Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Stellungnahme zur Berichterstattung über „Cytotec zur Geburtseinleitung“
Recherchen der SZ und des BR hinsichtlich der Gabe von Cytotec
(Misoprostol) zur Geburtseinleitung haben zu einem breiten Medienecho
geführt.
In einem ausführlichen wissenschaftlichen Statement beziehen
die DGGG e. V., die AGG e. V. in der DGGG, die DGPM e. V., die DGPGM e.
V. sowie die BLFG e. V. Stellung zum Einsatz des Medikaments und
relativieren die einseitige Berichterstattung, um insbesondere eine
mögliche Verunsicherung der Patientinnen zu vermeiden.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie
und Geburtshilfe e. V. (DGGG), die Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe
und Pränatalmedizin e. V. in der DGGG (AGG), die Deutsche Gesellschaft
für Perinatale Medizin (DGPM) e. V., die Deutsche Gesellschaft für
Pränatal- und Geburtsmedizin e. V. (DGPGM) sowie die
Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Ärztinnen und Ärzte in der
Frauenheilkunde und Geburtshilfe e. V. (BLFG)
möchten zur
Berichterstattung über „Cytotec zur Geburtseinleitung“ Stellung nehmen.
Es wurde berichtet, dass mit „Cytotec“ ein Magenmedikament zur
Geburtseinleitung verwendet wird, das in der Geburtshilfe „umstritten“
ist und in einer „bisher unveröffentlichten Umfrage“ in rund der Hälfte
der deutschen Kliniken verwendet wird.
Es ist richtig, dass „Cytotec 200“ ein Medikament ist, das zum Schutz
der Schleimhaut des Magens zugelassen wurde.
- Der Wirkstoff
„Misoprostol“, ein Prostaglandin-E1-Analogon, hat wie andere Wirkstoffe
auch Effekte an verschiedenen Organen.
Es führt so zum Beispiel an der
Gebärmutter zu einer Reifung des Gebärmutterhalses und Kontraktionen der
Gebärmuttermuskulatur, weshalb es auch zur Geburtseinleitung verwendet
wird.
Entgegen der Berichterstattung ist der Wirkstoff Misoprostol zur
Geburtseinleitung bei geburtshilflichen Experten nicht umstritten,
weshalb fast alle Perinatalzentren höchster Ordnung diesen Wirkstoff
verwenden.
- Hierbei wird nicht „Cytotec 200“ genutzt, sondern ein
Misoprostol-Präparat geringerer Dosierung.
Die Behauptung, dass sich die Ärzte hierbei lediglich auf
„Erfahrungswerte und Anwendungsbeobachtungen stützen“, ist falsch; es
gibt keinen Wirkstoff zur Geburtseinleitung, der ähnlich gut in Studien
untersucht wurde!
Mittlerweile gibt es mehr als 80
randomisiert-kontrollierte Studien zur Verwendung von oralem Misoprostol
zur Geburtseinleitung und dutzende randomisiert-kontrollierte Studien
zur vaginalen Applikation.
Die Evidenz ist unstrittig: Der Wirkstoff Misoprostol ist das
effektivste Medikament zur Geburtseinleitung und führt vor allem bei der
oralen Anwendung zu weniger Kaiserschnitten als mit anderen
Medikamenten (Dinoproston, Oxytocin).
Es ist korrekt, dass jedes Medikament potenzielle Nebenwirkungen haben
kann.
Zu den seltenen Nebenwirkungen von Misoprostol gehören erhöhte
Temperatur/Fieber, Zittern und Überstimulation.
In der Berichterstattung
wurde von „in seltenen Fällen verstarben Mütter, nachdem ihre
Gebärmutter nach der Gabe von Cytotec gerissen war“ gesprochen und sogar
von „vielen mütterlichen Todesfällen“ und „mehrere Babys verstarben“
war die Rede.
Diese Einzelfälle betreffen vor allem Geburten, bei denen im Vorfeld
eine Operation der Gebärmutter (z. B. Kaiserschnitt, Entfernung von
Myomen oder Endometriose) erfolgte.
Hier gibt es unabhängig von einer
Geburtseinleitung immer das Risiko, dass es zu einer
Uterusruptur mit
entsprechendem erhöhtem Risiko für Mutter und Kind kommen kann.
- In
dieser Situation darf Misoprostol nicht zur Geburtseinleitung verwendet
werden, was seit vielen Jahren bekannt ist und im klinischen Alltag
beachtet werden muss.
- Ebenso dürfen Prostaglandin-Präparate (Misoprostol
und Dinoproston) nicht gegeben werden, wenn Wehentätigkeit vorhanden
ist, da dies zu Überstimulationen („Wehenstürmen“) führen kann.
Komplikationen wie mütterliche und kindliche Todesfälle sowie
peripartale Morbidität werden sehr wohl im Rahmen der Qualitätserhebung
erfasst und an das IQTIQ (Institut für Qualitätssicherung und
Transparenz im Gesundheitswesen) weitergeleitet.
„Cytotec 200“ ist nicht zur Geburtseinleitung zugelassen worden und darf
daher nur im „Off-Label-Use“ hierfür verwendet werden.
Da
Zulassungsstudien fast aller Medikamente Kinder und Schwangere
ausschließen, werden in der Geburtshilfe und Kinderheilkunde überwiegend
Antibiotika, Bluthochdruckmittel und Medikamente zur kindlichen
Lungenreifung „off-label“ angewendet.
Auch die in der Berichterstattung
erwähnten „zugelassenen“ Alternativen (Prostaglandine, Oxytocin) zur
Geburtseinleitung sind nur in bestimmten Situationen je nach
Gebärmutterhalsbefund zugelassen.
Nicht erwähnt wurde in der
Berichterstattung, dass der Wirkstoff Misoprostol in vielen Ländern zur
Geburtseinleitung zugelassen wurde – und somit eher eine Besonderheit in
Deutschland besteht.
Diese Präparate heißen nicht „Cytotec“, sondern
beispielsweise Angusta® oder Vagiprost®.
Auch wenn manche internationale
Gesundheitsbehörden wie die französische ANSM vor „Cytotec“ warnten,
wurde dort das niedriger dosierte Misoprostol-Präparat Angusta® genauso
wie in allen skandinavischen Ländern zur Geburtseinleitung zugelassen.
Nachdem es bis zum letzten Jahr mit Misodel® ein zugelassenes
Misoprostol-Präparat zur Geburtseinleitung in Deutschland gab, soll auch
Ende 2020 in Deutschland mit der Zulassung von Angusta® gestartet
werden.
Angesichts dieser ganzen Datenlage sind wir irritiert über die aktuelle
einseitige Berichterstattung,
die zu einer unnötigen und gefährlichen
Verunsicherung der Schwangeren und der in die Betreuung der Schwangeren
eingebundenen Fachkräfte führt(e).
Die Frauenärztinnen und Frauenärzte in Deutschland engagieren sich seit
Jahren für eine hohe Qualität auch in der Geburtshilfe.
Daher werden
Komplikationen kontinuierlich erfasst und diese an zentrale Stellen
gemeldet. Wir können aus den Daten entgegen der Berichterstattung
schlussfolgern, dass Frauen, die zur Geburt eingeleitet werden
(und
keine Gebärmutteroperation in der Anamnese haben) sogar ein niedrigeres
Risiko für schwere Komplikationen erleiden.
Hinsichtlich der kindlichen
Komplikationsraten muss immer das Risiko berücksichtigt werden, das zur
Einleitung geführt hat.
Aktuell ist eine S2k-Leitlinie zur Geburtseinleitung der DGGG, der SGGG
(Schweizer Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) und der OEGGG
(Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) in
Erstellung. Nach Sichtung der Literatur wird die Verwendung von
Misoprostol zur Geburtseinleitung in der DACH-Region im Einklang mit den
anderen internationalen Leitlinien, z. B. USA (ACOG, American College
of Obstetricians), Kanada (SOGC, Society of Obstetricians and
Gynaecologists of Canada), Großbritannien (NICE, National Institute for
Health and Care Excellence) und Frankreich (CNGOF, French national
college of obstetricians and gynecologists), sowie der FIGO
(International Federation of Gynaecology and Obstetrics) und der
Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization) empfohlen
werden.
Die Stellungnahme wurde von Prof. Dr. med. habil. Sven Kehl und Prof. Dr. med. Michael Abou-Dakn verfasst.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG)
ist eine der großen wissenschaftlichen Fachgesellschaften in
Deutschland. Sie hat sich der Stärkung der Fachgebiete der
Frauenheilkunde und Geburtshilfe verschrieben und fördert das gesamte
Fach und seine Subdisziplinen, um die Einheit des Faches Frauenheilkunde
und Geburtshilfe weiter zu entwickeln. Als medizinische
Fachgesellschaft engagiert sich die DGGG fortwährend für die Gesundheit
von Frauen und vertritt die gesundheitlichen Bedürfnisse der Frau auch
in diversen politischen Gremien.
Die Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin e. V.
Die Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin e. V. (AGG)
in der DGGG ist eine selbständige Untergliederung der Deutschen
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. Sie verfolgt die
Förderung der Wissenschaft und Forschung sowie der Aus- und
Weiterbildung von Medizinern in dem Themen- und Aufgabenbereichen der
Pränatal- und Geburtsmedizin. Er befasst sich mit allen klinischen,
wissenschaftlichen und organisatorischen Anliegen auf diesem Gebiet.
Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin e. V.
Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin e. V. (DGPM) ist die
älteste und mit Abstand größte Fachgesellschaft für das
interdisziplinäre Gebiet „Perinatale Medizin" (Geburtshilfe/
Neonatologie und Nachbargebiete) im deutschsprachigen Raum. Aktuelle
Entwicklungen des Faches im wissenschaftlichen oder politischen Bereich
werden von der Gesellschaft unmittelbar durch Publikationen oder
öffentliche Stellungnahmen begleitet.
Die Deutsche Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin e. V.
Die Deutsche Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin e. V. (DGPGM)
ist eine der großen Fachgesellschaften in Deutschland mit dem Ziel, das
Gebiet der Frauenheilkunde in Praxis, Klinik und Forschung zu
vertreten. Darüber hinaus soll der Pränatal- und Geburtsmedizin im
Interesse von Müttern, Kindern und Familien zu einer den Fortschritten
entsprechenden Anerkennung und einer angemessenen Förderung verholfen
werden.
Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Ärztinnen und Ärzte in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe e. V.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Ärztinnen und Ärzte in der
Frauenheilkunde und Geburtshilfe e. V. (BLFG) vertritt die Interessen
der Chefärztinnen und -ärzte der Frauenheilkunde und Geburtshilfe aus
Deutschland zum Wohl der Patientinnen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft
setzt sich dafür ein, allgemein das Verständnis der Belange des
Berufsstandes zu verbessern. Auf dem alle zwei Jahre stattfinden
Chefärzte-Kongress werden politisch, wissenschaftlich und
gesellschaftlich relevante Aspekte thematisiert und diskutiert.
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Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin
https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD001338.pub3/full/de