Schlaganfall: Neue Therapie hilft, linke Körperseite besser wahrzunehmen

Über 250.000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr einen
Schlaganfall. Oft kämpfen die Patienten noch lange mit den Folgen. Bei
einigen von ihnen kommt es etwa zum sogenannten visuell-räumlichen
Neglect. Dabei vernachlässigen sie alles, was sich in ihrer linken Sicht-
und Körperseite abspielt: Sie stoßen mit der linken Seite gegen Türrahmen,
pflegen nur die rechte Gesichtshälfte oder schauen beim Überqueren der
Straße nicht nach links. Klinische Neuropsychologen von der Saar-Uni haben
nun ein Therapieverfahren erprobt, das diesen Patienten hilft, die
Körperseite wieder besser wahrzunehmen. Die Methode stimuliert das
Gleichgewichtssystem mit leichten elektrischen Strömen.

Die Studie wurde in der renommierten Fachzeitschrift „Neuropsychologia“
veröffentlicht.

„Vor allem Patienten, deren rechte Gehirnhälfte geschädigt ist, leiden oft
darunter, dass sie ihre linke Körperhälfte vernachlässigen“, erklärt Georg
Kerkhoff, Professor für Klinische Neuropsychologie und Leiter der
Neuropsychologischen Universitätsambulanz an der Universität des
Saarlandes. „Trotz neuer und wirksamerer Behandlungsverfahren sind die
Heilungschancen immer noch ungünstig.“

Um diese Neglect-Patienten besser zu behandeln, haben die Saarbrücker
Forscher um Kerkhoff nun ein neuartiges Therapieverfahren in einer Studie
untersucht. Bei ihrer Methode regen die Psychologen das
Gleichgewichtssystem mit schwachen elektrischen Impulsen an.
Für diese sogenannte Galvanisch-Vestibuläre Stimulation (GVS) nutzen die
Forscher kleine Elektroden, die hinter den Ohren der Patienten angebracht
werden. „Bei diesem Verfahren gibt es keine Nebenwirkungen. Die Patienten
spüren die Reize nicht einmal, da wir unterhalb der Wahrnehmungsschwelle
stimulieren“, so Stefan Reinhart, promovierter Psychologe in Kerkhoffs
Team.

An der Studie haben 24 Schlaganfall-Patienten teilgenommen – etwa die
Hälfte von ihnen leidet an einem Neglect der linken Sicht- und
Körperseite. Die Probanden mussten vier Aufgaben bewältigen, die vor allem
ihre visuell-räumlichen Fähigkeiten überprüft haben: Die Teilnehmer
mussten Zahlen auf einem Bildschirm oder einem Blatt Papier suchen,
vorgegebene Bilder wie zum Beispiel ein Haus oder eine Uhr abzeichnen,
einen kurzen Text abschreiben und die Mitte einer horizontalen Linie
finden und markieren. Die Patienten haben die Aufgaben einmal während
einer GVS-Behandlung und einmal während einer Scheinstimulation
bearbeitet. Hierbei waren zwar die Elektroden angelegt, es floss aber kein
Strom. Mit dieser Scheintherapie konnten die Forscher Placeboeffekte
ausschließen.

Die Saarbrücker Psychologen haben nachgewiesen, dass eine GVS-Therapie
sich positiv auf die visuell-räumlichen Fähigkeiten der Patienten
auswirkt. „Während der Stimulation zeigten die Teilnehmer im Vergleich zur
Scheinstimulation eine um 30 bis 50 Prozent verbesserte Leistung in den
verschiedenen Aufgaben“, fasst Reinhart zusammen. „Die Patienten konnten
die vernachlässigte linke Seite wieder verstärkt wahrnehmen.“

Mit der Methode könnten Therapeuten künftig Neglect-Patienten effektiv
behandeln und ihnen so helfen, wieder in ihrem Alltag zurechtzukommen.
Außerdem sind die Ergebnisse der Studie für die Wissenschaft interessant,
da sie zeigen, wie das Gleichgewichtssystem Einfluss auf die räumliche
Aufmerksamkeit ausübt.

Hintergrund
In der Neuropsychologischen Universitätsambulanz auf dem Saarbrücker
Campus betreuen Professor Kerkhoff und sein Team Patienten mit
Hirnschädigungen. Studenten können hierbei Einblick in Diagnostik und
Therapie erhalten. Zudem entwickeln die Saarbrücker Forscher neue
Therapien für Patienten mit Schlaganfall und anderen Hirnschädigungen.

Die Studie ist erschienen unter:
Oppenländer, Keller, I, Karbach, J., Schindler, I., Kerkhoff, G.,
Reinhart, S. Subliminal galvanic-vestibular stimulation influences ego-
and object-centred components of visual neglect. Neuropsychologia, 2015,
in press. http://dx.doi.org/10.1016/j.neuropsychologia.2014.10.039
Fragen beantworten:



Medizin am Abend DirektKontakt

Dr. Stefan Reinhart
Klinische Neuropsychologie, Neuropsychologische Hochschulambulanz
E-Mail: s.reinhart(at)mx.uni-saarland.de
Tel.: +49 681 302-57383

Univ.-Prof. Dr. Georg Kerkhoff
Klinische Neuropsychologie, Neuropsychologische Hochschulambulanz
E-Mail: kerkhoff(at)mx.uni-saarland.de
Tel.: +49 681 302-57380



Professor Georg Kerkhoff, Leiter der Neuropsychologischen Universitätsambulanz an der Universität des Saarlandes.
Professor Georg Kerkhoff, Leiter der Neuropsychologischen Universitätsambulanz an der Universität des Saarlandes.
Foto: Oliver Dietze

Schlaganfall



Medizin am Abend Fazit: 
Nach dem Schlaganfall: Informationsmangel erhöht Depressionsrisiko

Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben und zu Hause leben, haben
im Allgemeinen ein erhöhtes Risiko, an Depression zu erkranken. Forschern
zufolge ist es vor allem der Mangel an Informationen, der den Patienten
Sorgen bereitet und zur Depression beiträgt. Das ist das Ergebnis einer
Studie von Gesundheitssoziologen der Universität Luxemburg. Die Depression
kann bestehende Probleme wie eingeschränkte Bewegung und verminderte
geistige Fähigkeiten, unter denen Schlaganfallpatienten häufig leiden,
weiter verschlimmern und die Genesungschancen beeinträchtigen.

„Depression ist dafür bekannt, physische, mentale und soziale Fähigkeiten
einzuschränken und das Risiko von Behinderungen und frühzeitigem Tod zu
erhöhen“, erläutert Michèle Baumann, Professorin für Gesundheitssoziologie
an der Universität Luxemburg. Das Risiko sei besonders hoch für
Schlaganfall-Patienten ohne familiäre oder soziale Unterstützung.








Wie das vom Nationalen Forschungsfonds Luxemburg finanzierte
Forschungsprojekt zeigte, zählt der Mangel an Informationen zu den
Hauptsorgen der Betroffenen. Die Patienten machen sich Sorgen über
mögliche Veränderungen ihres Gesundheitszustandes und über die
Auswirkungen auf ihr Leben in den nächsten Monaten und Jahren.

Viele fragen sich, ob sie den Informationen, die sie aus verschiedenen Quellen
erhalten, trauen können. Auch fehlende Koordination zwischen
Pflegediensten wurde als Quelle von Sorgen angeführt, und viele Patienten
waren sich angesichts verschiedener möglicher Szenarien nicht sicher,
welche Hilfe ihnen in Zukunft zur Verfügung stehen könnte.

Geringverdiener und Menschen mit niedrigem Bildungsniveau sind laut der
Studie von Depression am meisten gefährdet. Wer allerdings weiter
berufstätigt bleiben konnte, war tendenziell geistig fitter. Zu den
depressiven Symptomen, die in der Studie berücksichtigt wurden, zählen
emotionale Störungen, Schlafprobleme, Kommunikationsschwierigkeiten,
Schmerzen und Müdigkeit.

Die Daten stammen von 94 Patienten im Alter von etwa 65 Jahren aus dem
Großherzogtum Luxemburg, die zwei Jahre nach einem Schlaganfall zu Hause
lebten. Die Forscher besuchten sie in ihrem Zuhause, um sie über ihre
körperliche und geistige Gesundheit zu befragen, sowie über soziale Nöte
und Pflegebedürfnisse. „Die routinierte Messung der Lebensqualität, der
Patientengenesung sowie von Informations- und Pflegebedürfnissen hilft,
Situationen zu identifizieren, die Hilfe benötigen“, fügt Michèle Baumann
hinzu. Die Studie könnte so dem Gesundheitspersonal helfen,
wirkungsvollere Hilfsprogramme zu gestalten.

Der vollständige wissenschaftliche Artikel “Associations between quality
of life and socioeconomic factors, functional impairments and
dissatisfaction with received information and home-care services among
survivors living at home two years after stroke onset”, wie in “BMC
Neurology 2014” veröffentlicht, kann hier eingesehen werden:

http://orbilu.uni.lu/handle/10993/16492


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Sophie Kolb
Telefon: +352 46 66 44 6721
E-Mail-Adresse: sophie.kolb@uni.lu

Therapie der Darmkrankheit Divertikulitis



Weniger Antibiotika, seltener operieren - so lassen sich neue Empfehlungen zur Therapie der Darmkrankheit Divertikulitis zusammenfassen. Als Divertikel bezeichnen Mediziner kleine Aussackungen in der Darmwand.

Sie können sich entzünden, aufbrechen und benachbarte Organe, wie etwa die Blase in Mitleidenschaft ziehen. Gelangt durch ein geplatztes Divertikel Darminhalt in den Bauchraum, besteht Lebensgefahr. Bisher wurden frühzeitig Antibiotika verordnet. Neue Studien haben aber gezeigt, dass dies oft keinen Vorteil bringt, berichtet die "Apotheken Umschau".

 
 Divertikel-Entzündungen (Divertikulitis) quälen die Patienten oft wiederholt. "Es war noch vor wenigen Jahren die Regel, nach dem zweiten Schub einer Entzündung zu operieren", berichtet Professor Martin Kreis, Direktor der Klinik für Allgemeinchirurgie an der Berliner Charité. "Diese Empfehlung besteht nicht mehr."

Hierzu hätten Studien gezeigt, dass die Komplikationsrate mit der Anzahl der Entzündungen nicht steigt. Nach neuen Therapie-Leitlinien sollen Ärzte heute öfter abwarten und erst eingreifen, falls Komplikationen dies erfordern.


Das Gesundheitsmagazin "Apotheken Umschau" 1/2015 A liegt in den meisten Apotheken aus und wird ohne Zuzahlung zur Gesundheitsberatung an Kunden abgegeben.