Fallpauschalen

Medizin am Abend Fazit: Für Ärzte greifen Fallpauschalen zu wenig

Seit 2012 werden Schweizer Spitäler über Fallpauschalen finanziert. Deren
Ziel – effizientere Prozesse und mehr Zeit für den Patienten – wurde aus
Sicht der Ärztinnen und Ärzte nicht erreicht. Die finanziellen Interessen
der Spitäler beeinflussen das medizinische Fachpersonal stärker, als
dieses sich für das Wohl ihrer Patienten wünscht. Dennoch sind Ärztinnen
und Ärzte mit ihrer täglichen Arbeit im Spital zufrieden, und sie
beurteilen die derzeitige Patientenversorgung als gut. Dies geht aus einer
schweizweiten Befragung durch das Institut für Biomedizinische Ethik und
Medizingeschichte der Universität Zürich hervor.

In Schweizer Spitälern wird jeder Spitalaufenthalt anhand von bestimmten
Kriterien einer Fallgruppe zugeordnet und pauschal vergütet. Die
Fallpauschalen wurden vor drei Jahren eingeführt, um die Kosten für
medizinische Leistungen in den Spitälern vergleichbar und transparent zu
machen. Sie sollten dem medizinischen Fachpersonal helfen, seine Arbeit
möglichst effizient zu erledigen.

Wissenschaftler des Instituts für Biomedizinische Ethik und
Medizingeschichte der Universität Zürich haben im Jahr 2013 schweizweit
Ärztinnen und Ärzte befragt, wie sie seit der Einführung der
Fallpauschalen die Patientenversorgung sowie ihre tägliche Arbeit im
Spital einschätzen. Mehr als 90 Prozent der 382 befragten Teilnehmenden
beurteilten die Qualität der Patientenversorgung insgesamt als sehr gut
bzw. gut – und rund 80 Prozent waren mit ihrem Job zufrieden. Hingegen gab
die Mehrheit der Befragten an, dass sie sich bei medizinischen
Entscheidungen tendenziell mehr von den finanziellen Interessen ihrer
Spitäler beeinflussen liessen, als sie es mit Blick auf das Patientenwohl
wollen.

Fehlentwicklungen wie frühe Entlassungen kommen vor
Nach Einschätzung der Befragten zeigen sich bei der Patientenversorgung
die folgenden in Zusammenhang mit Fallpauschalen gebrachten
Fehlentwicklungen: frühe Entlassungen, sogenanntes «case splitting» bzw.
die Aufteilung der medizinischen Behandlung auf zwei Aufenthalte, obwohl
einer ausreichend wäre, «cherry picking», die bevorzugte Behandlung von
Patienten mit lohnenswerten Fallpauschalen bzw. die Abweisung von
Patienten mit nicht lukrativen Fallpauschalen sowie Überbehandlung, d.h.
medizinische Behandlung bei fehlender Indikation, weil es Geld bringt.
«Diese beobachteten Fehlentwicklungen kommen zurzeit noch in einem
moderaten Mass vor, allerdings ist unklar, wie sich das in Zukunft
entwickelt», erklärt Margrit Fässler, Projektmitarbeiterin am Institut für
Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich.

Weniger Zeit für Patienten und weniger effizient als gedacht
Aus Sicht der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte wurden die Ziele der
Spitalreform, Effizienz zu schaffen und Prozesse zu optimieren, bisher
nicht erreicht. Patientinnen und Patienten sollten durch die Reform
profitieren oder zumindest nicht schlechter gestellt werden; jedoch gab
jeder fünfte Studienteilnehmer an, dass er seit Einführung der
Fallpauschalen weniger Zeit für Kontakte und Gespräche mit Patienten und
Angehörigen verwendet hatte, und jeder vierte stellte fest, dass sich die
patientenorientierte Versorgung verschlechtert hatte.

Regelmässige Ärztebefragungen einführen
Die Studienteilnehmenden schätzen die derzeitige Qualität der
Patientenversorgung als hoch ein. «Gerade deswegen ist es sinnvoll, die
Auswirkungen der Spitalreform langfristig zu untersuchen, damit es zu
keinen unerwünschten Einbussen kommt», erklärt Nikola Biller-Andorno,
Direktorin des Instituts für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte
der Universität Zürich und Leiterin des Gesamtprojekts. Ihr zufolge können
bestimmte Fehlentwicklungen nur durch regelmässige Ärztebefragungen
aufgedeckt werden, da sich beispielsweise Überbehandlungen oder vermehrter
ökonomischer Druck schwer durch andere Erhebungen nachweisen lassen. Nach
Möglichkeit sollen diese Erhebungen in das reguläre Qualitätsmanagement
von Spitälern integriert werden. «Ob das auf Fallpauschalen basierte
Finanzierungssystem dabei hilft, an den richtigen Stellen Kosten
einzusparen, muss sich in Zukunft erweisen», schliesst Nikola Biller-
Andorno.

Literatur:
Margrit Fässler, Verina Wild, Caroline Clarinval, Alois Tschopp, Jana
Fähnrich, Nikola Biller-Andorno. Impact of the DRG-based reimbursement
system on patient care and professional practice: perspectives of Swiss
hospital physicians. Swiss Medical Weekly. February 9, doi:
doi:10.4414/smw.2015.14080

Medizin am Abend DirektKontakt:

Dr. med. Margrit Fässler / Prof. Dr. Dr. Nikola Biller-Andorno
Institut für Biomedizinische Ethik
Universität Zürich
Tel. +41 44 634 40 80
E-Mail: faessler@ethik.uzh.ch, biller-andorno@ethik.uzh.ch
Universität Zürich, Nathalie Huber

Die Romane Shades of Grey

Medizin am Abend Fazit: Ist Sadomasochismus salonfähig? Wissenschaftlerin forscht zu "Shades of Grey"

Die Romane „Fifty Shades of Grey“ sorgten für Furore und avancierten zum Bestseller-Erfolg. Auch die Verfilmung weckt großes mediales Echo. Warum begeistert „Sadomasochismus“ die Gesellschaft? Verändert die Beschäftigung mit diesem Thema die Einstellung dazu? Sibylle Schulz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Neu-Ulm (HNU), befragte Leserinnen und Leser der Romane. Sie kommt zu dem Schluss: Die meisten Leser finden die Erotik in den Romanen anregend, würden die dargestellten Sexualpraktiken aber nicht selbst ausprobieren wollen.

„Bis vor kurzem erregte Literatur mit sadomasochistischer Erotik Anstoß und Sadomasochismus, also SM, galt als pervers und bizarr. Und nun fasziniert die ‚Shades of Grey‘-Trilogie mit reichlich SM ein Millionenpublikum. Diese Diskrepanz brachte mich dazu, mich mit dem Thema näher zu beschäftigen“, so Sibylle Schulz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Neu-Ulm. Sie geht der Frage nach, ob die Romantrilogie und die darin enthaltenen sexuellen Praktiken im SM-Bereich Einfluss auf das sexuelle Verhalten der Leserschaft haben. Darüber hinaus hinterfragt sie, ob das Werk Barrieren zum Thema Sadomasochismus abbaut und ob oder inwiefern es einen vorurteilsfreieren und toleranteren Zugang zu SM schafft. Dabei gibt sie einen historischen Abriss über den ehedem als Perversion eingestuften Sadomasochismus und analysiert seine bisherige Darstellung in Kunst, Werbung, Literatur und Popkultur. Sibylle Schulz betrachtet das Thema „Sadomasochismus“ und die mediale Darstellung aus Sicht der Kommunikationswissenschaft und Sexualwissenschaft und befragte hierfür im Rahmen einer Vorstudie 18 Leserinnen und Leser der Bücher. Dabei gaben über 80 Prozent der Befragten an, die Erotik „anregend“ zu empfinden, 60 Prozent empfinden diese „heiß“, 15 von 18 Befragten ist diese Art von Erotik neu und weniger als ein Drittel würde die Sexualpraktiken der Romane ausprobieren.

Sibylle Schulz Beitrag „Hausse für Peitschensex und Fesselliebe: Sadomasochismus 2014 – von der Subkultur zum Mainstream?“ ist im Sammelband „Medialisierung und Sexualisierung. Vom Umgang mit Körperlichkeit und Verkörperungsprozessen im Zuge der Digitalisierung“, erschienen 2015 im Springer Fachmedien Verlag, veröffentlicht.

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Sibylle Schulz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Neu-Ulm.

Sibylle Schulz, 0731/9762-1518
sibylle.schulz@hs-neu-ulm.de
Hochschule Neu-Ulm, Theresa Osterholzer

Sibylle Schulz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Neu-Ulm.
Foto: Hochschule Neu-Ulm

Hirnblutung unter Blutverdünner

Medizin am Abend Fazit: Wegweisende deutsche Studie zur Behandlung von Hirnblutungen unter Blutverdünnern veröffentlicht

Mit der bislang größten Untersuchung über den Zusammenhang zwischen
Blutverdünnern und Hirnblutungen ist es deutschen Neurologen gelungen,
neue Therapieempfehlungen zu erarbeiten. „Potenzielle Nutznießer sind
annähernd 1 Million Menschen, die hierzulande Marcumar und andere
Substanzen zur Blutverdünnung einnehmen“, so Professor Martin Grond aus
Siegen, 2. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

„Wir wissen jetzt nicht nur, dass wir während einer Hirnblutung die
Wirkung dieser Arzneien möglichst vollständig neutralisieren müssen,
sondern auch, dass diese Medikamente in der Langzeittherapie vor neuen
Schlaganfällen schützen, ohne das Risiko einer neuen Hirnblutung zu
erhöhen“, sagt Professor Joachim Röther, Sprecher der Deutschen
Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und Chefarzt der Neurologischen Abteilung
der Asklepios Klinik Altona.

Für die Studie, die morgen im Journal of the American Medical Association
(JAMA) veröffentlicht wird, haben Experten aus 19 deutschen
Universitätskliniken und Krankenhäusern retrospektiv die Daten von fast
1200 Schlaganfallpatienten ausgewertet. Diese hatten Blutverdünner wie
Marcumar bekommen und eine Hirnblutung erlitten. Die Frage der Neurologen
war nun, wie sich Maßnahmen zur Hemmung der Antikoagulation und zur
Senkung des Blutdrucks kurz- und langfristig auswirken würden.

Größenzunahme der Hämatome gemessen

Wie Studienleiter Professor Hagen Huttner von der Neurologischen Klinik
des Universitätsklinikums Erlangen berichtet, konnte man bei 853 Patienten
den Größenzuwachs der Hirnblutung analysieren und bei 307 (36 Prozent) von
ihnen eine Volumenzunahme um mehr als ein Drittel dokumentieren.
„Verringerte Raten einer Hämatomvergrößerung fanden wir bei einer
Reduktion des INR-Wertes unter 1,3 binnen vier Stunden nach der
Einweisung“
, so Huttner. In dieser Gruppe von Patienten hatte man nur bei
19,8 Prozent eine Hämatomvergrößerung beobachtet, während der Anteil unter
Patienten mit einem INR ≥ 1,3 mit 41,5 Prozent mehr als doppelt so groß
war.

Auch systolische Blutdruckwerte unter 160 mmHg vier Stunden 
nach der Einweisung waren mit einem verringerten Risiko 
einer Hämatomvergrößerung assoziiert: 
In der Gruppe der Patienten, wo dieses Ziel erreicht wurde,
wiesen 33,1 Prozent vergrößerte Hämatome auf. Wurde das Ziel verfehlt,
waren es dagegen 52,4 Prozent. „Somit haben wir endlich valide Ergebnisse
zur Behandlung dieser Patienten und können den Einfluss des Blutdrucks auf
Hämatome besser einschätzen“, kommentiert Professor Grond. „Das ist sehr
hilfreich.“

Gemessen wurde auch der Einfluss beider Maßnahmen auf die Mortalität im
Krankenhaus. Gelang es, die Blutverdünnung schnell zu neutralisieren bei
gleichzeitigen systolischen Blutdruckwerten unter 160 mmHg, so betrug die
Sterblichkeit 13,5 Prozent gegenüber 20,7 Prozent, wenn beide Ziele
verfehlt wurden.


Zusammen mit ihren Kollegen haben Studienleiter Huttner und Erstautor Dr.
Joji Kuramatsu, ebenfalls aus Erlangen, außerdem untersucht, wie häufig
unter den Patienten im Jahr nach der Behandlung erneute Hirnblutungen und
Schlaganfälle aufgetreten sind, und ob dabei ein Zusammenhang mit der
erneuten Gabe von Blutverdünnern besteht. Hier verglichen die Forscher
jene 172 Patienten (23,9 Prozent) unter den Überlebenden, die im
Therapieverlauf erneut mit Blutverdünnern behandelt wurden, mit jenen, die
keine Blutverdünner mehr bekamen. Ischämische Komplikationen traten in der
ersten Gruppe mit einer Häufigkeit von 5,2 Prozent auf, in der zweiten
Gruppe mit 15 Prozent. Hämorrhagische Komplikationen waren in beiden
Gruppen annähernd gleich.

Schutz durch erneute Blutverdünnung nachgewiesen

„Die Wiederaufnahme der Blutverdünnung zeigte einen klaren Schutz vor
Schlaganfällen, ohne dass wir in unserer Patientenkohorte gleichzeitig ein
vermehrtes Auftreten der gefürchteten Hirnblutung beobachteten“, so Hagen
Huttner. „Somit ergibt sich ein Netto-Nutzen zugunsten der Wiederaufnahme
der Blutverdünnung.“

Diese Fragestellung wird auch in der Studie PRODASt in Essen prospektiv
untersucht. Hier werden ab Frühjahr 2015 in etwa 100 Stroke Units in
Deutschland Patienten mit Vorhofflimmern, die eine intrakranielle Blutung
erlitten hatten, erfasst. Diese Patienten werden ein Jahr lang verfolgt
mit den Fragen, welche Patienten wieder antikoaguliert werden müssen und
wie sich die neuen oralen Antikoagulantien (NOAC) von Marcumar
unterscheiden

Weitere Ergebnisse bald zu erwarten

NOAC haben in jüngster Vergangenheit in die Praxis der Blutverdünnung
Einzug gehalten – mit neuen Wirkmechanismen. „Auch hier brauchen wir
weitere Studien, um das Potenzial zur Verringerung erneuter Hirnblutungen
ausschöpfen zu können“, fordert Huttner. „Tatsächlich laufen derzeit
prospektive Studien mit wirksamen Antidots zu den neuen Blutverdünnern.
Wir können in den kommenden Monaten mit interessanten Ergebnissen
rechnen“, weiß Martin Grond.

Quelle

Kuramatsu, J.B. et al. (2015) Anticoagulant Reversal, Blood Pressure
Levels, and Anticoagulant Resumption in Patients with Anticoagulation-
related Intracerebral Hemorrhage. February 24, 2015, Vol 313 (8)

Medizin am Abend DirektKontakt

Prof. Dr. med. Hagen B. Huttner
Oberarzt der Neurologischen Klinik
Universitätsklinikum Erlangen
Schwabachanlage 6, 91054 Erlangen
Tel.: +49 (0) 9131 8544 523
Fax: +49 (0) 9131 8536 597
E-Mail: hagen.huttner@uk-erlangen.de

Prof. Dr. med. Martin Grond
2. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)
Chefarzt des Neurologischen Kreisklinikums in Siegen
Tel.: +49 (0) 271 705 1800
E-Mail: grond@dgn.org

Prof. Dr. med. Joachim Röther
Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG)
Chefarzt Neurologische Abteilung
Asklepios Klinik Altona
Paul-Ehrlich-Straße 1, 22763 Hamburg
Tel.: +49 (0)40-181881-1401
E-Mail: j.roether@asklepios.com

Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Frank A. Miltner

Die Masernfrage - Doppelimpfung

Ausgangslage: 

http://www.wissenschaft.de/leben-umwelt/medizin/-/journal_content/56/12054/5867473/Masern-Epidemie%3A-Sind-Impfmuffel-schuld%3F/

http://www.praxisvita.de/maserndebatte-vorerst-keine-impfpflicht#

Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Masern-Impfung

Der Tod des Kleinkinds in Berlin zeigt abermals in aller Dramatik auf: Masern sind eine hochgefährliche Krankheit. Das besonders Tückische: Auch noch Jahre nach einer Infektion können Hirnschädigungen auftreten, die schlimmstenfalls zum Tode führen - und die Viren sind hochgradig ansteckend.

Impfverweigerer handeln gleich doppelt unsozial. Sie setzen ihre eigenen, noch entscheidungsunmündigen Kinder einem hohen Risiko aus und gefährden zudem schutzlose Babys, die noch nicht geimpft werden können. Doch Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat Recht, wenn er eine Impfpflicht vorerst ablehnt. Denn ein Impfzwang wäre nur mit erheblichem Aufwand durchsetzbar und zudem juristisch fragwürdig.

Etwa jedes 20. Elternpaar in Nordrhein-Westfalen sorgt nicht für die sichere Doppelimpfung. Eine nachdrückliche Erinnerung durch den Kinderarzt oder die Krankenkasse wird die vergesslichen Eltern gewiss erreichen. Aktive Impfverweigerer aber können nur durch Überzeugungsarbeit umgestimmt werden. Schicksale wie das des Kleinkinds in Berlin sollten Mahnung genug sein.

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Westfalen-Blatt Chef vom Dienst Nachrichten Andreas Kolesch Telefon: 0521 - 585261