Vorhofflimmern Herzrhythmusstörung

 

Defekter „Stoßdämpfer“ in Herzmuskelzellen trägt zur Entstehung von Vorhofflimmern bei

space
space


In Herzmuskelzellen fördert eine gestörte Kalziumpufferung das Fortschreiten und die Verstetigung von Vorhofflimmern. Das fanden Forscher*innen aus dem Herzzentrum der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) heraus. Die Erkenntnisse bieten mögliche Ansatzpunkte für neue Therapien. Die Ergebnisse sind in der renommierten Fachzeitschrift „Circulation“ veröffentlicht.


Laut der Deutschen Herzstiftung leiden in Deutschland rund zwei Millionen Menschen an Vorhofflimmern, der häufigsten Form der Herzrhythmusstörung. Ein Göttinger Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Niels Voigt, Professor für Molekulare Pharmakologie am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), hat neue Mechanismen entdeckt, die Vorhofflimmern chronisch werden lassen. Bekannt ist bereits: Die Ursache ist eine gestörte elektrische Erregung der Vorhöfe. Anstatt sich gleichmäßig zusammenzuziehen, beginnen die Vorhöfe mit hoher Frequenz zu flimmern. Zu Krankheitsbeginn tritt die Rhythmusstörung oft nur gelegentlich auf und kann sich im Laufe der Zeit verstetigen. Ein normaler Herzrhythmus kann nur durch einen medizinischen Eingriff wiederhergestellt werden. Gelingt dies nicht, ist von einem permanenten Vorhofflimmern die Rede. Infolgedessen kann es passieren, dass das Blut nicht vollständig aus dem Herzen gepumpt wird und gerinnt. Dieses Blutgerinnsel wiederum kann zu einem Schlaganfall führen. Um dies zu verhindern, werden gerinnungshemmende Medikamente verabreicht. Schätzungen zufolge sind in Deutschland etwa 35.000 Schlaganfälle jährlich auf das Vorhofflimmern zurückzuführen.

Die Göttinger Forscher*innen fanden heraus, dass es bei dieser Herzrhythmusstörung im Laufe der Zeit zu einem Abbau von Muskelproteinen in den Herzmuskelzellen der Vorhöfe kommt. Diese Proteine stellen wichtige Puffer für Kalziumionen dar. „Ähnlich einem Stoßdämpfer im Auto, der Straßenunebenheiten ausgleicht, mildern Kalziumpuffer Schwankungen der Kalziumkonzentration in Herzmuskelzellen, die auch bei gesunden Zellen in geringem Maße auftreten. Bei Vorhofflimmern funktionieren diese Stoßdämpfer jedoch nicht richtig“, erklärt Prof. Voigt, der ebenfalls Mitglied des Göttinger Exzellenzclusters Multiscale Bioimaging: von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen (MBExC) ist. „Selbst kleine Schwankungen der Kalziumkonzentration können sich dann zu sogenannten Kalziumwellen aufschaukeln, die durch die gesamte Zelle laufen und einen elektrischen Impuls erzeugen. Dieser fehlerhafte elektrische Impuls trägt dazu bei, dass die unregelmäßigen Herzschläge in den Vorhöfen weiterhin bestehen bleiben.“

Mögliche Therapieoptionen durch bereits zugelassene Medikamente

„Zugleich konnten wir mit den bereits zugelassenen Medikamenten Levosimendan und Omecamtiv, die die Calciumbindung an Muskelproteine in den Herzmuskelzellen erhöhen, mögliche Therapieoptionen für das Vorhofflimmern identifizieren, um den gestörten Kalziumpuffer in den Herzmuskelzellen zu ersetzen“, ergänzt Erstautor Dr. Funsho Fakuade, Postdoktorand in der Arbeitsgruppe Voigt und Mitglied des Hertha-Sponer-College im MBExC. Die Ergebnisse der Studie wurden nun in der aktuellen Augustausgabe der renommierten Fachzeitschrift Circulation veröffentlicht.

Über die Studie

Für die Studie, die in Zusammenarbeit mit der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der UMG durchgeführt wurde, untersuchten die Forscher*innen Gewebe, das während Herzoperationen anfiel. Sie isolierten die Herzmuskelzellen, auch Myozyten genannt, aus dem Gewebe, und nutzten spezielle Mikroskope, um die Kalziumwellen innerhalb der Zellen zu messen. Zudem verwendeten sie künstliche, aus induzierten Stammzellen hergestellte Vorhofzellen, um die Rolle der Muskelproteine bei der Kalziumpufferung zu untersuchen. Hierzu wurde in den Zellen das Muskelprotein Troponin C mit Hilfe genetischer Verfahren gezielt ausgeschaltet, um die Auswirkungen auf die Kalziumpufferung zu untersuchen. Troponin C spielt eine wichtige Rolle beim Zusammenziehen des Herzmuskels. Fehlt dieses, wird kein Calcium gebunden und der Herzmuskel kann sich nicht zusammenziehen. Die Forscher*innen stellten fest, dass diese modifizierten Zellen nicht nur eine ähnlich defekte Kalziumpufferung wie die Zellen von Patient*innen mit Vorhofflimmern aufwiesen, sondern auch vermehrt Kalziumwellen zeigten, die zur Entstehung von Vorhofflimmern beitragen.

„Unsere gewonnenen Daten deuten darauf hin, dass neue Strategien, die gezielt die intrazelluläre Kalziumpufferung anvisieren, vielversprechende therapeutische Ansätze zur Verhinderung und Behandlung von Vorhofflimmern bieten könnten“, erläutert Prof. Voigt. „Die Forschungsergebnisse eröffnen damit neue Perspektiven für die Therapie von Vorhofflimmern und könnten den Krankheitsverlauf bei Patient*innen mit Herzrhythmusstörung verbessern.“

MaAB - Fortbildungsthema VOR ORT:
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Prof. Dr. Niels Voigt
Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen
Telefon 0551 / 39-65174
niels.voigt@med.uni-goettingen.de
www.molecular-pharmacology.de

Originalpublikation:
Funsho E. Fakuade, Dominik Hubricht, Vanessa Möller, Izzatullo Sobitov, Aiste Liutkute, Yannic Döring, Fitzwilliam Seibertz , Marcus Gerloff, Julius Ryan D. Pronto, Fereshteh Haghighi, Sören Brandenburg, Khaled Alhussini, Nadezda Ignatyeva, Yara Bonhoff, Stefanie Kestel, Aschraf El-Essawi, Ahmad Fawad Jebran, Marius Großmann, Bernhard C. Danner, Hassina Baraki, Constanze Schmidt, Samuel Sossalla, Ingo Kutschka, Constanze Bening, Christoph Maack, Wolfgang A. Linke, Jordi Heijman, Stephan E. Lehnart, George Kensah, Antje Ebert, Fleur E. Mason, Niels Voigt: Impaired Intracellular Calcium Buffering Contributes to the Arrhythmogenic Substrate in Atrial Myocytes From Patients With Atrial Fibrillation. Circulation. Volume 150, Issue 7, 13 August 2024; Pages 544-559.
DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.123.066577

Diagnostik Multiplier Sklerose

 

Erstmals klare Entscheidungskriterien für die Therapieanpassung bei Multipler Sklerose

space
space


Die Ergebnisse einer neuen Österreichisch-Schweizer Multicenterstudie zu Multipler Sklerose könnten die Therapie dieser chronisch entzündlichen Erkrankung entscheidend verbessern. Forschende der Medizinischen Universitäten Innsbruck und Wien sowie des Inselspitals, Universitätsspital Bern belegen, dass zwei oder mehr in der Magnetresonanztomographie (MRT) sichtbare Läsionen im Gehirn innerhalb eines Jahres für eine Therapieintensivierung sprechen. Damit liegen erstmals eindeutige und evidenzbasierte Kriterien für eine Therapieanpassung vor.


Innsbruck, Wien, Bern, 10. September 2024: Für die neurologische Erkrankung Multiple Sklerose* (MS) stehen seit einigen Jahren eine Reihe von Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die das Ausmaß der Entzündungsreaktion und damit einhergehend die Beschwerden der Patient:innen auch bei schweren Verläufen günstig beeinflussen können. So können die Entwicklung sogenannter Krankheitsschübe und eine permanente Behinderung eingedämmt werden.

Abseits klinischer Symptome, die von Einschränkungen des Sehvermögens bis hin zu Lähmungserscheinungen ein breites Spektrum umfassen, kann die Krankheitsaktivität bei MS auch bildgebend dargestellt werden. „Der Nachweis entzündlicher Läsionen im Gehirn mittels MRT erlaubt auch eine Einschätzung geringerer Krankheitsaktivität, denn vermeintlich stabile Patient:innen können trotz Therapie weiterhin neue, klinisch stumme, entzündliche Veränderungen entwickeln“, weiß Neuroimmunologe Harald Hegen, der an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Neurologie bereits seit vielen Jahren zu MS forscht.
Ob die MS-Therapie schon auf Basis der reinen MRT-Diagnostik angepasst werden soll bzw. wie viele Läsionen im MRT ausschlaggebend sind, konnte nun erstmals im Rahmen einer retrospektiven Studie unter der gemeinsamen Führung der neurologischen Universitätskliniken Innsbruck, Wien und Bern geklärt werden. Neurology, das medizinische Journal der „American Academy of Neurology” berichtet über die weitreichenden Erkenntnisse.

In die Studienkohorte wurden 131 MS-Patient:innen aus MS-Zentren in Österreich und der Schweiz eingeschlossen, die unter einer gering- bis moderat-effektiven Immuntherapie zwölf Monate lang klinisch stabil waren und dann einer MRT unterzogen wurden. „Wir konnten zeigen, dass Patient:innen mit schubförmiger MS, die unter Immuntherapie zwei oder mehr neue entzündliche MRT-Läsionen innerhalb eines Jahres entwickeln, auch bei klinischer Stabilität, also ohne Symptome, von einem Wechsel auf eine hoch-effektive Immuntherapie profitieren“, beschreibt Erstautor Gabriel Bsteh von der Medizinischen Universität Wien die zentrale Erkenntnis. Damit liefert die Studie eine für den klinischen Alltag wichtige Erkenntnis, die für die individuelle Therapieanpassung genutzt werden sollte.

„Nachdem Läsionen oft schon vor dem Auftreten klinischer Symptome in der MRT sichtbar sind, ermöglicht eine bildgebende Kontrolle bei Patient:innen mit einer gering- bis moderat-effektiven Therapie ein frühes Eingreifen in den individuellen Krankheitsverlauf“, betont Studienleiter Harald Hegen. In der Studienkohorte waren rund 40 Prozent der Patient:innen klinisch stabil, zeigten allerdings in der MRT schon eine oder mehrere Läsionen. Bislang war in der klinischen Praxis eine Therapieverstärkung nur nach Auftreten klinisch manifester Symptome angezeigt.

Die Multicenterstudie, deren Ergebnisse in künftige Empfehlungen von Therapie-Leitlinien einfließen sollen, ist ein Leuchtturmprojekt einer über die letzten Jahre stetig weiterentwickelten Kooperation von MS-Zentren in Österreich und der Schweiz. „Wir verfügen zusammen über eine umfassende Datenbank von mehr als 8.000 MS-Patient:innen. Solche multizentrischen Kooperationen legen die notwendige Basis an Fallzahl und Datenqualität für eine Vielzahl weiterer Projekte zur Verbesserung der Versorgung von MS-Patient:innen“, schließt Neurologe Gabriel Bsteh.

*Multiple Sklerose, eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, ist die häufigste neurologische Erkrankung, die im jungen Erwachsenenalter zu bleibender Behinderung führt. Dabei kommt es zu entzündlichen Veränderungen im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark). Lähmungen, Sensibilitätsdefizite, Gleichgewichtsstörungen, Sehstörungen, Gehbehinderung sowie kognitive Beeinträchtigungen können die Folge sein.

Originalpublikation:
Association of disease-modifying treatment with outcome in patients with relapsing multiple sclerosis and isolated MRI activity. G. Bsteh et al., Neurology, August 28, 2024 https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000209752