Molekularer, zellulärer und neuronaler Futtersuche zum Weihnachtsfest 2018

Medizin am Abend Berlin Fazit: Futtersuche: bei Mensch und Wurm ähnlich reguliert?

Verhalten des Fadenwurms weist auf die Entwicklung von ernährungsmotiviertem Verhalten bei höheren Tieren hin  
  • Wie motiviert uns unser Nervensystem, vom Sofa aufzustehen und im Kühlschrank oder sogar im Supermarkt nach Essen zu suchen? 
Das hat ein Forscherteam um Alexander Gottschalk von der Goethe-Universität am Beispiel des Fadenwurms Caenorhabditis elegans untersucht.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, wie sich das Verhalten bei der Futtersuche im Laufe der Evolution bei höheren Tieren entwickelt haben könnte.

Nahrung zu finden und an einer Nahrungsquelle zu verweilen, sind entscheidende Überlebensstrategien im Tierreich.

  • Aber wie werden externe Futter-Signale auf molekularer, zellulärer und neuronaler Ebene in Verhalten verwandelt? 

Um das herauszufinden, greifen Neurowissenschaftler gern auf einfache Modellorganismen wie den Fadenwurm C. elegans zurück. Er besitzt nur 302 Nervenzellen, deren Verknüpfungen präzise kartiert sind. So können Forscher im Detail untersuchen, wie diese Nervenzellen miteinander kommunizieren, um bestimmte Verhaltensweisen zu erreichen.

Alexander Gottschalk und sein Team konzentrierten sich in ihrer Studie auf einen neuronalen Schaltkreis, an dessen „Spitze“ sich ein Paar sensorischer Nervenzellen befindet.

Ist Nahrung vorhanden, setzt es den Botenstoff Dopamin frei. 

Das wirkt sich auf zwei Arten von nachgeschalteten Neuronen aus (DVA und AVK) – und zwar auf ganz unterschiedliche Weise, wie das Forscherteam entdeckte.

Dopamin aktiviert DVA, was ein Verweilen und ein lokales Suchverhalten fördert, während es AVK inhibiert, das sonst eine Futtersuche über längere Distanzen fördern würde. 

  • Konkret geschieht dies, indem DVA und AVK die Information an Motoneuronen weitervermitteln, die wiederum die Muskelaktivität steuern.

Doch welche Schlüsse lässt dies auf die Nahrungssuche bei höheren Tieren wie dem Menschen zu?

Beim Fadenwurm beeinflusst das DVA-Neuron die Fortbewegung, indem es das Neuropeptid NLP-12 an die Motoneuronen weiterleitet. 

Säugetiere haben ein äquivalentes Neuropeptid, das Cholecystokinin.

Seine Freisetzung wird ebenfalls durch Dopamin-Signale reguliert, beispielsweise bei belohnungsabhängigem Verhalten. 

Dies zeigt, dass im Laufe der Evolution die Bedeutung von Dopamin und Cholecystokinin/NLP-12 als Neuromodulatoren erhalten blieb.


  • Beide Neurotransmitter beeinflussen motiviertes Verhalten bei der Nahrungssuche sowie bei anderen Aktivitäten, die eine Belohnung versprechen.
  • Das Neuron AVK, das als Gegenspieler zum DVA-Neuron wirkt, setzt bei erfolgloser Nahrungssuche im Wurm das Neuropeptid FLP-1 frei. 
Es ist ein Gegenspieler zu NLP-12/Cholecystokininin. Obwohl FLP-1 wahrscheinlich auf wirbellose Tiere beschränkt ist, finden sich ähnliche Neuropeptide bei Säugetieren, wo sie ebenfalls die Nahrungsaufnahme kontrollieren.

Womöglich werden die Cholecystokinin-Signale bei Säugetieren also ähnlich ausbalanciert wie beim Fadenwurm.

Die in der Studie identifizierten Neuronentypen können daher wichtige Hinweise für die Suche nach ähnlichen Zelltypen in den Myriaden von Zellen bei Säugetieren liefern, die ähnliche Mechanismen der Bewegungskontrolle vermitteln.

Publikation
Oranth et al.: Alexander Gottschalk et al.: Food sensation modulates locomotion by dopamine and neuropeptide signaling in a distributed neuronal network, in: Neuron 100, 1–15; December 19, 2018.
https://doi.org/10.1016/j.neuron.2018.10.024)


Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 mit privaten Mitteln überwiegend jüdischer Stifter gegründet, hat sie seitdem Pionierleistungen erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Quantenphysik, Hirnforschung und Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Heute ist sie eine der drittmittelstärksten und drei größten Universitäten Deutschlands mit drei Exzellenzclustern in Medizin, Lebenswissenschaften sowie Geistes- und Sozialwissenschaften. Zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt und der Universität Mainz ist sie Partner der länderübergreifenden strategischen Universitätsallianz Rhein-Main(siehe auch www.uni-frankfurt.de/59086401/rhein-main-allianz). Internet: www.uni-frankfurt.de


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Originalpublikation:
dopamine and neuropeptide signaling in a distributed neuronal network, in: Neuron 100, 1–15; December 19, 2018.
https://doi.org/10.1016/j.neuron.2018.10.024)

CAVE: Therapie nach Suizidversuch: Suizidaler Krisen - ASSIP-Programm

Medizin am Abend Berlin Fazit: Kurztherapie kann Suizidrisiko reduzieren (Universitäre Psychiatrische Dienste Bern)

Eine in Bern entwickelte Therapie nach Suizidversuch reduziert das Risiko weiterer suizidaler Krisen markant. 

Nun hat eine Studie unter Leitung der London School of Economics zudem die Kostenwirksamkeit des Ansatzes bestätigt. 
  Symbolfoto: Nachstellung eine Konsultation durch die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern in den Räumlichkeiten des Universitären Notfallzentrums Inselspital
Symbolfoto: Nachstellung eine Konsultation durch die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern in den Räumlichkeiten des Universitären Notfallzentrums Inselspital
Inselspital, Universitätsspital Bern


Wer einen Suizidversuch hinter sich hat, braucht psychologische Betreuung. 

Die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) haben eine Kurztherapie für Menschen nach Suizidversuch entwickelt. In Zusammenarbeit mit der London School of Economics und dem Universitären Notfallzentrum des Inselspitals Bern untersuchten sie nun in einer Studie, ob diese Behandlung auch zu Kosten-einsparungen im Gesundheitswesen führen kann. Die Ergebnisse wurden am 19. Oktober 2018 in der renommierten Fachzeitschrift «JAMA Network» publiziert.

Suizidversuche auch als ökonomische Bürde


Weltweit rechnet die Weltgesundheitsorganisation mit gegen einer Million Suizide und rund zehnmal mehr Suizidversuchen jährlich. Diese sind nicht nur eine grosse emotionale Belastung für Betroffene und Angehörige, sondern auch für das Gesundheitswesen – in erster Linie medizinische Notfallzentren und psychiatrische Kliniken. 
  • Dazu kommt, dass Suizidversuche das grösste Risiko für weitere suizidale Krisen sind. 
Bislang gibt es jedoch kaum anerkannte Behandlungsmethoden, die dieses Risiko zuverlässig reduzieren.

Doppelt wirksame Prävention

Eine in Bern entwickelte Kurztherapie zur Prävention wiederholter Suizidversuche «Attempted Suicide Short Intervention» (kurz: ASSIP) konnte bereits 2016 in «PLOS Medicine» eine bisher einmalige Wirksamkeit nachweisen:

Sie reduzierte das Risiko von weiteren Suizidversuchen um erstaunliche 80 Prozent. Und dies als Kurztherapie mit lediglich drei Sitzungen gefolgt von einem anhaltenden brieflichen Kontaktangebot über zwei Jahre.

Die aktuelle Studie zeigt nun, dass mit dem Rückgang der Suizidversuche durch ASSIP auch die Kosten für die Notfallbehandlungen und psychiatrischen Hospitalisationen signifikant reduziert werden – die Therapie also nicht nur klinisch wirksam sondern auch wirtschaftlich ist.

Untersucht wurden 120 Patientinnen und Patienten, die wegen Suizidversuch im Universitären Notfallzentrum behandelt worden waren.

Die Hälfte von ihnen erhielt zusätzlich zu üblichen psychiatrischen Behandlung die drei Sitzungen mit ASSIP gefolgt von personalisierten Briefen über zwei Jahre, die Kontrollgruppe erhielt eine einzelne Suizidrisiko-Einschätzung.

Nach 24 Monaten hatten 41 Personen der Kontrollgruppe einen weiteren Suizidversuch hinter sich, gegenüber nur fünf Personen aus der ASSIP-Gruppe.

Mit der publizierten Studie hat das Berner Programm ein grosses Potenzial, weltweit in der Suizidprävention eingesetzt zu werden.

Zur Zeit wird ASSIP in der Schweiz in Bern, Zürich, Solothurn und in der Privatklinik Wyss angewendet.

International haben Finnland, Litauen, Schweden, Belgien, Österreich und die USA das Programm implementiert, geplant sind unter anderem Portugal und Australien.

Kurztherapie kann Suizidrisiko reduzieren (Universitäre Psychiatrische Dienste Bern)


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Dr. phil. Anja Gysin-Maillart, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP und Leiterin Sprechstunde für Patienten nach Suizidversuch ASSIP
Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD)
anja.gysin-maillart@upd.ch, +41 31 632 88 11.

Prof. Dr. med. Thomas Jörg Müller, Ärztlicher Direktor und Chefarzt
Privatklinik Meiringen, Zentrum für seelische Gesundheit
Zentrum für translationale Forschung, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD), thomas.mueller@privatklinik-meiringen.ch, +41 33 972 82 90.

Monika Kugemann Universitätsspital Bern
3010 Bern
Schweiz
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Telefon: +41 31 632 05 81
E-Mail-Adresse: monika.kugemann@insel.ch

Originalpublikation:
doi:10.1001/jamanetworkopen.2018.3680

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