Selbstgefährdendes Verhalten von Patienten, Suizidalität und Entweichungen aus der Behandlung

Medizin am Abend Berlin Fazit: Geschlossene oder offene Psychiatrie: Suizidrisiko bleibt sich gleich

In ausschliesslich offen geführten psychiatrischen Kliniken ist das Risiko, dass Patienten Suizid begehen oder aus der Behandlung entweichen, nicht höher als in Kliniken mit geschlossenen Stationen. 

Dies zeigt eine grosse Studie der Universität Basel und der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel, für welche rund 350‘000 Fälle während 15 Jahren untersucht wurden. 

Die Resultate werden in der Fachzeitschrift «The Lancet Psychiatry» veröffentlicht. 
 
  • Selbstgefährdendes Verhalten von Patienten, Suizidalität und Entweichungen aus der Behandlung stellen grosse Herausforderungen für alle medizinischen Institutionen dar. 

In vielen psychiatrischen Kliniken werden Risikopatienten daher auf geschlossenen Stationen untergebracht. 

Nur wenn sie von Suizidversuchen und Flucht abgehalten werden, so die Begründung, können Patienten ausreichend geschützt werden und eine angemessene Therapie erhalten.

Doch dass geschlossene Stationen selbstgefährdendes Verhalten verhindern würden – dieser Nachweis fehlt. 

  • Bekannt ist aber, dass solche Stationen durch ihr Behandlungsklima erfolgreiche Therapien nicht begünstigen und die Motivation zu fliehen eher erhöhen.


15 Jahre Untersuchungszeitraum

In ihrer naturalistischen Beobachtungsstudie haben nun PD Dr. Christian Huber und Prof. Dr. Undine Lang von der Universität und den UPK Basel zusammen mit Kollegen 349‘574 Fälle in 21 deutschen Kliniken für die Zeit von 1998 bis 2012 untersucht. Von diesen Kliniken verfolgten einige eine Praxis der offenen Türen, kamen also ganz ohne geschlossene Stationen aus. 16 Kliniken unterhielten zusätzlich zu offenen Stationen auch noch zeitweise oder dauerhaft geschlossene Stationen.

Alle Kliniken waren rechtlich verpflichtet, sämtliche Personen eines bestimmten Bereichs aufzunehmen, unabhängig von der Schwere einer Erkrankung oder von einem selbstgefährdenden Verhalten der Patienten.

In Kliniken mit geschlossenen Abteilungen treten Suizidversuche und Suizide nicht seltener auf, lautet ein Resultat der Studie. 

Zudem verzeichneten Institutionen mit offenen Türen nicht mehr Entweichungen. 

 «Die Wirkung von geschlossenen Kliniktüren wird überschätzt», sagt Erstautor Christian Huber.

«Eingeschlossen zu sein, verbessert in unserer Untersuchung die Sicherheit der Patienten nicht und steht der Prävention von Suizid und Entweichung teilweise sogar entgegen.

Eine Atmosphäre von Kontrolle, eingeschränkten persönlichen Freiheiten und Zwangsmassnahmen ist eher ein Risikofaktor für eine erfolgreiche Therapie.»

Fokus auf ethische Standards

«Unsere Resultate sind wichtig für die Entstigmatisierung, die Partizipation und die Emanzipation der Patienten, aber auch für die psychiatrische Versorgung allgemein», kommentiert Letztautorin Undine Lang, Direktorin der Erwachsenen-Psychiatrischen Klinik der UPK Basel.

Die Ergebnisse werden auch juristische Fragestellungen beeinflussen, die sich beim Öffnen von Kliniken ergeben. 

Die Behandlung soll künftig vermehrt auf ethische Standards fokussieren, in denen die Betroffenen ihre Autonomie möglichst bewahren können, so Undine Lang.

Gefördert werden sollen auch eine Stärkung der therapeutischen Beziehung und die gemeinsame Entscheidungsfindung mit den Patienten.

Originalbeitrag

Christian G. Huber, Andres R. Schneeberger, Eva Kowalinski, Daniela Fröhlich, Stefanie von Felten, Marc Walter, Martin Zinkler, Karl Beine, Andreas Heinz, Stefan Borgwardt, and Undine E. Lang
Suicide Risk and Absconding in Psychiatric Hospitals with and without
Open Door Policies: A 15-year Naturalistic Observational Study
The Lancet Psychiatry (2016) | DOI: 10.1016/S2215-0366(16)30168-7

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PD Dr. Christian Huber, Leitender Arzt der Erwachsenen-Psychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken und Universität Basel, Tel. +41 61 325 53 61, E-Mail: christian.huber@upkbs.ch

Prof. Dr. Undine Lang, Klinikdirektorin der Erwachsenen-Psychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrische Kliniken und Universität Basel, Tel. +41 61 325 52 00, E-Mail: undine.lang@upkbs.ch
Universität Basel, Olivia Poisson
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360° TOP-Thema: Rettungsstelle - KANZEL: Innerklinische Notfallteams und Notfallmanagement Medical Emergency-Teams – MET

Medizin am Abend Berlin Fazit:  Daten des Dresdner Uniklinikums belegen: Innerklinische Notfallteams müssen früher intervenieren

  • In Deutschlands Kliniken kommt es jedes Jahr zu rund 93.000 Herz-Kreislaufstillständen. 
  • Die in diesen Fällen vom Krankenhauspersonal vorzunehmenden Reanimationen müssen so zeitnah und fehlerfrei wie möglich erfolgen. 
Deshalb ist ein innerklinisches Notfallmanagement mit klar definierten Frühwarnkriterien entscheidend dafür, die Rate von Herz-Kreislaufstillständen im Rahmen der Krankenhausbehandlung deutlich zu senken. 

Das ist das Ergebnis einer von der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden vorgenommenen Auswertung von Langzeitdaten. 
 Schwester Ines Reichel und Dr. Andreas Güldner von der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapieauf des Dresdner Uniklinikums dem Weg zu einem Notfall.
Schwester Ines Reichel und Dr. Andreas Güldner von der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapieauf des Dresdner Uniklinikums dem Weg zu einem Notfall.
Foto: Uniklinikum Dresden / Thomas Albrecht

 Innerklinische Notfallteams müssen früher intervenieren
Schwester Ines Reichel und Dr. Andreas Güldner auf dem Weg zu einem Notfall. Foto: Uniklinikum Dresden / Thomas Albrecht
 
Allerdings wird lediglich ein Fünftel aller in deutschen Krankenhäusern tätigen innerklinischen Notfallteams (Medical Emergency-Teams – MET) bereits bei den vor einem Herz-Kreislauf-Stillstand auftretenden Warnsymptomen aktiv. 

Das ergab eine Umfrage der Anästhesisten des Uniklinikums. Deshalb fordert die Dresdner Anästhesistin und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Prof. Thea Koch, dass möglichst alle Kliniken ihr Notfallmanagement entsprechend dem Vorbild der Uniklinika in Dresden und Bonn erweitern.

Als eine der Vorreiterkliniken in Deutschland hat das Dresdner Uniklinikum bereits 2012 die Notfallversorgung insbesondere durch deutliche Senkung der Alarmierungsschwelle seines Notfallteams weiter optimiert. Damit konnte die Überlebensrate auf das Dreifache des deutschen Durchschnittswerts gebracht werden. Dank dieses erfolgreichen Engagements gehört das von Prof. Koch geleitete Projektteam am Dresdner Universitätsklinikum zu den diesjährigen Trägern des Deutschen Preises für Patientensicherheit.

  • Mit dem Anstieg der in einer Klinik behandelten Schwerstkranken erhöht sich auch das Risiko von Komplikationen, die sich zu lebensbedrohlichen Krisen entwickeln können. 
  • In 80 Prozent dieser Fälle treten schon Stunden vorher Symptome auf, die auf einen drohenden Herz-Kreislauf-Stillstand hindeuten. 
  • Wenn bereits zu diesem Zeitpunkt das aus Experten der Anästhesiologie und Intensivtherapie bestehende Notfallteam gerufen wird, lässt sich durch frühzeitige Therapiemaßnahmen das Risiko der lebensbedrohlichen Krisen verringern: 

 „Patientensicherheit steht bei uns an erster Stelle. Am Universitätsklinikum Dresden konnten wir durch eine frühere Mitbehandlung durch das Notfallteam und die gegebenenfalls rechtzeitige Verlegung auf eine Intensivstation die Rate an Herz-Kreislaufstillständen deutlich senken“, sagt Prof. Thea Koch.

Damit die Ärzte und das Pflegepersonal des Klinikums die frühen Anzeichen einer lebensbedrohlichen Situation von Patienten zuverlässig erkennen können, haben die Anästhesisten nicht nur einen entsprechenden Kriterienkatalog erstellt, sondern schulen die Mitarbeiter der Stationen regelmäßig.

Dazu gehört auch ein regelmäßiges klinikinternes Reanimationstraining: Für jeden Beschäftigten der Pflege besteht die Pflicht, einmal im Jahr einen entsprechenden Kurs zu besuchen.

  • Diese Maßnahmen sind Teil des umfassenden Konzepts zum innerklinischen, interdisziplinären Notfallmanagement am Dresdner Uniklinikum, zu dem auch Vereinheitlichung des Notfallequipments, die Anschaffung automatisierter externer Defibrillatoren sowie die Verbesserung der Logistik der Alarmierung und des Transports gehören.

Die Wirksamkeit des Maßnahmenpakets zeigt sich nicht nur darin, dass die Zahl der notwendigen Reanimationen trotz steigendem Schweregrad und parallel steigender Anzahl an Patienten stabil bleibt: 

Auch die Rate der reanimierten Patienten, die 30 Tage nach der Entlassung noch leben, ist am Klinikum dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Das belegen die 2015-er Zahlen des Deutschen Reanimationsregisters 

www.reanimationsregister.de

„Als Vorreiter eines strategischen Qualitätsmanagements haben wir sehr früh begonnen, Strukturen für eine sichere Behandlung zu etablieren. Die Zahlen des Registers belegen bereits seit mehreren Jahren, dass wir unseren hohen Ansprüchen als einer der führenden Standorte der deutschen Hochschulmedizin gerecht werden“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums. „Uns ist es nun wichtig, die positiven Erfahrungen des erweiterten medizinischen Notfallteams (MET) im Sinne aller Krankenhauspatienten weiterzutragen“, betont Prof. Thea Koch: „Die Zahlen lassen keinen anderen Schluss zu als den, die Alarmierungsschwelle der Notfallteams an allen deutschen Krankenhäusern zu senken. Damit besteht die realistische Chance, allein in Deutschland jedes Jahr das Leben von rund 30.000 Krankenhauspatienten zu retten!“

Den hohen Stellenwert eines frühzeitig aktivierten Notfallteams hat auch die Stiftung Patientensicherheit gewürdigt und das Dresdner Projekt mit dem „Deutschen Preis für Patientensicherheit“ (3. Platz) ausgezeichnet. Prof. Matthias Hübler nahm den Preis am 14. April 2016 in Berlin entgegen. Nachdem 2015 ein Ärzteteam der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Dresdner Uniklinikums für ein System zur Videoanalyse der Erstversorgung von Neugeborenen mit dem 1. Preis ausgezeichnet wurde, gehörte das Uniklinikum damit in diesem Jahr erneut zu den Preisträgern.

Das Deutsche Reanimationsregister (www.reanimationsregister.de) ist ein wichtiges Instrument für das Qualitätsmanagement präklinischer Reanimationen sowie den Einsätzen innerklinischer Notfallteams in Deutschland. Es steht unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Gesundheit und ermöglicht seinen Mitgliedern, sich anhand eines Ergebnisbenchmarkings mit anderen Institutionen zu vergleichen. Das Deutsche Reanimationsregister wird von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) betrieben. Derzeit beteiligen sich knapp 250 Institutionen an diesem Register.

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Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie
Direktorin: Prof. Thea Koch
Tel. 0351/ 4 58 41 10
E-Mail: thea.koch@uniklinikum-dresden.de
Holger Ostermeyer Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
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