CAVE: Alarmine: Myokardinfarkt

Medizin am Abend Berlin Fazit: Wenn Nukleinsäure-Alarmine herzkrank machen
Forscherteam aus Gießen, Hannover, Magdeburg und Singapur deckt neuen Mechanismus der Gewebsschädigung beim Myokardinfarkt auf 
 
Genau wie ein öffentlicher Feuermelder trägt jede unserer Körperzellen einen automatischen Alarmmechanismus in ihrem Zellinnern:

  • Sobald eine Zelle durch Zellstress, Sauerstoffarmut, Verletzung oder Infektion geschädigt wird, werden intrazelluläre Moleküle freigesetzt, die normalerweise im Extrazellularraum nicht zu finden sind. 

Diese aus dem Zytoplasma oder dem Zellkern stammenden „Alarmine“ melden den intakten Zellen die Notsituation über bestimmte Alarmrezeptoren. 
  • Erreicht diese Nachricht die patrouillierenden Immunzellen unserer Körperabwehr, reagieren diese mit der Aktivierung eines Entzündungsreizes, der den Schaden behebt oder zumindest begrenzt. 
  • Kommt es allerdings zu einer massiven Anhäufung von Alarmmolekülen, können diese trotz Immunabwehr eine sehr schädigende Wirkung ausüben und z.B. Gewebe zerstören. 

Diese Zusammenhänge haben Forscherinnen und Forscher aus vier kardiovaskulären Forschungszentren unter der Leitung von Prof. Dr. Daniel Sedding, Medizinische Hochschule Hannover, und Prof. Dr. Klaus T. Preissner, Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), unter Beteiligung von Kolleginnen und Kollegen aus Magdeburg und Singapur für bestimmte Teilprozesse des Myokardinfarktes charakterisiert.

Aus ihren früheren Studien an kardiologischen Patientinnen und Patienten war den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bekannt, dass bei einem akuten Herzinfarkt extrazelluläre Ribonukleinsäure (eRNA) als Alarmstoff vom Myokardgewebe freigesetzt wird und eine massive Entzündungsreaktion im Herzen auslöst.
  • Die dadurch erhöhten Zytokinspiegel provozieren eine weitere Ausschüttung von eRNA aus Herzmuskelzellen, so dass diese sich verstärkende Spirale zum Verlust von gesundem Herzgewebe führt.
  • Wird die zellschädigende eRNA allerdings durch ein spezifisches Enzym – die RNase1 – abgebaut, bevor sie Unheil anrichten kann, lässt sich die Infarktgröße drastisch reduzieren und Herzgewebe retten.
  • CAVE: Da die normalen im Blut enthaltenen Mengen an RNase1 für diese Therapie nicht ausreichen, muss der Wirkstoff durch intravenöse Injektion zugeführt werden.

Die Forscherinnen und Forscher konnten zeigen, dass die beim Herzinfarkt beobachtete Gefäßerweiterung und Ödembildung, die die Herzfunktion massiv behindern, auch von der Menge an freigesetzter eRNA abhängt. 

  • Basierend auf den zuvor gemachten Erfahrungen mit RNase1 konnte die intravenöse Gabe dieses kardio-protektiven Enzyms im präklinischen Herzinfarktmodell nicht nur die Ödembildung reduzieren sondern auch die Durchblutung des betroffenen Herzgewebes fördern. 

Die Folge war, dass deutlich mehr vitales Myokardgewebe erhalten blieb und die Herzfunktionen verbessert waren.

„Aufgrund seiner hohen Stabilität und nicht-toxischen Wirkung kann die Therapie mit dem natürlichen Wirkstoff RNase1 nicht nur die schädigenden Funktionen der eRNA verhindern, sondern ist offenbar auch frei von unerwünschten Nebenwirkungen“, sagt der Biochemiker Prof. Dr. Preissner.

Nun soll geklärt werden, ob im Rahmen einer chirurgischen Herzinfarktbehandlung der Einsatz mit RNase1 weitere positive Wirkungen zeigt:

„Dieser kardiologische Eingriff räumt nicht nur den für die Gefäßverstopfung verantwortlichen Plaque weg, sondern ist auch immer mit der Zerstörung von benachbartem Gewebe der Gefäßwand und dem Auftreten von eRNA verbunden“, so Prof. Dr. Sedding.

„Daher könnte die lokale Katheder-Applikation von RNase1 in diesen Fällen eine weitere Schutzwirkung bringen“. Diese Zusammenhänge wird das Forscherteam in einem weiteren Kooperationsprojekt verfolgen.

Publikation
Philipp Stieger, Jan‐Marcus Daniel, Christiane Thölen, Jochen Dutzmann, Kai Knöpp, Dursun Gündüz, Muhammad Aslam, Marian Kampschulte, Alexander Langheinrich, Silvia Fischer, Hector Cabrera‐Fuentes, Yong Wang, Kai C. Wollert, Johann Bauersachs, Rüdiger Braun‐Dullaeus, Klaus T. Preissner, Daniel G. Sedding: Targeting of Extracellular RNA Reduces Edema Formation and Infarct Size and Improves Survival After Myocardial Infarction in Mice. Journal of the American Heart Association. 2017;6:e004541
https://doi.org/10.1161/JAHA.116.004541

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CAVE-Rettungsdienst: Interaktion zwischen Phenprocoumon und Tilidin

CAVE - Patienten- Gesundheitsbilderhebung: Interaktion zwischen Phenprocoumon und Tilidin

Anhand eines Fallberichts möchten wir an eine mögliche Interaktion zwischen zwei seit Langem eingeführten Arzneimitteln erinnern.

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Eine 78-jährige Patientin wurde wegen Vorhofflimmern mit Phenprocoumon behandelt

Bei arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2 und Depression umfasste die Begleitmedikation Bisoprolol, Indapamid, Perindopril, Metformin und Opipramol. 

Alle diese Arzneimittel nahm die Patientin langfristig ein. 

Wegen chronischer Schmerzen wurde Tilidin/Naloxon (100/8 mg/d) neu verordnet (INR zu diesem Zeitpunkt 2,2 / Quick 33 %). 

Circa fünf Wochen später lag die INR bei 3,5 (Quick 18 %) und stieg trotz Anpassung der Phenprocoumondosierung innerhalb einer weiteren Woche auf 5 (Quick 13 %). 

Nach Absetzen von Tilidin/Naloxon lag die INR wenige Tage später bei 1,3 (Quick 69 %). 

Ein Blutungsereignis wird nicht berichtet. 

Wegen des zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Beginn der Therapie mit Tilidin/Naloxon und dem Anstieg der INR sowie dem Rückgang des Effektes nach Absetzen von Tilidin/Naloxon ist ein Zusammenhang des beobachteten INR-Anstiegs mit der kombinierten Gabe von Phenprocoumon und Tilidin/Naloxon wahrscheinlich.

Das Opioid Tilidin wird angewandt zur Behandlung starker und sehr starker Schmerzen. 

Es wird in der Regel mit dem Opioidantagonisten Naloxon kombiniert, um das Missbrauchsrisiko zu verringern (1). 

In Einzelfällen wurde bei Patienten mit Phenprocoumon-Dauerbehandlung, die zusätzlich Tilidin/Naloxon bekommen, ein Anstieg der INR beobachtet, weswegen engmaschige INR-Kontrollen zu Beginn und bei Beendigung dieser Kombination empfohlen werden (1).

Im deutschen Spontanmeldesystem sind weitere Fälle von INR-Anstieg erfasst, die möglicherweise auf einer Interaktion zwischen Phenprocoumon und Tilidin/Naloxon beruhen. Publizierte Fallberichte liegen unseres Wissens nicht vor.

Phenprocoumon wird in relevantem Ausmaß durch das Cytochrom P450 Isoenzym 3A4 metabolisiert (2). 

Denkbar wäre, dass die Interaktion durch eine Hemmung dieses Enzyms durch Tilidin zustande kommt, wobei Tilidin bzw. seine Metaboliten nicht als starke Hemmer des Enzyms gelten (3).

Die AkdÄ empfiehlt, bei Patienten unter Phenprocoumon zu Beginn und bei Beendigung bzw. Dosisänderung einer Komedikation mit Tilidin/Naloxon engmaschig die INR zu kontrollieren und ggf. eine Dosisanpassung von Phenprocoumon vorzunehmen.

Literatur
  1. Pfizer Pharma PFE GmbH: Fachinformation "Valoron® N". Stand: November 2016.
  2. Meda Pharma GmbH & Co. KG: Fachinformation "Marcumar®". Stand: Februar 2017.
  3. Weiss J, Sawa E, Riedel KD et al.: In vitro metabolism of the opioid tilidine and interaction of tilidine and nortilidine with CYP3A4, CYP2C19, and CYP2D6. Naunyn-Schmiedeberg's archives of pharmacology 2008; 378: 275-282.
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Hodenkrebs: Die Hoden ist ein „immunpriviligierten Organen"

Medizin am Abend Berlin Fazit: Immunabwehr gegen Hodenkrebs

Team der Universitäten Gießen und Monash (Australien) erforscht immunologische Behandlungsmöglichkeiten von Hodentumoren – Mögliche Alternativen zur Chemotherapie 
 
  • Hodenkrebs gehört bei Männern zwischen 20 und 45 Jahren zu den häufigsten Krebserkrankungen. 

Zwar ist Hodenkrebs bei frühzeitiger Diagnose und Behandlung in 95 Prozent der Fälle heilbar.

Die mitunter damit einhergehende Chemotherapie führt jedoch dazu, dass rund ein Drittel der Patienten nach der Behandlung unfruchtbar ist. 

Um diese und andere Nebenwirkungen von Chemotherapien zu vermeiden, beschäftigt sich die Forschung verstärkt mit der Entwicklung von tumorzellspezifischen sowie individualisierten Behandlungsmethoden.

Auch Dr. Britta Klein widmet sich an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) mit den Immuncharakteristika humaner Hodentumoren. Ihre Dissertation absolvierte sie im Rahmen des DFG-geförderten Internationalen Graduiertenkollegs Gießen-Monash „Molecular Pathogenesis of Male Reproductive Disorders“ (IGK/GRK 1871). Dieser deutsch-australischen Forschungskooperation (International Research Training Group) wurde kürzlich eine zweite Förderperiode bewilligt.

Im Fokus ihrer Forschungsarbeiten steht das Immunsystem. 
  • Denn der Hoden ist im Hinblick auf sein immunologisches Milieu sehr besonders. 
Er gehört zu den sogenannten „immunpriviligierten Organen“:

Die sich im Hoden entwickelnden Spermien sind in besonderem Maße durch anatomische Strukturen vor äußeren Einflüssen und auch vor dem körpereigenen Immunsystem geschützt. 

Unter normalen Bedingungen befinden sich daher nur wenige Immunzellen im Hoden, darunter hauptsächlich Makrophagen und Mastzellen und nur in geringem Maße Lymphozyten.

Das Auftreten von Hodentumoren geht jedoch in den meisten Fällen mit einer prominenten Einwanderung bzw. Präsenz von verschiedensten Immunzelltypen (vornehmlich Lymphozyten) einher, was den Zusammenbruch des Immunprivilegs verdeutlicht. 

Ob diese Lymphozyten allerdings der Tumorbekämpfung dienlich sind oder aber den Hodentumor beim Wachstum und Überleben unterstützen, ist bisher unklar.

Britta Klein hat in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Martin Bergmann (Institut für Veterinär-Anatomie, -Histologie und -Embryologie der JLU), Prof. Dr. Hans-Christian Schuppe, Prof. Dr. Wolfgang Weidner, Prof. Dr. Florian Wagenlehner (alle Klinik für Urologie, Kinderurologie und Andrologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg) und Prof. Dr. Sabine Kliesch (Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster) Gewebeproben von Hodentumoren verschiedener Stadien untersucht.

Dabei zeigte sich, dass bestimmte hochspezialisierte Immunzelltypen in besonderem Maße an der Infiltrierung der Tumoren beteiligt sind.  

Bereits in den Frühstadien von Hodentumoren konnten sogenannte dendritische Zellen als typische „Wächterzellen“ identifiziert werden, wohingegen die antikörperproduzierenden Lymphozyten (B-Zellen) erst in manifesten Tumoren auftreten.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten außerdem fest, dass sich in der Umgebung von Hodentumoren viele Signal- und Botenstoffe finden lassen, die Entzündungsreaktionen auslösen, unterstützen und aufrechterhalten können. 

  • Ein solches entzündungsförderliches Milieu kann ein weiteres Wachstum und die Ausbreitung von bestimmten Tumoren begünstigen.

Aufgrund ihrer Einbindung in die International Research Training Group Gießen-Monash hat Britta Klein auch Experimente in Australien durchgeführt. In Kooperation mit Prof. Kate Loveland, Ph.D. (Monash University, Melbourne), Prof. Bruce Loveland, Ph.D. (Burnet Institute, Melbourne) und Prof. Mark Hedger (Hudson Institute of Medical Research, Melbourne) konnte sie zeigen, dass künstlich in Kultur wachsende Hodentumorzellen maßgeblich an der Etablierung des sie umgebenden Milieus beteiligt sind. Dieses Milieu hat eine ähnliche Zusammensetzung wie das Milieu von Hodentumor-Gewebeproben.

Es ist daher durchaus möglich, dass dieses entzündungsförderliche Milieu auch im Fall von Hodentumoren eine tumorunterstützende Eigenschaft besitzt.
Die in Gießen und Melbourne durchgeführten Untersuchungen zeigen außerdem, dass ein bestimmter Entzündungsparameter, das sogenannte Interleukin-6, in Hodentumoren sehr präsent ist. 
Es könnte somit ein wichtiger Faktor für das Wachstum und die Metastasierung der Hodentumoren sein – eine Eigenschaft des Interleukin-6, die bereits in Verbindung mit anderen Tumorarten (darunter Prostata-, Eierstock- und Brustkrebs) festgestellt wurde.
  • „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch bei Hodentumorpatienten eine immunologische Therapie als zusätzliche Behandlungsform denkbar wäre“, so Dr. Britta Klein. 
„In einem nächsten Schritt wollen wir nun untersuchen, ob eine Blockade des Interleukin-6 -Signalweges einen Einfluss auf Wachstum und Invasion von Hodentumorzellen hat.“

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