Epigenetik



  • Epigenetische Signale steuern, wann welches Gen aktiv ist. Eine neue Methode ermöglicht erstmals die systematische Charakterisierung der entsprechenden Schalter. Dabei zeigte sich, dass der Ausfall einzelner
    Schalter kompensiert werden kann. 
Jede Körperzelle eines Organismus enthält im Erbmolekül DNA ein
identisches genetisches Inventar. Allerdings sind in jeder Zelle nur die
Gene aktiv, die von der Zelle benötigt werden – in Muskelzellen etwa läuft
ein anderes Programm ab als in Nervenzellen. Welche Gene wann und wo aktiv
sind, wird über chemische Modifizierungen reguliert – sogenannte
epigenetische Signalwege, mit denen die Zelle auch auf Umwelteinflüsse
reagieren kann. „Störungen in diesen Signalwegen können unter anderem
Krankheiten wie Krebs und Alzheimer auslösen“, sagt der LMU-Biologe
Professor Peter Becker, dem es nun mit seinem Doktoranden Christian Feller
gelang, alle an einem wichtigen epigenetischen Signalweg – der sogenannten
Histon-Acetylierung – beteiligten Enzyme zu charakterisieren. Darüber
berichten die Wissenschaftler im renommierten Journal Molecular Cell.

 









Die DNA ist im Zellkern dicht gepackt und in einen schützenden Mantel aus
Histonproteinen eingebettet. Diese Histonproteine können durch
Acetylierungen – d.h. durch Anheften von Acetylgruppen – chemisch
modifiziert werden, sodass bestimmte Bereiche der DNA zugänglich und die
entsprechenden Gene aktivierbar werden. „Obwohl die Histon-Acetylierung
schon lange bekannt ist, wissen wir aber noch wenig darüber, an welchen
Stellen entlang der Histonmoleküle Acetylierungen auftreten, wie sich
verschiedene Acetylierungen zu sogenannten „Motiven“ kombinieren und wie
häufig diese im Zellkern vorkommen“, erklärt Becker. Unterschiedliche
Acetylierungsmotive regulieren vermutlich verschiedene epigenetische
Signalwege.

Spezialisten für die Histon-Acetylierung

Vermittelt wird die Histon-Acetylierung von zahlreichen spezialisierten
Acetylierungs-Enzymen, von denen vermutet wird, dass jedes Enzym nur für
spezielle Acetylierungsmotive zuständig ist. Menschliche Zellen enthalten
mehr als 60 potenzielle Acetylierungs-Enzyme und sogar die Fruchtfliege
besitzt über 40 Acetylierungs-Enzyme, von denen die meisten den
menschlichen Varianten vermutlich sehr ähnlich sind. „Um jedem Enzym das
entsprechende Acetylierungsmotiv zuordnen zu können, fehlten bisher die
technischen Möglichkeiten“, sagt Becker.

Um dieses Problem zu lösen, entwickelten die Wissenschaftler nun eine
proteomische Methode weiter, die Histonmodifikationen und deren
Kombinationen zuverlässiger quantifiziert. „Der Schlüssel zum Erfolg war
die enge Zusammenarbeit mit den Proteomikexperten Axel Imhof und Ignasi
Fornè, die es uns erlaubte, ein optimiertes massenspektrometrisches
Verfahren zu entwickeln, das viele Acetylierungsmotive in der Zelle
aufdecken kann“, sagt Feller, der Erstautor der Studie. Mithilfe der neuen
Methode gelang es dem Forscherteam, systematisch alle Acetylierungs-Enzyme
der Fruchtfliege zu charakterisieren. Indem sie diese Enzyme nacheinander
aus Fliegenzellen genetisch entfernten, konnten sie aufklären, welches
Acetylierungsmotiv jedes Enzym ansteuert. Dabei zeigte sich auch, dass
benachbarte Acetylierungen und andere chemische Modifikationen die
Zielstruktur der Acetylierungs-Enzyme beeinflussen.

Schalter mit Backup

„Unser überraschendster Fund war, dass die Entfernung von Acetylierungs-
Enzymen häufig dazu führt, dass an benachbarten Stellen neue
Acetylierungen hinzukommen, sodass die Summe aller Acetylierungen am Ende
oft sehr ähnlich ist“, sagt Feller. Dass biologische Systeme in der Lage
sind, fehlende Komponenten zumindest kurzzeitig zu ersetzen, ist ein
bekanntes Phänomen in der Biologie. „Das große Ausmaß für das
Histonacetylierungssystem war jedoch sehr überraschend“, ergänzt Becker,
„und illustriert die komplexe Verschaltungsweise epigenetischer
Signalwege“.

Die Ergebnisse von Beckers Team legen den Grundstein für weitere
Untersuchungen: Wie stark ähneln die Ziele einzelner Acetylierungs-Enzyme
aus der Fruchtfliege denen in menschlichen Zellen? Wie weit ist das
Phänomen der ausgleichenden Acetylierung verbreitet und welche Funktion
hat es? Und letztlich, wie können diese und weiterführende Studien zu
effektiveren Inhibitoren von Acetylierungs-Enzymen in der Krebstherapie
entwickelt werden? Diesen Fragen wollen die Wissenschaftler in zukünftigen
Studien nachgehen.
(Molecular Cell 2015) göd

Publikation
Global and specific responses of the histone acetylome to systematic
perturbation
Christian Feller, Ignasi Forné, Axel Imhof, Peter B. Becker
Molecular Cell 2015
http://www.cell.com/molecular-cell/pdfExtended/S1097-2765%2814%2900957-5

Medizin am Abend DirektKontakt

Professor Dr. Peter Becker
Adolf-Butenandt-Institut
http://www.molekularbiologie.abi.med.uni-muenchen.de/personen/becker_group/becker/index.html
phone 089-2180-75-427
Fax: 089-2180-75-425
pbecker@med.uni-muenchen.de


Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl

Hirntumor besser behandeln mit Wirkstoff Sunitinib

Tumorzellen im Gehirn werden gezielt attackiert

Neurochirurgen des Universitätsklinikums Erlangen der Friedrich-Alexander-
Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben eine neue Funktion eines
Krebsmedikaments entdeckt. Bisher wird der Wirkstoff Sunitinib bei
Bindegewebstumoren im Verdauungstrakt, sogenannten gastrointestinalen
Karzinomen, und weit fortgeschrittenen Nierenkarzinomen eingesetzt.

Die Ärzte stellten nun fest, dass das Medikament auch bei Hirntumoren wirksam
ist. Ihre Ergebnisse haben sie kürzlich in dem Fachmagazin Cancer Science
veröffentlicht.*

Bösartige Tumoren können ab einer bestimmten Größe nicht mehr ausreichend
Sauerstoff und Nährstoffe aus dem umliegenden, gesunden Gewebe aufnehmen.
Um weiter wachsen und auch Metastasen bilden zu können, benötigen sie
eigene Blutgefäße. Der Wirkstoff Sunitinib – bekannt als Medikament unter
dem Handelsnamen Sutent – hemmt bei gastrointestinalen Karzinomen und
Nierenkarzinomen genau diese tumoreigene Bildung von neuen Blutgefäßen.

In der aktuellen Studie untersuchten die Ärzte um PD Dr. Nicolai Savaskan
von der Neurochirurgischen Klinik, ob das Medikament auch bei Hirntumoren
wirkt. Dabei zeigte sich, dass es für diese Gliome ein Zellgift ist und
die Tumorzellen abtötet. Das Arzneimittel attackiert die Rezeptoren, die
für die Bildung der Innenwände der tumoreigenen Blutgefäße verantwortlich
sind.

Darüber hinaus wiesen die Erlanger Forscher nach, dass Sunitinib
normale Hirnzellen verschont und zudem schützende Effekte auf Nervenzellen
ausübt.

Außerdem wirkt es bei der Chemotherapie mit Temozolomide
(Handelsname Temodal), die bei diesen Hirntumoren standardmäßig eingesetzt
wird, unterstützend.

* www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25458015

Medizin am Abend DirektKontakt

PD Dr. Nicolai Savaskan
Tel.: 09131/85-34626
nicolai.savaskan@uk-erlangen.de
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Blandina Mangelkramer,

Wandzellen der Blutgefäße steuern Metastasierung





Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der
Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg suchten nach
neuen Wegen, um bei Krebserkrankungen die Entstehung von Metastasen zu verhindern. Dazu kombinierten sie einen Antikörper gegen ein zentrales Steuerprotein der Blutgefäßzellen mit einer niedrigdosierten Chemotherapie. So behandelte Mäuse entwickelten weniger Metastasen und überlebten länger.

Die Kombinationstherapie wirkt gleich mehrfach gegen eine Ansiedlung von
Tochtergeschwülsten: Sie verhindert, dass Blutgefäße die neu entstehenden
Metastasen versorgen. Gleichzeitig reduziert sie die Anzahl bestimmter
Immunzellen, die die Ansiedlung von Krebszellen fördern.

Bei vielen Krebserkrankungen gilt der Patient nach chirurgischer
Entfernung des Tumors als krebsfrei. Doch bei einem großen Prozentsatz der
Kranken hat der Tumor zu diesem Zeitpunkt bereits Zellen ausgestreut.
Daher verordnen Ärzte im Anschluss an die Operation oft eine
Chemotherapie, die abgesiedelte Krebszellen bekämpfen soll. Doch da es
keine Methode gibt, diese gefährlichen Zellen direkt nachzuweisen, wissen
Ärzte nicht, welcher Patient tatsächlich von der belastenden Therapie
profitiert.

„Das ist ein großes Dilemma für viele Krebspatienten: Sollen sie sich für
eine hochdosierte Chemotherapie mit allen schweren Nebenwirkungen
entscheiden oder stattdessen ein höheres Risiko für Metastasen in Kauf
nehmen?“, fragt Professor Hellmut Augustin. Seine Arbeitsgruppe am
Deutschen Krebsforschungszentrum und der Medizinischen Fakultät Mannheim
der Universität Heidelberg sucht daher nach schonenderen Alternativen, um
die Entstehung von Tochtergeschwülsten zu unterdrücken.


Dabei setzen die Forscher auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die
eine weitaus aktivere Rolle der Wandzellen der Blutgefäße (Endothelzellen)
für das Tumorwachstum nahelegen, als dies bisher bekannt war. Tumorzellen
veranlassen Blutgefäße in ihrer Umgebung dazu, neue Kapillaren sprossen zu
lassen, die den Tumor versorgen und sein Wachstum ermöglichen. Dieser
„Angiogenese“ genannte Prozess wird bereits seit zehn Jahren therapeutisch
genutzt; Angiogenese-hemmende Medikamente sollen die Wirkung etablierter
Chemotherapeutika unterstützen.

Neuere Erkenntnisse zur Metastasierung weisen darauf hin, dass
Endothelzellen darüber hinaus selbst zahlreiche Faktoren produzieren, die
das Tumorwachstum fördern. Augustins Ansatz ist es daher, nicht nur die
Gefäßbildung in Tumoren zu unterdrücken, sondern gleichzeitig die
Produktion dieser Wachstumsfaktoren zu hemmen. In ihrer aktuellen Arbeit
haben die Wissenschaftler das Molekül Angiopoietin-2 ins Visier genommen.
Es wird von Endothelzellen gebildet und spielt eine zentrale Rolle bei der
Angiogenese.

Die Forscher übertrugen Brust- oder Lungenkrebszellen auf Mäuse, ließen
Tumoren heranwachsen und entfernten sie zu einem frühen Zeitpunkt
operativ. Um Metastasen vorzubeugen, erhielten die Tiere nach der
Operation verschiedene Arten der Chemotherapie sowie teilweise zusätzlich
einen blockierenden Antikörper gegen Angiopoietin-2. Während die
Chemotherapie allein nicht wirksam war, entwickelten mit dem
Angiopoietin-2-Antikörper behandelten Tiere deutlich weniger Metastasen in
Lunge und Knochen als ihre unbehandelten Artgenossen.

Gesteigert wurde dieser Effekt durch Kombination des Antikörpers mit einer
so genannten metronomen Chemotherapie: Dabei werden die zytostatischen
Substanzen niedrigdosiert dauerhaft verabreicht. Mäuse, die die
Kombinationstherapie erhielten, lebten länger als Tiere, die nur mit dem
Antikörper gegen Angiopoietin-2 behandelt wurden.

In anschließenden Gewebeanalysen untersuchten die Wissenschaftler, was die
Kombinationstherapie genau bewirkt. Dabei entdeckten sie, dass
Angiopoietin-2 nicht nur das Gefäßwachstum fördert, sondern darüber hinaus
auf die Endothelzellen zurückwirkt und sie dazu anregt, tumorfördernde
Makrophagen in die Umgebung der Krebszellen zu locken. Wurde
Angiopoietin-2 blockiert, wanderten deutlich weniger krebsfördernde
Immunzellen in die Tumorumgebung ein.

Die niedrigdosierte metronome Chemotherapie, die die Wirksamkeit des
Therapieansatzes weiter steigerte, richtet sich im Gegensatz zur
herkömmlichen Hochdosis-Chemotherapie nicht primär gegen die Tumorzellen
selbst, sondern verhindert, dass sich bestimmte Zellen aus dem Knochenmark
im Tumor ansiedeln, die ebenfalls das Tumorwachstum fördern.

„Mit unserer Kombinationstherapie gehen wir also von mehreren Seiten
gleichzeitig gegen die Ansiedlung von Metastasen vor: Zum einen drosseln
wir ihre Gefäßversorgung. Zum anderen verhindern wir, dass sich
tumorfördernde Makrophagen ansiedeln, die eine entzündliche Umgebung
schaffen und damit gewissermaßen den Boden für eine dauerhafte Ansiedlung
der Krebszellen bereiten“, erklärt Hellmut Augustin.

„Wir können natürlich nicht voraussagen, ob sich die Ergebnisse dieser
präklinischen Untersuchungen eins zu eins auf den Menschen übertragen
lassen“, betont der Wissenschaftler. „Aber wir haben bei unseren
Experimenten viel darüber gelernt, wie Metastasen entstehen. Das Wissen
wollen wir nun gezielt in eine klinische Anwendung übersetzen.“

Kshitij Srivastava, Junhao Hu, Claudia Korn, Soniya Savant, Martin
Teichert, Stephanie S. Kapel, Manfred Jugold, Eva Besemfelder, Markus
Thomas, Manolis Pasparakis und Hellmut G. Augustin: Postsurgical adjuvant
tumor therapy by combining anti-Angiopoietin-2 and metronomic chemotherapy
limits metastatic growth. Cancer Cell 2014, DOI
10.1016/j.ccell.2014.11.005

Legende: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Lungenmetastase:
Tumorzellen (grün) formen solide Tumorknoten, die in engem Kontakt mit
umgebenden Kapillaren (rot) stehen. Die wechselseitige Kommunikation
zwischen Tumorzellen und Endothelzellen ermöglicht das Wachstum von
Metastasen. Endothelzellen können das Tumorwachstum dabei aktiv fördern.

Quelle: Oliver Meckes (Eye of Science) / H. Augustin (DKFZ)

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass
Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen
Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt
werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und
interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem
Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für
Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende
Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im
Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der
sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ
Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die
Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen
Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die
Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land
Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-
Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

Medizin am Abend DirektKontakt

Dr. Stefanie Seltmann
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
T: +49 6221 42-2854
F: +49 6221 42-2968
E-Mail: S.Seltmann@dkfz.de

Dr. Sibylle Kohlstädt
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
T: +49 6221 42 2843
F: +49 6221 42 2968
E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de

www.dkfz.de