Die Geburt und die Zufriedenheit

Bei einer Geburt nehmen Frauen unterschiedliche Gebärpositionen ein. Bisher noch nicht erforscht ist, wie sich die jeweilige Position auf die Zufriedenheit der Gebärenden auswirkt. 

Forschende des Universitätsklinikums Bonn (UKB), der Universität Bonn und der Universität zu Köln, haben genau das nun untersucht. Sie berücksichtigten dabei vor allem auch, ob die Wahl der Geburtsposition freiwillig erfolgte.

Es zeigte sich: Gerade, wenn diese freiwillig gewählt wurde, machte sie die Frauen zufriedener. Etwa drei Viertel der Befragten lagen während der Geburt und waren darüber insbesondere dann unzufrieden, wenn sie das Gefühl hatten, diese Wahl nicht selbst getroffen zu haben. Hatten sich die werdenden Mütter hingegen selbst die Rücken- oder seitliche Rückenlage ausgesucht, machte die Position sie sogar eher zufriedener. Die Studie wurde jetzt in der Fachzeitschrift „Archives of Gynecology“ veröffentlicht.

Die Rückenlage von Frauen war in den westlichen Ländern lange Zeit die häufigste Geburtsposition – so hatten Geburtshelfer*innen ungehinderten Zugang zu Frau und Kind. In verschiedenen Kulturen sind aber auch aufrechtere Positionen bei der Geburt, wie das Sitzen oder Hocken, weit verbreitet. Welche Position für werdenden Mütter und das ungeborene Kind am besten ist, gilt in der Literatur als umstritten. „Bis heute empfehlen internationale Leitlinien meist nur, dass Frauen die von ihnen präferierte Geburtsposition einnehmen sollten“, erklärt Prof. Dr. Nadine Scholten, die neuerdings die Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung des UKB leitet und die Professur für psychosomatische und psychoonkologische Versorgungsforschung an der Universität Bonn besetzt. In der deutschen Leitlinie heißt es in Bezug auf die Geburtspositionen auch, dass Frauen die ihnen am angenehmsten erscheinende Position einnehmen sollen. Zusätzlich sollen sie in der letzten Phase der Geburt aber auch zu einer aufrechten Position ermutigt werden. „Ob sie letztlich liegen, sitzen oder hocken, ist in der Realität von den Wünschen der werdenden Mütter selbst, aber auch von den Vorschlägen der Hebammen, der Geburtshelfer*innen und von manchmal notwendigen medizinischen Maßnahmen abhängig“, erklärt Prof. Dr. Brigitte Strizek, Direktorin der Klinik für Geburtshilfe und Pränatale Medizin am UKB.

Die Zufriedenheit der Frauen im Fokus

Mit welcher Geburtsposition Frauen im Nachhinein am zufriedensten sind, wollte ein Team um Erst- und Korrespondenzautorin Prof. Scholten herausfinden, die die Arbeit am Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (IMVR) der Universität zu Köln und am UKB durchführte. Dazu wurden mit einem anonymen Fragebogen fast 800 Mütter nach ihrer finalen Gebärposition befragt und, wie zufrieden sie mit der Geburt insgesamt waren. Alle hier analysierten Daten waren von Frauen, die ihr Kind vaginal und ohne Einsatz von Saugglocke oder Geburtszange in einem Krankenhaus geboren hatten, wobei die Geburt zum Zeitpunkt der Befragung acht bis zwölf Monate zurücklag. Auch fragten die Forschenden in ihrer Studie nach der Zufriedenheit der Mütter - abhängig davon, ob die Geburtsposition frei gewählt wurde oder nicht. Die Gründe für eine nicht frei gewählte Position wurden ebenso abgefragt.

Es zeigte sich, dass über drei Viertel der Mütter ihr Kind seitlich oder auf dem Rücken liegend geboren haben. Von diesen Frauen gaben bis zu 40 Prozent an, die Geburtsposition nicht freiwillig gewählt zu haben. „Der von den Befragten am häufigsten genannte Grund dafür waren Anweisungen des medizinischen Personals“, erklärt Prof. Scholten. Die häufigste durch Geburtshelfer*innen zugewiesene Position war die Rückenlage. Auffällig zeigte sich, dass Frauen zufriedener mit ihrer Geburt waren, wenn sie die Position freiwillig wählen durften – vor allem auch, wenn sie die Rückenlage selbst wählten. Frauen, die ihre Geburtsposition nicht frei wählen konnten, machte es besonders unzufrieden, wenn das medizinische Personal diese vorgab und nicht etwa das CTG zur Aufzeichnung der Herzschlagfrequenz des ungeborenen Kindes und der Wehentätigkeit oder die PDA, also die Betäubung zur Schmerzlinderung, die gewünschte Position verhinderte.

Selbstbestimmung im Kreißsaal nicht immer gegeben

„Besonders auffällig ist die Zahl der Frauen, die die Geburtsposition nicht selbst gewählt haben, und die damit verbundene geringere Zufriedenheit mit der Geburt“, fasst Co-Autorin Prof. Strizek zusammen. Ob durch eine zukünftig vermehrte freiwillige Wahl der Geburtsposition, weniger Frauen in Rückenlage gebären würden, kann das Team aber nicht bestätigen. „Um die subjektive Zufriedenheit der Frauen hinsichtlich ihres Geburtserlebnisses zu erhöhen, sollte es ihnen ermöglicht werden, eine von ihnen bevorzugte Position einzunehmen“, appelliert Erstautorin Prof. Scholten. „Der erste Schritt dazu ist die Aufmerksamkeit des medizinischen Personals zu erhöhen und die Befähigung der Frauen, ihre Präferenzen zu verstehen und besser zu kommunizieren.“ Prof. Strizek ergänzt: „Wenn eine bestimmte Position aus medizinischer Sicht für die Gebärende von Vorteil wäre, müssen wir als geburtshilfliche Teams dies den Frauen besser erklären, damit sie möglichst selten das Gefühl haben, über die Geburtsposition nicht selbst bestimmt zu haben.“

Förderung:
Die Arbeit wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und in der Rekrutierung und administrativen Abwicklung von der Techniker Krankenkasse und der AOK Rheinland/Hamburg unterstützt.

Publikation:
Nadine Scholten, Brigitte Strizek et al.: Birthing positions and mother`s satisfaction with childbirth: a cross-sectional study on the relevance of self determination; Archives of Gynecology; DOI: https://doi.org/10.1007/s00404-024-07770-1

Pressekontakt:
Dr. Inka Väth
 am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
 am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: (+49) 228 287-10596; E-Mail: inka.vaeth@ukbonn.de

Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB finden pro Jahr etwa 500.000 Behandlungen von Patient*innen statt, es sind ca. 9.500 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,8 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, hatte in 2023 in der Forschung über 100 Mio. Drittmittel und weist den zweithöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB mit Platz 1 unter den Uniklinika in der Kategorie „Deutschlands Ausbildungs-Champions 2024“ ausgezeichnet.

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Prof. Dr. Nadine Scholten
Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung
Klink für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Bonn
Professur für psychosomatische und psychoonkologische Versorgungsforschung, Universität Bonn
E-Mail: nadine.scholten@ukbonn.de

Prof. Dr. Brigitte Strizek
Direktorin der Klinik für Geburtshilfe und Pränatale Medizin, Universitätsklinikum Bonn
Telefon: +49 228 287-37115 (Sekretariat)
E-Mail: Brigitte.Strizek@ukbonn.de

Originalpublikation:
Nadine Scholten, Brigitte Strizek et al.: Birthing positions and mother`s satisfaction with childbirth: a cross-sectional study on the relevance of self determination; Archives of Gynecology; DOI: 10.1007/s00404-024-07770-1

Das Wundsekret nach einer Bauchraum Operation

Der «Empa Innovation Award» würdigt herausragende Projekte, die die Brücke zwischen Labor und Wirtschaft schlagen. In diesem Jahr wird ein Team von Forschenden der Empa und der ETH Zürich für den Sensor «SensAL» ausgezeichnet. «SensAL» warnt schnell und präzise vor lebensgefährlichen Komplikationen nach Operationen im Bauchraum.

Der «Empa Innovation Award» geht in diesem Jahr an ein Team der Empa und der ETH Zürich um Alexander Jessernig, Alexandre Anthis und Inge Herrmann für ihre «SensAL»-Technologie zur frühzeitigen Erkennung postoperativer Komplikationen nach einer Bauchoperation. Die Jury, bestehend aus Expertinnen und Experten der Empa und ihres «Industrial Advisory Board», entschied sich für die Prämierung von «SensAL» als heraus-ragendes Innovations- und Technologietransferprojekt. Und nur kurz nach der Preisvergabe ist die Technolo-gie auch bei der Wissenschaftsveranstaltung «Falling Walls Switzerland» ausgezeichnet worden. Aufgrund der Originalität, Patentstärke und dem Marktpotential von "SensAL" ist die Technologie zudem für den diesjähri-gen Spark Award der ETH Zürich nominiert.

Deutlicher Farbumschlag warnt vor undichter Naht

Nach einer Operation in der Bauchhöhle sind undichte Stellen an den Nähten besonders gefürchtet, da der Inhalt des Verdauungstrakts in den Bauchraum dringen kann. Eine Bauchhöhlenentzündung oder gar eine lebensgefährliche Sepsis können die Folge sein. Derzeit ist es schwer möglich, derartige Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Und je später das Leck entdeckt wird, umso geringer sind die Überlebenschancen der Betroffenen.

Die Forschenden der Empa und der ETH Zürich haben nun einen Sensor entwickelt, der schnell und präzise anzeigt, wenn die Operationsnähte undicht sein könnten. Das Prinzip ist dabei kostengünstig, überzeugend einfach und gut in den Klinikalltag integrierbar: Nach einem chirurgischen Eingriff wird Wundsekret über einen Schlauch aus dem Operationsgebiet nach aussen abgeleitet. In diese herkömmliche Drainage wird der neue Sensor integriert. Er enthält Substrate für verschiedene Enzyme, die für den Magen-Darm-Inhalt im Wundsekret typisch sind. Sind die entsprechenden Enzyme im Wundwasser enthalten, reagiert der Sensor mit einem Farbumschlag, der vom Pflegepersonal mit blossem Auge abgelesen werden kann. Damit ergänzt «SensAL» das bisherige Innovationsportfolio des Teams aus den Labors von Inge Hermann, wie etwa ein Hydrogel-Pflaster für innere Wunden, das das Spin-off «Veltist» der Empa und der ETH Zürich derzeit zur Marktreife weiterentwickelt.

Das Team hat mit einem «SensAL»-Prototyp in Laborexperimenten bereits einen ersten «Proof of Principle» geliefert. Die klinische Anwendung wird derzeit gemeinsam mit dem Universitätsspital Zürich, dem Kantonsspital St. Gallen, der Karls-Universität Pilsen und der «Cleveland Clinic» in Ohio innerhalb des Strategischen Fokusbereichs «Personalisierte Gesundheit» des ETH-Bereichs weiter vorangetrieben.

Mit dem diesjährigen «Innovation Award» erhält das Team auch ein Preisgeld über CHF 5'000. Nach dem «Innovation Award 2020» für Nanoglue, ein Wundkleber auf Nanopartikelbasis, ist dies bereits der zweite Empa-Innovationspreis für Herrmanns Team.

Box: Der Empa Innovation Award

Mit dem «Empa Innovation Award» zeichnet die Empa seit 2006 alle zwei Jahre herausragende Innovations- und Technologietransferprojekte aus. Der Preis, dotiert mit CHF 5'000, ehrt eine Person, eine Forschungsgruppe oder -abteilung für exzellente Innovationen oder einen erfolgreichen Technologietransfer in die Privatwirtschaft. Die Empa honoriert damit die Anstrengungen ihrer Forschenden, mit angewandter, marktorientierter Forschung die Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft weiter auszubauen.

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Prof. Dr. Inge Herrmann
Particles-Biology Interactions
Tel. +41 58 765 71 53
inge.herrmann@empa.ch

Alexander Jessernig
Particles-Biology Interactions
Tel. +41 58 765 73 35
alexander.jessernig@empa.ch

Die chronische Nierenekrankung CKD und seinen Hausarzt und der Facharzt

In Deutschland haben mehr als 1,3 Millionen Menschen eine chronische Nierenerkrankung (CKD) in den fortgeschrittenen Stadien 3 bis 5. 

Dabei ist die rechtzeitige Erkennung und Behandlung der CKD entscheidend, um das Fortschreiten zum Nierenversagen zu verhindern. 

Eine neue Studie der Klinik für Innere Medizin IV mit den Schwerpunkten Nieren- und Hochdruckkrankheiten am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, und dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Berlin, zeigt Handlungsbedarf in der Versorgung von Betroffenen mit CKD in Deutschland auf.

Die Ergebnisse der Studie „Referral, monitoring, and factors associated with non-referral of chronic kidney disease in Germany: a nationwide, retrospective cohort study“ wurden nun in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet Regional Health – Europe veröffentlicht. Erstmals wurden die Abrechnungsdaten von über 73 Millionen gesetzlich Versicherten mit Blick auf die Prävalenz der chronischen Nierenerkrankung systematisch analysiert. 


Bei 1,9 Prozent der deutschen Bevölkerung war im Jahr 2022 eine mittlere bis fortgeschrittene CKD diagnostiziert worden. 


Damit gehört CKD zu den sogenannten Volkskrankheiten, die einen großen Teil der Bevölkerung betreffen.


Fast ein Drittel der Patientinnen und Patienten im fortgeschrittenen Stadium 4 der Erkrankung wurde innerhalb des Jahres 2022 nicht fachärztlich durch eine nephrologische Praxis betreut.


Diesel  nicht-überwiesenen Patientinnen und Patienten erhielten deutlich seltener eine Bestimmung der Nierenfunktion und der Urineiweißausscheidung, welche gemäß den internationalen KDIGO-Leitlinien für eine optimale Behandlung und Einschätzung der Prognose mindestens dreimal jährlich erfolgen sollte. 


Eine geringere Mitbehandlungsrate durch Facharztpraxen wiesen insbesondere Frauen und ältere Menschen sowie Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen auf. Beispielsweise erhielten 52 Prozent der Frauen über 86 Jahre mit fortgeschrittener CKD keine Überweisung an eine Fachpraxis, während dies bei Männern derselben Altersgruppe bei 38 Prozent der Fall war. 


Regionale Faktoren beeinflussten die Überweisungsrate nicht.


„Unsere Analyse verdeutlicht, dass viele CKD-Betroffene im fortgeschrittenen Stadium gemessen an den internationalen nephrologischen Leitlinien unzureichend versorgt werden. 


Aktuelle Daten anderer Arbeitsgruppen legen darüber hinaus nahe, dass es vermutlich noch eine hohe Dunkelziffer an nicht-diagnostizierten Patientinnen und Patienten mit CKD gibt, die hier nicht erfasst wurden“, erklären die Erstautoren der Studie, Dr. Friedrich von Samson-Himmelstjerna, Arzt am UKSH, und Dr. Edgar Steiger, Teamleiter Data Science am Zi. „Welche Gründe genau dazu führen, dass bestimmte Patientengruppen nicht entsprechend der KDIGO-Empfehlungen behandelt werden, lässt sich anhand unserer Studie nicht bestimmten und muss im Weiteren erforscht werden.“

Die Studie hebt die Dringlichkeit eines besseren Zusammenwirkens von hausärztlichen und nephrologischen Praxen hervor, um die Versorgung von CKD-Patientinnen und Patienten zu verbessern. „Die chronische Nierenerkrankung erhöht nicht nur das Risiko für Nierenversagen, sondern auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, betont Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi). „Mit einer alternden Bevölkerung wird die Zahl der CKD-Betroffenen weiter steigen. Das stellt eine erhebliche Belastung für unser Gesundheitssystem dar und bedeutet für viele Betroffene persönliches Leid, weshalb wir dringend Lösungen finden müssen, um diese Patientinnen und Patienten frühzeitig zu identifizieren und zu behandeln.“

PD Dr. Kevin Schulte, Letztautor der Studie und stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Innere Medizin IV, fordert einen klaren Fahrplan für die zukünftige Versorgung: „Nicht jeder Mensch mit CKD muss zwingend von einer fachärztlichen Praxis betreut werden, aber alle Erkrankten haben das Recht auf eine adäquate Diagnose und optimale Betreuung. Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir im Bereich der Prävention deutlich besser werden können und müssen. Dies könnte die Zahl dialysepflichtiger Patienten und Patientinnen und damit die Ressourcenanforderung an das Gesundheitssystem künftig senken.“

Schulte und von Stillfried plädieren deshalb dafür, dass nephrologische und hausärztliche Praxen gemeinsam Maßnahmen zur besseren Früherkennung und flächendeckenden Behandlung entwickeln. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass internationale nephrologische Leitlinien, wie die KDIGO-Empfehlungen, eine intensivere Überwachung von Menschen mit CKD auch bei älteren Betroffenen fordern, während hausärztliche Leitlinien oft weniger spezialisierte Maßnahmen vorsehen. „Gerade bei älteren Patientinnen und Patienten zeigt sich diese Diskrepanz deutlich. Eine engere Abstimmung zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung, die im Praxisalltag gut umsetzbar ist, ist dringend notwendig“, erklärt Schulte.

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Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Klinik für Innere Medizin IV, PD Dr. Kevin Schulte
Tel.: 0431 500-23005, E-Mail: kevin.schulte@uksh.de

Originalpublikation:
Friedrich A. von Samson-Himmelstjerna, Edgar Steiger, Benedikt Kolbrink, Hauke S. Wülfrath, Thomas Czihal, Roland Schmitt, Dominik von Stillfried, Kevin Schulte; Referral, monitoring, and factors associated with non-referral of chronic kidney disease in Germany: a nationwide, retrospective cohort study. The Lancet Regional Health – Europe (2024) DOI: https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2024.101111

Das Gehirn wegsaufen....

Alkohol ist gesellschaftlich akzeptiert, auch wenn der Mythos vom „gesunden Gläschen Wein“ nicht mehr länger zu halten ist.

Gerade die Auswirkungen einer Alkoholsucht auf das Gehirn sind katastrophal, Menschen mit „Trinkerkarrieren“ erreichen bereits in mittleren Lebensjahren demenzähnliche Zustände mit z. T. komplettem Verlust der Selbstautonomie. Denn

 Alkohol schädigt Nervenzellen über verschiedene Mechanismen. Diese Gefahr des Alkoholkonsums wird nur selten thematisiert, da Betroffene nicht an den neurologischen Folgen, sondern an Leberversagen oder Krebs sterben. Das Thema „Gehirn und Alkohol“ ist auch ein Thema einer Veranstaltung der Deutschen Hirnstiftung auf dem DGN-Kongress.

Alkoholkonsum – zu hoch und immer noch gesellschaftlich akzeptiert
Laut Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit [1] konsumieren 7,9 Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland Alkohol sogar in gesundheitlich riskanter Menge . Der Gesamtkonsum an reinem Alkohol (Liter pro Kopf) ist in den Jahren zwischen 2010 und 2020 zwar zurückgegangen (von 11,6 auf 10,6 l), doch im „DHS Jahrbuch Sucht 2024“ [2] ist nachzulesen: „Der Gesamtverbrauch an alkoholischen Getränken stieg im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr (2021: 118,5 l) um 1,4 % (1,6 Liter) auf 120,1 Liter Fertigprodukt pro Kopf der Bevölkerung.“ Auch wenn der Trend offensichtlich zu weniger hochprozentigen alkoholischen Getränken geht, ist der Konsum zu hoch, regelmäßig und offensichtlich unbedacht.

Gut für die Gesundheit? Ein Mythos …
Woher kommt diese unkritische Einstellung? Es gab eine Reihe epidemiologischer Studien, die eine sogenannte J-Kurve zeigten; d. h. Menschen, die „null Alkohol“ konsumierten, hatten eine höhere Sterblichkeit als die, die einen moderaten Alkoholkonsum angaben. Bei höheren Alkoholmengen stieg das Sterberisiko dann deutlich an. Dann kam aber heraus, dass unter den Personen, die einen „Null-Alkohol-Konsum“ angegeben hatten, viele abstinente Ex-Alkoholkranke waren, sodass die „J-Kurve“ das Produkt einer methodischen Verfälschung war. Eliminierte man diesen Fehler, stieg die Risikokurve auch bei kleinen Alkoholmengen schon an. Damit ist der Mythos, ein „bisschen“ Alkohol sei besser als Abstinenz, definitiv vom Tisch.

Alkohol schädigt Nerven und Gehirn – die zugrunde liegenden Mechanismen
Bekannt ist, dass Alkohol süchtig machen kann, die Leber schädigt und auch das Krebsrisiko erhöht. Aber kaum jemand spricht von den Folgen von Alkohol auf die Nerven und das Gehirn. Wie sehr Alkohol die Nerven schädigt, wird klar, wenn man betrunken ist: Man reagiert verlangsamt, hat eine gestörte Koordination und später dann Erinnerungslücken. Dies gibt bereits einen Vorgeschmack auf die potenziellen Langzeitschäden von Alkohol für das Nervensystem. Die neurotoxische Wirkung von Alkohol wird über verschiedene Wirkweisen vermittelt [3]:

- Thiaminmangel::
Thiamin, auch bekannt als Vitamin B1, ist entscheidend für gesunde Nerven, denn es wird zur Bildung von Nukleinsäuren und Neurotransmittern benötigt. Der Körper ist nicht in der Lage, Thiamin selbst zu produzieren, es muss mit der Nahrung aufgenommen werden. Alkoholabhängige Menschen sind oft mangelernährt und nehmen per se zu wenig Thiamin auf [4]. Es gab sogar schon Versuche, Thiamin dem Bier beizusetzen. Doch der Effekt ist gering, denn Alkohol unterbindet die Thiaminaufnahme und -verwertung im Körper. So gelingt die Aufnahme dieses B-Vitamins aus dem Darm nicht mehr, weil dafür sowohl Energie als auch ein normaler pH-Wert benötigt wird [5, 6], 

Cave: Letzterer ist bei Alkoholismus reduziert. Darüber hinaus behindert Alkohol die Fähigkeit der Zellen, Thiamin zu verwerten. Die sogenannte Thiaminpyrophosphokinase wird durch Alkohol gehemmt [7].

- Bildung von Acetaldehyd, einem Nervengift
Alkohol wird im Körper zu Acetaldehyd verstoffwechselt. Dieses Abbauprodukt von Ethanol führt dosisabhängig zum Absterben von Nervenzellen (neuronaler Zelltod). Chronischer Alkoholkonsum führt daher zu neuronaler Degeneration [8].

- Neuroinflammation::
Alkohol führt zur Entzündung von Nervengewebe. Er erhöht die Zahl entzündungsfördernder Zytokine, die die Blut-Hirn-Schranke (BHS) überwinden und Entzündungen im Gehirn verursachen können [9]. Auch begünstigt er die Inflammation durch Verschiebung der Neurotransmitterspiegel. So ist beispielsweise bekannt, dass Alkohol den Glutamatspiegel über die Hemmung des N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptors erhöht [9]. Hohe Konzentrationen von Glutamat im Gehirn können neurotoxisch wirken und neuronale Schäden verursachen. Alkohol kann auch über die Aktivierung von Neuroimmunzellen (Mikroglia und Astrozyten) direkt eine neuronale Entzündung auslösen, die einen weiteren neurotoxischen Faktor darstellt [10].

- Lebervermittelte Schädigung der Gehirnzellen
Wenn es durch Alkoholmissbrauch zu einer Leberschädigung kommt, führen die dann anfallenden neurotoxischen Substanzen wiederum zu einer Gehirnschädigung („hepatische Enzephalopathie“). Damit ist das Gehirn auch indirekt ein Opfer der organbedingten Alkoholschäden [11, 12].

Alkoholassoziierte Erkrankungen von Gehirn und Nerven
Häufig unterschätzt, weil im Krankheitsbild zunächst wenig „imposant“, ist die Polyneuropathie. Sie entsteht durch Schädigung der peripheren Nerven durch den Alkohol. Sie kann auch andere Gründe haben (z. B. Diabetes), bei etwa jedem fünften Betroffenen ist sie allerdings alkoholbedingt. Anfänglich äußert sie sich durch ein unangenehmes Kribbeln in den Beinen, im Vollbild bringt sie Dauerschmerzen mit sich und beeinträchtigt die Lebensqualität enorm. Viele Menschen mit Alkoholproblemen sind früher oder später betroffen (Schätzungen zufolge zwischen 22 und 66 %).

Die neurologischen Folgekrankheiten und Syndrome eines erhöhten Alkoholkonsums, die durch Schädigungen der Nervenzellen des zentralen Nervensystems entstehen, ähneln den typischen Symptomen der Betrunkenheit, sind allerdings dann chronisch. Beim Korsakow-Syndrom oder dem extrem seltenen Marchiafava-Bignami-Syndrom beispielsweise nehmen die kognitiven Fähigkeiten ab, es kommt zu Sprachstörungen, unkontrollierten Bewegungen – und im Endstadium zu einer Demenz (siehe Beschreibung der Krankheitsbilder im Anhang).

„Alles in allem kann man sagen, dass die neurologischen Langzeitfolgen des Alkoholkonsums enorm sind. Sie treten oft nicht in Erscheinung, weil sie natürlich zusammen mit anderen alkoholinduzierten Krankheiten auftreten, die meistens als Todesursache im Vordergrund stehen. Verstirbt ein Alkoholiker an einer Leberzirrhose, bleibt in den Köpfen hängen, dass Alkohol die Leber schädigt, selbst wenn der Betroffene über viele Jahre zuvor an einer Alkoholdemenz litt“, erklärt Prof. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung. „Unser Anliegen ist es deshalb, die Gefahren des Alkohols auf Nerven und Gehirn bekannter zu machen – denn, um es einmal plakativ auf den Punkt zu bringen: Ja, man kann sich tatsächlich sein Gehirn wegsaufen.“

Veranstaltung der Deutschen Hirnstiftung auf dem DGN-Kongress:
Flyin’ high – Drogen und Gehirn
Donnerstag, 7. November 2024, 16:30–18:00 Uhr

Hepatitis E und die Leber und Niere

Eigentlich befällt das Hepatitis-E-Virus die Leber. 

Doch infizierte Leberzellen scheiden ein virales Protein aus, das mit Antikörpern im Blut reagiert – und als Komplex die Filtervorrichtungen in der Niere schädigen kann, wie Forschende an der Universität Zürich und am Universitätsspital Zürich erstmals nachweisen.

Das Hepatitis-E-Virus infiziert jedes Jahr rund 70 Millionen Menschen. «Diese Infektion ist die häufigste Form der viralen Hepatitis und ein grosses weltweites Gesundheitsproblem», sagt Achim Weber, Professor für Pathologie an der Universität Zürich (UZH) und am Universitätsspital Zürich (USZ). In den meisten Fällen verläuft die Infektion asymptomatisch oder milde. Doch manchmal geht sie nicht nur mit einem schweren Schaden an der Leber, sondern auch mit einer Nierenschädigung einher.

Einblick in Krankheitsmechanismus gewonnen

«Das ist schon länger bekannt, aber niemand wusste genau wieso», sagt Weber. Nun haben die beiden Nephropathologinnen Birgit Helmchen und Ariana Gaspert sowie die Molekularbiologin Anne-Laure Leblond in seinem Team – in Zusammenarbeit mit Forschenden aus Frankreich sowie mit Kolleginnen und Kollegen an verschiedenen Spitälern aus der Schweiz – anhand von Untersuchungen an Gewebeproben erkrankter Personen den Krankheitsmechanismus geklärt.

Die infizierten Leberzellen produzieren einen grossen Überschuss eines viralen Proteins, das sich mit seinesgleichen zur Virushülle anordnen kann.

 Weil das Erbgut des Virus in deutlich geringerem Ausmass vervielfältigt wird, bleiben die allermeisten Hüllen leer, wenn sie von den Leberzellen ausgeschieden werden. 


So gelangen sie in den Blutkreislauf, wo sie vom Immunsystem erkannt werden. 

Dieses bildet Antikörper, die sich an die viralen Proteine heften.

Diese Virushüllen-Antikörper-Komplexe lagern sich dann in den Blutfiltervorrichtungen der Niere, den sogenannten Glomerula, ab. 


Wenn sich die Komplexe rascher ansammeln als sie abgebaut werden, können sie die Glomerula schädigen – und eine sogenannte Glomerulonephritis auslösen: ein Schädigungsmuster, das im schlimmsten Fall zum Nierenversagen führt.

Hepatitis E bleibt oft unerkannt

Auf diesen Mechanismus gestossen sind die Forschenden um Weber, als sie der Todesursache eines Patienten auf den Grund gingen, der vor Jahren eine neue Niere erhalten hatte. 

«Aus seiner Krankenakte war ersichtlich, dass seine chronische Hepatitis E nicht sofort erkannt wurde», sagt Weber. Das sei nicht untypisch, denn die Krankheit finde in Europa immer noch zu wenig Beachtung.

«Im Studium habe ich noch gelernt, dass Hepatitis E nur Personen in Asien, Afrika und Zentralamerika betrifft», sagt Weber. 

Erst allmählich setze sich die Erkenntnis durch, dass auch Menschen in Europa sich mit dem Hepatitis-E-Virus anstecken können, insbesondere wenn ihr Abwehrsystem geschwächt sei – und sich die Infektion deshalb festsetzen oder chronifizieren könne.

Nützliche Nachweismethoden

«Wir hoffen, dass unsere Entdeckung dazu beiträgt, dass Hepatitis E auch hierzulande stärker ins Bewusstsein rückt», sagt Weber. Denn die soeben veröffentlichten Erkenntnisse haben darüber hinaus auch eine Bedeutung für den diagnostischen Alltag: Mit den Nachweismethoden für die Proteine des Hepatitis-E-Virus, die das Team um Weber entwickelt hat, können Pathologinnen und Pathologen von nun an feststellen, ob der Erreger an einer Glomerulonephritis beteiligt ist.

«Davon profitieren die Betroffenen», sagt Weber. Denn falls das Hepatitis-E-Virus das Krankheitsgeschehen bestimmt, kann die behandelnde Ärzteschaft zum Beispiel mit der Verabreichung von Substanzen, die die Vermehrung des Virus hemmen, rechtzeitig Gegensteuer geben – und so einen drohenden Kollaps der Niere vermeiden.

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Prof. Dr. med. Achim Weber
Institut für Pathologie und Molekularpathologie
Universität Zürich und Universitätsspital Zürich
+41 44 255 27 81
Achim.Weber@usz.ch

Originalpublikation:
Anne-Laure Leblond, Birgit Helmchen et al. HEV ORF2 protein-antibody complex deposits are associated with glomerulonephritis in hepatitis E with reduced immune status. Nature Communications. 14 October 2024. DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-024-53072-0
Weitere Informationen finden Sie unter
Zum Blogbeitrag Behind the paper