360° TOP-Thema: Akutes Nierenversagen: Organschädigung

Medizin am Abend Berlin Fazit: Nierenversagen: Forscher finden Ursache für Organschädigungen

Akutes Nierenversagen ist eine oft tödliche Erkrankung, die jährlich mehr als 13 Millionen Menschen weltweit betrifft; 1,7 Millionen sterben. 

Eine der häufigsten Auslöser ist eine unzureichende Versorgung der Niere mit Sauerstoff (Ischämie). 

Dr. Lajos Markó und Emilia Vigolo haben zusammen mit anderen Wissenschaftlern von den Berliner Einrichtungen MDC, Charité, FMP und der medizinischen Hochschule Hannover eine der Ursachen für ischämisch bedingtes Nierenversagen auf ein Signalmolekül und einen bestimmten Gewebetyp eingegrenzt: 

NF-κB und Tubulus-Epithelzellen

Anhand der Regenbogen-Farbskala wird die Aktivierung der NF-kB über die Zeit deutlich. Nach 2-3 Tagen ist das Maximum erreicht, dann bildet sich das Nierenversagen zurück.
Anhand der Regenbogen-Farbskala wird die Aktivierung der NF-kB über die Zeit deutlich. Nach 2-3 Tagen ist das Maximum erreicht, dann bildet sich das Nierenversagen zurück.  Bild: Dr. L. Markó
 
Akutes Nierenversagen ist eine oft tödliche Erkrankung, die jährlich mehr als 13 Millionen Menschen weltweit betrifft; 1,7 Millionen sterben.

  • Eine der häufigsten Auslöser ist eine unzureichende Versorgung der Niere mit Sauerstoff (Ischämie). 

Dr. Lajos Markó und Emilia Vigolo haben zusammen mit anderen Wissenschaftlern von den Berliner Einrichtungen MDC, Charité, FMP und der medizinischen Hochschule Hannover eine der Ursachen für ischämisch bedingtes Nierenversagen auf ein Signalmolekül und einen bestimmten Gewebetyp eingegrenzt: 

NF-κB und Tubulus-Epithelzellen. Sobald der Signalweg in diesen Zellen der Niere unterdrückt wird, kommt es kaum noch zu den fatalen Gewebeschäden und Entzündungsreaktionen.

  • Wenn es zu einem Sauerstoffmangel in der Niere kommt, etwa bei bestimmten Herzerkrankungen, massiven Blutungen oder sogar Behandlungen mit bestimmten Medikamenten, kann das mitunter zu Nierenversagen führen. 
Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren hat das Wissenschaftler-Team erstmals am lebenden Organismus gezeigt, dass das zelluläre Signalprotein NF-κB in der Niere nach einer Ischämie aktiviert wird. 

Dieser Transkriptionsfaktor bewirkt auch in zahlreichen anderen Gewebetypen das Ablesen von Genen, die unter anderem mit programmiertem Zelltod, Entzündungs- und Immunreaktionen in Verbindung stehen.

Wegen seiner vielfältigen Aufgaben im Körper ist die ungezielte medikamentöse Hemmung des Proteins nicht erwünscht.

Mit ihrer Arbeit haben die Wissenschaftler das Molekül nun wieder ins Spiel gebracht.

„Wir haben ein einzigartiges Mausmodell entwickelt, in dem das NF-κB-Molekül ganz spezifisch in den Tubulus-Epithelzellen der Niere inaktiviert wurde“, sagt Dr. Lajos Markó.

  • In diesen Mäusen sahen die Forscher weit weniger Gewebeschäden, Nekrosen und Entzündungsherde nach einer künstlich herbeigeführten Ischämie. 
  • Der Grund dafür ist die zurückgefahrene Aktivierung von NF-κB-Zielgenen in der Niere. 

In Kulturen von Tubuluszellen ließ das Unterdrücken des Signalwegs die Zahl der abgestorbenen Zellen und die Ausschüttung von Entzündungsfaktoren zurückgehen.

Da sie den Wirkmechanismus von NF-κB auf einen Zelltyp festlegen konnten, hoffen die Wissenschaftler, so den Grundstein für die Erforschung zukünftiger, auf diese Zellen zugeschnittene Therapien gelegt zu haben.

Das zellspezifische Mausmodell kann leicht auf andere Zielproteine angepasst werden und ist daher für die Untersuchung weiterer Nierenerkrankungen wertvoll.

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Dr. Lajos Markó
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Prof. Dr. Kai M. Schmidt-Ott
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Josef Zens Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft

Die Ergebnisse entstanden im Rahmen einer Kooperation der Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Dominik N. Müller (ECRC), Dr. Ruth Schmidt-Ulrich (MDC) und Prof. Dr. Kai M. Schmidt-Ott (MDC, Charité) im Rahmen eines durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Forschergruppe 1368) geförderten Projekts.
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Lajos Markó,1,2 Emilia Vigolo,2 Christian Hinze,2 Joon-Keun Park,3 Giulietta Roël,2 András Balogh,1,2 Mira Choi,1Anne Wübken,2 Jimmi Cording,4 Ingolf E. Blasig,4 Friedrich C. Luft,1,2 Claus Scheidereit,2 Kai M. Schmidt-Ott,2,5 Ruth Schmidt-Ullrich,2 und Dominik N. Müller1,2 (2015): „Tubular Epithelial NF-kB Activity Regulates Ischemic AKI.“Journal of the American Society of Nephrology 27. DOI: 10.1681/ASN.2015070748

1Experimental and Clinical Research Center (ECRC), eine gemeinsame Einrichtung der Charité Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrum; 2Max-Delbrück Centrum für Molekulare Medizin; 3Medizinische Hochschule Hannover (MHH); 4Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP)und 5Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie, Charité, Berlin

Lajos Markó und Emilia Vigolo trugen gleichermaßen zu der Publikation bei. Kai M. Schmidt-Ott, Ruth Schmidt-Ullrich und Dominik N. Müller waren gleichermaßen als wissenschaftliche Projektleiter beteiligt.

360° TOP-Thema: Versorgung von Dialysepatienten: Die teilstationäre Leistungen auch – gemäß § 39 StGB 5

Medizin am Abend Berlin Fazit:   AOK Rheinland/HH und Knappschaft-Krankenkasse betreiben Raubbau

Die Versorgung der 80.000 Dialysepatienten in Deutschland erfolgt derzeit fast ausschließlich im ambulanten Sektor. Ein kleiner Teil der Patienten – das sind vor allem ältere Patienten mit zahlreichen Komorbiditäten – bedarf jedoch der chronischen Dialyse in einem klinischen Umfeld, wo bei möglichen Komplikationen schnell eingegriffen werden kann, der Patient also unmittelbar auf eine Intensiv- oder Facharztstation verlegt werden kann. 

Die teilstationäre Dialyse ist daher – wie andere teilstationäre Leistungen auch – gemäß § 39 StGB 5 Bestandteil des Spektrums von Krankenhausbehandlungen und wird nach dem DRG-System vergütet. 
 
Dennoch wird sie nun von den Kostenträgern in Frage gestellt bzw. haben die AOK Rheinland/Hamburg sowie die Knappschaft-Krankenkasse bereits Fakten geschaffen, um sie zu unterlaufen. 

Mit dem Pauschalargument „ambulant vor stationär“ wurde die Vergütung der teilstationären Dialyse-Behandlung bei einigen Leistungserbringern in Nordrhein-Westfalen deutlich gekürzt oder sogar bereits komplett eingestellt.

„Die Argumentation ist absurd, denn die Nephrologie folgt wie kaum eine andere Fachdisziplin diesem Grundsatz. 

Fast 95% aller Dialysepatienten werden ambulant versorgt, nur bei kritischen Patienten wird die chronische Dialyse im Krankenhaus erbracht.

Wenn man bedenkt, dass Dialysepatienten im Durchschnitt 70 Jahre sind und die Dialysepflichtigkeit oft Resultat verschiedener Grunderkrankungen ist, kann man bei einer 95%-zu-5%-Verteilung wohl kaum von einer Beugung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ sprechen.

Was die benannten Kassen machen, ist de facto eine eigenmächtige Kürzung des Leistungsangebots auf Kosten von Dialysepatienten, und zwar der Krankesten unter ihnen“, so der Vorwurf von Prof. Dr. Martin Kuhlmann, Vorsitzender des Verbands Leitender Krankenhausnephrologen (VLKN).

Genauso sehen es die Patientenverbände – und es formiert sich bereits Widerstand. Peter Gilmer vom Bundesverband Niere e.V., einem Patientenverein mit mehr als 16.000 Mitgliedern, mahnte, „die Kirche im Dorf zu lassen“ und führte noch ein weiteres Argument an.

Demnach habe ein Wegfall der teilstationären Dialyse zur Folge, „dass auch die stationäre Notfallversorgung von dialysepflichtigen Patienten nicht mehr voll umfänglich gewährleistet ist“ [1].

„Diese Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen, räumt Prof. Dr. Jürgen Floege ein, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), der Dachverband, der sowohl die Krankenhaus- wie auch die niedergelassenen Nephrologen repräsentiert. „Um eine hochqualitative stationäre Versorgung niereninsuffizienter Patienten sicherstellen zu können, sind nicht nur erhebliche Vorhaltekosten, sondern auch Erfahrung erforderlich. Wenn im Krankenhaus jedoch nur noch Notfalldialysen durchgeführt werden, fehlt die Behandlungsroutine.“

Das sei aber nur die Spitze des Eisbergs: Die Weigerung der Krankenkassen, die teilstationäre Dialyse gar nicht mehr oder nur noch unzureichend zu vergüten, führe dazu, dass nephrologische Kliniken wirtschaftlich kaum noch im grünen Bereich arbeiten könnten und vielerorts vor dem Aus stünden.

Wenn aber nephrologische Kliniken schließen, sei eine wohnortnahe Versorgung von Dialysepatienten, die wegen anderer Erkrankungen wie z.B. Pneumonie, Herzinfarkt, Knochenbruch etc. stationär aufgenommen werden müssen, nicht mehr gewährleistet.

Darüber hinaus würde die Schließung nephrologischer Kliniken auch die Weiterbildung für nephrologische Fachärzte und nephrologische Fachpflegekräfte, die hauptsächlich in den Krankenhäusern erfolgt, empfindlich schwächen.

„Nephrologische Fachärzte und nephrologische Fachpflegekräfte sind aber angesichts der zu erwartenden steigenden Prävalenz nierenkranker Patienten dringend erforderlich, schon jetzt ist die Sicherstellung der Versorgung in strukturschwachen Regionen schwierig“, so Floege.

Die DGfN versucht nun, sich strategisch gegen diese Entwicklung aufzustellen. Hierzu  fand in Berlin ein erster Workshop mit dem Titel „Stärkung der Nephrologie“ statt. „Es besteht ein dringender Handlungsbedarf, denn was die AOK Rheinland/Hamburg und Knappschaft-Krankenkasse derzeit betreiben, ist ein unverantwortlicher Raubbau an der Versorgung von Dialysepatienten“, so die abschließende Einschätzung von Prof. Kuhlmann.

[1] Gilmer P. Qualitätsnetzwerk der guten Dialyseversorgung gefährdet. Der Nierenpatient 7/15, Kirchheim-Verlag. S. 31f.

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Bewegungsabläufe: Schrittmacher für das Rückenmark

Medizin am Abend Berlin Fazit:   Elektrische Stimulation hilft Bewegungsabläufe zu regenerieren


Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der ETH Lausanne haben Bewegungsabläufe nach einer Schädigung des Rückenmarks wiederhergestellt. 

Sie konnten zeigen, dass für ein koordiniertes Zusammenspiel der Muskeln, beispielsweise beim Gehen, alternierende Impulse des Rückenmarks verantwortlich sind. 

Neu entwickelte Implantate empfinden diese Signale durch elektrische Impulse nach. Damit konnten Abschnitte des Rückenmarks gezielt reaktiviert werden. Die Ergebnisse der Studie sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Medicine* veröffentlicht. 

Elektrische Impulse aktivieren das Rückenmark unterhalb der Verletzung.
 Elektrische Impulse aktivieren das Rückenmark unterhalb der Verletzung. Copyright: European Project NEUwalk.
 
  • Eine Querschnittslähmung wird durch eine traumatische Schädigung des Rückenmarks verursacht. 
Die Kommunikation zwischen Gehirn und Rückenmark ist unterbrochen. Schwere Funktionsstörungen und lebenslange Lähmungen sind oft die Folge. 
  • Aus Studien ist bekannt, dass das Rückenmark die Eigenschaft besitzt, unabhängig von Signalen des Gehirns, bei einer elektrischen oder chemischen Stimulation koordinierte Bewegungen zu erzeugen. 
„Unser Ziel ist es, den Rückenmarkbereich unterhalb einer Verletzung durch elektrische Impulse zu reaktivieren. Das Potential, eigenständig Bewegungen zu generieren, wollen wir dabei steigern, indem wir den natürlichen Abläufen möglichst nahe kommen“, erklärt Dr. Nikolaus Wenger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie der Charité und des Berlin Institute of Health.

Im Tiermodell konnte das europäische Forscherteam zeigen, dass es während der Bewegung der Beine zu einer wellenförmigen Aktivität von Rückenmarkbereichen kommt. „Um diese Rückenmarkaktivität nach einer Querschnittslähmung zu reproduzieren, haben wir dauerhafte Implantate entwickelt, die eine selektive Rückenmarkstimulation ermöglichen“, sagt Dr. Wenger.

  • Wird der richtige Rückenmarksbereich zum richtigen Zeitpunkt stimuliert, lassen sich Kraft und Balance während des Gehens verbessern. Die neuartigen Implantate und Stimulationstechnologien passen eine Aktivierung des Rückenmarks an die zeitliche Abfolge des Bewegungsvorgangs an.

Derzeit sind die aktuellen Erkenntnisse auf dem Weg der Übertragung in klinische Anwendungen, da auch das menschliche Rückenmark durch elektrische Stimulation zu Bewegungsvorgängen angeregt werden kann. 

  • Die neue Art der Rückenmarkstimulation kann in Zukunft zu einer besseren Therapie von querschnittsgelähmten Patienten beitragen. Ein weiteres Ziel ist hierbei, die therapeutischen Ansätze weiterzuentwickeln und auf den Bereich der Schlaganfallforschung zu übertragen.

*N. Wenger, E. M. Moraud, J. Gandar, P. Musienko, M. Capogrosso, L. Baud, C. G Le Goff, Q. Barraud, N. Pavlova, N. Dominici, I. R. Minev, L. Asboth, A. Hirsch, S. Duis, J. Kreider, A. Mortera, O. Haverbeck, S. Kraus, F. Schmitz, J. DiGiovanna, R. van den Brand, J. Bloch, P. Detemple, S. P. Lacour, E. Bézard, S. Micera & G. Courtine. Spatiotemporal neuromodulation therapies engaging muscle synergies improve motor control after spinal cord injury. Nat Med. 2016 Feb;22(2):138-145. doi: 10.1038/nm.4025. Epub 2016 Jan 18.

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Valentinstag 2016: Trauern und Verlusterleben. Behandlungsbedürftiges Trauern

Medizin am Abend Berlin Fazit:   Zeit lindert den Schmerz der Trauer

Wie reagieren Menschen auf den Verlust eines geliebten Angehörigen? Diese Frage haben Psychologen der Universität in einer neuen Studie mit mehr als 500 Teilnehmern untersucht. 


Ihre Ergebnisse korrigieren einige gängige Vorstellungen vom Trauern. 
 
Der Ehemann ist an Krebs gestorben, die Tochter bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Für die Ehefrau im einen, für die Eltern im anderen Fall ist eine Welt zusammengebrochen.

Und immer haben die Betroffenen zunächst das Gefühl, dass kein Stein mehr auf dem anderen steht.

Wie geht es Menschen nach solch einem Schicksalsschlag? Wie bewältigen sie diesen Verlust, wie verläuft ihre Trauer? Und wie lange dauert es, bis das Schlimmste überwunden ist? Psychologen der Universität Würzburg haben diese Fragen untersucht; in der aktuellen Ausgaben der Zeitschrift für Gesundheitspsychologie stellen sie ihre Ergebnisse vor.

Mehr als 500 Personen, die meisten von ihnen verwitwet oder verwaiste Eltern, haben für diese Studie ihr Erleben nach dem Verlust anhand eines neuen Fragebogens beschrieben. So konnten die Wissenschaftler verschiedene Aspekte des Trauerns messen.

„Wir haben uns dabei besonders für den Einfluss der Zeit seit dem Verlust, also für die Dauer des Trauerprozesses interessiert“, erklärt Joachim Wittkowski, Seniorprofessor an der Fakultät für Humanwissenschaften der Universität Würzburg. Er hat gemeinsam mit Dr. Rainer Scheuchenpflug, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Psychologie III, die Untersuchung durchgeführt.

Deutliche Veränderungen in den ersten Jahren

Fasst man die Antworten von Personen zusammen, deren Verlust eine ähnlich lange Zeit zurückliegt, so zeigen sich vor allem während der ersten zweieinhalb Jahre nach dem Todesfall deutliche Veränderungen.

„Innerhalb des ersten Jahres nehmen Beeinträchtigungen durch unangenehme Gedanken und Gefühle einerseits und das Empfinden der Nähe zu der verstorbenen Person andererseits an Intensität stark zu“, schildert Joachim Wittkowski ein zentrales Ergebnis der Studie. 
Ähnlich stark verlaufe dann die Abnahme dieser Intensität während der folgenden zwölf bis 18 Monate. Dabei leiden Frauen stärker unter dem Verlust einer nahen Bezugsperson als Männer.

Ein weiteres Ergebnis:  

Auf längere Sicht, das heißt, über den Zeitraum von drei Jahren hinaus, lassen sowohl die Beeinträchtigungen als auch das Empfinden der Nähe zur verstorbenen Person beständig nach.

„Interessant ist, dass am Ende der ‚heißen Phase‘ des Trauerns sowohl positive Erlebens- und Verhaltensmöglichkeiten zunehmen als auch die Fähigkeit zu Anteilnahme und Mitgefühl mit anderen Menschen wächst“, sagt Wittkowski.

  • Dieser Trend bleibe auch mehr als zehn Jahre nach dem Verlust erhalten. Schuldgefühle blieben langfristig nahezu unverändert auf einem mittleren Intensitätsniveau.

Die Bewältigung des Verlusts zieht persönliches Wachstum nach sich

Aus Sicht der Wissenschaftler berichtigen diese Ergebnisse, die für Personen aus dem deutschsprachigen Raum bisher einmalig sind, einige gängige Vorstellungen vom Trauern.

„Neben Kummer ist Trauern auch mit persönlichem Wachstum verbunden, das von den Betroffenen rückblickend positiv erlebt wird“, erklärt Joachim Wittkowski.

Die Bewältigung des Verlusts eines geliebten Menschen könne also zu einer vorteilhaften Veränderung des Betroffenen führen. „Die Zeit bringt den Schmerz des Trauerns nicht zum Verschwinden, sie vermag ihn aber zu lindern“, so der Autor.
  • Trauern ist ein Prozess, der sich lange hinzieht – auch das zeigt die Studie. 

Für viele Betroffene ist er nicht nach wenigen Monaten und nicht einmal nach dem traditionellen Trauerjahr abgeschlossen.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich erst im zweiten Jahr nach dem Verlust entscheidet, ob die Beeinträchtigungen abnehmen oder auf hohem Niveau bestehen bleiben, ob also ein normaler Bewältigungsprozess oder ein behandlungsbedürftiges Trauern vorliegt“, so die Wissenschaftler.

  • Für die Diagnose einer anhaltenden komplexen Trauerreaktion sei dies von eminenter Bedeutung.

Wittkowski, J. & Scheuchenpflug, R. (2015). Zum Verlauf´" normalen" Trauerns. Verlusterleben in Abhängigkeit von seiner Dauer. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 23, 169-176. DOI: 10.1026/0943-8149/a000145

 
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Gunnar Bartsch Julius-Maximilians-Universität Würzburg