Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Wie das Darmmikrobiom auf Antibiotika reagiert
- Antibiotika beeinflussen Zusammensetzung und Dynamik des Darmmikrobioms.
- Die Behandlung mit Antibiotika führt nicht nur zu einem Verlust der mikrobiellen Artenvielfalt, sondern begünstigt häufig auch die Selektion resistenter Bakterienstämme.
Unklar war bislang, wie sich das Mikrobiom bei einer wiederholten Antibiotikatherapie verhält.
In einer präklinischen Studie hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung zweier DZIF-Wissenschaftlerinnen mittels Metagenom- und Kultivierungsanalysen evolutionäre Mechanismen identifiziert, die nach wiederholter Antibiotikagabe zur Resilienz der mikrobiellen Gemeinschaft beitragen. Die Studie erschien jetzt im Fachjournal Cell Host & Microbe.
Illustration der beschriebenen Mikrobiomforschung: keimfrei gehaltenes Mausmodell, Agarplatten mit Kulturen isolierter Darmbakterien und Antibiotikateststreifen und -plättchen, sowie Darstellung eines DNA-Sequenz-Vergleichs.Bärbel Stecher Max von Pettenkofer-Institut der LMU München
Das Darmmikrobiom eines jeden Menschen enthält eine bestimmte Gemeinschaft von Mikroorganismen, die normalerweise über Jahre hinweg stabil bleibt.
Sie kann jedoch durch Faktoren wie Ernährungsumstellungen, Infektionen oder Medikamente aus dem Gleichgewicht gebracht werden.
Insbesondere Antibiotika haben einen starken Einfluss auf das Mikrobiom.
Dagegen setzen Mikroorganismen verschiedene Resistenzmechanismen ein, wobei sich einzelne Bakterienpopulationen durch Selektion antibiotikaresistenter Varianten evolutionär weiterentwickeln.
Das Ausmaß und die Mechanismen dieser
Prozesse sowie ihre Auswirkungen auf die Ökologie der mikrobiellen
Gemeinschaft sind jedoch nur unzureichend erforscht.
In einer umfangreichen metagenomischen Studie untersuchten nun die
DZIF-Wissenschaftlerinnen Prof. Bärbel Stecher und Prof. Alice McHardy
zusammen mit einem internationalen Forschungsteam die Evolution von
Darmbakterien, die wiederholten Störungen durch Antibiotika ausgesetzt
waren. Dazu verwendeten sie ein gnotobiotisches Mausmodell, d.h.
keimfrei gehaltene Mäuse, welche stabil mit einem bekannten
Bakterienkonsortium besiedelt waren. Dieses Modell erlaubt evolutionäre
Studien einzelner Mitglieder der Gemeinschaft im natürlichen Wirt unter
genau definierten und kontrollierbaren Bedingungen. Die Forschenden
analysierten dann über einen Zeitraum von 80 Tagen die Effekte
verschiedener Antibiotikaklassen auf das Mikrobiom. Mittels
Metagenomanalysen verfolgten sie die Selektion von mutmaßlich
Antibiotikaresistenz-fördernden Mutationen in den Bakterienpopulationen
und analysierten im Nachgang die Eigenschaften von evolvierten
Bakterienklonen, die aus den Gemeinschaften isoliert wurden.
- „Wir konnten nachverfolgen, wie eine wiederholte Antibiotikatherapie zur Selektion Antibiotika-resistenter Kommensalbakterien führt.
Dies erhöht nach einer Weile die Resilienz der mikrobiellen Gemeinschaft gegenüber bestimmten Antibiotika wie den Tetracyclinen.
Neben Adaptation des Mikrobioms durch die Evolution einzelner Mikroorganismen fanden wir zudem Hinweise auf Resistenzentwicklung einzelner Bakterien durch Verlangsamung des Zellwachstums.
Das Mikrobiom passt sich sozusagen an
die Behandlung an und kann ihr besser standhalten“, sagt Prof. Bärbel
Stecher, Koordinatorin des Forschungsbereichs Gastrointestinale
Infektionen im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und
Professorin für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Max von
Pettenkofer-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.
- Zudem beobachtete das Forschungsteam eine Induktion von Prophagen, ausgelöst durch die Behandlung mit bestimmten Antibiotika.
Dabei werden
Bakteriophagen, deren Genome in Bakteriengenome integriert in
bakteriellen Zellen vorliegen, aktiviert. Diese vermehren sich dann und
lysieren die Wirtszellen bei der Freisetzung neuer Virenpartikel. „Dies
ist ein Beispiel, wie Antibiotika das Überleben von Bakterien auch
indirekt beeinträchtigen können“, sagt Dr. Philipp Münch, Erstautor der
Studie.
Insgesamt zeigt die Studie eine immense Vielfalt in der Antwort des
Mikrobioms auf Antibiotikabehandlungen.
Hierzu zählen beispielsweise
auch ökologische Effekte wie die Hemmung eines Mikroorganismus durch die
Eliminierung eines wichtigen „Partner“-Bakteriums im metabolischen
Netzwerk das Darmökosystems.
„Aufgrund dieser hohen Komplexität von direkten und indirekten
Reaktionen ist es selbst in gnotobiotischen Tiermodellen mit einer
definierten Gemeinschaft an Mikroorganismen schwer vorherzusagen, welche
Arten von der Behandlung mit einem Antibiotikum betroffen sein werden“,
resümiert Prof. Alice McHardy, Co-Koordinatorin Bioinformatik und
Maschinelles Lernen im DZIF und Leiterin der Abteilung Bioinformatik der
Infektionsforschung am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, einer
Mitgliedseinrichtung des DZIF.
Prof. Dr. Bärbel Stecher
Ludwig-Maximilians-Universität München
Stecher(at)mvp.uni-muenchen.de
Prof. Dr. Alice McHardy
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Alice.McHardy(at)helmholtz-hzi.de
Dr. Nicola Wittekindt Deutsches Zentrum für Infektionsforschung
Inhoffenstraße 7
38124 Braunschweig
Deutschland
Niedersachsen
E-Mail-Adresse: nicola.wittekindt@dzif.de
Originalpublikation:
Münch PC et al.: Pulsed antibiotic treatments of gnotobiotic mice manifests in complex community dynamics and resistance effects, Jun 2023, Cell Host & Microbe, DOI: 10.1016/j.chom.2023.05.013
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