Nervenzellen

Medizin am Abend Fazit: Ein Botenstoff des Immunsystems vermittelt die Reparatur von Nervenzellen


Mainzer Wissenschaftler entdecken neuen Schutzmechanismus nach Schädigung des Nervensystems

Wissenschaftler der Forschungszentren Translationale Neurowissenschaften
(FTN) und Immuntherapie (FZI) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
haben gemeinsam mit Kollegen der University of Virginia einen neuen
Mechanismus identifiziert, der die Reparatur von Nervenzellen nach einer
Schädigung des Zentralen Nervensystems vermittelt. Eine Schlüsselrolle
kommt dem sogenannten Interleukin 4 (IL-4) zu, einem Botenstoff des
Immunsystems, der von T-Zellen produziert wird. Die Arbeit der Mainzer
Wissenschaftler wurde heute online in der Fachzeitschrift „Journal of
Clinical Investigation“ veröffentlicht.

Eine Schädigung des Zentralen Nervensystems (ZNS) – durch Unfälle oder
fortschreitende neurodegenerative Erkrankungen wie Multiple Sklerose – hat
oft weitreichende Auswirkungen. Gleichwohl existieren Schutzmechanismen,
die eine gewisse Regeneration des Nervengewebes ermöglichen. Welche Rolle
T-Zellen, also bestimmte Zellen des Immunsystems, in diesem Szenario und
bei der Reparatur des Nervensystems spielen, ist Gegenstand aktueller
Diskussionen in der Fachwelt.

„Bekannt war, dass T-Zellen nach Läsionen im Nervensystem verstärkt
auftreten – einige Studien schreiben ihnen jedoch eine schädigende Wirkung
zu, andere eine schützende“, so Prof. Dr. Frauke Zipp, Direktorin der
Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz.
„Unklar ist bisher, in welchem Fall T-Zellen prinzipiell eine schädigende
und wann sie eine schützende Funktion haben und wie diese schützende
Funktion auf molekularer Ebene vermittelt wird.“

Diesen Mechanismus konnten die Mainzer Wissenschaftler gemeinsam mit der
Gruppe von Prof. Dr. Jonathan Kipnis von der University of Virginia nun
klären: In Zellkultur- und Tiermodellen konnten sie einerseits zeigen,
dass bestimmte molekulare Mediatoren nach einer Verletzung im ZNS das
vermehrte Auftreten von T-Zellen triggern und andererseits entschlüsseln,
wie diese T-Zellen ihre schützende Wirkung – also die Reparatur des
geschädigten Nervengewebes – vermitteln. Hierbei kommt dem Botenstoff
Interleukin 4 (IL-4), den die T-Zellen produzieren, eine zentrale Rolle
zu: Durch bestimmte Andock-Stellen auf den geschädigten Nervenzellen,
sogenannte IL-4 Rezeptoren, entfaltet IL-4 unmittelbar seine schützende
Wirkung und leitet auf diesem Weg die Reparatur der geschädigten
Nervenzellen ein. Dies wiederum erfolgt über die durch IL-4 verstärkte
Wirkung sogenannter Neurotrophine. Nach den neuen Erkenntnissen teilt IL-4
mit diesen „Nervennährstoffen“ einen gemeinsamen Signalweg, der das
Neuauswachsen von Nervenzellfortsätzen, das sogenannte „outgrowth“
befördert und so eine Reparatur ermöglicht. Denn als körpereigene
Signalstoffe bewirken Neurotrophine zielgerichtete Verbindungen zwischen
Nervenzellen, sichern den Fortbestand neuronaler Verbindungen und spielen
beim Auf- und Abbau neuer Nervennetze eine große Rolle.

„Diese Ergebnisse werfen ein neues Licht auf die Immunantwort im Zuge
einer Schädigung des ZNS“, so Frauke Zipp. „Anders als bei der sonst
üblichen Wirkungsweise der T-Zell vermittelten Immunantwort über bestimmte
Antigene und Proteinkomplexe zur Immunerkennung, wirken T-Zellen hier
antigenunabhängig über ihren eigenen Botenstoff Interleukin-4. Dies ist
der erste Nachweis einer solchen Interleukin-vermittelten Immunantwort zum
Schutz bzw. zur Reparatur von geschädigtem Nervengewebe ohne Beteiligung
der ‚üblichen Verdächtigen‘, sprich der normalerweise für die
T-Zellfunktion wichtigen Antigenerkennung. Somit können T-Zellen im Gehirn
unter bestimmten Umständen nicht die Rolle des Angreifers, sondern die des
Retters übernehmen.“

In der Zukunft könnten die Forschungsergebnisse der Mainzer
Neurowissenschaftler auch einen therapeutischen Nutzen haben und bei der
Entwicklung wirksamer Immuntherapien zur Reparatur von Nervenschädigungen,
die im Rahmen eines Unfalls oder bei Neurodegeneration im Verlauf der
Multiplen Sklerose auftreten, eine wichtige Rolle spielen.

Originalpublikation:
Walsh JT, et al. MHCII-independent CD4+ T cells protect injured CNS
neurons via IL-4.
doi:10.1172/JCI76210.
http://www.jci.org/articles/view/76210?key=bdb26b22c4b0b64a2fd4

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Dr. Renée Dillinger-Reiter, Universitätsmedizin Mainz,
Tel. 06131 / 17-8391, Fax 06131 / 17-3496

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die
einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-
Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst
mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend
zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und
Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit.
Rund 3.300 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz
ausgebildet. Mit rund 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die
Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein
wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im
Internet unter www.unimedizin-mainz.de

Blutvergiftungen besser erkennen

HZI-Wissenschaftler ermitteln neuen Richtwert für Diagnostik auf
Intensivstationen

Jedes Jahr erkranken in Deutschland über 150.000 Menschen an einer Sepsis,
landläufig auch Blutvergiftung genannt. Für rund ein Drittel der Patienten
endet sie tödlich. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für
Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig haben nun untersucht, wie man
die diagnostischen Prozesse bei einer Sepsis verbessern kann. Ihre
Ergebnisse veröffentlichten sie im „Journal of Clinical Microbiology“.

Keime wie der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus, kurz MRSA,
verursachen in deutschen Krankenhäusern jährlich eine Vielzahl von
Infektionen, die häufig tödlich enden. Fast immer ist die Todesursache
eine bakterielle Sepsis: eine Entzündungsreaktion des Körpers auf eine
Infektion, die sich über das Blut auf den ganzen Körper ausbreitet.

Um die Erkrankung rechtzeitig zu diagnostizieren und somit Todesfälle zu
verhindern, setzen Ärzte die sogenannte Blutkulturdiagnostik ein. „Das ist
eine sehr gute Methode“, sagt Prof. Rafael Mikolajczyk, Leiter der
Arbeitsgruppe „Epidemiologische und statistische Methoden“ am HZI. „Es
gibt allerdings Hinweise darauf, dass sie in Deutschland nicht häufig
genug angewendet wird.“



Mit Hilfe von Blutkulturen wird nach krankheitserregenden Bakterien gesucht. Dafür wird dem Patienten eine bestimmte Menge Blut entnommen und sofort in die „Blutkulturflaschen“ gegeben.

Mit Hilfe von Blutkulturen wird nach krankheitserregenden Bakterien gesucht. Dafür wird dem Patienten eine bestimmte Menge Blut entnommen und sofort in die „Blutkulturflaschen“ gegeben.
HZI/Stern

Deshalb haben Wissenschaftler am HZI in Zusammenarbeit mit Kollegen aus
dem „Nationalen Referenzzentrum für Surveillance nosokomialer Infektionen“
und dem „Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum Sepsis und
Sepsisfolgen“ einen Richtwert etabliert, an dem Kliniken ablesen können,
wie häufig sie eine Blutkulturdiagnostik durchführen sollten. Nur wenn die
Kliniken diesen Richtwert erreichen, werden die meisten Sepsisfälle
rechtzeitig und zuverlässig erkannt und die betroffenen Patienten können
adäquat behandelt werden.

„Zunächst beschränken wir uns auf Intensivstationen, da hier der größte
Teil der Sepsisfälle auftritt“, sagt Dr. André Karch, wissenschaftlicher
Mitarbeiter am HZI und Erstautor der Studie. „In diesem Zusammenhang
konnten wir auch zeigen, dass nur ein Drittel der in unserer Studie
untersuchten Intensivstationen Blutkulturen in ausreichender Menge anlegt.
Auf Intensivstationen, die nicht an der Studie teilgenommen haben, könnte
dies sogar noch seltener passieren.“

Die Wissenschaftler am HZI möchten nun durch weitere Studien Richtwerte
für andere Stationen in Krankenhäusern ermitteln. „Langfristig hoffen wir,
den Krankenhäusern damit zu helfen, ihre Sepsisdiagnostik zu verbessern“,
sagt Karch. „Ein wichtiger Schritt, um die Zahl der Todesfälle zu senken.“

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen
Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was
Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll
den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern. Am
seinem Standort in Braunschweig-Stöckheim blickt das Zentrum auf eine
jahrzehntelange Historie zurück. Bereits 1965 begannen hier die ersten
Arbeiten; 2015 feiert das HZI 50-jähriges Jubiläum.

http://jcm.asm.org/content/early/2014/12/11/JCM.02944-14.abstract - Link zur Originalpublikation

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Rebecca Winkels
Rebecca Winkels
0531 6181-1403



Muskelin im Gehirn

Das Protein Muskelin und seine Funktionen stellen die Forschung noch vor
einige Rätsel. Würzburger Wissenschaftler untersuchen die molekularen
Grundlagen dieses Proteins. Ihre neuesten Erkenntnisse stellen sie in der
Zeitschrift „Structure“ vor.

Muskelin ist ein Protein, das in vielen Zellen des Körpers gebildet wird.
Erstmals wurde es in Muskelzellen gefunden – daher sein Name. Aber es
kommt auch in den Nervenzellen des Gehirns vor. Seine Funktion dort ist
bis heute nicht vollständig bekannt. „Wir wissen aber, dass es dabei
hilft, die Weiterleitung von Informationen im Gehirn feinzusteuern“, sagt
Professor Hermann Schindelin. Der Biochemiker und Strukturbiologe von der
Universität Würzburg erforscht mit seinem Team unter anderem die
Eigenschaften von Muskelin.

Seine Wirkung entfaltet Muskelin an den Synapsen, den Kontaktstellen
zwischen den Nervenzellen. Dort ist es an der Entsorgung der so genannten
GABA(A)-Neurotransmitter-Rezeptoren beteiligt – das sind Moleküle, die für
die Signalübermittlung an den Synapsen wichtig sind. Wenn diese Rezeptoren
ausrangiert werden, kommt Muskelin wie ein Logistik-Manager zum Einsatz:
Es dirigiert die Rezeptoren bis hin zu dem Ort in der Nervenzelle, an dem
sie abgebaut werden.

Details zur Arbeitsweise von Muskelin publiziert

Wie Doktorandin Carolyn Delto erklärt, lagern sich für diese Arbeit immer
vier Muskelin-Proteine zu einem größeren Komplex zusammen. Dieses Ergebnis
ihrer Arbeit stellt die Würzburger Forschungsgruppe in der Zeitschrift
„Structure“ vor. Dort präsentiert sie auch die molekularen Details der
Zusammenlagerung.

Was passiert, wenn die Muskelin-Proteine so gestört werden, dass sie sich
nicht mehr zu ihrer arbeitsfähigen Form zusammentun können? Auch das haben
die Würzburger untersucht. Das Ergebnis fiel überraschend aus: Das
Muskelin wird dann innerhalb der Zelle verlagert; es verschwindet aus dem
Zellplasma und sammelt sich im Zellkern an. „Was Muskelin dort macht, ist
völlig unklar“, sagt die Doktorandin. Fest stehe aber, dass es dann seine
normalen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann.

Nachweisen lässt sich in diesem Fall, dass GABA(A)-Rezeptoren vermehrt an
der Oberfläche der Nervenzellen auftreten. Ansonsten seien die Folgen für
das Nervensystem zumindest auf den ersten Blick nicht gravierend: Bei
Mäusen, die kein Muskelin besitzen, ändern sich zwar die
Signaleigenschaften bestimmter Nervenzellen. Ansonsten entwickeln sich die
Tiere aber normal und zeigen keine großen Auffälligkeiten.

Muskelin-Komplexe im Detail erforschen

Als nächstes wollen die Forscher einen anderen Aspekt von Muskelin
erforschen. Das Protein kann in verschiedenen Zelltypen einen größeren
Komplex mit mindestens fünf anderen Proteinen bilden. „Die Funktion dieses
Komplexes, der sowohl im Zellplasma als auch im Zellkern auftaucht, kennen
wir noch nicht“, so Professor Schindelin.

Darum wollen die Wissenschaftler den Komplex und die Aufgaben untersuchen,
die Muskelin in diesem Verbund ausübt. Außerdem gilt es, die
Kristallstruktur von Muskelin zu klären, von der die Forscher bislang nur
einen Teil kennen. Damit hätten sie dann auch genaueren Einblick in die
Architektur des Muskelin-Viererkomplexes. Diese lässt sich bislang nur
modellhaft beschreiben.

"The LisH motif of muskelin is crucial for oligomerization and governs
intracellular localization", Delto CF, Heisler FF, Kuper J, Sander B,
Kneussel M, Schindelin H., Structure 2015 Jan 8 (Epub ahead of print);
doi: 10.1016/j.str.2014.11.016

Medizin am Abend DirektKontakt

Prof. Dr. Hermann Schindelin, Rudolf-Virchow-Zentrum für experimentelle
Biomedizin, Universität Würzburg, T (0931) 31-80382,
hermann.schindelin@virchow.uni-wuerzburg.de
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Robert Emmerich

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.rudolf-virchow-zentrum.de/forschung/arbeitsgruppen/ag-schindelin/forschung.html Zur Homepage von Professor Schindelin

Großzügigkeit

Warum Großzügigkeit von der sozialen Distanz abhängt

Wenn man einen Menschen schätzt, zeigt man sich ihm meist großzügiger und
ist eher bereit zu teilen, als gegenüber Unbekannten. Ein
Wissenschaftlerteam der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat unter
Beteiligung der Bonner Universität und Züricher Forschern nun die
Hirnregionen identifiziert, die zu dieser Variabilität in großzügigem
Verhalten führen. Die Ergebnisse können sich sowohl auf ökonomische
Theorien als auch auf das Verständnis von sozialen Verhalten auswirken.
Die Studie wird nun in den ‚Proceedings of the National Academy of
Sciences of the United States of America’ vorgestellt.

Die Fähigkeit zu teilen ist eine wichtige Voraussetzung für eine
funktionierende Gesellschaft. So kommt es zum Beispiel auch in der
Ökonomie darauf an, die Interessen der anderen Marktteilnehmer bei
Entscheidungen mit einzubeziehen. Wir verhalten uns aber nicht allen
Menschen gegenüber gleichermaßen großzügig. Einer nahestehenden Person
gegenüber sind wir meist freigiebiger als einem Unbekannten. Dieses
Phänomen bezeichnet man auch als „soziale Distanz“.

Wie die soziale Distanz mit der Fähigkeit zu teilen zusammenhängt und
welche Gehirnregionen dabei eine Rolle spielen, wurde nun in einer Studie
untersucht, die die Arbeitsgruppe Vergleichende Psychologie der Heinrich-
Heine-Universität Düsseldorf zusammen mit dem Center for Economics and
Neuroscience (CENs) der Universität Bonn und der Universität Zürich
durchführte.

Die Forscher beobachteten mit einem funktionellen
Magnetresonanztomographen (fMRT) am Life&Brain Zentrum in Bonn die
Hirnaktivität von Testpersonen, während diese im Rahmen eines
Spielszenarios ökonomische Aufgaben lösten. Die Probanden (die aktiven
Spieler) sollten zwischen einer egoistischen, allein für sie profitablen
Option, und einer großzügigen Option wählen. Bei letzterer kommt auch
einem gedachten Spielpartner ein Geldbetrag zu. Entsprechend erhält der
Spieler selbst dann weniger Geld. Dabei sollten sie sich die Spieler
vorstellen, dass ihr Spielpartner ihnen in einem Fall nahe steht, in
anderen Fällen aber immer weiter sozial entfernt ist. „Dabei zeigte sich,
dass die Teilnehmer viel eher bereit sind, ihren Egoismus zu überwinden
und zu teilen, je näher sie dem Spielpartner emotional stehen“, so die
Erstautorin der Studie, Tina Strombach aus der Düsseldorfer Arbeitsgruppe
Vergleichende Psychologie.

Die begleitenden Hirnscans ergaben, dass bei der Entscheidungsfindung zwei
Bereiche im Gehirn widerstreiten: Der eine ist der Ventromediale
präfrontale Cortex, der im Stirnlappen der Großhirnrinde sitzt und zum
Belohnungssystem gehört. Er stellt also quasi die egoistische Komponente
dar. Ihm gegenüber steht die Temporoparietale Junction im hinteren Bereich
des Gehirns. Sie wird mit der Empathiefähigkeit in Verbindung gebracht und
ist für die Unterscheidung von „selbst“ und „fremd“ wichtig. „Beide
Gehirnregionen arbeiten als Gegenspieler“, erläutert Prof. Dr. Tobias
Kalenscher aus Düsseldorf: „Sie tarieren aus, wie egoistisch oder
großzügig wir uns abhängig von der sozialen Distanz verhalten“. Prof. Dr.
Bernd Weber vom CENs der Universität Bonn ergänzt: „Die Temporoparietale
Junction hält die egoistischen Bestrebungen der ventromedialen
präfrontalen Cortex in Schach und ermöglicht somit altruistisches
Verhalten.“

Eine Besonderheit der Studie, die nun in den Proceedings of the National
Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) veröffentlicht
wurde, ist ihr interdisziplinärer Ansatz. Die Kombination auf ökonomischen
und neuropsychologischen Fragestellungen nennt sich Neuroökonomie. Neben
den Düsseldorfer Psychologen und den Bonner Neurowissenschaftlern waren
der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Peter Kenning und
der Züricher Prof. Dr. Philippe Tobler beteiligt, die insbesondere zum
Aufbau der ökonomischen Aufgabenstellung beitrugen.

Die Ergebnisse der Studie haben Implikationen sowohl für die
Wirtschaftswissenschaften als auch für die Soziologie. Durch die im
menschlichen Gehirn angelegten Verhaltensmuster im Bezug auf die soziale
Distanz müssen hier weitere Faktoren für die Beurteilung von Verhalten in
unterschiedlichen sozialen Kontexten berücksichtigt werden.

Original-Artikel
Strombach T, Weber B, Hangebrauk Z, Kenning P, Karipidis II, Tobler PM,
Kalenscher T, „Social discounting involves modulation of neural value
signals by temporo-parietal junction“, PNAS
Online: DOI: 10.1073/pnas.1414715112

Medizin am Abend DirektKontakt

Prof. Dr. Tobias Kalenscher
Vergleichende Psychologie
Tel.: 0211-81 11607
E-Mail: tobias.kalenscher@hhu.de

Dr. Arne Claussen
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Tel.: 0211-81 10896
E-Mail: arne.claussen@hhu.de

Johannes Seiler
Universität Bonn
Tel.: 0228-73 4728
E-Mail: j.seiler@uni-bonn.de

Magersucht - Symptome

Medizin am Abend Fazit: 

Sag dem Smartphone, wie`s Dir gerade geht - App erfasst Magersucht- Symptome besser

Um bei seelischen Erkrankungen psychische Prozesse wie das Empfinden von
positiven wie negativen Emotionen möglichst unverfälscht dokumentieren zu
können, setzen die Ärzte und Wissenschaftler der Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Universitätsklinikums Carl
Gustav Carus Dresden auch auf Smartphones. In einem derzeit laufenden
Forschungsprojekt erhalten Patientinnen, die unter Magersucht – Anorexia
Nervosa – leiden, ein solches mit einer App versehenes Gerät. Die von den
Wissenschaftlern eigens entwickelte App stellt in unregelmäßigen Abständen
mehrmals täglich Fragen zu aktuellen Empfindungen, Tätigkeiten und
Wünschen.

Die von den Wissenschaftlern eigens entwickelte App stellt in
unregelmäßigen Abständen mehrmals täglich Fragen zu aktuellen
Empfindungen, Tätigkeiten und Wünschen. Dieses Forschungsprojekt ist eines
der Themen der Informationsveranstaltung des Zentrums für Essstörungen,
die anlässlich des zweijährigen Bestehens der Einrichtung stattfindet.
Weitere Programmpunkte sind am heutigen Mittwoch (21. Januar) Vorträge zu
den verschiedenen Therapieformen, die die Klinik Magersüchtigen und deren
Familien angeboten worden, sowie ein Rundgang in der Spezialstation sowie der
Familientagesklinik.

Im Zentrum für Essstörungen bündelt die Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie seine Kompetenzen in der Behandlung von Patienten, die
an Magersucht (Anorexia nervosa), Ess-Brechsucht (Bulimie) sowie weiteren
psychischen Erkrankungen leiden, die sich in einer gestörten
Nahrungsaufnahme äußern. Neben den von der Klinik selbst angebotenen
Behandlungen in der Spezialstation, der Familientagesklinik sowie der
Ambulanz kooperiert das Zentrum mit der „WG Carla – Jugendwohngemeinschaft
für Mädchen und junge Frauen mit einer Essstörung“. Unter der Leitung von
Prof. Stefan Ehrlich – ein auf diese psychischen Störungen spezialisierter
Arzt und Wissenschaftler – bietet die Klinik damit ein über alle
Versorgungsformen fachlich optimal abgestimmtes Therapieprogramm.
Insgesamt behandelt die Klinik jährlich rund 250 Patientinnen und
Patienten, die an unterschiedlichen Formen einer Essstörung leiden.

Forschungsvorhaben zur Anorexia Nervosa
Essstörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen des
Jugendalters. Der Forschungsschwerpunkt der Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie liegt vor allem in der Untersuchung der bisher wenig
erforschten biologischer Einflussfaktoren auf die Entstehung von Anorexia
Nervosa (Magersucht). Ein wichtiger Teil ihrer Forschungen sind in den von
der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten
Sonderforschungsbereich (SFB) 940 „Volition und kognitive Kontrolle“
integriert. Bei ihren Vorhaben nutzen die Forscher um Prof. Stefan Ehrlich
eine breite Palette an Untersuchungsmethoden. Ein wichtiges Element ist
die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT). Damit lässt sich die
Aktivierung des Gehirnes bei psychischen Prozessen – etwa Emotionen und
Belohnungen oder beim Lernen – unabhängig vom subjektiven Empfinden der
Probanden messen. Ein weiterer Ansatz besteht darin, den Hormonspiegel von
Patienten mit Essstörungen zu messen und sie auf genetische Besonderheiten
zu untersuchen.

Diese naturwissenschaftlichen Methoden haben jedoch Grenzen, wenn um das
Erfassen des aktuellen Erlebens und Verhaltens in Alltagssituationen geht.
Hier werden oft Fragebögen eingesetzt, bei denen sich die Patienten im
Nachgang an bestimmte Situationen und Empfindungen erinnern müssen.
„Erinnerungen sind fragil und können von vielen Faktoren beeinflusst und
unpräzise werden, wenn wir längere Zeiträume in der Vergangenheit
abfragen“, erklärt Prof. Ehrlich. „Deshalb nutzen wir Smartphones, um
Symptome besser erfassen zu können.“ Dafür erhalten die Probandinnen über
einen Zeitraum von zwei Wochen ein Smartphone, über das ihnen mehrmals
täglich kurze Fragebögen in Form eines „Alarms“ gesendet werden. Darin
geht es unter anderem um momentane Gedanken zum Essen und Körpergefühl, um Gemütszustände oder um die aktuelle Beschäftigung. Beispielsweise: „Hast
du dich seit dem letzten Alarm gedanklich mit Dingen, die mit Essen,
Nahrung, Kochen, Kalorien zu haben, beschäftigt?“

Dieses Vorgehen nennen die Wissenschaftler „Datenerhebung in Echtzeit“ –
kurz EMA. Die über die App gesammelten Daten geben genauer Auskunft über
den direkten Einfluss der natürlichen Umgebung des Probanden. Auch lassen
sich auf diese Weise die Veränderungen von seelischen und körperlichen
Zuständen präziser messen und Gedächtnisfehler vermeiden. Die den
Patientinnen für jeweils zwei Wochen zur Verfügung gestellten Smartphones
lösen in der Zeit von 8 bis 22 Uhr sechs Mal am Tag – der Zeitpunkt wird
im Zufallsverfahren generiert – Alarm aus. Dabei erscheint auf dem
Bildschirm ein Fragebogen, der innerhalb von einer halben Stunde
beantworten werden muss. Mit den aus diese Weise gesammelten Daten gehen
die Wissenschaftler der Frage nach, welchen Einfluss die kognitive
Kontrolle auf das Alltagsleben von Magersüchtigen haben und wie sich dies
auf die Langzeitergebnisse einer Therapie auswirkt.

Weitere Informationen
www.zfe.kjp-dresden.de
www.sfb940.de

Medizin am Abend DirektKontakt

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie
Zentrum für Essstörungen
Leiter; Prof. Stefan Ehrlich
Tel. 0351/ 4 58 50 95
E-Mail: Stefan.Ehrlich@uniklinikum-dresden.de
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Holger Ostermeyer

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uniklinikum-dresden.de/kjp

Charite: Zusammenarbeit reduziert Diagnosefehler

Medizin am Abend Fazit:
Medizinstudenten arbeiten in Zweierteams genauer als allein

Medizinischer Nachwuchs profitiert von der Arbeit im Team. Wissenschaftler
der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Max-Planck-Institutes für
Bildungsforschung und der Universität Konstanz konnten anhand von
Medizinstudenten zeigen, dass Teams akkuratere Diagnosen stellen als
Einzelpersonen. Fehldiagnosen sind demnach leicht vermeidbar. Die
Ergebnisse der Untersuchung sind im Fachmagazin JAMA* veröffentlicht.

Knapp 90 Medizinstudenten der Charité standen vor der Aufgabe, am Computer
simulierte Patientenfälle zu diagnostizieren. Alle angehenden Mediziner
hatten einen vergleichbaren Wissensstand und sollten für jeweils sechs
Patienten mit Atemnot diagnostische Tests anordnen. Anhand der erhaltenen
Ergebnisse galt es, eine Diagnose auszuwählen – entweder als Einzelperson
oder zu zweit. Die Forscher kommen zu dem Ergebnis: Berufsanfänger
profitieren von einer Zusammenarbeit im Team, ihre Diagnosen sind
akkurater und es entstehen 17 Prozent weniger Fehler. Meist gehen falsche
Einschätzungen auf Denkfehler oder Fehler bei der Datenauswertung zurück.

Zwar brauchen die Mediziner im Zweierteam etwas länger um zu ihrer
Diagnose zu gelangen, die diagnostischen Tests, die sie anordnen, würden
dagegen in einem realistischen klinischen Rahmen weniger Zeit
beanspruchen. „Berufsanfänger, die allein arbeiten, sichern sich stärker
über aufwendige Diagnostika ab. Teams entscheiden ähnlich wie erfahrene
Mediziner und arbeiten mit geringerem Diagnoseaufwand“, sagt Wolf E.
Hautz, Erstautor der Studie. Dabei fühlen sich Paare sicherer hinsichtlich
ihrer Diagnosestellung. Das individuelle Sicherheitsgefühl sagt allerdings
nichts über die Richtigkeit der Diagnose aus. Kooperation kann gerade für
Ärzte in Ausbildung ein Gewinn sein. Ähnliche Untersuchungen untermauern
den Befund: Teams sind generell besser im Lösen von komplexen Aufgaben.

* Wolf E. Hautz, Juliane E. Kämmer, Stefan K. Schauber, Claudia D. Spies,
Wolfgang Gaissmaier: "Diagnostic Performance by Medical Students Working
Individually or in Teams", JAMA, 2015 Jan 20. doi:10.1001/jama.2014.15770.

Medizin am Abend DirektKontakt:

Prof. Dr. Claudia Spies
Medizinische Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative
Intensivmedizin
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 531 012
E-Mail: claudia.spies@charite.de

http://www.charite.de
http://anaesthesieintensivmedizin.charite.de/