Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Serotonin-Mangel als mögliche Ursache von Long COVID und anderer postviraler Syndrome
Serotonin-Mangel als mögliche Ursache von Long COVID und anderer postviraler Syndrome
Ursache und Entwicklung langfristiger Auswirkungen einer COVID-19-Infektion sind bisher noch nicht geklärt.
Eine aktuelle Studie wies bei anhaltenden Beschwerden nach COVID-19 erniedrigte Serotoninspiegel im Blut nach, die zu Störungen neurovegetativer Funktionen führen und somit einige der Kernsymptome von Long/Post COVID erklären könnten.
Die Studie liefert eine plausible Hypothese, die verschiedene, bisher vermutete Pathomechanismen miteinander verbindet. Sie könnte womöglich auch die Entstehung anderer postviraler Syndrome erklären.
Nach einer COVID-19-Erkrankung können anhaltende Beschwerden
auftreten (Long oder Post COVID, auch PASC/„post-acute sequelae of
COVID“ genannt). Es handelt sich um ein teils schwerwiegendes
postvirales Syndrom, dessen Ursache bislang ungeklärt ist. Häufige
klinische Symptome sind Fatigue, kognitive Störungen, Kopfschmerzen,
Schlaf- und Angststörungen. Die Schwere der akuten Infektion und
psychosoziale Faktoren spielen bei der Entstehung von PASC
offensichtlich eine Rolle. Daneben werden vier Hypothesen für die
Pathogenese diskutiert: Viruspersistenz, chronische Entzündungsvorgänge,
Hyperkoagulabilität und autonome Dysfunktion (d. h. Störungen im
vegetativen Nervensystem).
Eine neue Publikation in der renommierten Zeitschrift „Cell“ [1] führte
nun klinisch und tierexperimentell diese vier Hypothesen auf einen
einzigen neu postulierten Pathomechanismus zurück. Bei Untersuchungen an
Mäusen, die mit SARS-CoV-2-infiziert wurden oder bei denen chemisch
eine entsprechende Entzündungsreaktion ausgelöst wurde, zeigte die
Studiengruppe, dass die SARS-CoV-2-Infektion mit einer erniedrigten
Serotoninkonzentration im Blut einhergeht. Anschließend analysierten die
Forscherinnen und Forscher Daten von insgesamt 1.540 PASC-Patientinnen
und -Patienten aus unterschiedlichen Kohorten und kamen zu dem Ergebnis,
dass es auch bei Betroffenen mit PASC zu einer erniedrigten
Serotoninkonzentration im Blut kommen kann. Allerdings war der Grad der
Serotoninreduktion in den untersuchten Patientenkohorten mit PASC
unterschiedlich stark ausgeprägt und bei einigen gar nicht nachweisbar.
Insgesamt aber schlussfolgerte das Autorenteam, dass eine akute
COVID-19-Erkrankung häufig zu einer Erniedrigung des Serotoninspiegels
führt, die bei schweren PASC anhält.
Wie lässt sich der Abfall des Serotonin-Spiegels erklären?
Offensichtlich kommt es bei der Virusinfektion zur verminderten
intestinalen Absorption des Serotonin-Vorläufers Tryptophan, eine
essenzielle Aminosäure aus der Nahrung, sowie zu einer
Thrombozytenüberaktivierung mit Thrombozytopenie, was die endogenen
Serotoninspeicher vermindert, und außerdem zu einem erhöhten
MAO-Enzym-vermittelten Serotoninumsatz. Auch konnte gezeigt werden, dass
Virus-RNA-induzierte Typ-I-Interferone den Serotoninmangel verstärken,
indem sie u.a. die Tryptophanaufnahme im Darm reduzieren.
„Der daraus resultierende periphere Serotoninmangel könnte eine mögliche
Erklärung für einige PASC-Symptome sein, denn er beeinträchtigt die
Signalübertragung des Vagusnervs und damit die Aktivität des vegetativen
Nervensystems sowie auch Funktionen des Hippocampus“, erklärt Prof. Dr.
Peter Berlit, Generalsekretär und Pressesprecher der DGN. „Doch die in
der Studie beschriebenen Pathomechanismen von PACS müssen nun zunächst
in prospektiven Folgestudien mit Kontrollgruppen validiert werden.“
Denn sowohl die Studiengruppe selbst wie auch die Autorin einer in
„Science“ [2] veröffentlichten Diskussion verweisen auf Limitationen der
Studie: Größter Schwachpunkt sei, dass die Erniedrigung des
Serotonin-Spiegels nicht konsistent in allen Kohorten nachgewiesen
werden konnte. Und der Serotoninmangel wurde im Tierversuch zwar im
Blut, nicht aber im Gehirn der Mäuse gefunden. Auch sei der beschriebene
„Link“ zwischen PASC und enteraler Tryptophan-Aufnahme und Thrombopenie
nach einer SARS-CoV-2-Infektion letztlich nur eine Hypothese.
„Zunächst liefert die Studie einen neuen möglichen Erklärungsansatz für
Long-COVID-Beschwerden, der weiter erforscht werden muss“, so Prof.
Berlit. Bestätigen sich die Ergebnisse, könnten sie, so der Experte,
auch jenseits von SARS-COV-2 bedeutsam sein: Verringerte
Serotoninspiegel seien nicht COVID-19-spezifisch, sondern auch von
anderen viralen Erkrankungen bekannt, die ebenfalls postvirale Syndrome
auslösen können, wie beispielsweise dem Dengue-Fieber. „Es ist daher
wichtig, dass COVID-19 und PASC weiter beforscht werden, auch wenn die
Pandemie nun als weitgehend überstanden gilt.“
[1] Wong AC, Devason AS, Umana IC et al. Serotonin reduction in
post-acute sequelae of viral infection. Cell. 2023 Oct
9:S0092-8674(23)01034-6. doi: 10.1016/j.cell.2023.09.013. Epub ahead of
print. PMID: 37848036.
[2] Offord C. “Low serotonin levels might explain some Long Covid symptoms, study proposes” https://www.science.org/content/article/low-serotonin-levels-might-explain-some-...
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der
gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren 12.000 Mitgliedern die
neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu
verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie
Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an
der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in
Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org
Präsident: Prof. Dr. med. Lars Timmermann
Stellvertretende Präsidentin: Prof. Dr. med. Daniela Berg
Past-Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
Generalsekretär: Prof. Dr. med. Peter Berlit
Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org
Originalpublikation:
doi: 10.1016/j.cell.2023.09.013
] Wong AC, Devason AS, Umana IC et al. Serotonin reduction in
post-acute sequelae of viral infection. Cell. 2023 Oct
9:S0092-8674(23)01034-6. doi: 10.1016/j.cell.2023.09.013. Epub ahead of
print. PMID: 37848036.
[2] Offord C. “Low serotonin levels might explain some Long Covid symptoms, study proposes” https://www.science.org/content/article/low-serotonin-levels-might-explain-some-...
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Originalpublikation:
doi: 10.1016/j.cell.2023.09.013
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