Immune-Narbe im Gehirn

 

Immun-Narbe“ Im Gehirn von COVID-19-Genesenen nachgewiesen

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Universitätsklinikum Freiburg, Johannes Faber, 29.07.

Neue Studie identifiziert anhaltende Aktivierung des angeborenen Immunsystems im Gehirn von COVID-19-Genesenen / Potentielle Bedeutung für langfristige neurologische Symptome von COVID-19 / Publikation in Acta Neuropathologica


Freiburger Forscher*innen haben wichtige Fortschritte im Verständnis der immunologischen Veränderungen im Gehirn von COVID-19-Genesenen gemacht. Im Gehirn von Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden haben, fanden sie Anzeichen einer anhaltenden Aktivierung des angeborenen Immunsystems, wie das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor am Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg jetzt zeigt. Diese Erkenntnisse, die am 25. Juli 2024 in Acta Neuropathologica veröffentlicht wurde, könnten entscheidend für die Entwicklung neuer Therapien für Patient*innen mit langfristigen neurologischen Symptomen nach COVID-19 sein.

Hirneigenes Immunsystem nach SARS-CoV-2-Infektion längerfristig gestört

Die Forscher*innen untersuchten die Gehirne von Personen, die an COVID-19 erkrankt, vollständig genesen und zu einem späteren Zeitpunkt an einer anderen Ursache verstorben waren. Bei diesen ermittelten sie immunologische Veränderungen im zentralen Nervensystem. Die Forscher*innen setzten dafür hochmoderne Methoden des maschinellen Lernens und eine räumliche Auflösung auf Einzelzell-Ebene ein. Das erlaubt ein deutlich besseres Verständnis der Funktion einzelner Zellen.

Im Vergleich zu ebenfalls untersuchten Personen ohne vorherige SARS-CoV-2-Infektion fanden die Forscher*innen in den Gehirnen von Genesenen zahlreiche sogenannte Mikrogliaknötchen. Diese charakteristischen Immun-Zellansammlungen weisen auf eine chronische Immunaktivierung hin, ähnlich einer Narbe, die nicht vollständig ausheilt. „Die Mikrogliaknötchen könnten eine zentrale Rolle bei den neurologischen Veränderungen spielen, die bei einigen Genesenen beobachtet werden“, erklärt Dr. Marius Schwabenland, Erstautor der Studie, Assistenzarzt am Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg und Clinician-Scientist im IMM-PACT- sowie im Berta-Ottenstein-Programm der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg.

Relevanz für langfristige neurologische Symptome

„Es ist gut möglich, dass die anhaltende Aktivierung des angeborenen Immunsystems im Gehirn zu den langfristigen neurologischen Beschwerden nach einer SARS-CoV-2-Infektion beiträgt. In einer früheren Studie hatten wir bereits Proben nach akuter SARS-CoV-2-Infektion untersucht und ähnliche, deutlich stärkere Veränderungen festgestellt“, erklärt Schwabenland.

Studienleiter Prinz betont: „Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, wie COVID-19 das Gehirn langfristig beeinflusst. Dies könnte uns helfen, gezielte Therapien zu entwickeln, die diese Immunreaktionen modulieren und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.“

Zukunftsperspektiven und weitere Forschung

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die zentrale Rolle, die fehlregulierte Immunreaktionen bei COVID-19 spielen können – nicht nur bei der akuten Infektion, sondern auch bei Langzeitfolgen wie Long-Covid“, betont Prof. Dr. Dr. Bertram Bengsch, Sektionsleiter an der Klinik für Innere Medizin II und Mitautor der Studie.

Die Untersuchung verschiedener Zelltypen des angeborenen und erworbenen Immunsystems und das Zusammenspiel dieser Zellen stellt einen vielversprechenden Ansatz für künftige Forschungsprojekte dar, die über COVID-19 hinausgehen. Ein besseres Verständnis dieser Prozesse könnte zu neuen diagnostischen und therapeutischen Ansätzen in der Behandlung von Patient*innen mit Infektions- oder Krebserkrankungen führen.

Prof. Dr. Marco Prinz
Institut für Neuropathologie
Universitätsklinikum Freiburg
Telefon: 0761 270-51060
marco.prinz@uniklinik-freiburg.de

Originalpublikation:
Originaltitel der Studie: High throughput spatial immune mapping reveals an innate immune
scar in post‑COVID‑19 brains
DOI: https://doi.org/10.1007/s00401-024-02770-6
Link zur Studie: https://link.springer.com/article/10.1007/s00401-024-02770-6

Prof. Dr. med. Andrea Bäßler: Das weibliche Geschlechtshormon Östrogen un die Raucherinnen

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Kardiologen fordern bessere Erforschung von Geschlechterunterschieden bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Die Unterschiede bei Frauen und Männern hinsichtlich des Risikos und der Ausprägung kardiovaskulärer Erkrankungen werden bisher zu wenig berücksichtigt. 

Die DGK fordert deshalb mehr genderspezifische Forschung. 

Ein erstes Positionspapier soll für diese Defizite sensibilisieren und auf die bestehenden Herausforderungen aufmerksam machen.

  • Die Symptome verschiedener Herz-Kreislauf-Erkrankungen können bei Männern und Frauen ganz unterschiedlich in Erscheinung treten. 

Auch gibt es Unterschiede in der Wirkung von Medikamenten. 

Dennoch werden geschlechterspezifische Faktoren in der Gesundheits- und Krankheitsforschung oftmals zu wenig berücksichtigt. 

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK) hat deshalb ihr erstes Positionspapier zur Gendermedizin mit Fokus auf kardiovaskuläre Erkrankungen veröffentlicht. 

Es soll Ärzt:innen und ihre Patient:innen auf die wissenschaftlich begründeten Unterschiede hinweisen und so zu einer bestmöglichen Versorgung beitragen.

Ein Herzinfarkt wird bei Frauen häufig verzögert erkannt

  • Die typischen Symptome eines Herzinfarkts wie starkes Enge- oder Druckgefühl in der Brust mit häufiger Ausstrahlung in den linken Arm finden sich typischerweise bei Männern. 
  • Bei Frauen sind diese seltener, außerdem weisen sie häufiger unspezifische und vielfältigere Symptome auf.

„Oft ist der Brustschmerz schwächer ausgeprägt und das Ausstrahlen in den linken Arm kann auch ausbleiben“, bemerkt Prof. Dr. med. Andrea Bäßler, Sprecherin der AG28 „Gendermedizin in der Kardiologie“ der DGK. 

  • „Stattdessen berichten betroffene Frauen eher von Kurzatmigkeit, 
  • geringerer Belastbarkeit, 
  • Schmerzen in Oberbauch und Rücken,
  • sowie von vegetativen Veränderungen wie Übelkeit, 
  • wie Erbrechen, 
  • wie Schweißausbruch.“

CAVE: Dies führe häufig dazu, dass Frauen aber auch Ärzte die Hinweise fehldeuten und beispielsweise an eine Magenverstimmung denken. 

So kann es selbst in der Notaufnahme im Krankenhaus zu Fehldeutungen durch das Fachpersonal kommen. 

Der gefährliche Herzinfarkt kann dann spät oder möglicherweise gar nicht diagnostiziert werden und gelegentlich unbehandelt bleiben.

Rauchen ist für Frauen riskanter, intensiver Sport hingegen nicht

Nikotinkonsum schadet allen Menschen. Für Frauen ist das damit verbundene Risiko für einen Herzinfarkt aber höher als für Männer. 

Während männliche Raucher ein durchschnittlich 1,43-mal höheres Risiko für einen Herzinfarkt haben als Nichtraucher, ist das durchschnittliche Risiko für Raucherinnen 2,24-mal höher. 

Zudem reduziert Nikotin die Aktivität des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen und vermindert die Prolaktinsekretion, wodurch die Menopause ein bis vier Jahre früher eintreten kann und das kardiovaskuläre Folgerisiko erhöht wird.

Dafür haben Frauen ein deutlich geringeres Risiko beim intensiven Sporttreiben: 

Athletinnen erleiden beim Leistungssport seltener maligne Rhythmusstörungen oder einen plötzlichen Herztod.

Leitlinien berücksichtigen Geschlechterunterschiede aufgrund fehlender Datenlage wenig

Beide Geschlechter haben im mittleren Alter ein ähnliches Risiko für Bluthochdruck (Männer: 34% vs. Frauen: 32%). 

Frauen haben im Alter jedoch öfter bluthochdruckabhängige Erkrankungen. 

Bei Frauen geht der Anstieg des arteriellen Blutdrucks ab dem 30. Lebensjahr nämlich schneller voran und beschleunigt sich nach der Menopause abermals. 

Zudem weisen Studien darauf hin, dass Frauen im Vergleich zu Männern schon bei niedrigeren Blutdruckwerten ein höheres Risiko für Herzschwäche und Schlaganfall haben. 

Auch sprechen Männer und Frauen auf blutdrucksenkende Mittel unterschiedlich an, was das Risiko für Nebenwirkungen beeinflusst.

Da es allerdings an randomisierten Studiendaten fehlt, finden diese Unterschiede in den europäischen Leitlinien zum Management der arteriellen Hypertonie bislang keine Beachtung.

Angemessenes Verhältnis beider biologischer Geschlechter in Forschung notwendig

Diese Informationslücken basieren zum Großteil darauf, dass Frauen in wissenschaftlichen Studien aus unterschiedlichen Gründen unterrepräsentiert sind. 

„Umso wichtiger ist es, ab sofort beim Einschluss von Patienten in klinischen Studien ein angemessenes Verhältnis beider biologischer Geschlechter anzustreben, das in Relation zur Häufigkeit der Erkrankung bei Frauen und Männern steht“, so Bäßler. 

„Nur so können wir wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse erlangen, um zukünftig eine optimale Versorgung sowohl von Männern als auch Frauen sicherzustellen“. 

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Prof. Dr. Andrea Bäßler, Universitätsklinikum Regensburg
Tel: 0941 9447230
E-Mail: andrea.baessler@ukr.de

Michael Böhm Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung e.V.

Originalpublikation:

https://doi.org/10.1007/s12181-024-00694-9

Sehn und Hören

 

Studie unter UHH-Beteiligung: Seh- und Hörprobleme bleiben bei Menschen in Behinderteneinrichtungen oft unerkannt

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Seh- und Hörbeeinträchtigungen treten bei Menschen mit komplexer Behinderung häufig auf und bleiben oftmals unerkannt. Das bestätigt eine Untersuchung der Universität Hamburg mit der Blindeninstitutsstiftung, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg mit Personen in bayerischen Wohneinrichtungen für erwachsene Menschen. Die Studie zeigt auch, wie die Teilhabe im Alltag verbessert werden kann.


Als Teil des Forschungsvorhabens „Sehen und Hören bei Menschen mit geistiger bzw. komplexer Behinderung in Bayern“ wurde das Hamburger Projekt an der Fakultät für Erziehungswissenschaft von Prof. Dr. Sven Degenhardt und Dr. Marie-Luise Schütt geleitet und von Dr. Stefanie Holzapfel federführend umgesetzt. In ihrer Untersuchung, die gemeinsam mit einem Forschungsteam der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt wurde, standen die Rahmenbedingungen in den Wohnangeboten der Behindertenhilfe im Fokus. Dafür wurden 19 Wohneinrichtungen in Bayern besucht.

„Es hat sich herausgestellt, dass Barrierefreiheit in Bezug auf Sehen und Hören oft nicht mitgedacht wird“, erklärt Dr. Marie-Luise Schütt, die Koordinatorin barrierefreier Bildungsprozesse in Schule und Hochschule am Zentrum für Lehrkräftebildung Hamburg ist. So sei nur selten sowohl auf gute Beleuchtung als auch auf gute Akustik geachtet worden. Und insbesondere eine gemeinsame Betrachtung von spezifischen Barrieren in den Bereichen Sehen und Hören habe selten stattgefunden. „Wir konnten bei unseren Besuchen zudem beobachten, dass Hörbeeinträchtigungen leichter übersehen werden als Sehbeeinträchtigung und es bei den Mitarbeitenden der Einrichtungen einen hohen Bedarf an Schulungen in diesem Bereich gibt“, so Schütt.

Wie wichtig es ist, Seh- und Hörprobleme bei Bewohnerinnen und Bewohnern von Behinderteneinrichtungen richtig zu erkennen, und welches Potenzial für Teilhabe in gezielten Maßnahmen liegt, unterstreicht der zweite Teil der Studie: An der Pädagogischen Hochschule Heidelberg wurden Daten zum Seh- und Hörvermögen von Bewohnerinnen und Bewohnern aus 13 unterfränkischen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung erhoben, wobei diese keinen Schwerpunkt auf Sinnesbehinderungen hatten.

Die Mitarbeitenden der Einrichtungen gaben Auskunft über das beobachtete Seh- und Hörverhalten der bei ihnen lebenden komplex beeinträchtigten Menschen. Gleichzeitig wurde eine Erhebung am Medizinischen Zentrum für erwachsene Menschen mit komplexer Behinderung (MZEB) durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen: 88 Prozent der Personen haben eine Sehbeeinträchtigung, die in rund 40 Prozent der Fälle vor der Untersuchung im MZEB nicht bekannt war. 72 Prozent der Personen hatten eine Beeinträchtigung des Hörvermögens, von denen es bei 69 Prozent nicht bekannt war. 63 Prozent der Personen hatten sowohl eine Seh- als auch eine Hörbeeinträchtigung.

„Wenn übersehen wird, dass komplex behinderte Menschen nur wenig oder gar nichts sehen oder hören, hat das große Auswirkungen auf deren Selbstbestimmung im Alltag und die Teilhabe in allen Lebensbereichen“, sagt Johannes Spielmann, Vorstand der Blindeninstitutsstiftung, „denn eine zusätzliche Sinnesbehinderung erfordert ein ganz anderes, barrierefreies Setting und vor allem entsprechende Kenntnisse der begleitenden Fachkräfte.“

Als Ergebnis des dreijährigen Gesamtprojektes, das vom Bayerischen Gesundheitsministerium mit 420.000 Euro gefördert wurde, haben die Forschenden aus den Ergebnissen der Studie daher konkrete Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet, die in einer Broschüre veröffentlicht wurden. Mitarbeitende erhalten praxisnahe Tipps, wie das gemeinsame Miteinander im Wohnalltag gestaltet werden kann. Die Broschüre „Sehen und Hören mitdenken“ steht als barrierefreie Version auf der Website der Blindeninstitutsstiftung kostenlos zum Herunterladen zur Verfügung: www.blindeninstitut.de/suhb

Dr. Marie-Luise Schütt
Universität Hamburg
Koordinatorin für barrierefreie Bildungsprozesse in Schule und Hochschule
Zentrum für Lehrkräftebildung Hamburg (ZLH)
Tel.: +49 40 42838-9171
E-Mail: marie-luise.schuett@uni-hamburg.de

Beatmung

 

Neue S3-Leitlinie „Nichtinvasive Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz“ veröffentlicht

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Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP)

Die neue S3-Leitlinie „Nichtinvasive Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz“, unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) entstanden, ist ab sofort bei der AWMF veröffentlicht. Sie ersetzt die bekannte S2k-Leitlinienversion für invasive und nichtinvasive Therapien. „Beide Bereiche haben sich in den vergangenen Jahren so dynamisch und unterschiedlich entwickelt, dass wir uns nun für eine wissenschaftliche, differenziertere Aufteilung in jeweils eigene Leitlinien entschieden haben”, erklärt Leitlinienkoordinatorin Privatdozentin Dr. Sarah Stanzel, Fachärztin in der Lungenklinik an den Kliniken der Stadt Köln.


Die nun veröffentlichte Leitlinie zur nichtinvasiven Therapie konnte durch ihre große Evidenz als S3 klassifiziert werden. Die Empfehlungen zu invasiven Behandlungsmöglichkeiten befinden sich noch in Bearbeitung und sollen bei Fertigstellung als eigenständige S2k-Leitlinie publiziert werden.

Ein großer Unterschied zur früheren Leitlinienversion: „Die Grenzwerte für eine Indikation zur nichtinvasiven Beatmung bei verschiedenen Krankheitsbildern wurden an die bestehende Evidenz angepasst”, erklärt Koordinatorin Stanzel. Ihr besonderes Augenmerk galt zudem der Vermeidung widersprüchlicher Aussagen: „Es gibt kaum etwas Schlimmeres in Leitlinien, als Widersprüche”, betont die junge Expertin. Konsequent werde deshalb an entsprechenden Textstellen auf themenverwandte Leitlinien verwiesen, etwa zum prolongierten Weaning, der Sauerstofflangzeittherapie oder hin zu schlafbezogenen Atemstörungen – ohne selbst auf diese Themenblöcke im Detail einzugehen. Neu in der Leitlinie ist auch die Diskussion rund um ambulante oder stationäre Versorgungsstrukturen.

Auch trägt das Autoren-Team der Entwicklung hin zu immer mehr adipösen Patienten Rechnung, indem das Kapitel zum Obesitas-Hypoventilationssyndrom stark überarbeitet wurde. Ein komplett neues Kapitel zum prolongierten Weaning ist hinzugekommen, wie auch eines rund um ethische Fragen, um Antworten geben zu können, wie eine Therapie mit gutem Gewissen auch beendet werden kann. „Für unsere chronisch schwerkranken Patienten ist das eine ganz wichtige und auch sehr schwierige Frage: Wann endet eine Therapie-Bemühung?”, weiß Privatdozent Dr. Stephan Walterspacher, der für die DGP bereits zum dritten Mal an der Leitlinien-Überarbeitung als Senior-Koordinator mitwirkte. „Auf ein gut begleitetes Sterben müssen wir in Zukunft noch viel Augenmerk legen“, mahnt der erfahrene Pneumologe.

Interaktive Flowcharts und Kitteltaschen-Version zur besseren Anwendbarkeit

Derzeit wird zudem eine Kitteltaschen-Version der Leitlinie fertiggestellt. Auch digitale Flowcharts mit klaren Anweisungen für die Behandler sind in der Entwicklung, um ein schnelles Durchklicken zur gewünschten Information zu ermöglichen. „In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der beatmeten Patienten verdoppelt – auf zuletzt rund 17.000 neu eingeleitete Beatmungen im Jahr“, sagt Sarah Stanzel. „Wir wünschen uns deshalb möglichst nicht nur die Spezialisten für chronische respiratorische Insuffizienz zu erreichen, sondern möchten alle medizinischen Kollegen befähigen, betroffene Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen ”, ergänzt Walterspacher.

In Kürze: komplette S3-Leitlinie als englische Übersetzung verfügbar

Entsprechend wird die neue S3-Leitline auch in Kürze komplett als englische Version publizieren werden, um international wahrnehmbar und zitierfähig zu sein. Denn die DGP ist überzeugt, derzeit im Vergleich ein einzigartiges wissenschaftliches Evidenz-Niveau für die nichtinvasive Beatmung bei chronischer respiratorischer Insuffizienz erreicht zu haben. „Diese Leitlinie ist für uns Pneumologen und Beatmungsmediziner extrem wichtig und wird Vieles in Bewegung setzen“, kommentiert DGP-Präsident Prof. Wolfram Windisch. „Eine Pflichtlektüre!“

Originalpublikation:
https://www.awmf.org/service/awmf-aktuell/nichtinvasive-beatmung-als-therapie-de...

Chronische Nierenerkrankungen - CKD

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Chronische Nierenkrankheit (CKD): Sex- und Gender-spezifische Einflüsse immer mitdenken

Frauen mit einer chronischen Nierenkrankheit (CKD) erhalten eine schlechtere medizinische Versorgung als Männer: 

weniger Früherkennung, 

weniger Medikamente,

weniger Dialysen. 

Dies zeigen aktuelle klinische Studien (1, 2). 

Für diese Unterschiede sei nicht allein das verschiedene biologische Geschlecht ausschlaggebend. 

Vielmehr stünden hier Genderaspekte wie Unterschiede in Wahrnehmung und Umgang mit Erkrankungen im Zentrum, sagt die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e. V. (DGfN).

In Europa und den USA leiden etwa 10 bis 15 % der erwachsenen Bevölkerung an chronischer Nierenerkrankung (CKD) (1). 

Die CKD ist eine schwere Erkrankung, bei der die Nierenfunktion immer weiter abnimmt. 

Im Endstadium (G5) hat die Niere ihre Funktion unwiederbringlich verloren, Betroffene sind dann auf eine regelmäßige Blutreinigung per Dialyse oder eine Nierentransplantation angewiesen.  

  • Auslöser einer CKD können Infekte, regelmäßige Einnahme von bestimmten Schmerzmedikationen (sogenannte NSAR), Autoimmunerkrankungen, eine genetische Veranlagung und vor allem Diabetes mellitus und Bluthochdruck sein. 

„Zur Früherkennung und Behandlung gehören regelmäßige Untersuchungen etwa auf das Protein Albumin im Urin, die Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate (eGFR) sowie eine stadiengerechte adäquate medikamentöse Therapie“, sagt Professor Dr. med. Julia Weinmann-Menke, der DGfN.

„Wir sehen derzeit mehr Frauen als Männer mit erniedrigter Nierenfunktion“, erklärt Weinmann-Menke, die Leiterin der Klinik für Nephrologie, Rheumatologie und Nierentransplantation (NTX) und der SLE-Ambulanz am Universitätsklinikum Mainz ist. 

Dennoch erhalten an einer CKD erkrankte Frauen eine schlechtere Versorgung als Männer, wie eine schwedische Studie zeigen konnte (4). 

Von der Diagnostik über die fachspezifische Betreuung bis hin zur medikamentösen Therapie deckte die Untersuchung deutliche Defizite in der Behandlung von CKD-betroffenen Frauen im Vergleich zu Männern auf. 

„Besonders bedenklich ist, dass die Versorgung von Frauen über einen 18-monatigen Nachbeobachtungszeitraum hinsichtlich nahezu aller Versorgungsmaßnahmen schlechter ausfiel als bei Männern“, so die Nieren-Expertin. 

So war bei ihnen die Wahrscheinlichkeit geringer, dass wichtige Marker von Nierengesundheit bestimmt wurden, selbst wenn Risikofaktoren wie Diabetes oder Hypertonie vorlagen. 

Diese Unterschiede traten auch bei Frauen mit bestätigter CKD bei der Wiederholungsuntersuchung auf. Zudem erhielten Frauen in der genannten Studie seltener eine Behandlung mit adäquaten Medikamenten wie RAS-Hemmern und Statinen.

Über diesen Missstand berichtete auch eine große kanadische Studie mit über 46.000 CKD-Patientinnen und -Patienten. Die Untersuchung des Canadian Primary Care Sentinel Surveillance Network (CPCSSN) zeigte, dass chronisch nierenerkrankte Männer häufiger eine leitliniengerechte Therapie erhalten als Frauen (5). „Bis Betroffene endlich die richtige Diagnose und dann auch eine leitliniengerechte Therapie erhalten, haben die Nieren möglicherweise schon teilweise ihre Funktion verloren“, gibt Weinmann-Menke zu bedenken. Schon länger sei bekannt, dass für Frauen die Gefahr eines verspäteten Dialysebeginns und damit einhergehend das Sterblichkeitsrisiko vor Dialysebeginn höher ist als bei Männern (6).

Gendersensibilität: bei CKD überlebenswichtig

Diese Unterschiede ließen sich nicht allein mit dem verschiedenen biologischen Geschlecht (englisch: „sex") erklären, so Weinmann-Menke. „Ausschlaggebend sind Gender-Aspekte, also vor allem soziale Faktoren, die das Verhalten von Patientinnen und Patienten sowie das der behandelnden Ärzteschaft beeinflussen.“

Körperliche Beschwerden von Frauen würden häufiger als bei Männern als psychische Signale gedeutet und entsprechend anders behandelt, nennt Weinmann-Menke ein Beispiel. 

Auch das Geschlecht der Behandelnden selbst spiele eine Rolle.

Es gebe zu wenig Wissen und Awareness im Hinblick auf geschlechtssensible Medizin, kritisiert sie. In klinischen Studien etwa würden auch heute noch die Ergebnisse zu selten nach geschlechtsspezifischen Aspekten analysiert. Zudem waren früher Frauen häufig von vorneherein aus den Probandenkollektiven ausgeschlossen. Viele der damals getesteten Medikamente sind aber heute noch im klinischen Einsatz. „Wenn das biologische Geschlecht bei der Betrachtung von Krankheiten nicht einfließt, wird der Einfluss bei ‚typisch männlichen' Krankheiten unterschätzt und bei Krankheiten, die häufiger bei Frauen auftreten, überschätzt“, stellt die Mainzer Expertin fest. Gleichzeitig empfiehlt auch die internationale KIDIGO-Leitlinie (3), dass Sex- und Gender-spezifische Einflüsse bei Diagnostik, Therapie und Prognose berücksichtigt werden sollten. Hierzu zählen sowohl Geschlechts(sex)-abhängige Unterschiede in Genetik, Physiologie, Immunologie und Anatomie als auch Gender-Unterschiede (Identität, Rollenverhältnisse, Beziehungen).

Umdenken für eine bessere Versorgung aller Nierenerkrankten

Die Anwendung von sogenannten Gender Scores könnte helfen, den Einfluss von kulturellen, gesellschaftlichen und psychologischen Faktoren auf die Versorgung nicht nur von CKD-Patienten zu erkennen, so Weinmann-Menke weiter. „Die Erfassung des biologischen Geschlechts gehört deshalb in die klinische Routine und in prospektive Studien“, betont auch Dr. med. Nicole Helmbold, Generalsekretärin der DGfN. „Die Zahl der Menschen mit CKD wird in den nächsten Jahren weltweit und in Deutschland stark zunehmen (7, 8).“ Umso wichtiger sei es, jetzt alle Potenziale bezüglich Prävention, Früherkennung und Therapie auszuschöpfen und den Wissensstand durch eigene Daten und Forschungsvorhaben in Deutschland zu verbessern. „Daher setzen wir uns für die Einrichtung eines Deutschen Zentrums für Nierengesundheit ein. Hierunter ist ein Forschungsnetzwerk zu verstehen, das die Forschung - auch zu diesem Thema - weiter vorantreibt“, so Helmbold.

Quellen:

(1) Stracke, S., Töpfer, P., Ittermann, T. et al. Geschlechtsunterschiede in der ambulanten Versorgung von Menschen mit chronischer Nierenkrankheit. Nephrologie 19, 34–40 (2024). https://doi.org/10.1007/s11560-023-00698-8

(2) Lösment, A., Kuhlmann, M.K. Geschlechtsspezifische Aspekte bei Dialysepatient:innen. Nephrologie 19, 28–33 (2024). https://doi.org/10.1007/s11560-023-00697-9

(3) KDIGO 2024, Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease, Volume 1045,|Ussue 4S, April 2024.https://kdigo.org/wp-content/uploads/2024/03/KDIGO-2024-CKD-Guideline.pdf

(4) Swartling O, Yang Y, Clase CM et al. (2022) Sex differences in the recognition, monitoring, and management of CKD in health care: an observational cohort study. Journal of the American Society of Nephrology 33:1903-1914

(5) Bello AK, Ronksley PE, Tangri N et al. (2019) Quality of chronic kidney disease management in Canadian primary care. JAMA network open 2:e1910704-e1910704

(6) Hecking M, Bieber BA, Ethier J, Kautzky-Willer A, Sunder-Plassmann G, Säemann MD, Ramirez SP, Gillespie BW, Pisoni RL, Robinson BM, Port FK. Sex-specific differences in hemodialysis prevalence and practices and the male-to-female mortality rate: the Dialysis Outcomes and Practice Patterns Study (DOPPS). PLoS Med. 2014 Oct 28;11(10):e1001750. doi: 10.1371/journal.pmed.1001750. PMID: 25350533; PMCID: PMC4211675

(7) Kovesdy CP: Epidemiology of chronic kidney disease: an update 2022. Kidney Int Suppl (2011) 2022; 12: 7–11 https://doi.org/10.1016/j.kisu.2021.11.003

(8) Foreman KJ, Marquez N, Dolgert A, et al.: Forecasting life expectancy, years of life lost, and all-cause and cause-specific mortality for 250 causes of death: reference and alternative scenarios for 2016–40 for 195 countries and territories. Lancet 2018; 392: 2052–90 DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)316

Terminhinweis:

16. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e. V. (DGfN)
Motto: „Neue Nephrologie“

Termin: 26. – 29. September 2024
Ort: ECC Berlin (Estrel Congress Center)
Adresse: Sonnenallee 225, 12057 Berlin
www.nephrologie-kongress.de 

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Adelheid Liebendörfer Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN)

Deutschland
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Adelheid Liebendörfer
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Schlaganfall Therapie

 

Publikation in The Lancet: Colchicin senkt das Risiko für einen erneuten Schlaganfall

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Dr. Milena Hänisch

Einem Schlaganfall folgt oft der zweite. Deshalb läuft weltweit die Suche nach Behandlungen, die ein Wiederauftreten von Schlaganfällen verhindern - idealerweise so günstig und wirksam, dass sie auch in ärmeren Ländern zur Vorsorge eingesetzt werden kann. Ein internationales Forschungsteam, an dem auch Wissenschaftler:innen der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen (UDE) beteiligt waren, hat nun die Ergebnisse der weltweiten CONVINCE*-Studie in „The Lancet“ veröffentlicht. In dieser Langzeitstudie wurde das Medikament Colchicin an über 3.000 Patient:innen untersucht.


Die Forschenden wollten wissen, ob das bereits für andere Erkrankungen zugelassene Medikament geeignet ist, um erneute Schlaganfälle zu verhindern.

Colchicin wird seit Langem bei Gicht und anderen Gelenkerkrankungen eingesetzt, wirkt aber auch als Prophylaxe bei koronarer Herzkrankheit. Kann es bei einer Langzeitbehandlung auch das Risiko für einen erneuten Schlaganfall nach einem Hirninfarkt reduzieren?

Zusätzlich zur normalen Weiterbehandlung nach einem Schlaganfall erhielt die Hälfte der Studienteilnehmer:innen täglich eine niedrige Dosis von 500 µg Colchicin. „Wir konnten beobachten, dass bei Patient:innen, die Colchicin eingenommen haben, seltener vaskuläre Erkrankungen auftraten, also Durchblutungsstörungen, die beispielsweise Schlaganfälle und Herzinfarkte auslösen“, so Bernadette Schröder vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (IMIBE) der Universität Duisburg-Essen. Ein erster Erfolg auf dem die Wissenschaftler:innen aufbauen. „Zusätzlich haben wir eine Meta-Analyse der bisher verfügbaren Studie durchgeführt. Unsere Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass Colchicin nach einem Schlaganfall entzündungshemmend wirkt“, so Prof. Christian Weimar, Neurologe am IMIBE.

*CONVINCE (Akronym für COlchicine for prevention of Vascular Inflammation in Non-CardioEmbolic stroke) wird vom Health Research Board Stroke Clinical Trials Network in Irland finanziert und von Prof. Peter Kelly (Mater Misericordiae University Hospital, aus Dublin) koordiniert. Die deutsche Teilstudie machte eine Förderung von 1,9 Millionen Euro durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft möglich. Projektleiter der DFG-Studie waren Prof. Dr. Karl-Heinz Jöckel und Prof. Dr. Christian Weimar, beide IMIBE.

Originalpublikation:
https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)00968-1/abstr...

Schweren Covid Verlauf

 

Große genetische Studie zu schwerem Covid-Verlauf

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Ob man schwer an COVID-19 erkrankt oder nicht, hängt unter anderem auch von genetischen Faktoren ab. Unter diesem Aspekt untersuchten Forschende des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn in Kooperation mit weiteren Forschungsteams aus Deutschland, Niederlande, Spanien und Italien eine besonders große Gruppe betroffener Personen. Sie bestätigten die zentrale, und schon bekannte Rolle des Gens TLR7 bei schweren Verläufen in Männern, konnten aber auch Hinweise für einen Beitrag des Gens in Frauen finden. Darüber hinaus konnten sie zeigen, dass genetische Veränderungen in drei weiteren Genen des angeborenen Immunsystems einen Beitrag zu schwerem COVID-19 leisten.


Die Ergebnisse sind jetzt im Journal „Human Genetics and Genomics Advances“ veröffentlicht.

Auch wenn die Zahl der schweren Verläufe nach einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 zurückgegangen ist, gibt es noch ein großes Interesse daran zu verstehen, warum in der Hochphase der Corona-Pandemie die Infektion bei einigen Personen schwerwiegend verlaufen ist, bei anderen aber nicht. „Das ist wichtig, weil wir so Informationen über die Funktion und Reaktion des Immunsystems bei Erstkontakt mit einem Erreger erhalten. Wenn wir besser verstehen, wie schwere Krankheitsverläufe entstehen, können wir Risikopersonen identifizieren und besser schützen oder gezielte Therapien entwickeln. Wir gehen davon aus, dass sich die Erkenntnisse zumindest zum Teil auf zukünftige Pandemien übertragen lassen.“, sagt Korrespondenzautorin Prof. Kerstin Ludwig vom Institut für Humangenetik des UKB, die auch Mitglied des Exzellenzclusters ImmunoSenstation2 und des Transdisziplinaren Forschungsbereich (TRA) „Life and Health“ der Universität Bonn ist.

Neben vielen möglichen Gründen wie erhöhtes Alter oder Vorerkrankungen können bei einigen Personen die eigenen Erbanlagen einen schweren Verlauf verursachen. Frühe Arbeiten in der Pandemie hatten bereits betroffene Gene identifiziert, wobei die meisten davon an der angeborenen Immunabwehr beteiligt sind. Das Gen mit der bisher stärksten Evidenz ist das Gen TLR7, welches bereits im Sommer 2020 in zwei niederländischen Brüderpaaren mit schweren Verläufen als Krankheitsursache identifiziert wurde. Es war bisher aber noch nicht bekannt, inwieweit die Wirkung von genetischen Veränderungen in TLR7 unabhängig von anderen nicht-genetischen Risikofaktoren ist, und ob es noch weitere Gene gibt, in denen so genannte Mutationen das Risiko für schweres COVID deutlich erhöhen.

Erhöhtes Risiko für schweren Covid-Verlauf liegt neben TLR7 in drei weiteren Genen

In der jetzt veröffentlichten Studie schaute sich eine internationale Forschungsgruppe um Prof. Ludwig die Gensequenzen von 52 Kandidaten-Genen, darunter auch TLR7, in einer vergleichsweise großen Patientenstichprobe an. Über Kooperationen mit verschiedenen europäischen Gruppen erhielten die Bonner Forschenden Zugang zu DNA-Material von 1.772 Personen mit schweren COVID-19-Verläufen und 5.347 Kontrollpersonen mit unbekanntem SARS-CoV-2-Status aus Spanien und Italien – also aus Regionen, wo besonders zu Beginn der Pandemie eine sehr hohe Inzidenz sowie eine hohe Sterblichkeit zu beobachten war. Alle Betroffenen waren in der Zeit infiziert, in der es noch keine Impfungen gab – diese Personen hatten also noch keinen Immunschutz und waren dem Virus somit quasi „unvorbereitet“ ausgesetzt.

In dieser großen Personengruppe waren Mutationen, die das TLR7-Gen funktionsunfähig machen, tatsächlich deutlich häufiger in schwer betroffenen COVID-19 Patienten zu beobachten als in der Kontrollgruppe. „Diese ‘Anreicherung’ war noch stärker, als nur diejenigen Betroffenen betrachtet wurden, die aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustandes eigentlich kein großes Risiko für einen schweren Verlauf gehabt hätten. Das bedeutet, dass bestimmte Mutationen in diesem Gen das Risiko für einen schweren Verlauf deutlich erhöhen“, sagt Erstautor und Doktorand am Bonner Institut für Humangenetik Jannik Boos, der das Projekt federführend bearbeitet hat. Neben TLR7 konnten die Bonner Forschenden noch in den drei weiteren Genen TBK1, INFAR1 und IFIH1 Mutationen in der Gruppe der schwerbetroffenen Personen identifizieren.

Geschlechtsspezifische Unterschiede bei COVID-19-Verlauf aufgrund Erbanlagen?

Bei TLR7 schauten die Bonner Forschenden dann noch etwas genauer hin und fanden etwas Interessantes: Das Gen TLR7 liegt auf dem X-Chromosom, von denen Männer nur eine Kopie haben, Frauen aber zwei. „Wenn also auf einer Kopie ein Funktionsverlust von TLR7 vorliegt, haben Männer kein funktionierendes Gen mehr – Frauen dagegen immer noch eine gesunde Kopie, also somit zumindest ein bisschen funktionierendes TLR7. Daher war es für uns überraschend, dass wir auch bei Frauen mit schweren COVID-19 Verläufen häufiger TLR7 Mutationen fanden“, sagt Dr. Axel Schmidt, der am Institut für Humangenetik sowie in der Abteilung für Neuropädiatrie am UKB als Assistenzarzt tätig ist und mit Prof. Ludwig die Studie leitete. Gemeinsam mit dem Team um Prof. Alexander Hoischen vom Universitätsklinikum Radboudumc in den Niederlanden fanden die Bonner Forschenden erste Hinweise dafür, dass die Art der genetischen Veränderungen bei Frauen anders ist: Während bei Männern die Mutationen zum Fehlen von TLR7 führen, scheinen bei Frauen die „kaputten“ TLR7-Versionen mit den „gesunden“ Kopien zu interagieren und somit diese auch in ihrer Funktion zu beeinflussen. „Wir gehen davon aus, dass TLR7 auch bei Frauen mit schwerem COVID beeinträchtigt sein kann, vermutlich aber über einen anderen biologischen Mechanismus“, sagt Ludwig, die nun in Zusammenarbeit mit Gruppen des Immunosensation2-Clusters klären will, ob diese Hypothese stimmt und, wenn ja, was die Auswirkungen dieses Mechanismus auf das Immunsystem sind.

Beteiligte Institutionen
Neben dem Universitätsklinikum Bonn und der Universität Bonn waren unter anderem das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, die Humanitas Universität Mailand (Italien) und das Universitätsklinikum Radboudumc (Niederlande) zentral beteiligt.

Förderung:
Die Durchführung der Studie wurde durch die NGS Core Facility des UKB und das BONFOR-Programm der Medizinischen Fakultät unterstützt.

Publikation: Jannik Boos et al.: Stratified analyses refine association between TLR7 rare variants and severe COVID-19; HGG Advances; DOI: https://doi.org/10.1016/j.xhgg.2024.10032

Dr. Inka Väth
Universitätsklinikum Bonn (UKB) am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: (+49) 228 287-10596
E-Mail: inka.vaeth@ukbonn.de

Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB finden pro Jahr etwa 500.000 Behandlungen von Patient*innen statt, es sind ca. 9.500 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,8 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW und weist den zweithöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB 2022 und 2023 als Deutschland begehrtesten Arbeitgeber und Ausbildungs-Champion unter den öffentlichen Krankenhäusern in Deutschland ausgezeichnet.

Prof. Kerstin U. Ludwig
Institut für Humangenetik
Universitätsklinikum Bonn
ImmunoSenstation2 & TRA „Life and Health“, Universität Bonn
Tel. 0228/6885420
E-Mail: kerstin.ludwig@uni-bonn.de

Originalpublikation:
Jannik Boos et al.: Stratified analyses refine association between TLR7 rare variants and severe COVID-19; HGG Advances; DOI: 0.1016/j.xhgg.2024.100323

Reiseimpfungen für Rheuma Patienten

 

Gut geschützt auf Reisen Reiseimpfungen: Was Rheuma-Betroffene beachten sollten

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Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie e.V., Anna Julia Voormann, 

Dank neuer Therapien in der Rheumatologie können immer mehr Menschen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ohne Einschränkungen Fernreisen unternehmen und müssen nicht auf bestimmte Urlaubsziele verzichten. Wichtig ist, neben einem gut geplanten Aufenthalt am Zielort, jedoch eine umfassende fachliche Reiseberatung zu erforderlichen Schutzimpfungen. Experten der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie e. V. (DGRh) erklären, worauf geachtet werden sollte.


Nach dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) sind rund 1,5 bis 2,1 Millionen Erwachsene in Deutschland von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen betroffen. Sie zählen aus infektiologischer Sicht zu einer Risikogruppe. Bereits das Autoimmungeschehen, das der Erkrankung zugrunde liegt, macht sie anfälliger für Infektionskrankheiten, hinzu kommt die immunmodulierende Medikation. „Manche Rheuma-Medikamente hindern das Immunsystem auch daran, effektiv und dauerhaft auf eine Impfung zu reagieren“, erklärt Dr. med. Ioana Andreica, Rheumatologin am Rheumazentrum Ruhrgebiet in Herne. „Diese begrenzte Wirksamkeit, auch bei Erstimpfungen, sollte mit den Patient:innen besprochen werden." Wann und mit welchem Erfolg geimpft werden kann, hängt von der Art und Dosierung der Medikation ab, sowie von der Aktivität der entzündlich-rheumatischen Erkrankung . Generell gilt:
• Es sollte nicht in einen Krankheitsschub „hineingeimpft“ werden.
• Totimpfstoffe sind grundsätzlich sicher. Allerdings kann der Impfschutz schwächer ausfallen.
• Unter Immunsuppression sollten Lebendimpfstoffe möglichst vermieden werden.
• Als nicht immunsuppressiv gelten zum Beispiel Hydroxychloroquin, Sulfasalazin und Apremilast.
• Als immunsuppressiv gelten einige Biologika wie beispielsweise TNF-Blocker, Abatacept oder Rituximab. Auch hochdosierte Glukokortikoide, Azathioprin und hochdosiertes Methotrexat, sowie Kombinationstherapien dämpfen die Immunantwort.
• Impfungen sollten idealerweise vor einem Therapiestart mit immunsuppressiven Medikamenten erfolgen.

Empfohlene Reiseimpfungen – Überprüfung von Standard- und Indikationsimpfungen nicht vergessen
Für Personen mit eingeschränkter Immunfunktion gelten prinzipiell dieselben Impfempfehlungen wie für andere Reisende auch. Je nach Reiseziel sollte ein Impfschutz gegen Cholera, Dengue, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Gelbfieber, Japanische Enzephalitis, Meningokokken-Infektionen, Tollwut und Typhus angestrebt werden. Einige Impfungen werden im internationalen Reiseverkehr vorgeschrieben wie beispielsweise die Impfungen gegen Gelbfieber, Meningokokken-Impfung, PoliomyelitisImpfung oder die Masern-Impfung.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Institut empfiehlt auch im Rahmen einer reisemedizinischen Impfberatung einmal die Standard- und Indikationsimpfungen zu überprüfen und, wenn notwendig, diese zu vervollständigen. Diese sind: Tetanus, Diphtherie, HPV, Herpes zoster, Pertussis, Masern, Meningokokken-Infektionen (ACWY), Pneumokokken, Influenza, Hepatitis A und B, Poliomyelitis und COVID-19. Seit diesem Jahr sind die Standardimpfungen um die Meningokokken B Impfung ergänzt.
„Für die meisten dieser Impfungen gibt es Totimpfstoffe, die auch bei Immungeschwächten sicher sind. Die Impfungen bzw. Impfserien sollten spätestens zwei Wochen vor Reisebeginn abgeschlossen sein, um eine ausreichende schützende Immunität und das Abklingen oder eine Behandlung etwaiger unerwünschter Arzneimittelwirkungen vor Reise-antritt zu gewährleisten," sagt Andreica. Unter Umständen werde aber nur ein eingeschränkter Impfschutz aufgebaut. Im Falle der Hepatitis A-Impfung wird deshalb seit kurzem eine zusätzliche Impfdosis empfohlen.

Gelbfieberimpfung und Impfung gegen Dengue
Der wichtigste Lebendimpfstoff unter den Reiseimpfungen ist die Gelbfieberimpfung, die etliche tropische Länder verpflichtend vorschreiben. „Bei Personen mit geschwächtem Immunsystem besteht die Gefahr, dass der Lebendimpfstoff die Gelbfiebererkrankung auslöst, gegen die er schützen soll. Denn das geschwächte Immunsystem kann die abgeschwächten Viren im Lebendimpfstoff nicht wirksam abwehren", sagt Andreica. Um solche Impfkomplikationen zu vermeiden, wäre theoretisch eine Immunsuppressionspause von ca. 3 Monaten oder länger, je nach Immunsuppression, vor und 4 Wochen nach der Lebendimpfung erforderlich. Dies ist in der Regel und wegen der Gefahr eines Schubes der rheumatischen Erkrankung für die Patient:innen nicht möglich. Neue Daten zeigen, dass unter Umständen die Gabe einer Gelbfieber-Impfung unter einer leichten Immun-suppression möglich ist. Laut der im Dezember 2020 aktualisierten Fachinformation für Stamaril (Gelbfieberimpfstoff) ist eine Impfung unter niedrig dosierter Cortisoneinnahme möglich. Auch die erst kürzlich zugelassene Dengueimpfung ist ein Lebendimpfstoff, der bei Immunsupprimierten nicht verabreicht werden darf. Weil Erfahrungswerte noch fehlen, gilt dies selbst unter geringer Immunsuppression als kontraindiziert.

„Eine enge Zusammenarbeit beim Thema der Reiseimpfungen zwischen Patient:innen, Reisemediziner:innen, Hausärzt:innen und Rheumatolog:innen ist unerlässlich und die beste Voraussetzung für einen komplikationslosen und erholsamen Aufenthalt im Reise-land", betont auch DGRh-Präsident Prof. Dr. med. Christof Specker aus Essen. „Neben den Impfungen sollten dann auch weitere Themen in der Beratung zur Sprache kommen, die für Rheuma-Betroffene wichtig sind, wie beispielweise Sonnenschutz oder Wechselwirkungen zwischen Immunsuppressiva und einer notwendigen Malariaprophylaxe."

Rheuma und der Sauerstoff und die Glucose


Rheuma-Forschende der Universitätsmedizin Leipzig entdecken neuen Mechanismus

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Universität Leipzig, Medizinische Fakultät Anne Grimm

Wissenschaftler:innen der Universitätsmedizin Leipzig forschen seit Jahren intensiv an Zellen des angeborenen Immunsystems, die Auslöser für Entzündungsreaktionen bei rheumatischen Erkrankungen sind. Nun haben sie einen Mechanismus entdeckt, bei dem der gleichzeitige Mangel von Sauerstoff und Glukose eine akute Entzündung auslöst. Das Wissen um diesen Mechanismus bietet neue Forschungsansätze für die künftige Behandlung von Rheuma-Patient:innen. Die aktuellen Studienergebnisse sind im Fachjournal „Science Signaling“ veröffentlicht worden.


Die Zellen des angeborenen Immunsystems und die von ihnen produzierten Botenstoffe spielen eine wichtige Rolle in der Entstehung von rheumatischen Erkrankungen. Im entzündeten Gewebe verschlechtert sich die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen, insbesondere mit Glukose. Die aktuellen Studiendaten zeigen: In Zellen des angeborenen Immunsystems führt dies zu Stoffwechselveränderungen, die die Verankerung von Proteinen in den Zellmembranen beeinträchtigen. Daraus folgt die Aktivierung des sogenannten Inflammasom-Komplexes. Dieser trägt zur Ausschüttung pro-entzündlicher Botenstoffe und zur weiteren Gewebsentzündung bei. Das kann bei rheumatischen Erkrankungen, aber auch bei Infektionen oder im Fettgewebe beim metabolischen Syndrom der Fall sein.

„Wir fanden eine Reihe von spezifischen Veränderungen des Stoffwechsels der Zellen unter den extremen, in Entzündungsgebieten vorliegenden Bedingungen, welche direkten Einfluss auf die Funktion der Immunzellen nehmen. Diese Zusammenhänge unterstützen medizinische Konzepte, die von einem Einfluss des Stoffwechsels auf Immunantworten ausgehen. Darüber hinaus bieten sie möglicherweise das Potential, Immunantworten therapeutisch beeinflussen zu können, gerade bei rheumatischen und Autoimmunerkrankungen“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Ulf Wagner, Professor für Experimentelle Rheumatologie an der Universität Leipzig.

Proben von Betroffenen mit seltenen genetischen Erkrankungen untersucht

Für die aktuelle Studie wurden auch Blutproben von Patient:innen mit seltenen genetischen Erkrankungen, sogenannte autoinflammatorische Syndrome, untersucht. Bei diesen Erkrankungen kommt es zu Entzündungen, die scheinbar von selbst auftreten. In der aktuellen Stichprobe fanden die Wissenschaftler:innen eine vermehrte Neigung zu Entzündungen bereits unter relativ milden Bedingungen des Sauerstoffmangels, was zu den häufigen Entzündungsschüben bei diesen Erkrankungen beitragen könnte.

In der wissenschaftlichen Arbeit kam ein breites Spektrum von zell- und molekularbiologischen Methoden sowie moderne mikroskopische Bildgebung zum Einsatz – unter anderem zur parallelen Untersuchung von Stoffwechselmetaboliten und zur genetischen Abschaltung von Schlüsselproteinen in Zellkultur-Experimenten. Die Methoden wurden jeweils unter genau kontrollierten Bedingungen, hinsichtlich der Verfügbarkeit von Sauerstoff und Nährstoffen, durchgeführt.

„Langfristig hoffen wir, dass sich aus den Ergebnissen und insbesondere den neu definierten Angriffspunkten im Entzündungsstoffwechsel auch neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten ergeben werden. Im nächsten Schritt werden wir den Beitrag der gestörten Verankerung von Proteinen in Zellmembranen zur Entzündungsreaktion von Immunzellen bei rheumatoider Arthritis genauer untersuchen“, so Wagner.


Prof. Dr. med. Ulf Wagner
Bereichsleiter Rheumatologie, Klinik für Endokrinologie, Nephrologie, Rheumatologie, Universitätsklinikum Leipzig
Professor für Experimentelle Rheumatologie, Universität Leipzig
Telefon: 0341 - 97 24710
Mail: ulf.wagner@medizin.uni-leipzig.de

Originalpublikation:
Originalpublikation in Science Signaling: Glucose-oxygen deprivation constrains HMGCR function and Rac1 prenylation and activates the NLRP3 inflammasome in human monocytes. https://www.science.org/doi/10.1126/scisignal.add8913
DOI: 10.1126/scisignal.add8913

GenderMedizin

 

Kardiologen fordern bessere Erforschung von Geschlechterunterschieden bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

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Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung e.V., Michael Böhm

Die Unterschiede bei Frauen und Männern hinsichtlich des Risikos und der Ausprägung kardiovaskulärer Erkrankungen werden bisher zu wenig berücksichtigt. Die DGK fordert deshalb mehr genderspezifische Forschung. Ein erstes Positionspapier soll für diese Defizite sensibilisieren und auf die bestehenden Herausforderungen aufmerksam machen.


Düsseldorf, 15. Juli 2024 – Die Symptome verschiedener Herz-Kreislauf-Erkrankungen können bei Männern und Frauen ganz unterschiedlich in Erscheinung treten. Auch gibt es Unterschiede in der Wirkung von Medikamenten. Dennoch werden geschlechterspezifische Faktoren in der Gesundheits- und Krankheitsforschung oftmals zu wenig berücksichtigt. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK) hat deshalb ihr erstes Positionspapier zur Gendermedizin mit Fokus auf kardiovaskuläre Erkrankungen veröffentlicht. Es soll Ärzt:innen und ihre Patient:innen auf die wissenschaftlich begründeten Unterschiede hinweisen und so zu einer bestmöglichen Versorgung beitragen.

Ein Herzinfarkt wird bei Frauen häufig verzögert erkannt

Die typischen Symptome eines Herzinfarkts wie starkes Enge- oder Druckgefühl in der Brust mit häufiger Ausstrahlung in den linken Arm finden sich typischerweise bei Männern. Bei Frauen sind diese seltener, außerdem weisen sie häufiger unspezifische und vielfältigere Symptome auf.

„Oft ist der Brustschmerz schwächer ausgeprägt und das Ausstrahlen in den linken Arm kann auch ausbleiben“, bemerkt Prof. Dr. med. Andrea Bäßler, Sprecherin der AG28 „Gendermedizin in der Kardiologie“ der DGK. „Stattdessen berichten betroffene Frauen eher von Kurzatmigkeit, geringerer Belastbarkeit, Schmerzen in Oberbauch und Rücken sowie von vegetativen Veränderungen wie Übelkeit, Erbrechen und Schweißausbruch.“

Dies führe häufig dazu, dass Frauen aber auch Ärzte die Hinweise fehldeuten und beispielsweise an eine Magenverstimmung denken. So kann es selbst in der Notaufnahme im Krankenhaus zu Fehldeutungen durch das Fachpersonal kommen. Der gefährliche Herzinfarkt kann dann spät oder möglicherweise gar nicht diagnostiziert werden und gelegentlich unbehandelt bleiben.

Rauchen ist für Frauen riskanter, intensiver Sport hingegen nicht

Nikotinkonsum schadet allen Menschen. Für Frauen ist das damit verbundene Risiko für einen Herzinfarkt aber höher als für Männer. Während männliche Raucher ein durchschnittlich 1,43-mal höheres Risiko für einen Herzinfarkt haben als Nichtraucher, ist das durchschnittliche Risiko für Raucherinnen 2,24-mal höher. Zudem reduziert Nikotin die Aktivität des weiblichen Geschlechtshormons Östrogen und vermindert die Prolaktinsekretion, wodurch die Menopause ein bis vier Jahre früher eintreten kann und das kardiovaskuläre Folgerisiko erhöht wird.

Dafür haben Frauen ein deutlich geringeres Risiko beim intensiven Sporttreiben: Athletinnen erleiden beim Leistungssport seltener maligne Rhythmusstörungen oder einen plötzlichen Herztod.

Leitlinien berücksichtigen Geschlechterunterschiede aufgrund fehlender Datenlage wenig

Beide Geschlechter haben im mittleren Alter ein ähnliches Risiko für Bluthochdruck (Männer: 34% vs. Frauen: 32%). Frauen haben im Alter jedoch öfter bluthochdruckabhängige Erkrankungen. Bei Frauen geht der Anstieg des arteriellen Blutdrucks ab dem 30. Lebensjahr nämlich schneller voran und beschleunigt sich nach der Menopause abermals. Zudem weisen Studien darauf hin, dass Frauen im Vergleich zu Männern schon bei niedrigeren Blutdruckwerten ein höheres Risiko für Herzschwäche und Schlaganfall haben. Auch sprechen Männer und Frauen auf blutdrucksenkende Mittel unterschiedlich an, was das Risiko für Nebenwirkungen beeinflusst.

Da es allerdings an randomisierten Studiendaten fehlt, finden diese Unterschiede in den europäischen Leitlinien zum Management der arteriellen Hypertonie bislang keine Beachtung.

Angemessenes Verhältnis beider biologischer Geschlechter in Forschung notwendig

Diese Informationslücken basieren zum Großteil darauf, dass Frauen in wissenschaftlichen Studien aus unterschiedlichen Gründen unterrepräsentiert sind. „Umso wichtiger ist es, ab sofort beim Einschluss von Patienten in klinischen Studien ein angemessenes Verhältnis beider biologischer Geschlechter anzustreben, das in Relation zur Häufigkeit der Erkrankung bei Frauen und Männern steht“, so Bäßler. „Nur so können wir wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse erlangen, um zukünftig eine optimale Versorgung sowohl von Männern als auch Frauen sicherzustellen“.

Prof. Dr. Andrea Bäßler, Universitätsklinikum Regensburg
Tel: 0941 9447230
E-Mail: andrea.baessler@ukr.de

Originalpublikation:
https://doi.org/10.1007/s12181-024-00694-9

Dialysetherapie

Dialysetherapie bei älteren Patient:innen: ja oder nein?

Um diese weitreichende Entscheidung besser treffen zu können, fördert das Projekt die Gesundheitskompetenz von Betroffenen. Ältere

ĀlterePatient:innen mit einer fortgeschrittenen Nierenerkrankung werden zu ihren Bedarfen und Bedürfnissen befragt, die bisherige Aufklärungspraxis zu Prognose und Behandlungsmöglichkeiten untersucht sowie GKV-Routinedaten zur Sterblichkeit nach Dialysebeginn analysiert. 

Darauf aufbauend erstellt das Team eine Entscheidungshilfe, die die Vorstellungen von Patient:innen berücksichtigt und prüft die Machbarkeit einer umfassenden Studie dazu.

Projekt: Kompetenzstärkung älterer Patienten mit fortgeschrittener Nierenerkrankung und limitierter Lebensprognose für die Wahl des angemessenen Behandlungspfades (CHOICE)

Leitung: Prof. Elke Schäffner, Institut für Public Health

Influenzaviren Grippeviren und das Vogelgrippenvirus

 

Influenzaviren können zwei Eintrittspforten nutzen

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Universität Zürich, Kurt Bodenmüller

Die meisten Influenzaviren dringen über eine spezifische Struktur auf der Oberfläche in menschliche und tierische Zellen ein. Menschliche Grippeviren und das verwandte Vogelgrippevirus des Subtyps H2N2 nutzen aber noch einen zweiten Eintrittsweg, wie UZH-Forschende zeigen: einen Proteinkomplex des Immunsystems. Dieser Vorteil hilft den Erregern, unterschiedliche Arten zu infizieren und zwischen Tieren und Menschen zu wechseln.


Der Grossteil der Influenzaviren des Typs A zirkuliert in Vögeln und Schweinen und stellt normalerweise kein Risiko für die menschliche Gesundheit dar. Kommt es zu einem Ausbruch in Milchvieh wie aktuell in den USA oder bei der jährlich wiederkehrenden Grippewelle, können Influenza-A-Viren jedoch bedrohlich werden. In seltenen Fällen gelingt einem Virus der Sprung vom Tier zum Menschen – mit potenziell verheerenden Auswirkungen wie einer Pandemie.

Weiterer Rezeptor bietet alternativen Eintrittsweg

Die meisten Influenzaviren dringen mit einem ihrer Hüllproteine, die wie Spikes aus der Oberfläche herausragen, in die Wirtszelle ein. Das sogenannte Hämagglutinin bindet an Sialinsäure, eine chemische Gruppe auf der Oberfläche von menschlichen Zellen sowie von Zellen diverser Tierarten. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Silke Stertz vom Institut für Medizinische Virologie der Universität Zürich (UZH) zeigt nun, dass die Viren eine zweite Eintrittspforte nutzen können, um sich in die Zellen einzuschleusen. «Menschliche Influenza-A-Viren des Subtyps H2N2 und das verwandte H2N2-Vogelgrippevirus können über einen zweiten Rezeptor in die Zellen gelangen. Sie nutzen also einen alternativen Eintrittsweg», so Stertz.

Wie die Forschenden entdeckten, bindet Hämagglutinin auch an Proteinkomplexe der MHC-Klasse-II. Diese Proteinkomplexe sitzen auf der Oberfläche bestimmter Immun- und Atemwegszellen und sind zuständig dafür, körpereigene und körperfremde Zellen und Strukturen zu unterscheiden. «Wir haben herausgefunden, dass MHC-Klasse-II-Komplexe von Menschen sowie von Schweinen, Enten, Schwänen und Hühnern den Viren den Zelleintritt ermöglichen, nicht aber jene von Fledermäusen», sagt Stertz.

Übertragung vom Tier zum Menschen wahrscheinlich

Bestätigt wurde die doppelte Infektionsfähigkeit der H2N2-Influenzaviren in tierischen Zelllinien, die im Labor gezüchtet wurden, und in menschlichen Atemwegskulturen. Wie genau der virale Rezeptor auf die Strukturen der Zelloberfläche passt, ist entscheidend dafür, welche Wirtsarten und Gewebe infiziert werden und wie krank ein infiziertes Individuum letztendlich wird. Die Rezeptorspezifität beeinflusst auch, ob das Virus von einer Tierart auf eine andere oder auf den Menschen springen kann – in der Fachwelt Zoonose genannt. «Nach unseren Ergebnissen können sich Influenzaviren anpassen, um unterschiedliche Eintrittswege zu nutzen. Dies dürfte auch ihre Fähigkeit steigern, unterschiedliche Arten zu infizieren und zwischen Tieren und Menschen zu wechseln», betont Virologin Silke Stertz.

Das Risiko, dass Influenzaviren von Vögeln, Schweinen und anderen Tieren Quelle für eine pandemische Grippe beim Menschen sein können, ist so möglicherweise grösser als bisher angenommen. Dass sich H2N2-Influenzaviren 1957 in Asien zur weltweiten Grippepandemie entwickelten, könnte mitunter auf die Fähigkeit zurückgehen, MHC-Klasse-II-Komplexe für den Zelleintritt zu nutzen. Grund genug, die globale Influenzaüberwachung bei Tieren und Menschen zu verstärken.

MaAB - Medizin am Abend Fortbildung:

Prof. Dr. Silke Stertz
Institut für Medizinische Virologie
Universität Zürich
+41 44 634 28 99
stertz.silke@virology.uzh.ch

Dr. Umut Karakus
Institut für Medizinische Virologie
Universität Zürich
+41 44 634 26 99
karakus.umut@virology.uzh.ch

Originalpublikation:
Umut Karakus et al. MHC class II proteins mediate sialic acid independent entry of human and avian H2N2 influenza A viruses. Nature Microbiology. 17 July 2024. DOI: https://doi.org/10.1038/s41564-024-01771-1

Rheumapatienten green auf Reisen

 

Gut geschützt auf Reisen Reiseimpfungen: Was Rheuma-Betroffene beachten sollten

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Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie e.V., Anna Julia Voormann

Dank neuer Therapien in der Rheumatologie können immer mehr Menschen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ohne Einschränkungen Fernreisen unternehmen und müssen nicht auf bestimmte Urlaubsziele verzichten. Wichtig ist, neben einem gut geplanten Aufenthalt am Zielort, jedoch eine umfassende fachliche Reiseberatung zu erforderlichen Schutzimpfungen. Experten der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie e. V. (DGRh) erklären, worauf geachtet werden sollte.


Nach dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) sind rund 1,5 bis 2,1 Millionen Erwachsene in Deutschland von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen betroffen. Sie zählen aus infektiologischer Sicht zu einer Risikogruppe. Bereits das Autoimmungeschehen, das der Erkrankung zugrunde liegt, macht sie anfälliger für Infektionskrankheiten, hinzu kommt die immunmodulierende Medikation. „Manche Rheuma-Medikamente hindern das Immunsystem auch daran, effektiv und dauerhaft auf eine Impfung zu reagieren“, erklärt Dr. med. Ioana Andreica, Rheumatologin am Rheumazentrum Ruhrgebiet in Herne. „Diese begrenzte Wirksamkeit, auch bei Erstimpfungen, sollte mit den Patient:innen besprochen werden." Wann und mit welchem Erfolg geimpft werden kann, hängt von der Art und Dosierung der Medikation ab, sowie von der Aktivität der entzündlich-rheumatischen Erkrankung . Generell gilt:
• Es sollte nicht in einen Krankheitsschub „hineingeimpft“ werden.
• Totimpfstoffe sind grundsätzlich sicher. Allerdings kann der Impfschutz schwächer ausfallen.
• Unter Immunsuppression sollten Lebendimpfstoffe möglichst vermieden werden.
• Als nicht immunsuppressiv gelten zum Beispiel Hydroxychloroquin, Sulfasalazin und Apremilast.
• Als immunsuppressiv gelten einige Biologika wie beispielsweise TNF-Blocker, Abatacept oder Rituximab. Auch hochdosierte Glukokortikoide, Azathioprin und hochdosiertes Methotrexat, sowie Kombinationstherapien dämpfen die Immunantwort.
• Impfungen sollten idealerweise vor einem Therapiestart mit immunsuppressiven Medikamenten erfolgen.

Empfohlene Reiseimpfungen – Überprüfung von Standard- und Indikationsimpfungen nicht vergessen
Für Personen mit eingeschränkter Immunfunktion gelten prinzipiell dieselben Impfempfehlungen wie für andere Reisende auch. Je nach Reiseziel sollte ein Impfschutz gegen Cholera, Dengue, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Gelbfieber, Japanische Enzephalitis, Meningokokken-Infektionen, Tollwut und Typhus angestrebt werden. Einige Impfungen werden im internationalen Reiseverkehr vorgeschrieben wie beispielsweise die Impfungen gegen Gelbfieber, Meningokokken-Impfung, PoliomyelitisImpfung oder die Masern-Impfung.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Institut empfiehlt auch im Rahmen einer reisemedizinischen Impfberatung einmal die Standard- und Indikationsimpfungen zu überprüfen und, wenn notwendig, diese zu vervollständigen. Diese sind: Tetanus, Diphtherie, HPV, Herpes zoster, Pertussis, Masern, Meningokokken-Infektionen (ACWY), Pneumokokken, Influenza, Hepatitis A und B, Poliomyelitis und COVID-19. Seit diesem Jahr sind die Standardimpfungen um die Meningokokken B Impfung ergänzt.
„Für die meisten dieser Impfungen gibt es Totimpfstoffe, die auch bei Immungeschwächten sicher sind. Die Impfungen bzw. Impfserien sollten spätestens zwei Wochen vor Reisebeginn abgeschlossen sein, um eine ausreichende schützende Immunität und das Abklingen oder eine Behandlung etwaiger unerwünschter Arzneimittelwirkungen vor Reise-antritt zu gewährleisten," sagt Andreica. Unter Umständen werde aber nur ein eingeschränkter Impfschutz aufgebaut. Im Falle der Hepatitis A-Impfung wird deshalb seit kurzem eine zusätzliche Impfdosis empfohlen.

Gelbfieberimpfung und Impfung gegen Dengue
Der wichtigste Lebendimpfstoff unter den Reiseimpfungen ist die Gelbfieberimpfung, die etliche tropische Länder verpflichtend vorschreiben. „Bei Personen mit geschwächtem Immunsystem besteht die Gefahr, dass der Lebendimpfstoff die Gelbfiebererkrankung auslöst, gegen die er schützen soll. Denn das geschwächte Immunsystem kann die abgeschwächten Viren im Lebendimpfstoff nicht wirksam abwehren", sagt Andreica. Um solche Impfkomplikationen zu vermeiden, wäre theoretisch eine Immunsuppressionspause von ca. 3 Monaten oder länger, je nach Immunsuppression, vor und 4 Wochen nach der Lebendimpfung erforderlich. Dies ist in der Regel und wegen der Gefahr eines Schubes der rheumatischen Erkrankung für die Patient:innen nicht möglich. Neue Daten zeigen, dass unter Umständen die Gabe einer Gelbfieber-Impfung unter einer leichten Immun-suppression möglich ist. Laut der im Dezember 2020 aktualisierten Fachinformation für Stamaril (Gelbfieberimpfstoff) ist eine Impfung unter niedrig dosierter Cortisoneinnahme möglich. Auch die erst kürzlich zugelassene Dengueimpfung ist ein Lebendimpfstoff, der bei Immunsupprimierten nicht verabreicht werden darf. Weil Erfahrungswerte noch fehlen, gilt dies selbst unter geringer Immunsuppression als kontraindiziert.

„Eine enge Zusammenarbeit beim Thema der Reiseimpfungen zwischen Patient:innen, Reisemediziner:innen, Hausärzt:innen und Rheumatolog:innen ist unerlässlich und die beste Voraussetzung für einen komplikationslosen und erholsamen Aufenthalt im Reise-land", betont auch DGRh-Präsident Prof. Dr. med. Christof Specker aus Essen. „Neben den Impfungen sollten dann auch weitere Themen in der Beratung zur Sprache kommen, die für Rheuma-Betroffene wichtig sind, wie beispielweise Sonnenschutz oder Wechselwirkungen zwischen Immunsuppressiva und einer notwendigen Malariaprophylaxe."

Quellen:
Reisen und Rheuma, Dr. med. Ioana Andreica, Rheumazentrum Ruhrgebiet Herne, Vor-trag auf der Jahrestagung der Deutschen Fachgesellschaft Reisemedizin e.V. (DFR) 2023

Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit e. V. (DTG) zu Reiseimpfun-gen, Robert-Koch-Institut, Epidemiologisches Bulletin 14 | 2024 ,4. April 2024, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2024/Ausgaben/14_24.pdf?__b...

Albrecht, K., Binder, S., Minden, K. et al. Systematisches Review zur Schätzung der Prä-valenz entzündlich rheumatischer Erkrankungen in Deutschland. Z Rheumatol 82, 727–738 (2023). https://doi.org/10.1007/s00393-022-01305-2

Angelin M, Sjölin J, Kahn F, Ljunghill Hedberg A, Rosdahl A, Skorup P, Werner S, Woxe-nius S, Askling HH. Qdenga® - A promising dengue fever vaccine; can it be recom-mended to non-immune travelers? Travel Med Infect Dis. 2023 Jul-Aug;54:102598. doi: 10.1016/j.tmaid.2023.102598. Epub 2023 Jun 2. PMID: 37271201

Letícia Wigg de Araújo Lagos, Ariane de Jesus Lopes de Abreu, Rosângela Caetano, José Ueleres Braga, Yellow fever vaccine safety in immunocompromised individuals: a sys-tematic review and meta-analysis, Journal of Travel Medicine, Volume 30, Issue 2, March 2023, taac095, https://doi.org/10.1093/jtm/taac095

Wagner N, Assmus F, Arendt G, Baum E, Baumann U, Bogdan C, Burchard G, Föll D, Garbe E, Hecht J, Müller-Ladner U, Niehues T, Überla K, Vygen-Bonnet S, Weinke T, Wiese-Posselt M, Wojcinski M, Zepp F. Impfen bei Immundefizienz : Anwendungshinwei-se zu den von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen. (IV) Impfen bei Autoimmunkrankheiten, bei anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen und unter immunmodulatorischer Therapie. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Ge-sundheitsschutz. 2019 Apr;62(4):494-515. German. doi: 10.1007/s00103-019-02905-1. PMID: 30899964.

DGRh 
Stephanie Priester
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie e.V. (DGRh)
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel.: +49 711 8931-605
Fax: +49 711 8931-167
E-Mail: priester@medizinkommunikation.org

Blutdruck being Schwangeren

 

Bluthochdruck in der Schwangerschaft: Neue Leitlinie für bessere Versorgung in Deutschland

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Universitätsklinikum Würzburg, Susanne Just

Etwa sechs bis acht Prozent aller schwangeren Frauen erkranken an einem Bluthochdruck. Eine neue Versorgungs-Leitlinie soll nun die frühzeitige Diagnose und Behandlung verbessern. Auch ein spezieller Nachsorgepass wurde jetzt veröffentlicht.


Würzburg. Etwa sechs bis acht Prozent aller schwangeren Frauen erkranken an einem Bluthochdruck. Eine neue Versorgungs-Leitlinie soll nun die frühzeitige Diagnose und Behandlung verbessern. „Damit wollen wir das Risiko für Komplikationen in der Schwangerschaft senken und zudem langfristig die Gesundheit der Frauen stärken. Denn auch nach der Schwangerschaft bleibt das Risiko für Folgeerkrankungen erhöht“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Pecks, Leiter der Geburtshilfe am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) und verantwortlicher Koordinator für die neue Leitlinie, die am 17. Juli 2024 veröffentlicht wurde. Zudem wurde ein Nachsorgepass für betroffene Frauen entwickelt, der zum Download bereitsteht.

„In der neuen Leitlinie wird empfohlen, den Bluthochdruck präziser medikamentös einzustellen als bislang. Hierzu wurden in den vergangenen Jahren wichtige Studien veröffentlicht, die nun in die Leitlinie eingeflossen sind“, so Prof. Pecks. Mit dieser medikamentösen Einstellung des Bluthochdrucks kann idealerweise auch der Zeitpunkt der Entbindung bei optimalen Verlauf weiter verschoben werden. Somit können frühe Geburten mit den Risiken für Mutter und Kind minimiert werden, erklärt der Würzburger Mediziner. „Denn weiterhin ist die einzige kurative, also heilende Therapie für einen Schwangerschafts-Bluthochdruck die Entbindung. Oft bessern sich die Werte schon 48 Stunden nach der Geburt“, sagt Prof. Pecks.

Ziel: Komplikationsrisiken minimieren / Folgeerkrankungen reduzieren

Ein Bluthochdruck in der Schwangerschaft ist auch ein Hinweis auf eine mögliche Präeklampsie, die oft umgangssprachlich „Schwangerschaftsvergiftung“ genannt wird. Von einer Präeklampsie spricht man, wenn zusätzlich zu einem Bluthochdruck („Hypertonie“) Organschäden festgestellt werden, etwa an Niere oder Leber. Dabei scheiden die Frauen dann z.B. vermehrt Eiweiße über die Niere aus oder haben erhöhte Leberwerte im Blut. Weltweit versterben jährlich mehr als 50.000 Frauen und 500.000 Babys an den Folgen einer Präeklampsie. Mütterliche Todesfälle sind in den industriell entwickelten Ländern zum Glück selten. Aber das Leid der Frauen und die Folgen einer Frühgeburt wegen einer Präeklampsie können erheblich sein.

Daher empfiehlt die neue Leitlinie ein allgemeines Screening auf Präeklampsie bei jeder Schwangeren. Auch angesichts des demographischen Wandels, älter werdenden Frauen bei der ersten Schwangerschaft und zunehmenden Schwangerschaften bei Frauen mit Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus ist eine frühe Erkennung wichtig. „Dieses Screening ist leider aktuell keine Kassen-Leistung. Dabei kann es enorm helfen, Risiken frühzeitig zu erkennen, um vorbeugende Maßnahmen einzuleiten und eine Präeklampsie zu verhindern“, so Pecks. Ein solches Screening sollte in der 12. oder 13. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden.

Nachsorgepass gibt wertvolle Orientierung

Mit der Leitlinie soll auch das Risiko von Folgeerkrankungen nach der Schwangerschaft stärker in das Bewusstsein rücken. Prof. Pecks: „Frauen, die einen Bluthochdruck in der Schwangerschaft entwickelt haben, zeigen ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen im weiteren Leben. Daher haben wir einen neuen Nachsorgepass entwickelt, der jetzt für die Frauen zum Download (Link:
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-018)
bereitsteht und der helfen soll, dieses Thema mit den weiterbehandelnden Ärztinnen und Ärzten nach Geburt und Wochenbett zu besprechen.“

Hintergrund: Leitlinie „Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft: Diagnostik und Therapie“

Die Leitlinie „Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft: Diagnostik und Therapie“ ist im Leitlinienprogramm der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der Österreichischen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie (OEGGG) sowie der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe entwickelt worden. Sie löst die vorherige Leitlinie aus dem Jahr 2019 ab. Sie wurde geprüft durch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und steht hier zum Download bereit, Link: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-018

Prof. Dr. Ulrichs Pecks ist der Leitlinienkoordinator, er forscht seit 20 Jahren zu schwangerschaftsassoziiertem Bluthochdruck. Er leitet seit Oktober 2023 die Geburtshilfe an der Würzburger Uniklinik und bekleidet die Professur „Maternale Gesundheit und Hebammenwissenschaft“ an der Würzburger Universitätsmedizin. In der UKW-Geburtshilfe werden die Möglichkeiten eines Präeklampsiescreenings im Rahmen der Schwangerenberatung individuell vorgestellt.
Weitere Informationen finden Sie unter
https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-018

Virusinfektionen

 

Autoantikörper verursachen lebenslanges Risiko für Virusinfektionen

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Universität Zürich, Rita Ziegler,

Etwa zwei Prozent der Bevölkerung entwickeln Autoantikörper gegen Interferone des Typs 1, meist in späteren Lebensjahren. Dies macht die Betroffenen anfälliger für Viruserkrankungen wie COVID-19. Für die Studie haben UZH-Forschende zusammen mit einem USZ-Team einer grossen Sammlung historischer Blutproben analysiert.


Als Reaktion auf eine Virusinfektion setzen Zellen des Immunsystems Interferone vom Typ 1 frei. Sie fungieren als Botenstoffe, die nicht infizierte Zellen und Gewebe warnen, dass sich ein Virus ausbreitet. Sie können sich dann darauf vorbereiten, das Virus zu bekämpfen, sobald es eintrifft.

Bei Personen mit einem geschwächten Typ-1-Interferon-System kann es zu schweren Virusinfektionen kommen, da der Körper keine vollständige Abwehr aufbauen kann. Neue Forschungsarbeiten zeigen, dass etwa 5 bis 15 Prozent der Menschen, die schwer an COVID-19 oder Influenza erkrankt sind, einen Mangel an Typ-1-Interferon aufweisen. Das liegt daran, dass ihr Blut Autoantikörper – Antikörper gegen körpereigene Strukturen – enthält, die Typ-1-Interferone binden und die Funktion des Botenstoffs verhindern.

Einzigartige Proben für die Blutanalyse

«Mit unserer Studie wollten wir die Ursache dafür finden, weshalb sich das Immunsystem mancher Menschen gegen sich selbst wendet. Und verstehen, welche Folgen Autoantikörper gegen Typ-1-Interferone für Betroffene haben», sagt Studienleiter Benjamin Hale, Professor am Institut für Medizinische Virologie der Universität Zürich (UZH).

Sein Forschungsteam nutzte eine sehr grosse Sammlung eingefrorener Blutproben aus der Schweizer HIV-Kohortenstudie, die ursprünglich für die Erforschung der HIV-Infektion gespendet wurden. Die Wissenschaftler analysierten die Proben von rund 2’000 Erwachsenen, die über mehrere Jahrzehnte hinweg zweimal pro Jahr Blutproben gespendet hatten. «Die Studie war nur dank dieser einzigartigen Biobank mit Blutproben über einen langen Zeitraum und gut gepflegten klinischen Daten möglich», sagt Hale. Die Tatsache, dass es sich bei den Spenderinnen und Spendern um HIV-Infizierte handelte, hatte keinen Einfluss auf die Ergebnisse, da das Virus in dieser Kohorte durch die Behandlung unterdrückt wurde.

Ältere Bevölkerung ist anfällig

Zunächst analysierte das UZH-Team, ob in den Blutproben Autoantikörper gegen Interferone vom Typ 1 vorhanden sind, um herauszufinden, wer solche Autoantikörper entwickelte, wann dies geschah und wie lange sie im Blut verweilten. Die Analyse ergab, dass etwa zwei Prozent der Personen im Laufe ihres Lebens Autoantikörper gegen Interferone des Typs 1 bildeten und dass dies typischerweise im Alter von 60 bis 65 Jahren geschah. Dies bestätigt frühere Studien, die zeigen, dass die Prävalenz von Autoantikörpern gegen Typ-1-Interferone mit dem Alter zunehmen könnte.

Beteiligt an der Studie waren auch Forschende der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich (USZ). Die Untersuchung der klinischen Daten offenbarte, welche Faktoren zur Entwicklung dieser Autoantikörper beitragen. Personen, die sie entwickelten, neigten dazu, auch Antikörper gegen andere «eigene» Proteine zu bilden. Dieser sogenannte Verlust der Selbsttoleranz kann bei einigen Menschen mit zunehmendem Alter auftreten. «Die Betroffenen bilden möglicherweise Antikörper gegen ihre eigenen Typ-1-Interferone, weil sie bereits zur Bildung von Autoantikörpern neigen. Zugleich sind sie grossen Mengen von Typ-1-Interferonen ausgesetzt – etwa weil ihr Immunsystem zu dieser Zeit Interferone gegen andere Infektionen produziert», vermutet Hale.

Lebenslange Folgen von Autoantikörpern

Die Studie ergab zudem, dass die einmal entwickelten Autoantikörper für den Rest des Lebens im Blut der Betroffenen nachweisbar bleiben. Menschen mit Autoantikörpern gegen Interferone vom Typ 1 hatten ein höheres Risiko, im Jahr 2020 an schwerem COVID-19 zu leiden, selbst wenn sie diese bereits 2008 entwickelt hatten. «Diese Autoantikörper wirken sich noch Jahrzehnte später auf die Betroffenen aus. Sie führen zu einem geschwächten Typ-1-Interferon-System und einer verminderten Immunität gegen Viren», sagt Hale.

Das Verständnis dieser Risikofaktoren könnte in Zukunft zu diagnostischen Tests führen. Damit könnten ältere Menschen identifiziert werden, die anfälliger für Entwicklung solcher Autoantikörper sind. Möglich wäre dann, sie vorrangig mit Impfstoffen oder antiviralen Medikamenten zu behandeln, um schwere Virusinfektionen zu verhindern.

Prof. Dr. Benjamin Hale
Institut für Medizinische Virologie
Universität Zürich
Tel. +41 44 634 26 31
E-Mail: hale.ben@virology.uzh.ch

Originalpublikation:
Fernbach et al. Loss of Tolerance Precedes Triggering and Lifelong Persistence of Pathogenic Type I Interferon Autoantibodies. Journal of Experimental Medicine. 17 July 2024. DOI: https://doi.org/10.1084/jem.20240365
Weitere Informationen finden Sie unter
Swiss HIV Cohort Study