Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Wie das Kunststoffzeitalter unsere Hormone beeinträchtigt
Bruno-Allolio-Nebennierenpreis 2024 für Lydia Kürzinger und Benedikt Pötzl
Ein Team der Endokrinologie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) hat
den Einfluss der chemischen Substanzen Bisphenol A, F und S auf die
Hormonsynthese und den Hormonhaushalt der Nebenniere untersucht und
warnt vor potentiellen Folgen für unsere Gesundheit.
Schematischer Überblick über Veränderungen in der Steroidsynthese der
Nebennierenzellen in Anwesenheit von Bisphenol A, F und S. Erstellt mit
biorender.com. UKW
- Ob Trinkflaschen, Konservendosen, Bratpfannen, Kassenbons, Textilien, Wasserleitungen, Brandschutzmittel oder mit Pestiziden belastete Lebensmittel – wir alle kommen im heutigen Kunststoffzeitalter mit chemischen Substanzen in Verbindung.
Viele dieser synthetischen Stoffe bringen jedoch nicht nur Vorteile mit sich, sondern bergen auch zahlreiche Risiken für die Umwelt und für unsere Gesundheit.
Im Verbund
von Mikro- und Nanoplastikpartikeln werden die Schadstoffe weltweit
verteilt und tauchen in verschiedensten Ökosystemen und Nahrungsketten
auf. Die genauen Folgen und Auswirkungen einer chronischen Exposition
auf die menschliche Gesundheit sind schwer abschätzbar.
Endokrine Disruptoren können Gesundheit beeinträchtigen
- In der gegenwärtigen Forschung werden die Schadstoffe, die wir durch die Nahrung, Luft oder Hautkontakt aufnehmen, als „endokrine Disruptoren“ bezeichnet.
Denn sie stehen im Verdacht, Hormonkreisläufe zu stören oder zu beeinträchtigen und somit Einfluss auf Wachstum und Entwicklung, Stoffwechsel, Fortpflanzung, Stimmung und Verhalten zu haben.
Die Folgen sind unter anderem Unfruchtbarkeit, Adipositas oder Diabetes.Lydia Kürzinger und Benedikt Pötzl vom Würzburger Lehrstuhl Endokrinologie und Diabetologie haben sich die Auswirkungen von Bisphenolen auf die Hormonsynthese der Nebenniere genauer angeschaut.
Bisphenole sind eine Gruppe chemischer Substanzen, die in vielen
Kunststoffen als Weichmacher oder Stabilisatoren verwendet werden. Die
Assistenzärztin und der Doktorand konnten in aufwendigen
Zellkulturexperimenten zum ersten Mal den Einfluss von Bisphenol A
(BPA), F (BPF) und S (BPS) auf die Sekretion 15 verschiedener
Nebennierenhormone nachweisen.
Bisphenole hemmen Cortisol, Aldosteron und DHEA
Bei der Exposition mit BPA, BPF und BPS beobachteten die beiden
Forschenden signifikante Veränderungen in der Freisetzung essentieller
Hormone, wobei einzelne Hormone hoch- und andere herunterreguliert
wurden.
„Es ist daher davon auszugehen, dass die getesteten Bisphenole
auf sehr komplexe Weise mit der Steroidsynthese der Nebennierenzellen
interagieren, was dazu führt, dass die Ausschüttung klinisch relevanter
Hormone wie Cortisol, Aldosteron und Dehydroepiandrosteron, kurz DHEA,
gehemmt wird“, berichtet Benedikt Pötzl.
„Die betroffenen Steroidhormone sind in verschiedene Systemen des
menschlichen Organismus involviert, zum Beispiel Stressantwort,
Blutdruckkontrolle, sexuelle Differenzierung und Pubertät“, fährt Lydia
Kürzinger fort und resümiert.
„Unsere Arbeit legt nahe, dass Bisphenole,
die sich mittlerweile in nahezu allen untersuchten menschlichen Proben
nachweisen lassen, den präzise regulierten Hormonhaushalt der Nebenniere
beeinträchtigen.“
Bruno-Allolio-Nebennierenpreis 2024 für Lydia Kürzinger und Benedikt Pötzl
Für ihre Arbeit "Disruptive effects of plasticizers bisphenol A, F, and S
on steroidogenesis of adrenocortical cells”, die von der Deutschen
Forschungsgesellschaft (DFG) im Rahmen des
Sonderforschungsbereichs/Transregio zur Nebenniere (SFB/TRR 205) und
durch ein Stipendium der Graduate School of Life Sciences (GSLS)
gefördert wurde, haben Lydia Kürzinger und Benedikt Pötzl beim 67.
Deutschen Kongress für Endokrinologie (DGE) in Rostock den mit 8.000
Euro dotierten Bruno-Allolio-Nebennierenpreis der Deutschen Gesellschaft
für Endokrinologie 2024 erhalten.
„Die Thematik der endokrinen Disruptoren stellt angesichts der Unmengen
an Plastik und Kunststoffen, die jedes Jahr produziert und nahezu
unreguliert in die Umwelt gelangen, ein sehr relevantes und
alarmierendes Problem unserer Zeit dar, welches die planetare Gesundheit
bedroht. Und die Brisanz nimmt zu, da die planetaren Belastungsgrenzen
zur Einbringung neuartiger Substanzen bei Weitem überschritten sind“,
kommentiert Privatdozent Dr. Ulrich Dischinger. Der Oberarzt und Leiter
des endokrinologischen Routinelabors am UKW hat das Forschungsprojekt
initiiert hat und als Mentor betreut.
Regulatorische Maßnahmen im Sinne des Verbraucher- und Umweltschutzes
Die Forschenden hoffen, dass sie mit dieser Arbeit und weiteren Studien
zu endokrinen Disruptoren und deren Risiken zu einer Vertiefung der
wissenschaftlichen Evidenz über Risiken unserer kunststoffgeprägten Zeit
beitragen und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern
wertvolle Informationen für regulatorische Maßnahmen liefern können, im
Sinne des Verbraucher- und Umweltschutzes.
Im Falle einzelner Substanzen wurden zwar dank langjähriger
wissenschaftlicher Forschung inzwischen zumindest in der EU, sowie den
USA, weitgehende Regulationen erreicht, doch der Status quo in der
Verwendung neuer synthetischer Stoffe durch die Industrie sei weiterhin
mangelhaft, denn die komplexen Interaktionen zwischen potenziell
endokrin disruptiven Substanzen und Organismen müssen oft nicht
ausreichend getestet werden. Besorgniserregend sei auch der gegenwärtige
Trend, dass alternative Substanzen durch geringe chemisch-strukturelle
Variation entwickelt und eingesetzt werden, obwohl deren potentiell
schädlicher Einfluss oft mit der Ursprungssubstanz vergleichbar sei.
Neben Benedikt Pötzl und Lydia Kürzinger haben Sabine Kendl, Hanna
Urlaub, Antonia Dohles, Max Kurlbaum sowie Martin Fassnacht und Ulrich
Dischinger am Projekt mitgewirkt.
Benedikt Pötzl präsentierte beim Deutschen Kongress für Endokrinologie die Untersuchungen zu den Auswirkungen von BPA, BPF und BPS auf die Steroidogenese in Nebennieren, für die er gemeinsam mit Lydia Kürzinger den Bruno-Allolio-Nebennierenpreis erhielt. EndoScience
Wie das Kunststoffzeitalter unsere Hormone beeinträchtigt
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