Chronische Entzündungen: Berauschende Wirkung von Cannabis: Endocannabinoide

Medizin am Abend Berlin Fazit: Teufelskreis führt zu Verlust von Gehirnzellen im Alter

Der so genannte CB1-Rezeptor ist für die berauschende Wirkung von Cannabis verantwortlich. 

Zusätzlich dient er aber wohl auch als eine Art „Sensor“, mit dem Neuronen die Aktivität bestimmter Immunzellen im Gehirn messen und kontrollieren. 

In diese Richtung deutet zumindest eine aktuelle Studie der Universität Bonn. 

  • Fällt der Sensor aus, können chronische Entzündungen die Folge sein – vermutlich der Auftakt zu einem gefährlichen Teufelskreis. 

Die Publikation ist online in der Zeitschrift „Frontiers in Molecular Neuroscience“ erschienen. 

Dr. Andras Bilkei-Gorzo und seine Kollegen haben einen Weg aufgeklärt, über den Endocannabinoide entzündliche Reaktionen im Gehirn dämpfen.
Dr. Andras Bilkei-Gorzo und seine Kollegen haben einen Weg aufgeklärt, über den Endocannabinoide entzündliche Reaktionen im Gehirn dämpfen.
© Foto: Kerstin Nicolai/Uni Bonn
 
Bei der Hirn-Alterung spielt die Aktivität der so genannten Mikrogliazellen eine wichtige Rolle.

Diese sind Teil der Immunabwehr im Gehirn: 

  • Sie spüren zum Beispiel Bakterien auf und verdauen sie, eliminieren aber auch erkrankte oder defekte Nervenzellen. 
  • Über Botenstoffe informieren sie zudem andere Abwehrzellen und setzen so eine konzertierte Aktion in Gang, um das Denkorgan zu schützen: eine Entzündung.

Dieser Schutzmechanismus hat unerwünschte Begleiterscheinungen; so kann er auch Schäden in gesundem Hirngewebe anrichten.

Entzündungen werden daher in der Regel streng kontrolliert. 

„Man weiß, dass dabei die so genannten Endocannabinoide eine wichtige Rolle spielen“, erklärt Dr. Andras Bilkei-Gorzo vom Institut für Molekulare Psychiatrie der Universität Bonn.  


„Das sind vom Körper gebildete Botenstoffe, die quasi als Brems-Signal wirken: Sie unterbinden die entzündliche Aktivität der Gliazellen.“

Endocannabinoide entfalten ihre Wirkung, indem sie an spezielle Rezeptoren binden. Davon gibt es zwei verschiedene Sorten, CB1 und CB2 genannt. „Mikrogliazellen haben jedoch so gut wie keine CB1-Rezeptoren“, betont Bilkei-Gorzo. „Sie sind daher auf dem CB1-Ohr taub. Und dennoch reagieren sie auf die entsprechenden Brems-Signale – warum, war bislang rätselhaft.“

Neuronen als „Mittelsmänner“

Die Bonner Wissenschaftler konnten nun Licht ins Dunkel bringen. Demnach sprechen die Brems-Signale nicht direkt zu den Gliazellen, sondern über Mittelsmänner – eine bestimmte Gruppe von Neuronen. Denn diese verfügt über eine große Zahl von CB1-Rezeptoren. „Wir haben Labormäuse untersucht, in denen der Rezeptor bei diesen Neuronen ausgeschaltet war“, erklärt Bilkei-Gorzo. „In den Tieren war die entzündliche Aktivität der Mikrogliazellen dauerhaft erhöht.“

In Kontrollmäusen mit funktionsfähigem CB1-Rezeptor waren die hirneigenen Abwehrtruppen dagegen im Normalfall inaktiv. Das änderte sich erst, wenn es Anzeichen für eine Infektion gab. „Wir nehmen aufgrund unserer Ergebnisse an, dass die Neuronen die Aktivität der Mikrogliazellen kontrollieren“, sagt Bilkei-Gorzo. „Ob das in Menschen ebenfalls so ist, können wir allerdings noch nicht sagen.“

In Mäusen könnte das Ganze folgendermaßen ablaufen: Sobald Mikrogliazellen einen bakteriellen Angriff oder einen Defekt entdecken, schalten sie in den Entzündungs-Modus. Sie beginnen dann auch damit, selbst Endocannabinoide zu produzieren. Diese aktivieren den CB1-Rezeptor der Neuronen in ihrer Nachbarschaft. Dadurch informieren sie die Nervenzellen darüber, dass gerade im Gehirn eine Abwehrschlacht tobt. Die Neuronen können dann gegebenenfalls die Immunreaktion zügeln. Dazu produzieren sie Proteine, die an ihre Oberfläche wandern und dort Kontakt zu den Mikrogliazellen aufnehmen. Als Folge fahren diese ihre Entzündungsreaktion wieder herunter. Ähnliche Regulations-Mechanismen scheint es auch bei einer anderen Sorte von Gliazellen zu geben, den Astro-Gliazellen, wie die Wissenschaftler zeigen konnten.

Im Alter, aber auch bei Demenzerkrankungen wie Alzheimer, bildet das Hirn immer weniger Endocannabinoide. 

Dadurch komme es möglicherweise zu einer Art Teufelskreis, vermutet Bilkei-Gorzo:

  • „Da die neuronalen CB1-Rezeptoren nicht mehr genügend aktiviert werden, sind die Gliazellen fast ständig im Entzündungsmodus. 
  • Als Folge sterben weitere Neuronen ab, so dass die Immunreaktion nun noch weniger gebremst wird.“

Eventuell lässt sich dieser Teufelskreis mit Medikamenten durchbrechen.

So hofft man unter anderem, mit Hilfe von Cannabis das Fortschreiten einer Demenz verlangsamen zu können. 
  • Denn dessen Inhaltsstoff, das Tetrahydrocannabinol (THC), ist ein starker Aktivator des CB1-Rezeptors – und zwar auch in Dosen, die so gering sind, dass sie keinen Rausch verursachen. 
Im vergangenen Jahr konnten die Bonner Forscher bereits zusammen mit Kollegen aus Israel zeigen, dass Cannabis bei Mäusen die Alterungsprozesse im Gehirn umkehren kann.




Dr. Andras Bilkei-Gorzo und seine Kollegen haben einen Weg aufgeklärt, über den Endocannabinoide entzündliche Reaktionen im Gehirn dämpfen.
Dr. Andras Bilkei-Gorzo und seine Kollegen haben einen Weg aufgeklärt, über den Endocannabinoide entzündliche Reaktionen im Gehirn dämpfen.
© Foto: Kerstin Nicolai/Uni Bonn

Publikation: Frank Ativie, Joanna A. Komorowska, Eva Beins, Önder Albayram, Till Zimmer, Andreas Zimmer, Dario Tejera, Michael Heneka und Andras Bilkei-Gorzo: Cannabinoid 1 Receptor Signaling on Hippocampal GABAergic Neurons Influences Microglial Activity; Frontiers in Molecular Neuroscience

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Originalpublikation:
https://doi.org/10.3389/fnmol.2018.00295

 

ZNA-Rettungsstelle RETTUNGSKANZEL: CAVE: Suizidalen Verhalten

Medizin am Abend Berlin Fazit: Lässt sich ein Suizid vorhersagen?

Etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung entwickeln im Laufe ihres Lebens Suizidgedanken. 

Eine genaue Vorhersage, wer diesen Gedanken auch Taten folgen lässt, ist der aktuellen Forschung zufolge nicht sicher möglich. 

  • Dennoch brauchen Ärzte und Therapeuten Anhaltspunkte, um das Risiko suizidalen Verhaltens abschätzen zu können. 

Wissenschaftler der Leipziger Universitätsmedizin untersuchen eine Theorie zur Vorhersage von suizidalen Gedanken und Handlungen. Die Ergebnisse stellen sie auf dem gemeinsamen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie und der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie vor. 


  • Wann sollte ein suizidgefährdeter Patient stationär aufgenommen und versorgt werden? 
  • Darf ein Patient die Klinik über das Wochenende verlassen oder ist die Gefahr eines Suizids zu hoch? 

Diese Fragen müssen Ärzte und Therapeuten regelmäßig beantworten und anhand von bestimmten Faktoren das Risiko einschätzen.

Es gibt zwar etablierte Risikofaktoren für suizidale Handlungen, wie männliches Geschlecht, Substanzmissbrauch oder ein bereits erfolgter Suizidversuch, deren praktische Bedeutung für die Vorhersage von suizidalen Handlungen ist im Einzelfall jedoch kritisch zu sehen. 

„Die Studienlage aus den vergangenen Jahrzehnten ist eindeutig: 

Wir können einen Suizid bislang nicht sicher vorhersagen“, sagt Prof. Dr. Heide Glaesmer, Psychologische Psychotherapeutin und stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie. „Wir wollen die Vorhersage von suizidalen Handlungen verbessern und untersuchen deshalb Theorien suizidalen Verhaltens in empirischen Studien.“

Theorie suizidalen Verhaltens empirisch geprüft
In einer aktuellen Untersuchung prüften Wissenschaftlerinnen die Evidenz zur Interpersonalen Theorie suizidalen Verhaltens von Thomas Joiner.

Sie besagt, dass drei Komponenten einen möglichen Suizid bedingen:

  • Betroffene empfinden sich als Last für andere
  • und fühlen sich keiner wertgeschätzten Gruppe der Gesellschaft zugehörig

Der dritte Aspekt beschreibt die „capability for suicide“, also die Fähigkeit durch Suizid zu sterben. 

Denn nicht jeder Mensch ist in der Lage, sich Schmerzen und Verletzungen zuzufügen, die zum Tod führen können.

  • Diese Eigenschaft können Betroffene etwa durch traumatische Erfahrungen wie Missbrauch oder Krieg erwerben, aber auch durch bereits erfolgte Suizidversuche. 

Die Theorie ging bislang davon aus, dass sie erworben wird und dann zeitlich eher stabil bleibt.

Patienten per Smartphone zu Befinden befragt

Die Studie der Leipziger Wissenschaftler zeigt etwas Anderes:

  • Die Fähigkeit, sich selbst diese Verletzungen zuzufügen, kann von Tag zu Tag variieren. 

Stationäre Patienten, die an Depressionen litten und Suizidgedanken hatten, nahmen an der Studie teil. Für die Untersuchung wurden sie an sechs Abenden hintereinander per Smartphone um eine Einschätzung gebeten, ob sie heute großen körperlichen Schmerz hätten aushalten können und wie furchtlos sie heute gegenüber dem Tod waren. „Ein gewisser Prozentsatz der Probanden hat immer gleich geantwortet. Die Mehrheit hingegen gab jeden Tag eine etwas andere Antwort. Die Fähigkeit, durch Suizid zu sterben, hat somit nicht ausschließlich mit den vorangegangen Lebensereignissen und -erfahrungen zu tun, sondern auch mit dem aktuellen Befinden“, sagt Dr. Lena Spangenberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin der Studie. Aktuell wird eine weitere Studie gemeinsam mit Kollegen aus Aachen und Bochum durchgeführt. In dieser wurden rund 300 Patienten, die nach einem Suizidversuch oder wegen akuter Suizidalität in psychiatrische Kliniken aufgenommen wurden, befragt. Sie werden nun nach sechs, neun und zwölf Monaten erneut befragt. Ziel dieser Studie ist es, die Bedeutung der Interpersonalen Theorie suizidalen Verhaltens für die Vorhersage von Suizidalität in dieser Hochrisikogruppe genauer unter die Lupe zu nehmen.

Über 250 Teilnehmer zur Tagung erwartet
Die Ergebnisse der Untersuchung werden nun erstmals auf der gemeinsamen Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie und der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie vom 26. bis 28. September vorgestellt.

Unter dem Motto „Von globalen Herausforderungen der Gesundheitsversorgung zu gemeindebasierten und individuellen psychosozialen Interventionsstrategien“ werden in Leipzig etwa 300 Wissenschaftler aus Deutschland erwartet.

„Wir beschäftigen uns auf der Konferenz mit den aktuellen Herausforderungen einer globalisierten Welt.

Dazu zählen die älter werdende Bevölkerung mit einer hohen Morbidität und spezifischen Versorgungsbedürfnissen, die zunehmende Bedeutung psychischer Störungen, wie Depression und Angsterkrankungen, sowie die Zunahme von Adipositas und deren Folgeerkrankungen in den Industriestaaten“, sagt Prof. Dr. Anja Mehnert-Theuerkauf, die die Abteilung und die Tagung leitet.

Der Kongress bietet die Möglichkeit des Austauschs zwischen Wissenschaftlern und Klinikern sowie allen in der Medizinpsychologie und Medizinsoziologie tätigen Berufsgruppen. 

Ein Schwerpunkt liegt auf der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung und der Fortbildung.

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