Chromosomen unterscheiden Frauen von Männern?

Medizin am Abend Berlin Fazit:  Wie ein weibliches X-Chromosom inaktiviert wird

Bei weiblichen Säugetieren ist eines der beiden X-Chromosomen inaktiviert. 

Genetiker der ETH Zürich liefern nun dank Untersuchungen anhand von speziellen Stammzellen einer Maus einen detaillierteren Einblick in den molekularen Mechanismus dieses Abschaltvorgangs. 
 
Chromosomen unterscheiden Frauen von Männern. Während sich in Körperzellen von Frauen zwei X-Chromosomen befinden, tragen Männer nur eines davon.

Wären bei Frauen beide Chromosomen und alle sich darauf befindlichen Gene aktiv, hätten Frauen von den daraus hergestellten Proteinen doppelt so viele Kopien als Männer – ein Ungleichgewicht, das die fein ausbalancierte Biochemie des menschlichen Körpers aus dem Lot bringen würde.

Dass es nicht so weit kommt, dafür sorgt die Natur: Bei Frauen wird noch während ihrer frühen Entwicklung im Mutterleib eines der beiden X-Chromosomen komplett und für immer inaktiviert. 

Der dahinterliegende Mechanismus ist noch nicht im Detail entschlüsselt. Aus Untersuchungen bei Mäusen ist jedoch klar, dass ein Ribonukleinsäure (RNA)-Molekül namens Xist dabei eine zentrale Rolle spielt. Mehrere hundert Kopien dieses Moleküls heften sich an eines der beiden X-Chromosomen.
Wissenschaftler vermuten, dass diese RNA-Moleküle andere Moleküle anlocken, die das Chromosom letztlich inaktivieren. Einige dieser Inaktivierungs-Moleküle haben Forschende unter der Leitung von Anton Wutz, Professor für Genetik an der ETH Zürich, nun entdeckt.

Screening, um Zellen zu retten

Die Wissenschaftler benutzten dazu Maus-Stammzellen, die zwei Besonderheiten aufwiesen. Einerseits hatten diese wie unbefruchtete Eizellen (und anders als Körperzellen) jedes Chromosom nur einmal. Andererseits waren diese Zellen so verändert, dass die Wissenschaftler sie dazu bringen konnten, die Xist-RNA permanent herzustellen. Dies führte zur Inaktivierung des einzigen X-Chromosoms und zum Absterben der Zellen, weil die darauf liegenden, überlebenswichtigen Gene in der Folge nicht mehr abgelesen wurden.

In einem grossangelegten Screening-Experiment ermittelten die Wissenschaftler mithilfe dieser Stammzellen wichtige Gene für die X-Inaktivierung.

Man kann sich das Experiment als «Rettungsaktion» für die «zum Sterben verurteilten» Stammzellen vorstellen. Konkret beschädigten die Forschenden mithilfe eines Virus im Erbgut vieler der Stammzellen zufällig einzelne Gene. Wurde dadurch ein Gen zerstört, welches zusammen mit der Xist-RNA für die Inaktivierung des X-Chromosoms nötig ist, dann wurde das Chromosom nicht inaktiviert. Folglich überlebten die entsprechenden Zellen.

Den Wissenschaftlern gelang es auf diese Weise, überlebende Stammzellen zu isolieren und sieben Gene zu eruieren, welche für die X-Inaktivierung zentral sind. Eines davon trägt den Namen Spen. Von ihm war bekannt, dass das daraus hervorgehende Protein an RNA binden und grundsätzlich das Ablesen von Genen hemmen kann. In weiteren Untersuchungen konnten die ETH-Forschenden nun zeigen: Fehlt in Mäusezellen Spen, reichern sich Proteine, die die Chromosom-Struktur verändern, weniger effizient am X-Chromosom an. Wie genau dieser Mechanismus funktioniere und in welcher Weise die weiteren nun gefundenen Gene daran beteiligt seien, das müsse erst noch eingehend erforscht werden, sagt ETH-Professor Wutz.

Möglich dank Fortschritten der vergangenen Jahre

«Genetische Untersuchungen wie diese sind recht komplex», erklärt Wutz. So sei denn auch ein Grossteil der Genetik bei Säugetieren dank Rückschlüssen von Forschungsresultaten von Taufliegen bekannt, einem Modellorganismus der Biologie und insbesondere der genetischen Forschung. Taufliegen besitzen jedoch ein gegenüber Säugetieren unterschiedliches Chromosomensystem und kennen keine X-Inaktivierung. Daher habe man sich in diesem Fall nicht der Taufliegen-Genetik bedienen können, um Gen-Kandidaten bei Säugetieren zu finden.

Methodische Fortschritte der letzten Jahre hätten diese Forschung nun ermöglicht, so Wutz. Möglich wurden sie nun dank den Stammzellen mit dem einfachen Chromosomen-Satz, die Wutz vor fünf Jahren, damals noch an der Universität Cambridge, Grossbritannien, schuf.

Die ETH-Forschenden veröffentlichten ihre Arbeit in der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins «Cell Reports». In derselben Ausgabe publizierte auch ein britisches Forscherteam eine Arbeit, in der sie mit einer anderen Methode, der RNA-Interferenz, ebenfalls eine Reihe von an der X-Inaktivierung beteiligten Genen finden. Darunter befindet sich – Spen.

Beim Menschen leicht unterschiedlich

Die Gene für Xist und Spen kommen auch beim Menschen vor. Daher könnten diese Forschungsarbeiten Hinweise für die Situation beim Menschen liefern – zumindest auf einer theoretischen Ebene, wie Wutz präzisiert. Denn die Maus-Genetik lässt sich nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen.

Ein französisches Forscherteam hat vor wenigen Jahren bei Menschen zusätzlich zu Xist ein System postuliert, welches das X-Chromosom bei Männern sowie eines der X-Chromosomen bei Frauen aktiv behält. Dieses aktivierende System ist bei Mäusen nicht bekannt. Die Regulierung der X-Chromosomen könnte beim Menschen also wegen eines Zusammenspiels von aktivierenden und inaktivierenden Faktoren noch komplexer sein als bisher angenommen. Genetikern, die dem auf den Grund gehen möchten, dürfte die Arbeit so schnell nicht ausgehen.

Literaturhinweis

Monfort A, Di Minin G, Postlmayr A, Freimann R, Arieti F, Thore S, Wutz A: Identification of Spen as a crucial factor for Xist function through forward genetic screening in haploid embryonic stem cells. Cell Reports 2015, 12: 554-561, doi: 10.1016/j.celrep.2015.06.067 [http://dx.doi.org/10.1016/j.celrep.2015.06.067]

Medizin am Abend Berlin DirektKontakt

Rämistr. 101
8092 Zürich
Schweiz
Zürich

Franziska Schmid
Telefon: 0041-44-632 89 41
Fax: 0041-44-632 35 25
E-Mail-Adresse: franziska.schmid@hk.ethz.ch


Vanessa Bleich
Telefon: 0041 44 632 40 39
E-Mail-Adresse: vanessa.bleich@hk.ethz.ch
Fabio Bergamin Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

Orthopäden und Unfallchirurgen fordern Ultraschall bei allen Säuglingen

Medizin am Abend Berlin Fazit:  DKOU 2015

Bei der Fehlbildung der Hüfte handelt es sich um eine der häufigsten orthopädischen Erkrankungen im Säuglingsalter. Mittels Ultraschall erkennen Ärzte die sogenannte Hüftdysplasie unmittelbar nach der Geburt und können sie frühzeitig ambulant behandeln. 


 https://www.youtube.com/watch?v=9SjKJJAlw3o


Eine Arthrose schon im mittleren Erwachsenenalter und spätere Operationen werden so verhindert. Seit 1996 ist das Diagnoseverfahren fester Bestandteil der U3-Untersuchung. Dennoch wird die Hüftsonografie immer noch 50 bis 70 Tausend Säuglingen pro Jahr vorenthalten, kritisieren Experten im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU). 
 
Der Säuglingsultraschall erkennt Hüftreifungsstörungen schon früh, auch wenn das Baby klinisch unauffällig ist. Er ist eine risikoarme und verlässliche Präventionsmaßnahme. „Studien zeigen, dass die Säuglings-Sonografie nicht nur ökonomisch überlegen ist – sie halbiert auch das Risiko für eine Operation“, so Professor Dr. med. Rüdiger Krauspe, Kongress-Präsident des DKOU und Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

„Manche Eltern nehmen die Vorsorgeuntersuchungen nicht wahr, aber auch einige Kinderärzte halten das Hüft-Screening für überflüssig“, so Krauspe.

So wurde in den Jahren 2006 bis 2009 nur bei 83 bis 85 Prozent der Säuglinge die empfohlene Hüftsonografie bei der U3-Untersuchung angewendet. Hinzu kommt, dass jeder vierte Hüft-Ultraschall nicht sachgemäß durchgeführt wurde. Ein qualitätssicherndes Programm, das auf der Pressekonferenz am 21. Oktober vorgestellt wird, soll hier Abhilfe schaffen. Denn professionell durchgeführt, lässt sich die Zahl der Operationen bewiesenermaßen deutlich senken.

In Mitteleuropa kommt die Hüftdysplasie bei etwa zwei bis vier Prozent der Neugeborenen vor. Das sind bei knapp 700.000 Geburten in Deutschland bis zu 28.000 Säuglinge im Jahr.

„Insgesamt können wir 10 bis 15 Prozent aller Hüft-Prothesen-OPs bei Patienten unter 50 Jahren auf eine Hüftdysplasie zurückführen“, so Krauspe. Unbehandelt könne es zudem zu Komplikationen kommen, beispielsweise einer Fehlstellung, bei der der Gelenkkopf aus der Hüftpfanne herausspringt. Die Kinder können die Beine dann nicht mehr richtig vom Körper abspreizen. Ein Hohlkreuz oder Watschelgang können bei Kindern Anzeichen sein. „Entdecken Eltern diese Symptome, sollten sie einen Orthopäden aufsuchen“, so Krauspe. Ansonsten droht auch noch eine Wirbelsäulenverkrümmung.

Im Anfangsstadion behandeln Orthopäden instabile Hüften standardmäßig für vier bis sechs Wochen mit einem Sitz-Hock-Gips.

Bei konsequenter Mitarbeit der Eltern kann eine Pavlik-Bandage oder eine Beuge-Spreiz-Schiene (z.B. Tübinger Schiene) helfen, um die Hüfte zu zentrieren und Zeit für die Nachreifung zu gewähren.

Eine Operation, bei der der Orthopäde das Becken an drei Stellen durchtrennt, die Hüftpfannenposition normalisiert und in der korrigierten Stellung das Becken wieder zusammenschraubt, sei bei einer frühen Diagnose mittels Ultraschall nicht nötig, so Krauspe.

„Unser Ziel muss es daher sein, alle Neugeborenen mittels Ultraschall zu untersuchen.“

Wie diese Präventionsmaßnahme bei Kindern vor einer Hüftarthrose im Alter und unnötigen Operationen schützen kann, diskutieren Orthopäden und Unfallchirurgen anlässlich des DKOU 2015 in Berlin, der von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädischen Chirurgie (DGOOC), der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), sowie dem Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) ausgerichtet wird. Hier werden sie auch erfahren, welche Länder das Screening Programm bereits nutzen, wo es in Kürze eingeführt werden soll und wie die Fachgesellschaften die Qualität verbessern wollen.

Quellen:
Rüdiger Krauspe, Bettina Westhoff „20 Jahre Hüftultraschall-Screening in Deutschland“ Orthopädie und Unfallchirurgie – Mitteilungen und Nachrichten 2015; 04(04): 374-375, DOI: 10.1055/s-0041-104988

Kries et al. „General ultrasound screening reduces the rate of first operative procedures for developmental dysplasia of the hip: a case-control study.” J Pediatr. 2012 Feb;160(2):271-5. doi: 10.1016/j.jpeds.2011.08.037. Epub 2011 Sep 29.

Mühlbacher E et al. „Sitz Hock Gips zur biomechanischen Behandlung dezentrierter Hüftgelenke“ Z Orthop Unfall 2014; 152: 551–552

K. Küllmer et al., „Diagnostik und Therapie der Hüftdysplasie und –luxation im ersten Lebensjahr“, Zentralblatt Kinderchirurgie 2002, 11:205-208

Abstracts zum DKOU 2015
WI45-518 „Mittelfristige Ergebnisse der Repositionsbehandlung bei kongenitaler Hüftluxation“

WI45-1241 „Die Tübinger Schiene zur Behandlung der instabilen Hüfte - eine Alternative zu Fettweis-Gips und Pavlik-Bandage“

IN15 „Pediatric orthopaedics“

Abstracts sind online abrufbar: http://sepla.intercongress.de/Kl0t~QhmKKUA-ef4TlWgOa/$/


Vorträge auf dem DKOU 2015

„O und U Kinderhüfte: Mittelfristige Ergebnisse der Repositionsbehandlung bei kongenitaler Hüftluxation“
Termin: Mittwoch, 21.10.2015, 14:30 bis 16:00 Uhr; Raum Berlin 1

„Pediatric orthopaedics: How to implement sonographic screening in Turkey”
Termin: Mittwoch, 21.10.2015, 09:00 bis 10:30 Uhr, Raum Paris 2

„Hip International“
Termin: Donnerstag, 22.10.2015, 11:00 bis 12:30 Uhr, Raum New York 3

Medizin am Abend Berlin DirektKontakt 

Anne-Katrin Döbler, Kathrin Gießelmann, Lisa Ströhlein
DKOU 2015
Pf 30 11 20, 70451 Stuttgart
Tel.: 0711 8931-981/-459, Fax: 0711 8931-167
giesselmann@medizinkommunikation.org
stroehlein@medizinkommuikation.org
www.dkou.de

Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte:
http://www.dkou.de