Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Ein Schaltkreis im Gehirn, der uns den Appetit verdirbt
Appetitlosigkeit kann mehrere Ursachen haben:
Sättigung, Übelkeit oder Angst.
Die Nahrungsaufnahme hintanzustellen, ist ein kluger Schachzug des Körpers, um Zeit zum Regenerieren zu gewinnen.
Forschende am MPI für biologische Intelligenz haben im Gehirn einen Schaltkreis identifiziert, der bei Übelkeit Mäuse vom Fressen abhält.
Die zentrale Rolle spielen spezielle Nervenzellen in der Amygdala – eine wichtige Hirnregion, wenn Emotionen im Spiel sind.
Die Zellen werden bei Übelkeit aktiviert und übermitteln appetithemmende Signale.
- Das zeigt, welch komplexer Regulation das Essverhalten unterliegt:
- Appetitlosigkeit bei Übelkeit wird über andere Schaltkreise gesteuert als bei Sättigung.
Spezialisierte Nervenzellen in der Amygdala werden bei Übelkeit aktiviert und übermitteln appetithemmende Signale. © MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl
Eine bevorstehende Prüfung, eine Schiffsfahrt auf hoher See oder der nächste Kita-Keim haben alle etwas gemeinsam:
Sie können uns ziemlich auf den Magen schlagen.
Denn Stress, die Reisekrankheit oder bestimmte Infektionen führen mitunter auch dazu, dass uns übel wird.
- Eigentlich logisch, dass wir in solchen Situationen erst einmal nichts essen und abwarten, bis sich die Lage bessert.
- Und so gehen Übelkeit und Appetitlosigkeit meist Hand in Hand.
- Oder war Ihnen schon mal schlecht und gleichzeitig hatten Sie richtig Lust zu essen?
Was logisch erscheint, ist ein gesunder Schutzmechanismus unseres Körpers.
Doch dieser muss erst einmal aktiviert werden.
Dass das Gehirn
dabei eine zentrale Rolle spielt, liegt auf der Hand: Es ist die
Schaltzentrale für den Energiehaushalt des Körpers und regelt das
Essverhalten.
Wie verhindert also das Gehirn, dass wir essen, wenn uns schlecht ist?
Forschende in der Abteilung von Rüdiger Klein haben dazu in Mäusen neue
Erkenntnisse geliefert.
- Sie konzentrierten sich auf eine Gehirnregion, die bei Emotionen auch rund ums Essen mitwirkt: die Amygdala.
- Dort befinden sich Nervenzellen, die das Essen fördern und solche, die den Appetit zügeln.
Ein bekannter, hemmender Zelltyp wird zum Beispiel bei
Sättigung aktiviert – doch wie das ganze bei Übelkeit aussieht, war
bisher nur unzureichend geklärt.
Wenyu Ding, Erstautorin der neuen Studie, entdeckte in der Amygdala nun
eine weitere Zellgruppe mit negativem Einfluss auf den Appetit. Anders
als bei dem bereits bekannten Zelltyp werden diese Zellen nicht bei
Sättigung, sondern durch Übelkeit aktiviert. Schalteten die Forschenden
die Zellen künstlich an, hörten selbst hungrige Mäuse auf zu essen. Im
Gegenzug führte das Ausschalten der Zellen dazu, dass die Mäuse sogar
aßen, wenn ihnen übel war.
Um besser zu verstehen, wie dieser Zelltyp seine appetithemmende
Funktion ausübt, analysierten die Forschenden den dazugehörigen
Schaltkreis:
von wo erhalten die Zellen ihre Informationen und wohin erstrecken sich ihre Ausläufer?
So ergab sich folgendes Bild:
Ist der Maus schlecht, erreicht diese Information das Gehirn und schließlich die Amygdala.
Dort wird der neue Zelltyp aktiviert und sendet seine
hemmenden Signale in weit entfernte Gehirnregionen, unter anderem den
sogenannten parabrachialen Nucleus, eine Hirnstammregion, wo viele
Informationen über den aktuellen Zustand des Körpers zusammenlaufen.
Dies steht im Gegensatz zu dem Schaltkreis des zuvor bekannten Zelltyps,
der hauptsächlich benachbarte Zellen innerhalb der Amygdala ansteuert.
Damit wird klar:
Appetitlosigkeit bei Sättigung ist nicht gleich Appetitlosigkeit bei Übelkeit.
Im Gehirn sind dafür unterschiedliche
Zellen und Schaltkreise verantwortlich – eine komplizierte Sache also
und vielleicht ein kleiner Trost, wenn uns das nächste Mal schlecht ist.
Vor allem aber liefert die neue Studie wichtige Erkenntnisse, wie das
Essverhalten im Gehirn und speziell in der Amygdala reguliert wird.
Das ist die Voraussetzung, um zukünftig die zahlreichen Krankheiten in Verbindung mit fehlgeleitetem Essverhalten im Menschen besser zu verstehen.
Dieser Sketchnote fasst die wichtigsten Erkenntnisse der neuen Veröffentlichung zusammen.
Faztit: Ein Schaltkreis im Gehirn, der uns den Appetit verdirbt
Prof. Dr. Rüdiger Klein
Direktor
Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
E-Mail: ruediger.klein@bi.mpg.de
Dr. Stefanie Merker Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
Am Klopferspitz 18
82152 Planegg-Martinsried
Deutschland
Bayern
Telefon: 089 / 8578-3514
Fax: 089 / 89950-022
E-Mail-Adresse: stefanie.merker@bi.mpg.de
Telefon: +49 (0) 8157 932 421
E-Mail-Adresse: sabine.spehn@bi.mpg.de
Originalpublikation:
Wenyu Ding, Helena Weltzien, Christian Peters, Ruediger Klein
Nausea-induced suppression of feeding is mediated by central amygdala Dlk1-expressing neurons
Cell Reports, online March 27, 2024
DOI: 10.1016/j.celrep.2024.113990
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
https://www.bi.mpg.de/klein/de - Webseite der Abteilung
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