HPV-Impfung zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs

Medizin am Abend Fazit: HPV-Impfung zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs: kein erhöhtes Risiko für Multiple Sklerose

Nach jahrelangen Bedenken von jungen Frauen, Mädchen und ihren Eltern
geben gleich zwei große Studien Grund für eine Entwarnung.

Reihenimpfungen zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs erhöhen nicht das
Risiko für Multiple Sklerose (MS) oder ähnliche Nervenkrankheiten. Gleich
zwei seriöse Studien haben dies nun kurz nacheinander bestätigt. „Wir
Neurologen können Mädchen und jungen Frauen eine Impfung gegen das
menschliche Papilloma-Virus HPV guten Gewissens empfehlen, denn der Schutz
vor Gebärmutterhalskrebs wird nicht durch Erkrankungsrisiken des
Nervensystems erkauft“, erklärt Professor Heinz Wiendl von der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie (DGN). Bis zu 45 Prozent der Mädchen zwischen
12 und 17 Jahren nehmen die von den Krankenkassen bezahlte Impfung in
Anspruch.

MS ist eine chronische Autoimmunkrankheit, bei der die Hüllen der
Nervenzellen angegriffen werden. Der Verlauf ist bei den Patienten sehr
verschieden, ist aber immer mit großen Einschränkungen verbunden und führt
in vielen Fällen über mehrere Jahre hinweg zu einer Verschlechterung des
Gesundheitszustands bis hin zum Tod. Mit mehr als 180.000 Patienten in
Deutschland und mehr als 2 Millionen weltweit zählt die MS zu den
häufigsten schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen.

Gebärmutterhalskrebs macht rund 2 Prozent aller Krebsneuerkrankungen bei Frauen aus.

Schon bald, nachdem im Jahr 2006 der Impfstoff gegen HPV zugelassen worden
war, gab es mehrere Fallberichte über MS-Erkrankungen in kurzem zeitlichem
Abstand. „Ob es sich dabei schlicht um Zufälle handelte, war damals
unklar. Zahlreiche Medienberichte führten aber zur Verunsicherung: Neu
erkrankte MS-Patienten vermuteten einen Zusammenhang mit ihrer Impfung,
und viele junge Frauen oder deren Eltern fragen seitdem nach der
Sicherheit der Impfung“, beschreibt Heinz Wiendl die Erfahrungen auch aus
seiner Klinik. „Das ist ein Dauerbrenner“, so der Direktor der Klinik für
Allgemeine Neurologie der Universität Münster.

Studie mit fast 4 Millionen Frauen

Um die umstrittene Auslösertheorie zu untersuchen, werteten Epidemiologen
um Nikolai Madrid Scheller vom Statens Serum Institut in Kopenhagen die
Krankheitsdaten von fast 4 Millionen Däninnen und Schwedinnen im Alter
zwischen 10 und 44 Jahren für die Jahre 2006 bis 2013 aus. 800.000 dieser
Frauen hatten in diesem Zeitraum einen weit verbreiteten HPV-Impfstoff
(Gardasil®) bekommen, sodass die Forscher die Häufigkeit von MS vor und
nach der Impfung vergleichen konnten. Unter insgesamt 7622 Neuerkrankungen
waren lediglich 163 in den ersten zwei Jahren nach einer HPV-Impfung
aufgetreten. Vor der Impfung gab es durchschnittlich 22 MS-Erkrankungen
pro 100.000 Personenjahre – nach der Impfung lag dieser Wert wesentlich
niedriger, nämlich bei 6 MS-Erkrankungen pro 100.000 Personenjahre. Die
Wissenschaftler haben auch andere, der MS ähnliche Leiden untersucht, die
ebenfalls die Hüllen von Nervenzellen angreifen. Hier ergab sich das
gleiche Bild, denn diese „demyelinisierenden“ Krankheiten wurden vor der
Impfung jeweils 16-mal pro 100.000 Personenjahre beobachtet, gegenüber
8-mal nach der Impfung.

Impfung hat keine Schutzwirkung vor MS

Diese Zahlen bedeuten allerdings nicht, dass der Impfstoff vor MS schützen
würde. Das Ungleichgewicht kommt vielmehr dadurch zustande, dass MS und
ähnliche Krankheiten sich bei Frauen meist erst im zweiten Lebensjahrzehnt
entwickeln, während das Impfalter in der Regel zwischen 10 und 15 Jahren
liegt. In einer Korrekturrechnung haben die Forscher ihre Zahlen deshalb
entsprechend der natürlichen Altersverteilung von MS angepasst. Die
Wahrscheinlichkeit, nach einer HPV-Impfung an MS zu erkranken, erwies sich
dann als genau so groß wie ohne Impfung. Die Daten sprächen wie andere
zuvor für ein „günstiges Sicherheitsprofil“ im Hinblick auf das MS-Risiko
des Impfstoffes, schreiben Scheller und Kollegen in der Fachzeitschrift
JAMA. Durch die Größe der Studie sei das Ergebnis wahrscheinlich auch auf
die Situation in ähnlichen Ländern übertragbar.

Andere Methode – gleiches Ergebnis

Zum im Wesentlichen gleichen Ergebnis kommt auch eine Studie, die in
Südkalifornien mit einer anderen Methode nach einem möglichen Zusammenhang von MS mit verschiedenen Impfungen gesucht hat. „Annette Langer-Gould, die Leiterin dieser Studie, ist eine sehr gute Epidemiologin und diese Untersuchung ist sehr wichtig“, urteilt Professor Ralf Gold, einer der
renommiertesten MS-Forscher in Deutschland, Direktor der Neurologischen
Klinik der Universität Bochum und Erster Vorsitzender der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie.

Mit ihren Kollegen hat Langer-Gould sämtliche Krankenakten des
Versicherungsunternehmens Kaiser Permanente Southern California für die
Jahre 2008 bis 2011 nach neurologischen Auffälligkeiten durch einen MS-
Spezialisten untersuchen lassen und mit den Daten von Impfungen vor allem
gegen HPV und Hepatitis B verglichen. Den 780 Fällen mit MS oder anderen
demyelinisierenden Krankheiten stellten die Forscher dann eine fünffache
Zahl von Kontrollen gegenüber – Versicherte also, die den Erkrankten
bezüglich Alter, Geschlecht und Wohnort möglichst ähnlich waren.

„Auch dieser Vergleich fand keinen Zusammenhang zwischen einer Impfung
gegen HPV oder Impfungen allgemein mit dem Risiko, binnen drei Jahren
danach eine demyelinisierende Krankheit zu erleiden“, stellt Professor
Bernhard Hemmer, Direktor der Neurologischen Klinik der Technischen
Universität München, fest. Eine genauere Betrachtung zeigte allerdings,
dass das Risiko, in den ersten 30 Tagen nach der Impfung mit MS oder einer
ähnlichen Krankheit diagnostiziert zu werden, für Geimpfte unter 50 Jahren
mehr als doppelt so hoch war wie für Nichtgeimpfte.

„Diese Daten sprechen gegen einen ursächlichen Zusammenhang“, erklärt
Hemmer. Wahrscheinlich sei es vielmehr, dass bei Menschen mit einer
bereits vorhandenen, unterschwelligen Erkrankung, eine Impfung den
Übergang zu sichtbaren Symptomen beschleunigen könne. „Solch ein Übergang
kann auch durch jede natürliche Infektion – etwa mit Schnupfenviren –
eingeleitet werden.“ Eine Impfung aber verleihe im Gegensatz zu den
meisten natürlichen Erkrankungen lange anhaltenden Schutz. „In der
Gesamtbilanz senken die Impfungen gegen HPV das Risiko einer
Krebserkrankung, und diese Studien sprechen klar gegen ein erhöhtes Risiko
für die Entstehung einer MS und ähnlicher Leiden“, betont Hemmer.

Quellen

Scheller, N. M. et al. (2015). Quadrivalent HPV Vaccination and Risk of
Multiple Sclerosis and Other Demyelinating Diseases of the Central Nervous
System. JAMA, 313(1), 54. doi:10.1001/jama.2014.16946
http://jama.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=2088853

Langer-Gould, A. et al. (2014). Vaccines and the Risk of Multiple
Sclerosis and Other Central Nervous System Demyelinating Diseases. JAMA
Neurology, 71(12), 1506. doi:10.1001/jamaneurol.2014.2633
http://archneur.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=1917549

Medizin am Abend DirektKontakt

Prof. Dr. med. Heinz Wiendl
Direktor der Klinik für Allgemeine Neurologie am Universitätsklinikum
Münster
Albert-Schweitzer-Campus 1, 48149 Münster
Tel.: +49 (0) 251 83-46811, Fax.: +49 (0) 251 83-48199
E-Mail: heinz.wiendl@ukmuenster.de

Prof. Dr. med. Bernhard Hemmer
Direktor der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München
Ismaninger Str. 22, 81675 München
Tel.: +49 (0) 89 4140 4600/4601, Fax.: +49 (0) 89 4140 7681
E-Mail: hemmer@lrz.tu-muenchen.de
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Frank A. Miltner,

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen
Verantwortung, mit ihren mehr als 7700 Mitgliedern die neurologische
Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN
Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der
Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion.
Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle
ist seit 2008 die Bundeshauptstadt Berlin.
www.dgn.org

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