Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Neue zielgerichtete Therapieansätze für Glomerulonephritiden und Systemerkrankungen mit Nierenbeteiligung
- Glomerulonephritiden sind schwere Nierenerkrankungen.
- Sie stellen eine relativ häufige Ursache für eine chronische Dialysetherapie dar.
Eine Behandlung kann oft das endgültige Nierenversagen verhindern oder hinauszögern, wenn sie rechtzeitig beginnt und alle verfügbaren Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft werden.
Die Erforschung der molekularen und meist immunologischen Pathomechanismen hat in letzter Zeit zur Identifizierung neuer spezifischer Therapieangriffspunkte (wie B-Zelle, T- Zelle, Zyokine, Komplement) und Entwicklung verschiedenster zielgerichteter Immuntherapien geführt, von denen die ersten bereits zugelassen sind oder in klinischen Phase-2- oder -3-Studien untersucht werden.
- Eine Glomerulonephritis (GN) ist eine entzündliche Erkrankung der kleinsten Filtereinheiten der Nieren (Nierenkörperchen, Glomeruli), die typischerweise nicht infektiös, sondern immunvermittelt (z. B. autoimmun) bedingt ist.
Ca. 1% der Menschen leidet an einer GN [1], in Deutschland ist die GN in 18,7% Ursache von chronischen Nierenkrankheiten [2]. Die GN gehört auch zu den häufigsten Grunderkrankungen, die zur chronischen Nierenersatztherapie (Dialyse oder Transplantation) führen – bei der Diagnoseverteilung der Dialysepatienten entfallen auf die GN ca. 20% [3, 4].
Bei der primären
GN sind nur die Glomeruli betroffen (z.B. IgA-Nephropathie), bei einer
sekundären GN liegt eine Grunderkrankung vor, die außer den Nieren noch
andere Organe betrifft (z.B. Systemerkrankungen wie der systemische
Lupus erythematodes (SLE) oder die Vaskulitiden).
Die IgA-Nephropathie (IgAN) ist die weltweit häufigste Form der primären
glomerulären Erkrankungen.
- Bei der IgAN besteht ein relativ hohes Risiko, dass irgendwann eine chronische Dialysebehandlung notwendig wird, besonders, wenn eine Proteinurie von > 0,5 - 1g/Tag besteht, die nicht adäquat behandelt wird.
- Histologisch findet man in den Glomeruli Ablagerungen von Immunkomplexen mit Immunglobulin A (IgA), die auch Autoantikörper enthalten.
Die Lupusnephritis (LN) stellt eine sekundäre Nierenbeteiligung bei 40-60% der SLE-Betroffenen dar.
Nicht selten ist sie überhaupt die erste Organmanifestation des SLE; häufig tritt sie in den ersten 5-10 Jahren nach der SLE-Diagnose auf.
- Wie bei allen Systemerkrankungen sind verschiedene Organe/Gewebe von autoimmunen Entzündungsprozessen betroffen (z.B. Bindegewebe/Gelenke, Haut), es kommt ebenfalls zur Ablagerung von Immunkomplexen.
Wenn eine akute GN nicht adäquat behandelt wird, steigt das Risiko für ein Nierenversagen an.
Essenziell ist daher eine konsequente Supportivtherapie. Dazu gehören eine Lebensstilanpassung mit gesunder Ernährung, Bewegung, Behandlung von Übergewicht, Nikotinverzicht, Kochsalzreduktion, Therapie eines erhöhten Blutdrucks sowie einer Proteinurie.
- Um Blutdruck und Proteinurie zu verbessern, sind Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAASi, v. a. ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker) der Goldstandard.
- Diese Medikamente sind entscheidende Säulen zur Verlangsamung eines chronischen Nierenfunktionsverlustes.
Auch die zusätzliche Gabe eines SGLT-2-Hemmers („Sodium-glucose linked transporter 2-Inhibitoren“, SGLT2i; v. a. Dapagliflozin oder Empagliflozin) wirkt bei chronischen Nierenerkrankungen (CKD) nephroprotektiv, was mit großer Evidenz belegt ist [5, 6, 7, 8] und inzwischen in den aktuellen Leitlinien zur Standardbehandlung vor allem bei diabetischer und proteinurischer CKD gehört.
Bei Nierenbeteiligung
aufgrund einer Systemerkrankung muss der Stellenwert des zusätzlichen
Nutzens noch weiter quantifiziert werden [9].
Zur Unterdrückung der immunologischen Prozesse sind beim SLE und den
Vaskulitiden fast immer und oft auch bei primärer GN zusätzlich
Immunsuppressiva oder Glukokortikosteroide notwendig. Wenn sich eine
Proteinurie (≥ 0,75-1,0 g/Tag) trotz dreimonatiger Supportivtherapie
incl. RAASi und SGLT2i (sowie ggf. künftig einer Therapie mit dualer
Endothelin-Rezeptor- und Angiotensin-Rezeptor-Blockade) nicht bessert
oder wenn ein hohes Risiko für ein Fortschreiten der Erkrankung bzw.
Nierenversagen besteht und es keine immunsuppressive Standardtherapie
gibt bzw. diese versagt, sollte versucht werden, die Betroffenen in
einer passenden Studie zu behandeln, um den drohenden
Nierenfunktionsverlust aufzuhalten. Die Zahl möglicher Studien ist hier
sehr groß – in den letzten 15 Jahren hat das Wissen zur Immunpathogenese
schwerwiegender glomerulärer Nierenerkrankungen deutlich zugenommen.
Daraus haben sich für fast jede GN neue, molekulare Therapieansätze
ergeben, die mit der zunehmenden Zahl verfügbarer immunmodulatorischer
Substanzen sowie mit gezielt entwickelten Immuntherapien nun erprobt
werden – mit bereits sichtbaren Erfolgen.
Neue IgAN-Therapien
In den letzten Jahren wurden für die IgAN-Therapie Budesonid und
Sparsentan (in den USA) zugelassen. Sparsentan, ein dualer
Endothelin-Rezeptor- und Angiotensin-Rezeptor-Antagonist senkte in der
PROTECT-Studie die Proteinurie (unter maximaler RAASi) signifikant [10],
sodass er im beschleunigten Verfahren von der US-amerikanischen FDA
eine Zulassung erhielt und sich nun in weiteren Studien bewähren muss.
Eine starke Kortikosteroidtherapie ist bei IgAN mit einem oft inakzeptabel hohen Infektionsrisiko verbunden.
Die TESTING-Studie
(„Therapeutic Effects of Steroids in IgA Nephropathy Global“) zeigte,
dass Methylprednisolon die progrediente Abnahme der Nierenfunktion
deutlich verlangsamt, allerdings bei signifikant erhöhtem
Infektionsrisiko [1]. Hier könnten die Ergebnisse der NefIgArd-Studie
einen Wendepunkt bedeuten: NefIgArd untersuchte Budesonid, ein bei
anderen Immunerkrankungen bewährtes Kortikosteroid, das gezielt in der
Magen-Darm-Schleimhaut freigesetzt wird und somit direkt auf das
darmassoziierte lymphatische Gewebe wirkt, aber dabei kaum systemische
Nebenwirkungen aufweist. In NefIgArd kam es zu einer im Vergleich zu
Placebo signifikanten Besserung der Proteinurie um 48% [11]. Das
magensaftresistente Budesonid wurde daraufhin als erstes Medikament
sowohl von der FDA als auch von der EMA für die Behandlung der IgAN
zugelassen, wenn ein hohes Risiko für eine progressive Verschlechterung
der Nierenfunktion besteht. Der Budesonid-Effekt mit Stabilisierung der
Nierenfunktion und Proteinurieverbesserung scheint auch nach der
Behandlung anzuhalten (Monat 3 bzw. 15 nach Therapieende), allerdings
kann über den Langzeiteffekt noch keine Aussage getroffen werden.
Ein weiterer neuer Therapieansatz bei IgAN ist die Beeinflussung des
Zytokins BAFF („B cell activating factor“) und/oder des APRIL-Signalwegs
„(A Proliferation-Inducing Ligand)“. Untersucht werden hier monoklonale
Antikörper, die APRIL-spezifisch (Bion-1301, Sibeprenlimab) gegen BAFF
(Belimumab) oder über die Koppelung an einen Teil des TACI-Rezeptors
(„transmembrane Activator and CAML-Interactor“) wirken (Atacicept,
Telitacicept). Erste Phase-2-Studien zeigten, dass zirkulierenden
Gd-IgA1-Spiegel und auch die Proteinurie abnehmen. Derzeit läuft eine
Phase-3-Studie mit Sibeprenlimab; der Beginn von Phase-3-Studien mit
anderen Substanzen zur Hemmung dieses Signalwegs ist geplant.
Darüber hinaus wird ein Angriff an verschiedene Stufen der
Komplementkaskade (an Proteine des Komplementwegs) erforscht, darunter
C3 ( mit Pegcetacoplan), C5 (mit Cemdisiran, Ravulizumab) und der
C5a-Rezeptor (mit Avacopan). Erste Daten sind vielversprechend,
bezüglich der Reduktion der Proteinurie bei IgAN. Auch wurden Phase-2-
und Phase-3-Studien begonnen, die Medikamente mit Angriff am Faktor B
(Iptacopan, IONIS-FB-LRx) und Faktor D (ALXN2050) des alternativen
Signalwegs sowie an MASP-2 des Lektinwegs (Narsoplimab) testen.
Neue zielgerichtete Therapien bei Lupusnephritis
Bei der Behandlung der aktiven LN ergänzt Belimumab (Wirkung auf
B-Zellen) die Therapieoptionen der Leitlinien. Belimumab wurde 2021 auch
für die LN zugelassen, es ist ein monoklonaler IgG-1λ-Antikörper gegen
BAFF („B-cell activating factor“). Er verhindert die Bindung des
B-Lymphozytenstimulators BAFF und somit das Ausreifen und Überleben
autoreaktiver B-Zellen mit der Folge der Reduktion der
Antikörperproduktion. Die randomisiert kontrollierte Phase-3-Studie
BLISS–LN zeigte die Wirksamkeit von Belimumab als „add on“ zur
Standardtherapie (CYC oder MMF) bei LN im Sinne einer
„Multi-Target“-Therapie [12], wobei es zum verbesserten Ansprechen der
LN innerhalb von zwei Jahren kam (additives Belimumab vs.
Standardtherapie nach 104 Wochen 43% vs. 32% renales Ansprechen). Das
Risiko für unerwünschte renale Ereignisse war bei Belimumab ebenfalls
reduziert – ohne vermehrte Nebenwirkungen [13]. Außerdem steht seit 2021
zur Behandlung der aktiven LN in Kombination mit Immunsuppressiva
Voclosporin (Wirkung auf T-Zellen) zur Verfügung, ein
Calcineurininhibitor (CNI) mit gegenüber bisherigen CNI günstigerem
Nebenwirkungsprofil und fehlender Notwendigkeit von Spiegelkontrollen.
Voclosporin wurde in der AURA-LV-Phase-2- und AURORA-Phase-3-Studie
untersucht [14].
Es laufen derzeit auch randomisierte Studien mit beispielsweise weiteren
Substanzen, die B-Zellen als Therapieziel angreifen, z.B. mit
Ianalumab, einem BAFF-Rezeptor-Antikörper, der als „add on“ zur
Standardtherapie gegeben wird. Auch der humanisierte monoklonale
Anti-CD20-Antikörper Obinutuzumab ist im Bereich der B-Zell Depletion
vielversprechend. In der randomisierten, doppelblinden,
placebo-kontrollierten Phase-2-Studie NOBILITY wurde Obinutuzumab in
Kombination mit der Standardtherapie gegeben, war gut verträglich und
verbesserte das Ansprechen [15]. Aktuell läuft die Phase-3-Studie. Als
neue Strategie zur B-Zell-Reduktion wird die
Anti-CD19-CAR-T-Zelltherapie untersucht. Die innovative
CAR-T-Zell-Therapie wurde bislang fast ausschließlich bei Tumoren
angewandt.
Verschiedene T-Zellpopulationen haben Bedeutung bei der Pathogenese der
LN. Dabei spielt IL17 eine wichtige Rolle als proinflammatorisches
Zytokin, welches u. a. T-Zell-Infiltration fördert. Hier greift der
Anti-IL17-Antikörper Secukinumab an, der in einer Phase-3-Studie als
zusätzliche Behandlung in Kombination mit der Standardtherapie erprobt
wird. Auch der T-Zell-Zytokin-spezifische IL-23-Antikörper Guselkumab,
der über die Hemmung von IL-23 die Produktion von IL17 inhibiert,
befindet sich in einer Phase-2-Studie. Mittlerweile ist auch die
Interaktion zwischen CD40 (B-Zellen) und CD40-Ligand (aktivierte
T-Zellen) wieder ein Therapie-Target, um am Ende des entsprechenden
Signalwegs die Aktivierung von B-Zellen zu stoppen. Hier wird
Dazodalibep, ein neu entwickeltes Fusionsprotein, getestet. Auch die
Ergebnisse einer Phase-2-Studie mit dem monoklonalen
Anti-CD40-Antikörper Iscalimab werden bald erwartet.
„Es ist sehr erfreulich, dass wir bald so viele neue therapeutischen
Optionen bei den Glomerulonephritiden bzw. auch bei der Lupusnephritis
haben werden und auch bei den Vaskulitiden (autoimmune Gefäßentzündungen
häufig mit Nierenbeteiligung) sind neue Therapiemöglichkeiten
„unterwegs“ und zum Teil schon verfügbar wie Avacopan
(C5a-Rezeptor-Antagonist).
Gerade bei Nierenerkrankungen mit schlechtem
Therapieansprechen liegt die Zukunft vermutlich bei Kombinations- bzw.
Multi-Target-Therapien, um durch Mehrfachangriffe an den
Pathomechanismen die Betroffenen effektiver und nebenwirkungsärmer zu
behandeln“, so Prof. Dr. Marion Haubitz, Fulda, Tagungspräsidium der 15.
Jahrestagung der DGfN. „Genauso wichtig wie beispielsweise auch die
Reduktion der eingesetzten Steroiddosen ist es, rechtzeitig alle
nephroprotektiven Behandlungsoptionen zu nutzen.“
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[3] Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) 2020 Jahresbericht 2019 zur Qualität in der Dialyse
https://www.g-ba.de/downloads/39-261-4568/2020-11-20_QSD-RL_IQTIG-Jahresbericht-...
[4] https://www.bundesverband-niere.de/informationen/chronische-nierenerkrankungen (dort QuaSi-Niere Bericht 2005)
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