Mikrobiom, die Bakterien im Darm: CAVE: Trimethylaminoxid

Medizin am Abend Berlin Fazit: Wie Darmbakterien das Herzinfarktrisiko beeinflussen

Wissenschaftler von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Berliner Institut für Gesundheitsforschung / Berlin Institute of Health (BIH) haben gemeinsam mit Kollegen*innen von der Cleveland Clinic in Ohio in den USA gezeigt, dass bestimmte bakterielle Stoffwechselprodukte aus dem Darm das Risiko erhöhen, einen Herzinfarkt bzw. Schlaganfall zu erleiden. 

Dies galt insbesondere für Patienten, die bereits einen Schlaganfall erlitten hatten. 

Die nun veröffentlichten Erkenntnisse könnten dazu beitragen, eine völlig neue Art der Prävention zu entwickeln. 
 
Allein in Berlin erleiden jedes Jahr 10.000 Menschen einen Herzinfarkt, in ganz Deutschland sind es rund 280.000, etwa 50.000 von ihnen sterben an den Folgen.

Zu den bekannten Ursachen gehören Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte im Blut, Rauchen, Übergewicht, mangelnde Bewegung oder eine Häufung von Herzinfarkten in der Familie. 

 
 Plaqueruptur mit Gerinnselbildung in einem Herzkranzgefäß. Quelle: Landmesser, BIH


Besonders gefährdet sind auch Patient*innen, die bereits ein "kardiovaskuläres Ereignis" erlitten haben, also einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. BIH-Professor Ulf Landmesser, Direktor der Klinik für Kardiologie am Campus Benjamin Franklin der Charité und ärztlicher Leiter des CharitéCentrum für Herz-, Kreislauf- und Gefäßmedizin an der Charité - Universitätsmedizin Berlin, hat mit Kolleg*innen vom Department of Cardiovascular Medicine der Cleveland Clinic in Ohio in den USA sowie Professor Matthias Endres und Kolleg*innen der Klinik für Neurologie der Charité und von der Medizinischen Hochschule Hannover in zwei Studien mit insgesamt über 600 Patient*innen, die kürzlich einen Schlaganfall erlitten hatten, einen bisher weniger bekannten Risikofaktor untersucht:

Das so genannte Mikrobiom, die Bakterien im Darm.

Dabei hatten sie insbesondere die Konzentration eines Stoffwechselprodukts der Bakterien, das Trimethylaminoxid, gemessen und mit dem Risiko verglichen, einen Herzinfarkt bzw. Schlaganfall zu erleiden. 

  • "Wir haben herausgefunden, dass Patient*innen mit einer hohen Trimethylaminoxid -Konzentration im Blut ein doppelt bis fünffach so hohes Risiko für einen Herzinfarkt bzw. Schlaganfall hatten wie Patient*innen mit einer niedrigen Konzentration des Metaboliten", sagt Ulf Landmesser. 

Das Trimethylaminoxid regt offenbar die Zellen auf der Innenschicht der Blutgefäße, die Endothelzellen, dazu an, Faktoren zu bilden, die die Blutgerinnung und Gefäß-Entzündung begünstigen. 

  • Das wiederum lockt entzündungsfördernde Blutzellen an, Monozyten, die ihrerseits in den Blutgefäßwänden die Atherosklerose und Thrombose fördern. 

Eine ganz und gar nicht neue Idee, berichtet Landmesser: "Die Idee, dass Entzündungen mit Arteriosklerose verbunden ist, geht auf Rudolf Virchow zurück, der das schon vor 160 Jahren hier in Berlin beschrieben hat."

  • Die Erkenntnis, dass Mikrobiom und Herzinfarkt bzw. Schlaganfall zusammenhängen, bietet allerdings auch ganz neue Möglichkeiten, Herzinfarkt und Schlaganfall vorzubeugen. 

Die Berliner Mediziner*innen haben dazu mit ihren Kolleg*innen aus Cleveland ein internationales transatlantisches Forschungsnetzwerk of Excellence gegründet, um nach Substanzen zu suchen, die die Bildung der schädlichen Metaboliten in den Bakterien hemmen können.

"Herkömmliche Medikamente, die die Blutgerinnung hemmen, verringern zwar das Herzinfarktrisiko, erhöhen aber gleichzeitig auch das Blutungsrisiko", erklärt Landmesser.

"Das Interessante an diesem neuen Ansatz ist, dass man durch die Beeinflussung der Bakterien das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko senken könnte, ohne dass man gleichzeitig das Blutungsrisiko erhöht. Also möglicherweise eine besonders elegante Methode, das Ziel zu erreichen."

Landmesser plant, die gewonnenen Erkenntnisse bereits in den nächsten drei Jahren in einer klinischen Studie an Patient*innen zu testen.

Doch damit nicht genug:

 "Wir haben noch weitere interessante Metaboliten im Mikrobiom gefunden, die etwa den Cholesterinstoffwechsel positiv beeinflussen.

Man könnte einen solchen Bakterien-Metabolit oral verabreichen, als Nahrungszusatzstoff, und so das Herzinfarktrisiko senken." 

Von daher wäre es völlig falsch, die Mitbewohner im Darm allesamt zu verteufeln, sagt Professor Ulf Landmesser.

"Wir haben mehr Bakterien in uns, als wir Körperzellen haben. Und diese Bakterien tun eben auch viele Dinge, die gut für uns sind. Und die wollen wir natürlich auch erforschen und möglicherweise in präventiven Ansätzen nutzen."

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Originalpublikation:
Haghikia A, et al.,… Landmesser U. Gut Microbiota-Dependent Trimethylamine N-Oxide Predicts Risk of Cardiovascular Events in Patients With Stroke and Is Related to Proinflammatory Monocytes. Arterioscler Thromb Vasc Biol. 2018 Jul 5. pii: ATVBAHA.118.311023. doi: 10.1161/ATVBAHA.118.311023.

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https://www.ahajournals.org/doi/pdf/10.1161/ATVBAHA.118.311023


Untersucher-Volkskrankheiten: CAVE: Kardiovaskuläre Todesfälle (Herz-Kreislauf-Erkrankungen)

Medizin am Abend Berlin Fazit: Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Ernährung in Europa: Jeder zweite bis dritte Todesfall vermeidbar

Von insgesamt 4,3 Millionen kardiovaskulären Todesfällen im Jahr 2016 in Europa gehen 2,1 Millionen auf eine unzureichende Ernährung zurück. 

  • Auf die 28 Mitgliedstaaten der EU entfallen davon rund 900.000, auf Russland 600.000 und auf die Ukraine 250.000 Todesfälle. 

Jeder zweite bis dritte vorzeitige Todesfall könnte durch eine bessere Ernährung vermieden werden. 

Medizin am Abend Berlin ZusatzFachThema: Krankenhäuser - IT Sicherheit  

Das berichtet ein internationales Forscherteam unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des Kompetenzclusters nutriCARD und der University of Washington in den USA in der aktuellen Ausgabe des "European Journal of Epidemiology". 
 
Für die Studie wertete das Team repräsentative Daten der globalen Krankheitslastenstudie (Global Burden of Disease Study) von 1990 bis 2016 aus.

Sie analysierten, wie häufig Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zum Beispiel Herzinfarkte oder Schlaganfälle, in den 51 Ländern vorkamen, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "europäische Region" zusammengefasst werden.

 Hierzu gehören neben den EU-Mitgliedsstaaten und weiteren europäischen Ländern auch mehrere Staaten Vorder- und Zentralasiens, wie Armenien, Aserbaidschan, Israel, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Türkei, Turkmenistan und Usbekistan.

Auf Basis des Lebensmittelkonsums und weiterer Risikofaktoren der jeweiligen Staaten errechneten die Forscher den Anteil der Todesfälle, der auf eine unausgewogene Ernährung zurückzuführen ist.

  • Dazu zählen die Wissenschaftler etwa einen zu geringen Verzehr von Vollkornprodukten, von Nüssen und Samen sowie von Gemüse und einen zu hohen Salzkonsum.

Der Ländervergleich zeigt deutliche Unterschiede: 2016 waren in Deutschland 160.000 Todesfälle (46 Prozent aller kardiovaskulären Todesfälle), in Italien 97.000 (41 Prozent), in Großbritannien 75.000 (41 Prozent) und in Frankreich 67.000 (40 Prozent) mit einer unausgewogenen Ernährung assoziiert. 

In Israel und Spanien war dagegen nur jeder dritte vorzeitige kardiovaskuläre Todesfall ernährungsbedingt.

Im Rahmen der Studie wurden spezifische Länderprofile erstellt:

"Während in Schweden und Norwegen ein zu geringer Verzehr von Nüssen und Samen zu den meisten ernährungsbedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen beiträgt, ist in vielen zentral- und osteuropäischen sowie zentralasiatischen Ländern der zu geringe Verzehr von Vollkornprodukten der Hauptrisikofaktor. 

 Oder anders formuliert:

Ein vermehrter Verzehr von ballaststoffarmen Weißmehlprodukten hat in den letzten Jahren zu einer Zunahme von Herzkreislauf-Erkrankungen geführt. 

  • In Albanien, Aserbaidschan und Usbekistan haben sich entsprechende Fallzahlen im betrachteten Zeitraum sogar mehr als verdoppelt", sagt der Studienleiter Dr. Toni Meier von der MLU.

"Unsere Ergebnisse sind von entscheidender gesundheitspolitischer Relevanz und sollten unbedingt bei der Entwicklung zukünftiger Präventionsstrategien berücksichtigt werden", ergänzt Prof. Dr. Stefan Lorkowski von der Universität Jena, Koautor der Studie und Sprecher des Kompetenzclusters nutriCARD.

"Wir müssen das Potenzial einer ausgewogenen und gesundheitsfördernden Ernährung besser nutzen, sonst werden kardiometabolische Erkrankungen zukünftig noch mehr vermeidbare Todesfälle verursachen."

Große Unterschiede fand das Team auch in Bezug auf Alter und Geschlecht:

Männer waren tendenziell bereits in jüngeren Jahren betroffen, Frauen dagegen erst ab dem 50. 
Lebensjahr. 

2016 starben rund 601.000 Menschen unter 70 Jahren an den Folgen einer ernährungsbedingten Herz-Kreislauf-Erkrankung; davon 420.000 Männer und 181.000 Frauen.

Der höchste Anteil an ernährungsbedingten Todesfällen bei den unter 70-Jährigen wurde in Zentralasien beobachtet, hier waren es 42,5 Prozent.

In den EU-Mitgliedsstaaten konnten die Forscher 178.000 vorzeitige ernährungsbedingte Todesfälle - 132.000 bei Männern und 46.000 bei Frauen - aufzeigen, was einem Anteil von knapp 20 Prozent bei kardiovaskulären Todesfällen entspricht.

Mit Hilfe des verwendeten Rechenmodells gelang es den Forschern zudem, die Effekte anderer Risikofaktoren, wie Übergewicht, Bluthochdruck, Bewegungsmangel und Rauchen, herauszurechnen und nur den spezifischen Anteil einer falschen Ernährungsweise an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu bestimmen.

"Zu betonen ist außerdem, dass der allseits bekannte Risikofaktor Alkohol in unserer Studie nicht berücksichtigt wurde. 

  • In Ländern mit einem hohen Alkoholkonsum könnte somit das Ausmaß ernährungsbedingter kardiovaskulärer Erkrankungen noch größer sein", kommentiert die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Gabriele Stangl von der MLU.

Der Kompetenzcluster für Ernährung und kardiovaskuläre Gesundheit (nutriCARD) bündelt die Aktivitäten im Bereich der grundlagennahen und der angewandten Ernährungsforschung der im mitteldeutschen Universitätsbund kooperierenden Universitäten Jena, Leipzig und Halle-Wittenberg.

Dieser wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Ziel ist, effiziente Konzepte für eine nachhaltige Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln und diese über Ernährungskommunikation und -bildung in die Bevölkerung zu tragen.

Originalpublikation:
Meier T. et al. Cardiovascular mortality attributable to dietary risk factors in 51 countries in the WHO European Region from 1990 to 2016: a systematic analysis of the Global Burden of Disease Study. European Journal of Epidemiology (2019). doi: 10.1007/s10654-018-0473-x

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