Medizin am Abend Berlin Fazit: Bayerische Landtagswahl 2018: Einige Wahlprogramme sind nur schwer verständlich
Verständlichkeits-Check der Universität Hohenheim: Analyse zur
bayerischen Landtagswahl / Wahlprogramm der CSU schneidet sprachlich am
besten ab
Medizin am Abend Berlin ZusatzFachLink: Fehler und Risikomanagement
Komplizierte Fremdwörter, „Denglish“ und Monster-Sätze:
Kurz vor der
Landtagswahl 2018 in Bayern haben Kommunikationswissenschaftler der
Universität Hohenheim in Stuttgart die Wahlprogramme der Parteien auf
ihre formale Verständlichkeit hin untersucht.
Ihr Ergebnis: Einige
Programme sind sprachlich nur schwer verständlich.
Nicht alle Wahlprogramme zur bayerischen Landtagswahl sind gut verständlich.
Bildquelle: Universität Hohenheim
„Wie schon bei der bayerischen Landtagswahl 2013 und bei der Europawahl
2014
hat die CSU auch zur Landtagswahl 2018 das sprachlich mit Abstand
verständlichste Wahlprogramm vorgelegt“, sagt Prof. Dr. Frank
Brettschneider, Kommunikationsexperte an der Universität Hohenheim und
Leiter der Studie.
„Ein Wert von 12,8 Punkten auf dem Hohenheimer
Verständlichkeitsindex kann sich sehen lassen.
- Bei den anderen Parteien
ist hingegen noch viel Luft nach oben.
Schlusslicht ist die AfD mit 6,2
Punkten.“
Anhand des Hohenheimer Verständlichkeitsindex und mit Hilfe der
Verständlichkeitssoftware „TextLab“ können die Wissenschaftler die
Gründe für die Unverständlichkeit der Wahlprogramme benennen:
komplizierte und unverständliche Fach- und Fremdwörter, Anglizismen,
„Denglish“ und Satz-Monster mit mehr als 20 Wörtern, also Bandwurmsätze
und Schachtelsätze.
Die Probleme der Wahlprogramme haben Prof. Dr.
Brettschneider und Claudia Thoms, wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Fachgebiet Kommunikationstheorie an der Universität Hohenheim, in Zahlen
ausgedrückt. Der Hohenheimer Verständlichkeitsindex reicht von 0
(völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich). Er wird von der
Software „TextLab“ berechnet.
Analysiert wurden CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und
die AfD.
Berücksichtigt wurden die Parteien, die entweder im Deutschen
Bundestag oder in mindestens drei Landtagen vertreten sind. Das
langfristige Forschungsprojekt ist eine Kooperation mit der Agentur H
& H CommunicationLab aus Ulm.
Fremdwörter, Anglizismen und Satz-Monster
Verstehen alle Wählerinnen und Wähler den Inhalt, wenn die Grünen von
„Haltungskennzeichnung“ reden? Oder die CSU von „Smart- und
Bürgerbussen“, die AfD von „Vergemeinschaftung“, die Linke von
„Selbstvertretungsorganisationen“, die SPD von „energetischer
Sanierung“, die FDP von „Bildungskette“ und „Sachaufwandsträger“? Solche
Fachbegriffe sind für die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler genauso
unverständlich wie die zahlreichen Anglizismen: „Smart Grids“ (Grüne),
„Fast Lanes“ (CSU), „Share Deals“ (Linke), „Learning Management Systeme“
(FDP), „Gender Mainstreaming“ (AfD), „Gender Budgeting“ oder
„Teamteaching“ (SPD).
Darüber hinaus erhöhen lange, zusammengesetzte Wörter nicht gerade die
Lesbarkeit der Wahlprogramme: „Allgemeinverbindlichkeitserklärung“
(Linke), „Abschiebehafteinrichtung“ (CSU),
„Finanzkraftstrukturausgleich“ (AfD).
In allen Wahlprogrammen finden sich Verstöße gegen
Verständlichkeits-Regeln. „Neben den Fremdwörtern, Anglizismen und
Fachbegriffen sind es auch die Bandwurmsätze, die die Wahlprogramme so
unverständlich machen“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. „Wir haben in
allen Wahlprogrammen solche Satz-Ungetüme
mit teilweise mehr als 40
Wörtern gefunden.“
Bayern im Ländervergleich auf Platz 2
-
Im Schnitt zeigt sich: Die aktuellen Wahlprogramme aus Bayern sind im
Vergleich etwas verständlicher als die Wahlprogramme in anderen
Bundesländern.
- Mit einem Durchschnitt von 9,0 liegen die bayerischen
Wahlprogramme auf Platz 2.
-
Die Landtagswahl mit den im Schnitt formal verständlichsten Programmen
fand 2016 in Mecklenburg-Vorpommern statt (9,1 Punkte).
- Die formal
unverständlichsten Programme fanden sich 2014 bei der Landtagswahl in
Sachsen (6,7 Punkte).
Fordernde Wortwahl bei allen Parteien
Bei den Begriffen, die häufig in den Wahlprogrammen genannt werden,
ähneln sich die meisten Wahlprogramme, erklärt Claudia Thoms. „Begriffe
wie ‚Menschen‘ und ‚Bayern‘ sind besonders häufig zu finden. In den
Wahlprogrammen der AfD, der Linken und der FDP wird zudem der Parteiname
besonders häufig genannt.“
-
Alle Parteien wollen „mehr“.
- FDP und AfD „fordern“ relativ häufig,
- während Grüne „schaffen“ und „fördern“ wollen.
- Die CSU möchte häufig
„stärken“, „schaffen“ und „unterstützen“.
Claudia Thoms stellt fest: „Eine Betrachtung der für die Wahlprogramme
typischen Adjektive deutet auf die klassischen Themenschwerpunkte der
Parteien hin. Während Grüne, Linke und SPD etwas
häufiger sozial-,
arbeits- und umweltbezogene Adjektive verwenden, stechen bei der AfD
solche Adjektive heraus, die einen Bezug zum Thema Kriminalität haben.
Die CSU ist sprachlich vor allem ‚visionär‘, bei der FDP finden sich
häufig Bezüge zu ‚liberal‘“.
Unverständliche Wahlprogramme – eine verschenkte Kommunikationschance
Mit der formalen Unverständlichkeit verschenken die Parteien eine
Kommunikationschance bei den
Bürgerinnen und Bürgern, stellt Prof. Dr.
Brettschneider fest.
„Obwohl nur sehr wenige Menschen die Wahlprogramme
komplett und intensiv durchlesen, sollen Wahlprogramme eigentlich dazu
dienen, Wählerinnen und Wähler zu gewinnen oder zu halten.“ Aus den
Programmen leiten sich außerdem andere Kommunikationsmittel ab, die für
eine Wahl wichtig sind:
Wahlplakate, Homepage und Broschüren. „Selbst
wenn die Wähler nicht das gesamte Programm lesen, so schauen sich einige
von ihnen doch zumindest die Passagen an, die sich auf Themen beziehen,
die ihnen wichtig sind“, sagt Prof. Dr. Brettschneider.
Neben der Funktion, Wählerinnen und Wähler zu halten oder neue zu
gewinnen, sind die Programme auch innerhalb der Partei von Bedeutung,
betont der Kommunikationsexperte. „Während der Arbeit am Programm klären
die Mitglieder innerparteiliche Positionen und
bündeln verschiedene
Interessen. Der Parteiführung dient das Programm nach der Wahl als
Grundlage für Koalitionsverhandlungen oder für die Arbeit in der
Opposition. Entgegen landläufigen Behauptungen halten sich Parteien nach
den Wahlen auch häufig an ihre Programm-Aussagen.“
Wahlprogramme aus Sicht von Parteimitgliedern
Wie Parteimitglieder Wahlprogramme wahrnehmen, ist bislang kaum
erforscht. Bei einer Online-Umfrage der Universität Hohenheim im Jahr
2010 gaben 828 Parteimitglieder an,
vor allem die Kurzversion des
Wahlprogramms für ein wichtiges Wahlwerbemittel zu halten. Es sei
nützlicher, besser gestaltet, überzeugender, interessanter und
verständlicher als die Langfassung.
Lediglich die Mitglieder der Grünen
stufen die Langversion als sehr wichtig ein.
„Fast 50 Prozent der befragten Parteimitglieder gaben an, die
Kurzversion ihres Wahlprogramms vollständig gelesen zu haben“, so Prof.
Dr. Brettschneider. „Von der Langversion behaupten das nur 16 Prozent.“
Parteiübergreifend werden die Kurzfassungen als ein wirksames
Wahlwerbemittel gesehen: Sie erfüllen aus Sicht der Parteimitglieder am
stärksten die Funktion, die Wähler von der Wahl der jeweiligen Partei zu
überzeugen. Diese Funktion wird den Langfassungen am wenigsten
zugesprochen. „Die Langfassungen dagegen gelten unter den Mitgliedern
als Instrument, um dem Wahlkampf eine Richtung zu geben und um in
eventuellen Koalitionsverhandlungen eine Richtlinie zu haben“, erklärt
Prof. Dr. Brettschneider. „Eine Funktion, die wiederum den Kurzfassungen
am wenigsten zugesprochen wird.
Es gibt also eine klare Arbeitsteilung
zwischen den Lang- und den Kurzfassungen.“
Prof. Dr. Brettschneider betont jedoch: „Die von uns gemessene formale
Verständlichkeit ist natürlich nicht das einzige Kriterium, von dem die
Güte eines Wahlprogramms abhängt.
Deutlich wichtiger ist der Inhalt.
Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert
ist. Und unverständliche Formulierungen bedeuten nicht, dass der Inhalt
falsch ist. Formale Unverständlichkeit stellt aber eine Hürde für das
Verständnis der Inhalte dar“.
HINTERGRUND: Der Hohenheimer Wahlprogramm-Check
Die Wahlprogramme sind ein Kommunikationsmittel der Parteien, um die
eigenen Positionen darzulegen. Seit 2009 untersucht das Fachgebiet für
Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie, an der
Universität Hohenheim im „Wahlprogramm-Check“ in Kooperation mit der
Ulmer Agentur für Verständlichkeitsmessung H&H CommunicationLab u.a.
folgende Fragen:
Kommunizieren die Parteien in ihren Wahlprogrammen so
verständlich, dass die Wahlberechtigten sie verstehen können?
Welche
Verständlichkeits-Hürden finden sich in den Wahlprogrammen? Und welche
Begriffe dominieren in den Programmen?
Möglich werden diese Analysen durch die von H&H Communication Lab
GmbH und von der Universität Hohenheim entwickelte
Verständlichkeitssoftware „TextLab“. Diese Software berechnet
verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die
Verständlichkeit relevant sind (z.B. Satzlängen, Wortlängen,
Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter).
Aus diesen Werten setzt sich der „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“
zusammen, der die Verständlichkeit der Programme und Texte auf einer
Skala von 0 (unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) abbildet.
- Zum
Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine
durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten.
Hörfunk-Nachrichten
kommen im Schnitt auf 16,4 Punkte, Politik-Beiträge überregionaler
Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt, der
Süddeutschen Zeitung oder der taz auf Werte zwischen 11 und 14.
Bayerische Landtagswahl 2018: Einige Wahlprogramme sind nur schwer verständlich
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Prof. Dr. Frank Brettschneider
Universität Hohenheim, Fachgebiet Kommunikationswissenschaft, insbes. Kommunikationstheorie
T 0711 459 24030,
frank.brettschneider@uni-hohenheim.de
Schloss 1
70599 Stuttgart
Deutschland
Baden-Württemberg
E-Mail-Adresse:
presse@uni-hohenheim.de
Florian Klebs
Telefon: 0711/ 4592 2001
Fax: 0711/ 4592 3289
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