Neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, ALS und Huntington

Medizin am Abend Berlin Fazit:  Warum Nervenzellen sterben

In Hirnzellen von Patienten mit der Alzheimer- oder Huntington-Krankheit können Mediziner und Forscher unter dem Mikroskop Proteinverklumpungen, auch Aggregate genannt, sehen. Dass diese Aggregate zum Tod der Nervenzellen beitragen, wird schon lange vermutet. Wie Science jetzt berichtet, haben Forscher um Mark Hipp und Ulrich Hartl vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried gezeigt, dass der Ort der Aggregate innerhalb der Zelle ihr Überleben beeinflusst. Während Proteinklumpen im Zellkern die Zellfunktion kaum beeinflussen, stören sie im Zellplasma wichtige Transportwege zwischen Zellplasma und Zellkern. Dies führt langfristig zum Tod der Zellen und Voranschreiten der Krankheit. 

 Damit Proteinaggregate (rot) in den Zellen unter dem Mikroskop sichtbar sind, müssen sie angefärbt werden. Zellkerne wurden blau, und mRNAs, die Bauanleitung für Proteine, wurden grün angefärbt.
 Damit Proteinaggregate (rot) in den Zellen unter dem Mikroskop sichtbar sind, müssen sie angefärbt werden. Zellkerne wurden blau, und mRNAs, die Bauanleitung für Proteine, wurden grün angefärbt.
Andreas Woerner © MPI für Biochemie
 
Proteine bestehen aus langen Aminosäureketten und funktionieren in Zellen wie kleine Maschinen.

Um ihre Arbeit aufnehmen zu können, müssen die Proteine eine vorgegebene dreidimensionale Struktur annehmen. In gesunden Zellen gibt es eine Vielzahl von Faltungshelfern und eine umfangreiche Qualitätskontrolle.  
Falsch gefaltete Proteine werden entweder repariert oder schnell abgebaut. 
  • Geschieht dies nicht oder nicht ausreichend, können Proteine mit sich selbst oder anderen Proteinen zu Aggregaten verklumpen und die Zellen schädigen.
Bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, ALS und Huntington scheinen solche Proteinaggregate für das Absterben von Nervenzellen mit verantwortlich zu sein.

Wie diese Verklumpungen die Zellen schädigen ist bis heute nicht geklärt. Deshalb wurde 2013 das ToPAG-Konsortium (www.topag.mpg.de) ins Leben gerufen, ein Zusammenschluss verschiedener Expertengruppen, die diesem Rätsel auf der Spur sind. Erste Erfolge können jetzt vermeldet werden. So zeigen Wissenschaftler im Labor von Ulrich Hartl, ein weltweit bekannter Experte für Proteinfaltung, dass es für das Überleben der Zelle entscheidend ist, wo sich die Aggregate innerhalb der Zelle befinden.

Um dies herauszufinden haben die Forscher, zusammen mit den Forschungsgruppen von Konstanze Winklhofer und Jörg Tatzelt an der Ruhr-Universität Bochum, ein künstlich hergestelltes Protein und das für die Huntington Krankheit verantwortliche Protein Huntingtin in Zellkulturen getestet. Beide Proteine lagern sich von allein zu großen Proteinklumpen zusammen. „Interessanterweise bildet dasselbe Protein im Zellplasma besser lösliche, aber für die Zelle giftigere Aggregate als im Zellkern“, erklärt Mark Hipp, Forschungsgruppenleiter in der Abteilung von Ulrich Hartl und Leiter der Studie. 
  • Proteinverklumpungen im Zellplasma verhinderten den Transport von RNA und richtig gefalteten Proteinen zwischen Zellkern und Zellplasma. Weil die Aggregate klebrige Eigenschaften haben, werden aus der Zelle lebensnotwendige Proteine weggefangen.
 „Wir haben in den Aggregaten im Zellplasma wichtige Bestandteile der zellulären Transportmaschinerie gefunden.

Das hat zu Folge, dass die Bestandteile für einen funktionierenden Kerntransport dann fehlen, ungefähr so, als wenn Teile einer Maschine fehlen.

Dann kann diese auch nicht im Ganzen funktionieren. Vermutlich ist das die Ursache für den geschädigten Transportweg“, erklärt Andreas Wörner, Erstautor der Studie. 
  • Wenn die Bauanleitung der Proteine, die RNA, aus dem Zellkern nicht in das Zellplasma gelangen kann, können dort auch keine Proteine mehr hergestellt werden und die Zelle geht zugrunde. 
 Warum die Aggregate, die sich direkt im Zellkern befinden die Nervenzellen weniger schädigen kann nur vermutet werden. Laut Studie scheint das Kernprotein NPM1 dabei eine zentrale Schutzfunktion auszuüben.

„Die Ergebnisse der Studie bringen uns Forscher und Mediziner ein großes Stück weiter“, fasst Mark Hipp zusammen. „Denn wenn wir wissen, welche Schäden die Aggregate verursachen, können wir in Zukunft passendere Gegenmaßnahmen entwickeln.“

Originalpublikation:
A. C. Woerner, F. Frottin, D. Hornburg, L. R. Feng, F. Meissner, M. Patra, J. Tatzelt, M. Mann, K. F. Winklhofer, U. Hartl, M. S. Hipp: Cytoplasmic protein aggregates interfere with nucleo-cytoplasmic transport of protein and RNA. Science, 8. Januar 2016
DOI: 10.1126/science.aad2033

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Dr. Mark Hipp
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82152 Martinsried
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www.biochem.mpg.de/hartl

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Autophagozytose: Zelluläre Abfallverwertung in den Zellen: Atg1 und Atg9

Medizin am Abend Berlin Fazit:  Der zelluläre Müllbeutel

Bei der Autophagozytose, dem Prozess der Abfallverwertung in den Zellen werden molekularen Müllbeutel hergestellt. Wie jetzt in Nature Communications berichtet, haben Wissenschaftler vom Max-Plack-Institut für Biochemie in Martinsried einen molekularen Klebstoff entdeckt, der das Ausgangsmaterial für die Müllbeutel, kleinen Fettbläschen, zusammenklebt. 

Die Autophagozytose hilft Krebszellen eine Chemotherapiebehandlung zu überleben. 

Deshalb könnte ein den Wissenschaftlern bekannter Hemmstoff für den molekularen Kleber die Grundlage für eine neue Krebs-Therapie sein. 

 Zwei Atg9-Fettbläschen (orange), werden durch den Atg1-Kinasekomplex (blau) verbunden. Diese Fettbläschen sind das Ausgangsmaterial für zelluläre Müllbeutel.
Zwei Atg9-Fettbläschen (orange), werden durch den Atg1-Kinasekomplex (blau) verbunden. Diese Fettbläschen sind das Ausgangsmaterial für zelluläre Müllbeutel.
 
Autophagozytose ist ein wichtiger Prozess der zellulären Abfallverwertung. 
  • Dieser liefert ungewünschtes oder geschädigtes Material aus dem Zellplasma an das Lysosom, die Recyclinganlage der Zellen. Dafür werden besondere Müllbeutel, sogenannte Autophagosomen hergestellt, die den Abfall erkennen, einschließen und an die Recyclinganlage weiterleiten. 
Für die Herstellung dieser speziellen Müllbeutel sind zwei Eiweißkomponenten notwendig. Eines ist Atg9, ein Membraneiweiß, das in kleinen Vesikeln, eine Art Fettbläschen, eingelagert ist, die das Ausgangsmaterial für den Autophagosom-Müllbeutel bilden. 

Die zweite Komponente ist der Atg1-Kinasekomplex, ein großer Eiweißkomplex, der aus fünf Untereinheiten besteht. Die Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, wie die beiden Komponenten an der Herstellung des Autophagosoms beteiligt sind.

Die Wissenschaftler haben das Ausgangsmaterial für die Müllbeutel, die künstliche Atg9-Vesikel im Reagenzglas hergestellt. “Durch die Zugabe vom Atg1-Kinasekomplexes konnten wir zeigen, dass ein Atg1-Kinasekomplex zwei Atg9-Moleküle bindet und somit wie eine Art Klammer funktioniert und zwei Atg9-Vesikel miteinander verknüpft“ erklärt Yijian Rao aus dem Team von Thomas Wollert, Leiter der Abteilung Molekulare Membran- und Organell-Biologie.

Wenn kein Müll vorhanden ist, können zwei Untereinheiten des Atg1-Kinasekomplexes die Atg9-Bindungsstelle blockieren und so das Verknüpfen der Vesikel verhindern. Dann können keine Autophagosom-Müllbeutel entstehen. „Das heißt, das Verknüpfen der Membranen und die Herstellung des Müllbeutels wird durch die verschiedenen Untereinheiten der Atg1-Kinase kontrolliert“, erklärt Rao weiter.

Entscheidend für eine spätere medizinische Anwendung der Forschungsergebnisse ist ein kleines Peptid mit therapeutischem Potential. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass ein bestimmtes Peptid den Atg1-Kinasekompex in Hefezellen hemmt.

Da Atg1 und Atg9 sowohl in Hefezellen als auch in menschlichen Zellen vorkommt, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass ein ähnlicher Wirkstoff die Autophagozytose in menschlichen Zellen hemmen kann
  • Krebszellen nutzen die Autophagozytose, um eine Chemotherapiebehandlung zu überleben. Heutige Krebsmedikamente verursachen die Schädigung der Krebszellen, damit sie sterben. Leider werden bei dieser Behandlung nicht nur Krebszellen, sondern auch gesunde Zellen von den Medikamenten geschädigt.
Eine Möglichkeit, die Krebszellen empfindlicher zu machen, ist die Hemmung ihrer Autophagozytose. 
„Der Hemmstoff des Autophagozytose-Klebstoffes verhindert die Herstellung der Müllbeutel und stoppt die Autophagozytose sehr spezifisch. 

Dieses Peptid könnte die Grundlage für die Entwicklung eines Antikrebsmedikamentes sein oder die Effektivität eines heutigen Chemotherapie-medikamentes verbessern“, fasst Rao zusammen.

Originalpublikation:
Rao, Y., Perna, M.B., Hofmann, B., Beier, V., Wollert, T.: The Atg1-kinase complex tethers Atg9-vesicles to initiate autophagy. Nature Communications, Januar 12, 2016
Doi: 10.1038/NCOMMS10338

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