Medizin am Abend Berlin: Entzündungen als Brutstätte von Leberkrebs entdeckt
Forscher vom Deutschen Krebsforschungszentrum und der Hebrew
University in Jerusalem entdeckten, dass Leberkrebs in entzündlichen
Lymphknoten-artigen Strukturen entsteht.
Im Inneren dieser aus
Immunzellen bestehenden „Pseudo-Lymphknoten“ treiben wachstumsfördernde
Proteine die Entwicklung der Krebsvorläuferzellen an.
Von einem
bestimmten Moment an versorgen sich die Leberkrebszellen selbst mit
ihrem Treibstoff und wandern ins Lebergewebe aus, wo sie zu Tumoren
auswachsen.
Wirkstoffe gegen die wachstumsfördernden Proteine drosselten bei
Mäusen die Krebsentstehung. Anhand einer spezifischen Gen-Signatur
können die Forscher Personen mit einem hohen Risiko für Leberkrebs
identifizieren. Die Ergebnisse sind nun in der Zeitschrift Nature
Immunology erschienen.
- Bei Rheuma und Multipler Sklerose, bei Hepatitis C und Tuberkulose, auch
bei Brust- und Darmkrebs treten sie auf: In den erkrankten Organen und
Geweben bilden sich kleine Strukturen aus Zellen des Immunsystems, die
in ihrem Aufbau und der Zellzusammensetzung an Lymphknoten erinnern.
Wie und warum diese
„Pseudo-Lymphknoten“ (ektope lymphoide Strukturen,
kurz ELS) genau entstehen, wussten Wissenschaftler bislang nicht.
- Bei
Darm-, Brust- und Lungenkrebs ist ihr Vorhandensein mit einem
günstigeren Verlauf assoziiert.
Dass dies für Leberkrebs nicht gilt,
zeigte nun Mathias Heikenwälder vom Deutschen Krebsforschungszentrum
gemeinsam mit Forschern von der Hebrew University in Jerusalem sowie mit
weiteren Kollegen aus Deutschland, der Schweiz und den USA.
- Leberkrebs ist die zweithäufigste Krebstodesursache weltweit. Meist
entsteht die Erkrankung als Folge einer chronischen Leberentzündung, die
sich entweder aus einer Virushepatitis entwickelt oder aus einer
entzündlichen Fettleber. „Pseudo-Lymphknoten“ sind ein
charakteristisches Merkmal der chronischen Leberentzündung.
Heikenwälder und Kollegen zählten die Pseudo-Lymphknoten im krebsfreien
Lebergewebe von 82 Leberkrebs-Patienten und erkannten:
Je mehr dieser
Immunstrukturen eine Leber enthält, desto höher das Risiko, dass der
Krebs nach Behandlung zurückkehrt.
- Als Ursachen für die Entstehung der Pseudo-Lymphknoten kamen die
Forscher einem notorischen Wachstumstreiber von Immunzellen und
Entzündungsreaktionen auf die Spur, dem Zellkern-Protein NF kappa B.
Mäuse, in deren Lebern die
NF kappa B-Signale dauerhaft aktiv waren,
entwickelten bald schon große Mengen von Pseudo-Lymphknoten in der
Leber. Spätestens im Alter von 20 Monaten erkrankten diese Tiere
ausnahmslos an Leberkrebs.
Bei den Jungtieren dagegen fanden die Forscher Krebsvorläuferzellen
ausschließlich innerhalb der Pseudo-Lymphknoten, nicht aber im
Lebergewebe selbst.
Erst nach einer gewissen Zeit wanderten die
fortgeschrittenen Krebszellen aus den ELS aus, teilweise noch
monatelang. Auch in Leber-Gewebeproben von Leberkrebs-Patienten fanden
die Forscher Krebs-Vorläuferzellen im Inneren der Immunstrukturen.
ELS sind aus einer Vielfalt von
Zellen des angeborenen (Makrophagen,
dendritische Zellen) sowie des erworbenen Immunsystems (T- und B-Zellen)
aufgebaut und enthalten sogar Blutgefäße, über die Immunzellen
einwandern können.
Mäuse, die keine T- und B-Zellen bilden können,
produzieren trotz dauerhaft aktivierten NF-kappa B-Signals keine
Pseudo-Lymphknoten und erkranken kaum an Leberkrebs.
Treibstoff-Entzug verlangsamt Krebswachstum
Warum sind die ELS eine so günstige Brutstätte für Leberkrebs? Die
Wissenschaftler fanden in den Pseudo-Lymphknoten hohe Konzentrationen an
Signalmolekülen des Immunsystems, insbesondere die so genannten
Lymphotoxine. Im frühen Stadium der Krebsentstehung produzieren
ausschließlich die Immunzellen des ELS diese krebsfördernden Proteine.
„
Die Leberkrebs-Vorläuferzellen in den ELS sind förmlich süchtig nach
den Lympotoxinen. Irgendwann sind sie in der Lage, sich diesen
„Treibstoff“ selbst zu produzieren. Erst dann fangen die an, aus den ELS
auszuwandern und sich im Lebergewebe zu vermehren.
Das konnten wir in
Gewebeuntersuchungen nachweisen“, sagt Mathias Heikenwälder. Der
Wissenschaftler, der seit kurzem eine Abteilung am DKFZ aufbaut, hat
zuvor am Helmholtz-Zentrum München geforscht.
Die Wissenschaftler behandelten die Mäuse mit einem
Wirkstoff, der die
Lymphotoxine blockiert, und entzogen den Krebs-Vorläufern damit ihren
Treibstoff. Tatsächlich entwickelten die Tiere daraufhin weniger
Tumoren.
Das funktionierte aber nur, wenn der Wirkstoff rechtzeitig
verabreicht wurde, solange die Krebsvorläufer ausschließlich auf die von
den ELS produzierten Lymphotoxine angewiesen waren. Sobald sie sich
ihren Treibstoff selbst produzieren, wirkte die Therapie nicht mehr.
„Wir kennen nun das Muster der Genaktivität, das zur
übermäßigen
Aktivierung von NF kappa B führt und damit dazu beiträgt, dass
Pseudo-Lymphknoten entstehen und dass sich gesunde Leberzellen in
Tumorvorläuferzellen verwandeln.
- Anhand dieser „Gen-Signatur“ können wir
abschätzen, welcher Patient mit einer chronischen Leberentzündung ein
hohes Risiko hat, an Leberkrebs zu erkranken“, sagt Mathias
Heikenwälder.
Diese Gen-Signatur soll zunächst an weiteren
Patientengruppen auf ihre klinische Relevanz überprüft werden.
Heikenwälder und seine Kollegen wollen nun bei Risikopatienten prüfen,
ob eine Blockade der wachstumstreibenden Lymphotoxine auch beim Menschen
die Entstehung von Leberkrebs verhindern kann.
Shlomi Finkin, Detian Yuan, Ilan Stein, Koji Taniguchi, Achim Weber,
Kristian Unger, Jeffrey L Browning, Nicolas Goossens, Shigeki Nakagawa,
Ganesh Gunasekaran, Myron E Schwartz, Masahiro Kobayashi, Hiromitsu
Kumada, Michael Berger, Orit Pappo, Klaus Rajewsky, Yujin Hoshida,
Michael Karin, Mathias Heikenwälder, Yinon Ben-Neriah & Eli
Pikarsky: Ectopic lymphoid structures function as microniches for tumor
progenitor cells in hepatocellular carcinoma. Nature Immunology 2015,
DOI: 10.1038/ni.3290
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern,
dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit
denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher
behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und
interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit
dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum
für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem
vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik
übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für
Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben
universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter
Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines
Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von
Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land
Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der
Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
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