Medizin am Abend Berlin Fazit: Erste zielgerichtete Therapie gegen Zystennieren: Meilenstein, aber die Forschung muss weitergehen
Seit August ist der V2-Rezeptor-Antagonist Tolvaptan, die erste
zielgerichtete Therapie gegen Zystennieren, bei Erwachsenen
verordnungsfähig. Laut DGFN eignet sich die Substanz aber nur für
ausgewählte Patienten, die umfassend beraten und in einem Zentrum mit
Erfahrung in der ADPKD mitbetreut wurden. „Tolvaptan wirkt
progressionshemmend, aber ist nicht für alle Patienten mit Zystennieren
eine Option. Die Forschung an zielgerichteten Therapien gegen
Zystennieren muss weitergehen“, erklärt Prof. Dr. Thomas Benzing (Köln),
Kongresspräsident der DGfN-Jahrestagung 2015. Derzeit wird auch ein
Register zur Langzeitbeobachtung von Tolvaptan-behandelten
Zystennierenpatienten initiiert.
Die
autosomal-dominante polyzystische Nierendegeneration (ADPKD),
auch oft als
„familiäre Zystennieren“ bezeichnet, ist eine erbliche
Erkrankung, die in Deutschland schätzungsweise über 50.000 und weltweit
über 12 Millionen Menschen betrifft [1]. Die Inzidenz beträgt 1:500 bis
1:1000 [2].
Im Allgemeinen wird die Erkrankung erst im dritten und
vierten Lebensjahrzehnt symptomatisch, davor wird sie entweder im Rahmen
einer bildgebenden Untersuchung als Zufallsbefund entdeckt oder auch
gezielt diagnostiziert, wenn die Erkrankung eines Elternteils bekannt
wird. Die Krankheitsprogression sowie das Erreichen des terminalen
Nierenversagens können stark variieren,
letztendlich werden aber die
meisten Patienten im Laufe ihres Lebens dialysepflichtig (die Hälfte der
Patienten muss im Mittel mit 58 Jahren an die Dialyse [3]). Bei
ungefähr 7% aller Dialysepatienten ist eine ADPKD die Ursache der
terminalen Niereninsuffizienz [4].
Zur Zystenbildung kommt es durch bestimmte Genmutationen, bei mindestens
80% der Patienten ist das
PKD1-Gen auf Chromosom 16 betroffen.
Eine
genetische Diagnostik wird aber in der Regel nicht durchgeführt.
Es
kommt zur
Fehlfunktion von Nierenzellen mit einer
starken
Flüssigkeitssekretion und zystischen Erweiterung der Harnkanälchen
(Tubuli).
Während eine
gesunde Niere ungefähr 160 g wiegt, erreichen
Zystennieren ein Gewicht von mehreren Kilogramm. Im Endstadium bestehen
die Nieren nur noch aus flüssigkeitsgefüllten Zysten, normales
Nierengewebe ist kaum noch vorhanden.
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Erste Symptome sind oft das Auftreten von Blut im Urin und
rezidivierende Harnwegsinfektionen, aber auch Rücken-, Flanken- oder
Bauchschmerzen sowie merkliche Zunahme des Bauchumfangs. Bei 60-70% der
Patienten kommt es zu einem Bluthochdruck, auch Nierensteine sind
möglich.
Lange Zeit konnte die Progression nur durch die medikamentöse
Blutdrucksenkung und nephroprotektive Maßnahmen (Verzicht auf
Nikotinkonsum und auf nierenschädigende Medikamente) verlangsamt werden.
Auch heute ist die ADPKD – abgesehen von einer Nierentransplantation –
nicht heilbar. Im Terminalstadium sichert die Dialyse und vor allem die
Nierentransplantation das Überleben der Betroffenen.
Neue zielgerichtete Therapieansätze bei Zystennieren – „trial and error“
Die Erforschung der genetisch-molekularbiologischen Grundlagen der
Pathophysiologie der Erkrankung zeigte verschiedene zelluläre
Mechanismen und Signalwege auf, die bei der Zystenentstehung beteiligt
sind. Basierend auf der Erkenntnis, dass durch die ADPKD-verursachenden
Genmutationen unter anderem das Protein mTor („mammalian Target of
Rapamycin“) verstärkt exprimiert wird,
wurde den letzten Jahren die
medikamentöse Therapie mit mTOR-Inhibitoren evaluiert (z. B. Everolimus,
bekannt aus der immunsuppressiven Therapie nach Organtransplantation).
Leider konnte im Ergebnis nur das Zystenwachstum gehemmt werden, nicht
jedoch der progrediente Nierenfunktionsverlust [5].
An einem anderen, die Proliferation und Sekretion der Zystenzellen
fördernden Signalweg ist der intrazelluläre Botenstoff cAMP (cyclisches
Adenosinmonophosphat) maßgeblich beteiligt. Octreotid, ein
Somatostatin-Analogon, wirkt cAMP-hemmend. Unter dem langwirksamen
Octreotid-LAR konnte die mittlere Wachstumsrate des Nierenvolumens
signifikant reduziert werden (46,2 ml vs. 143,7 ml) [6], ob jedoch auch
der renale Funktionsverlust effektiv aufgehalten werden kann, konnte die
Studie nicht zeigen.
Tolvaptan – der Durchbruch?
Die bei ADPKD hochregulierte cAMP-Bildung in den Zellen der Nierentubuli
wird durch das Hormon Vasopressin über den Vasopressin2-Rezeptor (V2R)
ausgelöst. V2-Rezeptor-Antagonisten blockieren den Rezeptor und somit
die Bildung von cAMP und können somit die Zystenbildung aufhalten. Dies
wurde für den oralen V2-Rezeptor-Antagonisten Tolvaptan in der
Phase-III-Studie TEMPO 3:4 eindrucksvoll gezeigt. Über drei Jahre konnte
die Wachstumsgeschwindigkeit des Nierenvolumens um 50% reduziert, der
jährliche Nierenfunktionsverlust um 30% vermindert werden [7], was
statistisch zu einer signifikanten Hinauszögerung der
Dialysepflichtigkeit um median 6,5 Jahre führen sollte [8].
Seit Mai 2015 ist der V2-Rezeptor-Antagonist Tolvaptan für die Therapie
der ADPKD bei erwachsenen Patienten im CKD-Stadium 1-3 mit schnell
fortschreitender Erkrankung in Europa zugelassen. Der Wirkstoff selbst
ist nicht neu, seit einigen Jahren wird Tolvaptan zur Therapie des
„Syndroms der inadäquaten Vasopressin-Sekretion“/SIADH eingesetzt. Für
Deutschland liegt nun seit August die Verordnungsfähigkeit für die
Indikation ADPKD vor.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Nebenwirkungen von Tolvaptan
umfassen Durst, Polyurie, Pollakisurie, Nykturie; aber auch
Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit und Erhöhung der Leberwerte. Auch
wenn die hepatischen Nebenwirkungen bislang nur selten und reversibel
waren,
so scheint prinzipiell ein hepatotoxisches Potenzial zu bestehen
[9], weshalb eine Überwachung der Leberwerte vor und während der
Behandlung erforderlich ist.
Aus dem Wirkmechanismus (gesteigerte Ausscheidung von „freiem Wasser“)
ergeben sich zudem signifikante Begleiterscheinungen der Therapie.
Die
hohe Menge an ausgeschiedenem unverdünntem Urin muss durch eine
entsprechende Trinkmenge kompensiert werden. Die Substanz eignet sich
aufgrund der Begleiterscheinungen und der Tatsache, dass die Substanz
nur in den frühen Stadien der Erkrankung zugelassen ist, nur für
ausgewählte Patienten, die umfassend beraten wurden. Am besten geschieht
die initiale Beratung in einem in der Therapie der ADPKD erfahrenen
Zentrum. Eignung bzw. Mitarbeit des Patienten sind wichtige
Voraussetzungen für diese Therapie.
- Erwachsene ADPKD-Patienten können
sich unter anderem in der Kölner Spezialambulanz für Zystennieren
vorstellen, um abklären zu lassen, ob eine Behandlung mit Tolvaptan für
sie in Frage kommt. Zudem initiiert Prof. Dr. Thomas Benzing von der
Universität Köln derzeit ein Register, um Langzeitdaten der mit
Tolvaptan behandelten Patienten zu erfassen. Das Registerprojekt wird
von der DGfN unterstützt.
„Tolvaptan wirkt progressionshemmend, aber ist nicht für alle Patienten
mit Zystennieren eine Option. Die Forschung an zielgerichteten Therapien
gegen Zystennieren muss weitergehen“, so das Fazit von Prof. Dr. Thomas
Benzing (Köln), Kongresspräsident der DGfN-Jahrestagung 2015.
Literatur
[1]
http://www.pkdcure.de/index.php?page=adpkd
[2] Wilson PD. Polycystic kidney disease. N Engl J Med 2004; 350 (2): 151-64
[3] Gabow PA, Johnson AM, Kaehny WD et al. Factors affecting the
progression of renal disease in autosomal-dominant polycystic kidney
disease. Kidney Int 1992; 41 (5): 1311-9
[4] Frei U, Schober-Halstenberg HJ. Nierenersatztherapie in Deutschland. QuaSi-Niere Jahresbericht 2005/2006
[5] Walz G, Budde K, Mannaa M et al. Everolimus in patients with
autosomal dominant polycystic kidney disease. N Engl J Med 2010; 363
(9): 830-40
[6] Caroli A, Perico N, Perna A et al.; ALADIN study group. Effect of
longacting somatostatin analogue on kidney and cyst growth in autosomal
dominant polycystic kidney disease (ALADIN): a randomised,
placebo-controlled, multicentre trial. Lancet 2013;382:1485-95
[7] Erickson KF, Chertow GM, Goldhaber-Fiebert JD. Cost-effectiveness of
tolvaptan in autosomal dominant polycystic kidney disease. Ann Intern
Med 2013;159(6):382-9
[8] Torres VE, Harris PC et al. Tolvaptan in patients with autosomal
dominant polycystic kidney disease. The New England Journal of Medicine.
2012;367 (25): 2407-2418
[9] Watkins PB, Lewis JH, Kaplowitz N et al. Clinical Pattern of
Tolvaptan-Associated Liver Injury in Subjects with Autosomal Dominant
Polycystic Kidney Disease: Analysis of Clinical Trials Database. Drug
Saf. 2015 Jul 19. [Epub ahead of print]
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