Medizin am Abend Berlin Fazit: Erstmals nachgewiesen:
Monozyten vom angeborenen Immunsystem regulieren Darmbarriere
Aktuell publiziert in Proceedings der National Academy of Science
U.S.A. - Erkenntnisse liefern wichtige Daten für das Verständnis von
Morbus Crohn
- Bei Morbus Crohn-Patienten reagiert das Immunsystem auf das
Eindringen von Bakterien aufgrund einer gestörten Darmbarriere, es kommt
zur Entzündungen des Dünndarms.
- Wissenschaftler am Uniklinikum Tübingen
haben jetzt erstmals nachgewiesen, dass aus dem Knochenmark stammende
Zellen die Darmbarriere und das Mikrobiom im Darm regulieren.
Diese
Erkenntnisse sind für das Krankheitsverständnis entscheidend und bilden
die Grundlage für eine Vielzahl neuer therapeutischer Ansätze.
In der aktuell in „Proceedings“ der National Academy of Science U.S.A.
(Lioba Courth et al.) veröffentlichten Arbeit konnte erstmals gezeigt
werden, dass vom Knochenmark
abstammende mononukleäre Zellen des
angeborenen Immunsystems über Stammzelldifferenzierungsfaktoren die
körpereigene, antibakterielle Defensinantwort in den Panethzellen der
Darmwand kontrollieren können.
Bei Morbus Crohn bilden die Monozyten zu
wenig Stammzelldifferenzierungsfaktoren, weshalb die
Darmoberfläche
(Panethzellen) zu wenig antimikrobielle Defensine (körpereigene
Antibiotika) enthält.
- Dieser Mangel ermöglicht es Darmbakterien die
Epithelzellen des Darms anzugreifen und dadurch eine Entzündung
hervorzurufen.
Morbus Crohn
Morbus Crohn ist eine chronisch entzündliche Darmerkrankung für die es
bislang keine Heilung gibt.
Die Häufigkeit nimmt zu und es gibt in
Europa etwa eine Million Menschen mit dieser Erkrankung.
- Durch
schubweise wiederkehrende Entzündungen, starke Schmerzen, ständige
Durchfälle, Müdigkeit und eine Vielzahl weiterer Symptome sind die oft
jungen Patienten stark in ihrer Lebensqualität und Leistungsfähigkeit
eingeschränkt.
Die Ursachen, wie es zur Entzündung kommt, waren lange
unklar.
- Zunehmend ist die Hypothese akzeptiert, dass die Darmbarriere,
also die Grenze der Darmwand, die uns von den Bakterien im Darminneren
trennt, eine entscheidende Rolle spielt und die Entzündung durch einen
Defekt in dieser Barriere ausgelöst und unterhalten wird.
Schützende Barriere im Darm
Körpereigene Antibiotika, die u. a. von sogenannten Paneth´schen
Körnerzellen im Dünndarm gebildet werden, spielen eine entscheidende
Rolle bei Morbus Crohn des Dünndarms.
Der Inhalt dieser Zellen wird
normalerweise in ausreichenden Mengen ins Darminnere abgegeben.
Diese
sogenannten „Defensine“ verhindern dort das Eindringen der im Darm
enthaltenen Mikroorganismen in den Körper und regulieren gleichzeitig
die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms.
Neben einer zentralen Rolle bei Morbus Crohn des Dünndarms scheinen
Panethzellen auch bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen - an denen das
Darmmikrobiom beteiligt ist - eine wichtige Rolle zu spielen.
- Dazu
gehören neben metabolischen Erkrankungen auch eine häufig vorkommende
Darmentzündung nach Transplantation des Knochenmarks, die sogenannte
„Graft versus host disease“.
Verschiedene genetische Defekte, die teils durch die Tübinger
Arbeitsgruppe beschrieben wurden, führen direkt zur
Störung der
Panethzellen und sind mit Morbus Crohn des Dünndarms assoziiert.
Lange Zeit war jedoch unklar, wie es bei Patienten ohne genetische
Veränderungen zur Störung dieses Systems kommt. Die Arbeitsgruppe um
Prof. Dr. Jan Wehkamp von der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen
untersuchte die Frage,
welchen Einfluss vom Knochenmark abstammende
Zellen auf die Darmbarriere haben könnte, vor allem in Bezug auf die
Regulation der körpereigenen Defensinabwehr und somit auf das Mikrobiom.
Die Rolle des Knochenmarks
Die Tübinger Arbeitsgruppe in Kooperation mit dem Robert Bosch
Krankenhaus, Stuttgart und dem Dr. Margarete Fischer Bosch Institut für
klinische Pharmakologie, Universität Tübingen ging von einer völlig
neuartigen Hypothese aus:
Zellen des Knochenmarks könnten das
Darmmikrobiom indirekt über die Defensine der Panethzellen
kontrollieren. Ausgangspunkt dieser Idee ist die Tatsache, dass sich die
Symptome von Morbus Crohn des Dünndarms über eine
Knochenmarkstransplantation beheben lassen.
In der aktuell in „Proceedings“ d
er National Academy of Science U.S.A.
(Lioba Courth et al.) veröffentlichten Arbeit konnte erstmals gezeigt
werden, dass vom Knochenmark abstammende mononukleäre Zellen des
angeborenen Immunsystems über Stammzelldifferenzierungsfaktoren die
körpereigene, antibakterielle Defensinantwort in den Panethzellen
kontrollieren können. Diese Erkenntnis war völlig unerwartet und stellt
bisherige Vorstellungen auf den Kopf.
Auswirkungen auf das Krankheitsverständnis von Morbus Crohn
Es stellte sich heraus, dass die Monozyten des Immunsystems von
Patienten mit Morbus Crohn einen Defekt haben und nicht in der Lage
sind, die Barriere im Darm ausreichend zu kontrollieren. Ursache ist,
dass die Monozyten der Patienten zu wenig
Stammzelldifferenzierungsfaktoren -
sogenannte Wnt-Liganden -
produzieren.
- Durch diesen Monozytendefekt können die Patienten Bakterien
nicht ausreichend abwehren und es kommt zur Entzündung.
Die vorliegende Studie zeigt,
dass es eine Interaktion zwischen
Monozyten und der Darmbarriere gibt, die Auswirkungen auf die
antimikrobielle Abwehr und die Zusammensetzung des Darmmikrobioms hat.
Diese Erkenntnisse sind für das Krankheitsverständnis entscheidend und
eröffnen eine Vielzahl von möglichen therapeutischen Ansätzen.
Neben dem Verständnis für Morbus Crohn liefern diese Daten auch eine
Erklärung für die Wirksamkeit von
Knochenmarkstransplantationen, die in
schweren Fällen von Morbus Crohn durchgeführt werden.
Darüber hinaus
lassen diese Daten aber möglicherweise auch den Schluss zu,
dass erst
durch die Transplantation defekter Monozyten im Rahmen einer
Knochenmarkstransplantation eine Entzündung der Darmwand wie in der
„Graft versus host disease“ ausgelöst werden kann.
Die Tübinger Arbeitsgruppe, die im Rahmen einer neu eingerichteten
Heisenbergprofessur für angeborene Immunabwehr seit einiger Zeit in der
Medizinischen Universitätsklinik Tübingen angesiedelt ist, arbeitet an
verschieden therapeutischen Optionen und geht davon aus, dass sich die
Therapie von Morbus Crohn (und möglicherweise anderer chronischer
Entzündungen) im Laufe des nächsten Jahrzehnts aufgrund dieser neuen
Erkenntnisse entscheidend wandeln wird.
Titel der Originalpublikation
Crohn’s disease-derived monocytes fail to induce Paneth cell defensins
Autoren: Lioba F. Courth a,1, Maureen J. Ostaff b,1, Daniela
Mailänder-Sánchez a, Nisar P. Malek a, Eduard F. Stange c, and Jan
Wehkamp a,2
a Department of Internal Medicine I, University Hospital Tuebingen,
72076 Tuebingen, Germany; b Dr. Margarete Fischer-Bosch-Institute of
Clinical
Pharmacology Stuttgart, University of Tuebingen, 70376 Stuttgart,
Germany; and c Department of Gastroenterology, Robert Bosch Hospital,
70376
Stuttgart, Germany
DOI www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1510084112
Prof. Jan Wehkamp Universitätsklinikum Tübingen
Medizin am Abend Berlin DirektKontakt
Universitätsklinikum Tübingen
Medizinische Universitätsklinik, Innere Medizin I
Univ. Prof. Dr. Jan Wehkamp
Otfried-Müller-Straße 10, 72076 Tübingen
Tel. 07071/29-86004
E-Mail: Jan.Wehkamp@med.uni-tuebingen.de
Bildlegende
Abbildung aus PNAS, Courth et al., Crohn’s disease-derived monocytes fail to induce Paneth cell defensins
Gesunde Menschen produzieren
ständig hohe Mengen antimikrobieller
Peptide, sogenannter Defensine, die
über Panethzellen an der Basis der
Dünndarmkrypten ins Darminnere abgegeben werden. Diese Defensine
regulieren die Zusammensetzung der Darmflora und verhindern
gleichzeitig, dass Mikroorganismen in die Darmschleimhaut eindringen
können und eine Entzündung auslösen.
Dadurch bleibt der Darm gesund und
unsere Oberflächen sind geschützt (linke Abbildung). Neu und Bestandteil
dieser Arbeit ist, dass sogenannte Monozyten aus dem Knochenmark (blaue
Zellen, siehe Zeichnung) Signalstoffe freisetzen (blaue Punkte, siehe
Zeichnung), die für die Aufrechterhaltung dieser antimikrobiellen
Barrierefunktion mit verantwortlich sind. Es gibt eine Kommunikation
zwischen knochenmarkabstammenden Blutzellen (Monozyten) und der
Oberflächenzellschicht (Panethzelle: rot, an der Kryptenbasis, siehe
Zeichnung), die antimikrobielle Defensine ins Darminnere abgibt (rote
Granula, siehe Zeichnung).
Morbus Crohn Patienten zeichnen sich durch eine verminderte Produktion
dieser Panethzelldefensine aus.
Dadurch ist nicht nur die direkte
Verteidigung der Darmschleimhaut gegen Mikroorganismen eingeschränkt,
sondern die antimikrobielle Funktion des gesamten Dünndarms, wodurch es
zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Mikrobioms kommt. Neu ist
die Erkenntnis, dass die Monozyten (blau, siehe Zeichnung) von Patienten
mit Morbus Crohn in ihrer Fähigkeit die antimikrobielle Funktion
anzuregen, eingeschränkt sind und die Bildung von Defensinen nicht
stimulieren können. Ursache scheint die verminderte Produktion
verschiedener Stammzelldifferenzierungsfaktoren zu sein, die die
Produktion von Defensinen beeinflussen (blaue Punkte, siehe Zeichnung).