Medizin am Abend Fazit: Bestimmter Glutamat-Rezeptor unterstützt optimale Informationsverarbeitung im Gehirn
Lernen und Gedächtnisbildung faszinieren die Forschung seit langem,
und noch immer sind viele Fragen ungeklärt. Die Bochumer
Neurowissenschaftler Prof. Dr. Denise Manahan-Vaughan und Dr. Hardy
Hagena sind jetzt einem weiteren Baustein dieses komplexen Prozesses auf
die Spur gekommen. Ein bestimmter Rezeptor, der metabotrope Glutamat
5-Rezeptor, dient als Schalter, um im Hippokampus, einer für das
Gedächtnis entscheidenden Gehirnregion, gegensätzliche Formen der
Anpassung zu aktivieren. Sie berichten in der aktuellen Ausgabe des
„Journal of Neuroscience“.
Kontaktstellen zwischen Nervenzellen verarbeiten verschiedene Informationen
Die Gehirnregion um den Hippokampus ist entscheidend an der
Gedächtnisbildung und der Verarbeitung räumlicher Informationen
beteiligt. Der Hippokampus selbst lässt sich in verschiedene Regionen
unterteilen: den Gyrus dentatus, Cornu ammonis (CA) 3 und CA1. Die zu
verarbeitenden Informationen durchlaufen wie in einer Einbahnstraße
nacheinander diese drei Regionen, wobei jede Region unterschiedliche
räumliche Informationen der Umwelt verarbeitet. Eine besondere Rolle
spielt hierbei CA3. Sie erhält zum einen Informationen über die
sogenannten Moosfasern (MF), die aus Nervenzellen des Gyrus dentatus
stammen und mit den Pyramidenneuronen in CA3 Kontaktstellen bilden, die
Synapsen, in diesem Fall MF-CA3-Synapsen. Zum anderen kommunizieren aber
auch Nervenzellen aus der CA3-Region sowohl derselben als auch der
benachbarten Gehirnhälfte über bestimmte Fasern – die
assoziativ/commissural (AC)-Fasern – auf CA3-Zellen und bilden hier die
AC-CA3-Synapsen. „Wir haben bereits gezeigt, dass diese zwei Synapsen
unterschiedliche Arten von Informationen verarbeiten und dass diese
unterschiedliche Art der Informationsverarbeitung vermutlich
verantwortlich dafür ist, dass die CA3-Region eine wichtige Rolle beim
Arbeitsgedächtnis sowie bei der ‚pattern completion‘ spielt, einem
Vorgang, der dazu dient, dass wir eine gesamte und komplexe Erinnerung
aus einem kleinen Fragment wiederherstellen können“, erklärt Hardy
Hagena.
Anpassung an Anforderungen: synaptische Plastizität
Doch wie kommt es dazu, dass Informationen an MF-CA3- und
AC-CA3-Synapsen unterschiedlich verarbeitet werden? Auf Ebene der
Nervenzellen führt die Verarbeitung von Informationen zu einer Anpassung
an die Anforderungen, also praktisch einem Gedächtniseffekt. Die
Forscher sprechen von synaptischer Plastizität. Sie äußert sich in zwei
Formen: als Langzeitpotenzierung (long-term potentiation, LTP), einer
Verstärkung der synaptischen Übertragung, und als Langzeitdepression
(long-term depression, LTD), einer Abschwächung der synaptischen
Übertragung. Sowohl LTP als auch LTD codieren dabei verschiedene Arten
von räumlichen Informationen. Vorangegangene Studien haben für
verschiedene Hirnregionen gezeigt, dass der metabotrope Glutamat
5-Rezeptor (mGlu5-Rezeptor) eine bedeutende Rolle bei dieser lang
anhaltenden Form der synaptischen Plastizität spielt.
Wie der Rezeptor die Gedächtnisbildung beeinflusst
„Aufgrund dieser Erkenntnisse war es besonders interessant
herauszufinden, ob und inwiefern der mGlu5-Rezeptor die synaptische
Plastizität und damit auch die Gedächtnisbildung in der CA3-Region
beeinflusst“, erklärt Hagena. Die Forscher schalteten den Rezeptor
pharmakologisch in MF-CA3-Synapsen aus und stimulierten dann die
entsprechenden informationsübertragenden Fasern. Daraufhin stellten sie
zwar keine LTP mehr fest, konnten aber weiterhin LTD beobachten. Im
Gegensatz dazu kam es bei Ausschaltung des mGlu5-Rezeptors in
AC-CA3-Synapsen zu einer Blockierung von LTD, aber nicht von LTP. „Diese
Ergebnisse zeigen, dass bei einer Aktivierung des mGlu5-Rezeptors
vorzugsweise LTP in den MF-CA3-Synapsen und LTD in den AC-CA3-Synapsen
hervorgerufen wird“, folgern die Forscher.
Faszinierender Einblick in die Funktionsweise der Hippokampusregion
„Diese Ergebnisse erlauben uns einen faszinierenden Einblick in die
Funktionsweise und Regulierung synaptischer Plastizität in der
CA3-Region des Hippokampus“, so die Bilanz der Forscher. „Besonders
interessant ist der Einfluss des mGlu5-Rezeptors, der bei Aktivierung,
z.B. bei Lernvorgängen, bei der Verarbeitung neuer Informationen der
Umwelt oder auch während Prozessen wie der ‚pattern completion‘ die
Richtung der synaptischen Plastizität vorgibt, indem LTP bevorzugt an
MF-CA3-Synapsen hervorgerufen wird und LTD an AC-CA3-Synapsen.“
Diese
gegensätzliche Regulation der synaptischen Plastizität unterstützt eine
optimale Informationsverarbeitung und -speicherung und unterstreicht die
einzigartige Rolle dieser Region bei Lernvorgängen und der
Gedächtnisbildung.
Titelaufnahme
H. Hagena, D. Manahan-Vaughan (2015): mGlu5 acts as a switch for
opposing forms of synaptic plasticity at mossy fiber-CA3 and commissural
associational-CA3 Synapses, The Journal of Neuroscience, DOI:
10.1523/JNEUROSCI.3417-14.2015
Medizin am Abend DirektKontakt
Dr. Hardy Hagena, Prof. Dr. Denise Manahan-Vaughan, Abteilung für
Neurophysiologie, Medizinische Fakultät der Ruhr-Universität, 44780
Bochum, Tel. 0234/32-22042, hardy.hagena@rub.de;
Denise.Manahan-Vaughan@rub.de
Dr. Julia Weiler
Ruhr-Universität Bochum
Redaktion: Meike Drießen