Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Vorteil einer frühen Antikoagulation nach Schlaganfall bei Vorhofflimmern
Vorhofflimmern erhöht das Risiko für Schlaganfälle um den Faktor vier bis fünf.
- Nach einem ersten Hirninfarkt kommt es sehr oft zu einem Folgeereignis.
- Das Risiko eines Zweitschlaganfalls kann durch gerinnungshemmende Medikamente vermindert werden.
Der richtige Zeitpunkt für den Einsatz von Antikoagulanzien nach einem Hirninfarkt ist unklar, da die Substanzen das Risiko für Einblutungen erhöhen.
Nutzen und Risiko sind also gut abzuwägen.
Eine neue Investigator-initiierte Studie [1] verglich den frühen versus späten Beginn einer Antikoagulation in dieser Situation.
Im Ergebnis erwies sich der frühzeitige Beginn als sicher.
Dennoch muss das Ergebnis noch vorsichtig interpretiert werden.
Vorhofflimmern (VHF) erhöht das Risiko für ischämische Schlaganfälle um das Vier- bis Fünffache [2].
Bei dieser Form der Herzrhythmusstörung flimmert das Herz so schnell, dass es de facto zu einem Stillstand der Blutzirkulation kommt.
- Dabei können sich Blutgerinnsel im linken Herzvorhof bilden, die dann über den Blutstrom in Hirnarterien gelangen und diese „verstopfen“ können – und damit einen ischämischen Schlaganfall auslösen.
Die Sekundärprophylaxe nach einem embolischen Hirninfarkt bei VHF stellt eine besondere Herausforderung dar, da hier erfahrungsgemäß an den ersten zwei Tagen das Risiko für weitere Ereignisse besonders hoch ist.
Es läge also nahe, sofort mit einer gerinnungshemmenden Therapie zu
beginnen – das Problem ist jedoch, dass alle oralen Antikoagulanzien das
allgemeine Blutungsrisiko prinzipiell erhöhen und darüber hinaus das
Hirngewebe nach einem Schlaganfall besonders empfindlich ist und es
leichter zu Einblutungen in das betroffene Areal kommen kann.
Der optimale Zeitpunkt, um in dieser speziellen Situation mit der der
oralen Antikoagulation zu beginnen, liegt laut Leitlinien [2] bei der
Mehrheit der Betroffenen zwischen Tag 4 und 14.
Er sollte individuell festgelegt werden und richtet sich nach der Infarktgröße und Begleitfaktoren.
Ein zu früher Beginn, so die verbreitete Sorge, könnte mit einem erhöhten Risiko sekundärer Einblutungen in das Schlaganfallareal einhergehen.
Kleinere Studien gaben allerdings bereits Hinweise darauf, dass eine frühzeitige Antikoagulation sicher und vorteilhaft sein könnte, da die klinischen Vorteile das Blutungsrisiko deutlich überwiegen.
Um dies genauer zu analysieren und künftig einen konkreteren Anhalt für das Timing der oralen Antikoagulation zu haben, wurde eine Investigator-initiierte internationale Studie (an über 100 Zentren in 15 Ländern) durchgeführt [1].
Die ELAN-Studie („Early versus Late initiation of direct oral Anticoagulants in post-ischemic stroke patients with atrial fibrillatioN”) verglich den frühen mit dem späten Beginn der Antikoagulation bei Menschen mit VHF und erlittenem Hirninfarkt.
Der frühe Beginn war definiert als Gabe von Antikoagulanzien binnen 48 Stunden nach einem leichten oder moderaten Schlaganfall und binnen 6-7 Tagen nach einem schweren ausgedehnten Hirninfarkt.
Bei Patientinnen und Patienten der Vergleichsgruppe wurde die Therapie erst 3-4 Tage nach leichtem Schlaganfall begonnen, 6-7 Tage nach moderatem und 12-14 Tage nach schwerem Schlaganfall, entsprechend der derzeit üblichen klinischen Praxis.
Der zusammengesetzte primäre
Endpunkt (über 30 Tage) bestand aus ischämischen Folgeschlaganfällen,
systemischen Embolien (d.h. Gerinnselverschleppung in andere Organe),
großen extrakraniellen Blutungen, symptomatischen intrakraniellen
Blutungen und Tod aufgrund vaskulärer Ursachen.
Insgesamt wurden 2.013 Patientinnen und Patienten ausgewertet. 3% hatten
einen leichten Schlaganfall erlitten, 40% einen moderaten, 23% einen
schweren. 1.006 der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erhielten
eine frühe Antikoagulation, 1.007 eine späte. Innerhalb von 30 Tagen
trat in der frühbehandelten Gruppe bei 29 Patientinnen und Patienten ein
primäres Endpunktereignis auf, in der Vergleichsgruppe mit der später
begonnenen Antikoagulation bei 41. Einen Folgeschlaganfall erlitten
innerhalb von 30 Tagen 14 Personen aus der früh antikoagulierten Gruppe
und 25 aus der spät antikoagulierten Gruppe, nach 90 Tagen 18 vs. 30
Betroffene. Zu symptomatischen intrakranialen Blutungen kam es in beiden
Gruppen nur bei zwei Personen. Große extrakranielle Blutungen traten
bei drei Studienteilnehmerinnen/-teilnehmern in der „Frühgruppe“ und bei
fünf in der „Spätgruppe“ auf.
Das Autorenteam weist auf mögliche Limitationen der Studie hin.
Zum
einen waren mit Antikoagulanzien vorbehandelte Patientinnen und
Patienten nicht eingeschlossen worden, zum anderen war der
Schlaganfallschweregrad (NIHSS-Score) insgesamt gering.
„Das Studienergebnis ermutigt dazu, die Antikoagulation eher frühzeitig
zu beginnen,“ erklärt Prof. Dr. Götz Thomalla, Hamburg, Leiter der
DGN-Kommission zerebrovaskuläre Erkrankungen.
„Es gab keinerlei Hinweis auf ein erhöhtes Blutungsrisiko bei früherem Beginn. Allerdings ist Zurückhaltung bei der Interpretation der Studie angebracht. Eine Überlegenheit des frühen oralen Antikoagulation konnte nicht gezeigt werden, dies war aber auch nicht das Ziel der Studie.
Der Einsatz der Antikoagulation sollte immer individuell sorgfältig abgewogen werden.
Dafür sind Vorbehandlung, Infarktschwere, Alter und Blutungsneigung wichtige Kriterien.
Eine allgemeine Empfehlung für einen frühen
Therapiebeginn lässt sich allein aus dieser Studie nicht ableiten, die
Ergebnisse können allerdings helfen, insbesondere bei Patientinnen und
Patienten mit hohem Rezidivrisiko mutiger zu sein im Hinblick auf einen
frühen Beginn der oralen Antikoagulation.“
[1] Fischer U, Koga M, Strbian D et al.; ELAN Investigators. Early
versus Later Anticoagulation for Stroke with Atrial Fibrillation. N Engl
J Med. 2023 May 24. doi: 10.1056/NEJMoa2303048.
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2303048
[2] Hamann GF, Sander D, Röther J et al. Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft und Deutsche Gesellschaft für
Neurologie. Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke: Teil 1, S2k-
Leitlinie, 2022, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der
Neurologie. https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-133l_S2k_Sekundaerprophylaxe-isc...
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