann zuverlässig ALS von ALS-ähnlichen Erkrankungen
unterscheiden.
Als diagnostischer Biomarker scheint sich vor allem der
Nachweis einer pathologisch verminderten intrakortikalen Hemmung bei
kurzen Interstimulusintervallen zu eignen“, resümieren die Autoren.
Vereinfacht gesagt:
Die TMS-Doppelpulstechnik erlaubt Rückschlüsse auf
eine im Vergleich zu gesunden Menschen gestörte Erregbarkeit im
motorischen Kortex von ALS-Patienten.
„Der Ansatz ist vielversprechend“, bestätigt auch Ludolph, weist aber
gleichzeitig darauf hin, dass die Studie noch mit den alten, sehr eng
gefassten El-Escorial/Awaji-Kriterien durchgeführt wurde. „Die von Menon
et al. untersuchte Hypothese einer herabgesetzten Schwelle des
motorischen Kortex muss daher in weiteren, größeren Studien untersucht
werden. Sollte sie wirklich zutreffen, könnte das Verfahren in
Kombination mit den neuen El-Escorial-Kriterien, die in Kürze publiziert
werden, eine Möglichkeit sein, Dysfunktionen im oberen Motoneuron
womöglich früher zu diagnostizieren.“ Dies wäre für ALS-Patienten eine
positive Nachricht, so Ludolph: „Es gibt eindeutige Hinweise darauf,
dass eine frühere Therapie der ALS bessere Ergebnisse nach sich zieht.“
Quellen
Menon P, et al.: Sensitivity and specificity of threshold tracking
transcranial magnetic stimulation for diagnosis of amyotrophic lateral
sclerosis: a prospective study. Lancet Neurol 2015 May; 14(5): 478–84;
doi: 10.1016/S1474-4422(15)00014-9
Ludolph et al.: A Revision of the El Escorial Criteria. Amyotrophic
Lateral Sclerosis and Frontotemporal Degeneration 2015 – accepted and in
press
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Prof. Dr. med. Albert C. Ludolph
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Oberer Eselsberg 45, 89081 Ulm
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E-Mail: albert.ludolph@rku.de
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