Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Überraschende Erkenntnisse zur Therapie des Herzinfarkts
Nach einem Herzinfarkt oder bei einer instabilen Angina pectoris ist
die blutplättchenhemmende Behandlung mit Prasugrel (Efient) für die Patienten
besser als mit Ticagrelor(Brilique)
Zu diesem unerwarteten Ergebnis kommt die vom
Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und dem Deutschen
Herzzentrum München finanzierte, industrie-unabhängige Studie
ISAR-REACT 5, die jetzt auf dem ESC Kongress in Paris vorgestellt wurde.
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Nach einem Jahr kam es in der mit Prasugrel behandelten
Patientengruppe zu weniger Herzinfarkten, Schlaganfällen und Todesfällen
als in der Patientengruppe, die Ticagrelor erhielt.
„Auch das Risiko
für Blutungen war mit Prasugrel nicht erhöht“, sagt Studienleiterin
Professor Stefanie Schüpke vom Deutschen Herzzentrum München, Klinik an
der Technischen Universität München (TUM). „Das ist eine sehr gute
Nachricht für die Patienten.“ Aufgrund vorangegangener Studien zur
Vorbehandlung bei einer bestimmten Form des Herzinfarkts hatten die
Wissenschaftler erwartet, dass Ticagrelor als Gewinner aus dem direkten
Vergleich mit Prasugrel hervorgeht.
Beide Medikamente gehören zu den
Blutplättchenhemmern, die Ärzte nach
einem akuten
Koronarsyndrom (ACS) standardmäßig verordnen.
Akutes
Koronarsyndrom ist ein Oberbegriff für schwerwiegende
Durchblutungsstörungen des Herzmuskels.
Dazu gehören der Herzinfarkt und
die instabile Angina pectoris.
Bei Letzterer treten wie bei einem
Herzinfarkt drückende, einschnürende Schmerzen im Brustraum auf, andere
Kriterien für einen Infarkt fehlen jedoch.
Die Plättchenhemmer sollen verhindern, dass die Blutplättchen verklumpen
und erneut Blutgerinnsel in den vorgeschädigten Herzkranzgefäßen
bilden. Bislang empfehlen die Behandlungs-Leitlinien der Europäischen
Gesellschaft für Kardiologie Prasugrel und Ticagrelor gleichermaßen.
„Welches der beiden Medikamente besser ist, wussten wir bislang nicht,
da der direkte Vergleich in einer ausreichend großen ACS-Population über
ein Jahr fehlte“, erklärt die DZHK-Forscherin Stefanie Schüpke.
Diese
Lücke wird nun von den Ergebnissen der ISAR-REACT 5-Studie geschlossen.
An der Studie beteiligten sich 23 Zentren in Deutschland und Italien,
insgesamt wurden 4.018 Patienten mit einem ACS untersucht.
Die Prasugrel-basierte Strategie ist der Ticagrelor-basierten Strategie überlegen
In die Studie wurde das gesamte Spektrum von Patienten mit ACS
eingeschlossen: 41 Prozent der Studienteilnehmer wurden mit der
Diagnose
Herzinfarkt mit ST-Streckenhebung (STEMI) aufgenommen, 46 Prozent mit
einem
Herzinfarkt ohne ST-Strecken-Hebung (NSTEMI) und 13 Prozent der
Studienteilnehmer mit einer
instabilen Angina pectoris.
- Der NSTEMI
unterscheidet sich vom STEMI unter anderem durch das Fehlen einer
bestimmten Hebung in einem Abschnitt des EKGs, der ST-Strecke.
- Bei allen
Patienten war eine Untersuchung mit dem Herzkatheter geplant.
Die Studienteilnehmer wurden zufällig einer Therapie mit Prasugrel oder
Ticagrelor zugeordnet.
Patienten mit Ticagrelor-Therapie erhielten das
Medikament schon bevor die Ärzte ihr Herz mit dem Katheter untersuchten.
Mit Prasugrel wurden nur Patienten mit einem STEMI medikamentös
vorbehandelt.
Aufgrund früherer Studienerkenntnisse erhielten Patienten
mit NSTEMI und instabiler Angina pectoris Prasugrel erst nachdem die
Herzanatomie bekannt war.
Bei älteren Patienten (ab 75 Jahren) und
Patienten mit einem Gewicht unter 60 kg wurde die Erhaltungsdosis von
Prasugrel von 10 auf 5 mg pro Tag reduziert.
Die Mehrzahl der Patienten (84 %) wurde mit einer
perkutanen
Koronarintervention behandelt, 2 Prozent erhielten eine
Bypass-Operation
und 14 Prozent der Patienten wurden konservativ behandelt.
Nach einem Jahr trat der Endpunkt Tod, erneuter
Herzinfarkt oder
Schlaganfall seltener bei mit Prasugrel behandelten Patienten auf (6,9
%) im Vergleich zu Patienten, die Ticagrelor erhalten hatten (9,3 %).
Gleichzeitig war das Risiko für Blutungen mit der Prasugrel-basierten
Strategie nicht erhöht.
Die Ergebnisse der Studie sprechen dafür, sowohl bei einem STEMI als
auch bei einem NSTEMI und einer instabilen Angina pectoris Prasugrel zu
bevorzugen.
Komfortabler und günstiger
Obwohl die beiden Substanzen eine Hemmung der Blutplättchen bewirken,
sind sie chemisch ganz unterschiedlich aufgebaut.
Ticagrelor ist ein
reversibler Plättchenhemmer, dessen Wirkung schneller nachlässt als die
von Prasugrel. Ticagrelor muss daher zweimal täglich eingenommen werden,
was den Patienten etwas mehr Therapietreue abverlangt.
- Prasugrel ist
hingegen ein irreversibler Plättchenhemmer. Es reicht, ihn einmal
täglich einzunehmen.
- Außerdem ist Prasugrel mittlerweile als Generikum
erhältlich und damit günstiger als Ticagrelor.
Relevanz der Studie für die Praxis
Die Studie löst das Dilemma, welches Medikament Ärzte Millionen von
Patienten, die jährlich ein ACS erleiden, verordnen sollten.
Außerdem
erlaubt sie eine Individualisierung der Plättchen-hemmenden Therapie.
Sie unterstützt das Konzept, zunächst die Diagnose ACS mittels
Herzkatheter zu sichern und vermeidet so, dass Patienten Medikamente
erhalten, die sie gar nicht benötigen.
Darüber hinaus untermauern die
Daten die Sicherheit einer reduzierten Prasugrel-Dosis bei Patienten mit
erhöhtem Blutungsrisiko.
Professor Thomas Eschenhagen, Vorstandsvorsitzender des DZHK, lobt nicht
nur die hohe Qualität und die klaren Ergebnisse der Studie: „Die
ISAR-REACT 5-Studie ist in meinen Augen ein gutes Beispiel für klinische
Studien, die das DZHK fördern sollte: Wissenschaftliche
Fragestellungen, die unmittelbaren Nutzen für die Patientenversorgung
haben, die aber sonst niemand fördern würde.
Der Vergleich von zwei (zu
Studienbeginn) noch unter Patentschutz stehenden Medikamenten wäre weder
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung noch von einem der
Hersteller finanziert worden.
Deswegen hat sich das DZHK entschlossen,
diese Studie zu unterstützen, und wie man heute sieht, hat sich das mehr
als gelohnt.“
Der Diskutant der Studie, Professor Gilles Montalescot vom Hospital
Pitie-Salpetriere in Paris, bezeichnete die Studie als Meilenstein, die
die klinische Praxis und die Behandlungsempfehlungen beeinflussen wird.
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Prof. Dr. Stefanie Schüpke
Deutsches Herzzentrum München, Klinik an der Technischen Universität München, schuepke(at)dhm.mhn.de
Oudenarder Straße 16
13347 Berlin
Deutschland
Berlin
Christine Vollgraf
Telefon: 030 3465 52902
E-Mail-Adresse:
christine.vollgraf@dzhk.de
Originalpublikation:
Ticagrelor or Prasugrel in Patients with Acute Coronary Syndromes.
Schüpke S, Neumann FJ, Menichelli M, Mayer K, Bernlochner I, Wöhrle J,
Richardt G, Liebetrau C, Witzenbichler B, Antoniucci D, Akin I,
Bott-Flügel L, Fischer M, Landmesser U, Katus HA, Sibbing D, Seyfarth M,
Janisch M, Boncompagni D, Hilz R, Rottbauer W, Okrojek R, Möllmann H,
Hochholzer W, Migliorini A, Cassese S, Mollo P, Xhepa E, Kufner S,
Strehle A, Leggewie S, Allali A, Ndrepepa G, Schühlen H, Angiolillo DJ,
Hamm CW, Hapfelmeier A, Tölg R, Trenk D, Schunkert H, Laugwitz KL,
Kastrati A; ISAR-REACT 5 Trial Investigators. N Engl J Med. 2019 Sep 1.
DOI: 10.1056/NEJMoa1908973