Medizin am Abend Berlin: Deutschland: Große regionale Unterschiede, hohes Risiko für Flüchtlinge
Fast jedes fünfte Kind in Deutschland (19 Prozent) lebt in einem Haushalt, der von Einkommensarmut betroffen ist. Im Verlauf der letzten Jahre stagnierte die Kinderarmut auf diesem hohen Niveau, sie ist allerdings im Vergleich zum Höchststand Mitte der 2000er Jahre gesunken.
- Höhe und Entwicklungstendenzen der Kinderarmut unterscheiden sich regional stark.
- Während in Bremen 33,1 Prozent, in Sachsen-Anhalt 28,7 Prozent und im Regierungsbezirk Düsseldorf 25,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen in armen Haushalten leben, sind es in den Regierungsbezirken Oberbayern, Oberpfalz und Tübingen lediglich 9,1 bis 10,5 Prozent.
Vor dem Hintergrund der starken Zuwanderung könnte die Kinderarmut in den kommenden Jahren spürbar steigen, erwartet WSI-Sozialexperte Dr. Eric Seils.
- Entscheidender Faktor, um Kinderarmut zu verhindern, seien Berufstätigkeit und existenzsichernde Einkommen der Eltern.
Im Jahr 2014, dem letzten, für das aktuell Mikrozensus-Daten vorliegen, lebten rund 2,47 Millionen Kinder in Armut, zeigt Seils´ Auswertung, die heute im Verteilungsmonitor des WSI online veröffentlicht wird. Dort finden sich alle Daten im Überblick und zum Download (Link unten).
Bundesweit hat die Kinderarmutsquote über das vergangene Jahrzehnt leicht, die absolute Zahl armer Kinder spürbar abgenommen. Mit 19 Prozent sind Kinder jedoch weiterhin deutlich häufiger arm als der Durchschnitt der Bevölkerung (15,4 Prozent).
Zudem fiel die Entwicklung regional sehr unterschiedlich aus, zeigt die WSI-Analyse. Den größten Einfluss auf Höhe und Entwicklung der Armutsquote hat laut Seils die Situation am Arbeitsmarkt. Aber auch die Familienstruktur spiele eine erhebliche Rolle, weil Alleinerziehende und ihre Kinder besonders häufig von Armut betroffen sind.
In Ostdeutschland sank der Anteil armer Kinder mit abnehmender Arbeitslosigkeit deutlich – von 29 Prozent 2005 auf 24,6 Prozent 2014. Trotzdem ist Kinderarmut in den neuen Ländern weiterhin weitaus verbreiteter als in den alten, wo die Quote 17,8 Prozent beträgt. Auch in Bayern ist die Kinderarmut im Zehn-Jahresvergleich merklich gesunken. Dagegen hat sie in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz zugenommen, in den übrigen Ländern stagnierte sie. Auch innerhalb einiger Bundesländer gibt es erhebliche Unterschiede, etwa in Bayern und Sachsen. So leben im Regierungsbezirk Mittelfranken 16 Prozent der Kinder in armen Haushalten, während es in Oberbayern 9,1 Prozent sind. Der Großraum Leipzig verzeichnet eine Kinderarmutsquote von 27 Prozent. In der Region Dresden sind es dagegen nur 18,7 Prozent.
Stark gestiegen ist in den vergangenen Jahren die Zahl der nach Deutschland geflüchteten Kinder und Jugendlichen. So kamen im Oktober 2015, dem letzten Monat, für den derzeit Daten vorliegen, 14.100 Kinder und Jugendliche als Asylbewerber nach Deutschland. Gut zwei Drittel von ihnen stammten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. „Selbstverständlich sollte zunächst im Vordergrund stehen, dass diese Kinder durch ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Krieg und Terror entgangen sind“, sagt WSI-Forscher Seils. Viele von ihnen trügen aber ein hohes Risiko, in Armut aufzuwachsen. Das legen Daten zur Armutsquote von Familien nahe, die bereits früher aus diesen Regionen eingewandert sind. So haben 34 Prozent der Familien mit Kindern, bei denen die Eltern aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Deutschland kamen, nur ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle.
Bei Familien aus Serbien und aus Afrika beträgt die Armutsquote sogar über 40 Prozent. Das liege nicht nur an einer höheren Arbeitslosigkeit in Migrantenfamilien, erklärt Seils. Gleichzeitig stünden Eingewanderte aus diesen Herkunftsregionen seltener in Beschäftigung und hätten häufiger als der Bevölkerungsdurchschnitt nur einen Minijob.
„Das zeigt die Herausforderung, vor der wir insgesamt bei der Bekämpfung der Kinderarmut stehen“, sagt der Forscher. „Um aus der Armut herauszukommen, brauchen solche Eltern nicht irgendeinen Job, sondern eine möglichst gute Integration in den Arbeitsmarkt.“ Der Schlüssel dazu seien verstärkte Investitionen in Bildung und Qualifikation. Zudem sei eine weitere Verbesserung der öffentlichen Kinderbetreuung nötig, schreibt der Wissenschaftler. Diese stelle für viele Familien eine Voraussetzung dafür dar, in existenzsicherndem Umfang zu arbeiten. Flankierend wirke ein adäquater Mindestlohn, der Lohndumping bei geringer qualifizierten Tätigkeiten begrenzt.
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